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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5A_859/2020  
 
 
Urteil vom 3. Juni 2021  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Escher, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter von Werdt, Schöbi, 
Gerichtsschreiber Buss. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Stadt Biel, 
Finanzdirektion, 
Rüschlistrasse 14, 2501 Biel/Bienne, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
Beschwerdegegnerin, 
 
Betreibungsamt Seeland, Dienststelle Biel/Bienne, Kontrollstrasse 20, 2502 Biel. 
 
Gegenstand 
Rechtzeitigkeit des Rechtsvorschlags, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern, Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen, vom 2. Oktober 2020 (ABS 20 179). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Stadt Biel wurde von A.________ in der Betreibung Nr. xxx des Betreibungsamtes Seeland, Dienststelle Biel/Bienne, für einen Forderungsbetrag von Fr. 376'162.10 zuzüglich 3 % Zins seit dem 1. November 2018 betrieben. Das Betreibungsamt stellte am 8. Januar 2020 den Zahlungsbefehl aus. Am 29. Mai 2020 gab ein Mitarbeiter des Betreibungsamtes den Zahlungsbefehl an der Adresse Rüschlistrasse 14 persönlich ab. An diesem Standort befindet sich u.a. die Abteilung Finanzen sowie die Abteilung Steuern der Finanzdirektion der Stadt Biel. Die Stadt Biel erhob am 29. Juni 2020 Rechtsvorschlag. Mit Verfügung vom 30. Juni 2020 hielt das Betreibungsamt fest, der am 29. Juni 2020 erhobene Rechtsvorschlag sei verspätet und gelte daher als nicht erfolgt. 
 
B.  
Mit Eingabe vom 7. Juli 2020 gelangte die Stadt Biel an das Obergericht des Kantons Bern, Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen, und verlangte die Feststellung, dass der Rechtsvorschlag vom 29. Juni 2020 rechtzeitig innert der Frist von Art. 74 SchKG erfolgt sei. Mit Entscheid vom 2. Oktober 2020 wies die Aufsichtsbehörde die Beschwerde ab. 
 
C.  
Dagegen ist die Stadt Biel am 16. Oktober 2020 an das Bundesgericht gelangt. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und erneuert ihr im kantonalen Verfahren gestelltes Begehren. 
Mit Präsidialverfügung vom 10. November 2020 wurde der Beschwerde antragsgemäss die aufschiebende Wirkung zuerkannt. 
Das Bundesgericht hat die kantonalen Akten beigezogen, in der Sache aber keine Vernehmlassungen eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Entscheide in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen unterliegen der Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 Abs. 2 lit. a BGG). Beschwerdeentscheide der kantonalen Aufsichtsbehörden über Verfügungen der Vollstreckungsorgane gemäss Art. 17 SchKG sind Endentscheide im Sinne von Art. 90 BGG und unabhängig von einer gesetzlichen Streitwertgrenze anfechtbar (Art. 74 Abs. 2 lit. c BGG).  
 
1.2. Im ordentlichen Beschwerdeverfahren sind in rechtlicher Hinsicht alle Rügen gemäss Art. 95 f. BGG zulässig. Das Bundesgericht wendet das Recht grundsätzlich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG) und prüft mit freier Kognition, ob der angefochtene Entscheid Recht verletzt. Es befasst sich aber nur mit formell ausreichend begründeten Einwänden (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 140 III 86 E. 2 mit Hinweisen). Stützt sich der angefochtene Entscheid auf mehrere selbständige Begründungen, muss dargelegt werden, dass jede dieser Begründungen Recht verletzt (BGE 142 II 364 E. 2.4; 138 III 728 E. 3.4).  
 
1.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel sind nur zulässig, soweit der vorinstanzliche Entscheid dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG), was in der Beschwerde näher darzulegen ist (BGE 133 III 393 E. 3).  
 
2.  
Die Vorinstanz hat erwogen, die im Kreisschreiben Nr. A3 der Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen des Kantons Bern vom 1. Januar 2006 vorgesehene Reihenfolge bei der Zustellung von Betreibungsurkunden sei vom Betreibungsamt nicht zwingend einzuhalten. Im konkreten Fall habe die Zustellung - wie in Art. 72 Abs. 1 SchKG vorgesehen - durch einen Mitarbeiter des Betreibungsamts erfolgen dürfen, was sowohl mit Blick auf das grosse Volumen der zuzustellenden Zahlungsbefehle nach dem vom Bundesrat beschlossenen Corona-Rechtsstillstand und den darauf gefolgten Betreibungsferien bis zum 19. April 2020 als auch wegen der vom Betreibungsamt vorgebrachten wiederholten Zustellschwierigkeiten bei der Beschwerdeführerin, die sich auch aus dem eingereichten E-Mailverkehr zwischen dem Betreibungsamt und der Beschwerdeführerin ergeben würden, opportun gewesen sei. Der Leiter der Abteilung Finanzen, einer Abteilung der Finanzdirektion der Stadt Biel, die gemäss letzterer für die Entgegennahme von Zahlungsbefehlen zuständig ist, sei nach Angaben der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Zustellung des Zahlungsbefehls nicht anwesend gewesen. Der Zahlungsbefehl sei daher am 29. Mai 2020 in Übereinstimmung mit Art. 65 Abs. 2 SchKG ersatzweise an B.________ zugestellt worden, welche im gleichen Gebäude und ebenfalls für eine Abteilung der Finanzdirektion der Stadt Biel, der Abteilung Steuern, arbeite. Diese habe denn auch umgehend reagiert und den Zahlungsbefehl noch gleichentags in den öffentlichen Briefkasten der Abteilung Finanzen geworfen. Ausserdem hat die Vorinstanz festgehalten, dass die Erhebung des Rechtsvorschlags am 29. Juni 2020 selbst bei Annahme einer fehlerhaften Zustellung verspätet erfolgt wäre, weil die Beschwerdeführerin vom Zahlungsbefehl spätestens am 5. Juni 2020 Kenntnis erlangt habe. 
 
3.  
Anlass zur Beschwerde gibt die Zustellung eines Zahlungsbefehls an ein Gemeinwesen. 
 
3.1. Gemäss Art. 72 SchKG geschieht die Zustellung des Zahlungsbefehls durch den Betreibungsbeamten, einen Angestellten des Amtes oder durch die Post. Es besteht kein gesetzlicher Vorrang zugunsten einer dieser Alternativen, womit die Auswahl dem Amt grundsätzlich freisteht (JAQUES, De la notification des actes de poursuite, in: BlSchK 2011 S. 182). Kann der Zahlungsbefehl weder dem Schuldner persönlich noch anderen empfangsberechtigten Personen übergeben werden oder ist der Schuldner renitent, so ist der Zahlungsbefehl durch die Polizei zuzustellen (WÜTHRICH/SCHOCH, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl. 2010, N. 6 ff. zu Art. 72 SchKG).  
Es liegt nach dem Gesagten im Ermessen des Betreibungsamtes, auf eine Zustellung durch die Post zu verzichten. Wenn es das Betreibungsamt vorgezogen hat, die Zustellung des Zahlungsbefehls durch einen Mitarbeiter des Betreibungsamts vornehmen zu lassen, hat es in keiner Weise Bundesrecht verletzt. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin erklärt das Bundesrecht nicht, dass Richtlinien einer kantonalen Behörde betreffend das Vorgehen bei der Zustellung von Betreibungsurkunden für das Betreibungsamt verbindlich seien. 
 
3.2. Die Betreibungsurkunden, zu welchen der Zahlungsbefehl gehört (BGE 120 III 57 E. 2a), sind dem Schuldner aufgrund ihrer Bedeutung in qualifizierter Weise zuzustellen (AMONN/WALTHER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 9. Aufl. 2013, § 12 Rz. 13). Durch die in Art. 72 Abs. 2 SchKG vorgesehene offene Übergabe soll die tatsächliche Kenntnisnahme gewährleistet werden (Urteil 5A_847/2016 vom 31. Januar 2017 E. 4.1; vgl. BGE 136 III 571 E. 6.3). Eine Ausnahme gilt für Zustellungen im Sinne von Art. 7 der Covid-19-Verordnung Justiz und Verfahrensrecht des Bundesrates vom 16. April 2020 (SR 272.81, AS 2020 1229), wobei eine solche vorliegend unstrittig nicht zur Debatte steht.  
Richtet sich eine Betreibung gegen eine juristische Person oder eine Gesellschaft, so erfolgt gemäss Art. 65 Abs. 1 SchKG die Zustellung der Betreibungsurkunde an einen Vertreter derselben. Als solcher gilt bei einer Gemeinde der Präsident der vollziehenden Behörde oder die von der vollziehenden Behörde bezeichnete Dienststelle (Art. 65 Abs. 1 Ziff. 1 SchKG). Wie bei der Zustellung von Betreibungsurkunden an natürliche Personen ist auch bei der Zustellung an juristische Personen und Gesellschaften die Möglichkeit einer Ersatzzustellung gegeben. Werden die in Art. 65 Abs. 1 SchKG aufgezählten Personen in ihrem Geschäftslokal nicht angetroffen, so kann die Zustellung der Betreibungsurkunden gemäss Art. 65 Abs. 2 SchKG auch an einen andern Beamten oder Angestellten erfolgen. Zu den Angestellten im Sinne von Art. 65 Abs. 2 SchKG gehören grundsätzlich diejenigen Personen, die bei der betriebenen öffentlich-rechtlichen Körperschaft, juristischen Person oder Gesellschaft in einem Arbeitsverhältnis stehen (BGE 96 III 4 E. 1; PENON/WOHLGEMUTH, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs [SchKG], 4. Aufl. 2017, N. 19 zu Art. 65 SchKG). 
In tatsächlicher Hinsicht ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin dem Betreibungsamt Seeland als zentrale Anlaufstelle für die Zustellung von Betreibungsurkunden an das Gemeinwesen - ohne Benennung einer konkret zuständigen Person - die Abteilung Finanzen der Finanzdirektion der Stadt Biel bekanntgegeben hat. Ob am 29. Mai 2020 ein Zustellungsversuch dort effektiv stattgefunden hat bzw. ob es dem Betreibungsweibel am 29. Mai 2020 gelungen ist, in die Räumlichkeiten der Abteilung Finanzen zu gelangen, geht aus dem angefochtenen Entscheid nicht hervor (zur Beweislast des Betreibungsamts für die Einhaltung des bei der Zustellung von Betreibungsurkunden gemäss Art. 65 SchKG zu beachtenden Vorgehens vgl. BGE 117 III 10 E. 5). Weil die Darstellungen des Betreibungsamts und der Beschwerdeführerin in diesem Punkt diametral auseinandergingen und die Vorinstanz dazu keine konkreten Feststellungen getroffen hat, kann das Bundesgericht nicht beurteilen, ob von einer gültigen Ersatzzustellung auszugehen ist. 
 
4.  
Allerdings hat die Vorinstanz in einer Eventualbegründung festgehalten, dass die Beschwerdeführerin bereits Anfang Juni 2020 Kenntnis vom Zahlungsbefehl erhalten habe. Gehe man von einer wöchentlichen Leerung des Briefkastens aus, müsse der Zahlungsbefehl spätestens am 5. Juni 2020 bei der Beschwerdeführerin eingetroffen sein. Die Beschwerdeführerin habe selbst bestätigt, dass die Mitarbeiterin der Abteilung Finanzen den Zahlungsbefehl Anfang Juni 2020 entgegengenommen habe. Falls die betriebene Partei trotz fehlerhafter Zustellung vom Zahlungsbefehl Kenntnis erlange, beginne dieser nach konstanter Rechtsprechung damit - im Zeitpunkt der Kenntnisnahme - seine Wirkung zu entfalten, wodurch auch die Frist zur Erhebung eines Rechtsvorschlags ausgelöst werde. Die Frist zur Erhebung des Rechtsvorschlags habe deshalb spätestens zu diesem Zeitpunkt zu laufen begonnen. Dabei könne sich die Beschwerdeführerin nicht darauf berufen, dass der Zahlungsbefehl intern nicht richtig abgelegt bzw. behandelt worden sei. 
Mit diesen Erwägungen setzt sich die Beschwerdeführerin nicht auseinander. Sie beharrt bloss auf ihrer Sichtweise, die Mitarbeiterinnen C.________ und D.________ hätten vom Zahlungsbefehl erst am 19. Juni 2020 Kenntnis erhalten, sodass die zehntägige Frist zur Erhebung des Rechtsvorschlags am 20. Juni 2020 zu laufen begonnen habe. Der Beschwerde ist indes nicht zu entnehmen, weshalb es auf den von der Vorinstanz als entscheidend erachteten Umstand, dass eine andere Mitarbeiterin der Abteilung Finanzen den Zahlungsbefehl bereits lange vor diesem Datum entgegengenommen hat, nicht ankommen soll. Damit fehlt es formell an einer rechtsgenüglichen Beanstandung dieser den angefochtenen Entscheid selbständig tragenden Begründung. 
 
5.  
Mangels Anfechtung einer der selbständig tragenden Begründungen des angefochtenen Entscheides ist auf die Beschwerde nicht einzutreten (vgl. E. 1.2 hiervor). Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Gegenpartei ist kein entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Betreibungsamt Seeland, Dienststelle Biel/Bienne und dem Obergericht des Kantons Bern, Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 3. Juni 2021 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Escher 
 
Der Gerichtsschreiber: Buss