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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
2C_724/2022  
 
 
Urteil vom 12. Oktober 2022  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin, 
Bundesrichter Beusch, 
Bundesrichterin Ryter, 
Gerichtsschreiber Businger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ AG, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Tax Services & Solutions, 
lic.iur Charles Tarcali 
 
gegen  
 
Bundesverwaltungsgericht, Abteilung I, 
Kreuzackerstrasse 12, 9000 St. Gallen, 
Beschwerdegegner, 
Eidgenössische Steuerverwaltung, 
Hauptabteilung Mehrwertsteuer, 
Schwarztorstrasse 50, 3003 Bern. 
 
Gegenstand 
Mehrwertsteuer, Steuerperioden 2012-2016, 
Ausstandsbegehren, 
 
Beschwerde gegen den Zwischenentscheid des 
Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung I, vom 
26. Juli 2022 (A-1821/2022). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die A.________ AG (nachfolgend: die Steuerpflichtige) hat statutarischen Sitz in U.________, Gemeinde V._______/SZ. In Bezug auf die Mehrwertsteuer der Steuerperioden 2012 bis 2016 hatte sie Einsprache an die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) erhoben. Mit Einspracheentscheid vom 4. März 2021 hiess die ESTV die Einsprache teilweise gut (im Betrag von Fr. 4'909.--) und stellte fest, dass die Steuerpflichtige damit für die streitbetroffenen Steuerperioden, über die von ihr eingereichten Abrechnungen hinaus, Mehrwertsteuern in der Höhe von Fr. 51'829.-- schulde. Die ESTV versandte den Einspracheentscheid vom 4. März 2021 noch am selben Tag. Dabei verwendete sie das Verfahren "A-Post plus".  
 
1.2. Mit Eingabe vom 20. April 2021 gelangte die Steuerpflichtige an das Bundesverwaltungsgericht. Dieses forderte sie mit Verfügung vom 29. April 2021 auf, sich zur Frage der Rechtzeitigkeit der Beschwerde zu äussern. Die Steuerpflichtige nahm am 6. Mai 2021 Stellung. Am 20. Mai 2021 beantragte die ESTV, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Das Bundesverwaltungsgericht stellte der Steuerpflichtigen die Vernehmlassung der ESTV nicht zu, sondern trat mit Urteil A-1838/2021 vom 8. Juni 2021 des Einzelrichters Keita Mutombo auf die Beschwerde wegen Verspätung nicht ein.  
 
1.3. Das daraufhin angerufene Bundesgericht hiess die Beschwerde der Steuerpflichtigen mit Urteil 2C_551/2021 vom 24. Januar 2022 gut. Es schloss wegen der Nichtzustellung der Vernehmlassung der ESTV an die Steuerpflichtige auf eine Gehörsverletzung und wies die Sache zum Neuentscheid zurück.  
 
1.4. Mit Verfügung vom 10. Februar 2022 nahm das Bundesverwaltungsgericht, handelnd durch Richter Keita Mutombo als Instruktionsrichter, das Verfahren unter der Nummer A-620/2022 wieder auf und räumte der Steuerpflichtigen Gelegenheit ein, zur Vernehmlassung der ESTV Stellung zu nehmen. Am 5. Mai 2022 nahm die Steuerpflichtige Stellung und beantragte u.a., Richter Keita Mutombo sei befangen und habe in den Ausstand zu treten. Mit Zwischenentscheid A-1821/2022 vom 26. Juli 2022 wies das Bundesverwaltungsgericht das Ausstandsbegehren ab.  
 
1.5. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 13. September 2022 beantragt die Steuerpflichtige dem Bundesgericht, es sei in Aufhebung des angefochtenen Entscheids festzustellen, dass Richter Keita Mutombo befangen sei. Es seien im Verfahren A-620/2022 vor Bundesverwaltungsgericht unbefangene Richter einzusetzen und das Bundesverwaltungsgericht sei anzuhalten, in gesetzeskonformer Besetzung zu entscheiden.  
Das Bundesgericht hat keine Instruktionsmassnahmen verfügt. 
 
2.  
 
2.1. Angefochten ist ein Entscheid betreffend Mehrwertsteuer und damit eine Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG). Eine Ausnahme nach Art. 83 BGG liegt nicht vor und das Bundesverwaltungsgericht ist eine zulässige Vorinstanz des Bundesgerichts (Art. 86 Abs. 1 lit. a BGG). Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen den selbständig eröffneten Zwischenentscheid über das Ausstandsbegehren ist zulässig (Art. 89 Abs. 1, Art. 92 Abs. 1 und Art. 100 Abs. 1 BGG).  
 
2.2. Nicht einzutreten ist auf die Beschwerde, soweit die Steuerpflichtige zur Begründung "vollumfänglich auf die Begründungen im Ausstandsbegehren" verweist (vgl. S. 5 Ziff. 26 der Beschwerde). Solche pauschalen Verweise auf frühere Eingaben sind nicht zulässig; die Begründung muss sich aus der Rechtsschrift selber ergeben (BGE 133 II 396 E. 3.2). Zu prüfen sind damit ausschliesslich die ergänzenden Ausführungen in der Beschwerde.  
 
3.  
 
3.1. Jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, hat Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht (Art. 30 Abs. 1 Satz 1 BV). Konkretisiert wird dieser Anspruch auf Gesetzesstufe; der Ausstand im Verfahren vor Bundesverwaltungsgericht richtet sich nach den Bestimmungen des BGG (Art. 38 VGG [SR 173.32]). Die Ausstandsgründe finden sich in Art. 34 Abs. 1 BGG. Danach treten Richter, Richterinnen, Gerichtsschreiber und Gerichtsschreiberinnen (Gerichtspersonen) unter anderem in Ausstand, wenn sie aus anderen Gründen, insbesondere wegen besonderer Freundschaft oder persönlicher Feindschaft mit einer Partei oder ihrem Vertreter beziehungsweise ihrer Vertreterin, befangen sein könnten (lit. e).  
 
3.2. Die Vorinstanz hat die Rechtsprechung zur unzulässigen Vorbefassung zutreffend dargelegt (vgl. E. 2.3 des angefochtenen Entscheids), worauf verwiesen wird (Art. 109 Abs. 3 BGG). Danach bildet die Mitwirkung an einem früheren Verfahren für sich allein keinen Ausstandsgrund (Art. 34 Abs. 2 BGG). Das gilt auch, wenn das Gericht aufgrund eines Rückweisungsentscheids ein zweites Mal mit der Sache befasst ist. Allein der Umstand, dass eine Gerichtsperson an einem Urteil mitgewirkt hat, das im Rechtsmittelverfahren aufgehoben wird, schliesst diese nach der Rechtsprechung nicht von der Neubeurteilung der zurückgewiesenen Sache aus (BGE 131 I 113 E. 3.6; Urteil 4A_499/2021 vom 24. Januar 2022 E. 3.3.1). Hierfür müssen weitere konkrete für die Befangenheit sprechende Gesichtspunkte hinzukommen. Dabei begründen fehlerhafte Verfahrenshandlungen grundsätz-lich keinen Ausstandsgrund; nur besonders krasse oder wiederholte Fehler, die eine schwere Pflichtverletzung darstellen und auf eine fehlende Neutralität schliessen lassen, vermögen objektiv den Anschein der Befangenheit zu begründen (BGE 143 IV 69 E. 3.2; 125 I 119 E. 3e; 115 Ia 400 E. 3b; Urteil 1C_668/2021 vom 20. Mai 2022 E. 2.5). Entscheidendes Kriterium ist, ob bei objektiver Betrachtungsweise der Ausgang des Verfahrens als noch offen erscheint (BGE 142 III 732 E. 4.2.2 m.H.).  
 
3.3. Im vorliegenden Fall leitet die Steuerpflichtige die Befangenheit von Richter Keita Mutombo aus "zwei Verletzungen elementarer verfassungsrechtlicher und gesetzlicher Vorschriften" ab. Er habe ihr rechtliches Gehör verletzt, indem er ihr eine grundlegende Stellungnahme der ESTV nicht zugestellt habe, und in der Folge zu Unrecht als Einzelrichter entschieden.  
 
3.3.1. Es ist unbestritten, dass das rechtliche Gehör der Steuerpflichtigen im Verfahren A-1838/2021 verletzt wurde, weil ihr die Stellungnahme der ESTV nicht zugestellt worden war. Unabhängig davon, ob diese Gehörsverletzung als "besonders schwerwiegend" qualifiziert werden kann (offengelassen im Urteil 2C_551/2021 vom 24. Januar 2022 E. 2.3.2), liegt im Umstand, dass der Steuerpflichtigen die Stellungnahme nicht zugestellt wurde, kein derart krasser Verfahrensfehler, dass von einer Pflichtverletzung seitens des Richters und dem Anschein fehlender Neutralität gesprochen werden kann. Soweit die Steuerpflichtige zudem vorbringt, dass Einzelrichter Keita Mutombo im Urteil A-1838/2021 vom 8. Juni 2021 bewusst einseitig gestützt auf die Vorbringen der ESTV entschieden habe, setzt sie sich nicht mit den vorinstanzlichen Erwägungen auseinander, wonach sich der Einzelrichter mit ihren Argumenten befasst habe (vgl. E. 3.4.2 des angefochtenen Entscheids).  
 
3.3.2. Was den Vorwurf betrifft, Richter Keita Mutombo habe zu Unrecht als Einzelrichter entschieden, wird in der Beschwerde in keiner Art und Weise auf die gesetzlichen Bestimmungen zur Zuständigkeit des Einzelrichters Bezug genommen. Nach Art. 23 Abs. 1 lit. b VGG entscheidet der Instruktionsrichter oder die Instruktionsrichterin als Einzelrichter beziehungsweise Einzelrichterin über das Nichteintreten auf offensichtlich unzulässige Rechtsmittel. Darunter fallen namentlich Rechtsmittel, die verspätet erhoben worden sind (vgl. etwa Urteil 2C_521/2021 vom 12. Juli 2021 zur analogen Regelung von Art. 108 Abs. 1 lit. a BGG). Angesichts des dabei bestehenden richterlichen Ermessens liegt mit der Anwendung von Art. 23 Abs. 1 VGG von vornherein kein besonders krasser Verfahrensfehler vor.  
 
3.4. Zusammenfassend kann aufgrund der Verletzung des Replikrechts im Verfahren A-1838/2021 und der Anwendung von Art. 23 Abs. 1 VGG in diesem Fall nicht auf eine Befangenheit von Richter Keita Mutombo in Bezug auf das wiederaufgenommene Verfahren A 620/2022 geschlossen werden. Bei objektiver Betrachtungsweise erscheint der Ausgang dieses Verfahrens als offen bzw. bestehen keine Hinweise, dass sich Instruktionsrichter Keita Mutombo in einer unzulässigen Weise festgelegt hat.  
 
4.  
Es kommt hinzu, dass die Steuerpflichtige das Ausstandsgesuch offensichtlich verspätet gestellt hat. Nach der Rechtsprechung muss der Betroffene den Ausstand unverzüglich nach Kenntnis des Ausstandsgrunds verlangen. Andernfalls verwirkt er den Anspruch (BGE 143 V 66 E. 4.3 m.H.; vgl. auch Art. 36 Abs. 1 BGG). Im vorliegenden Fall wusste die Steuerpflichtige spätestens mit Urteil 2C_551/2021 vom 24. Januar 2022 von der Verletzung des rechtlichen Gehörs. Sodann wusste sie nach Zustellung der Verfügung vom 10. Februar 2022, dass Richter Keita Mutombo im wiederaufgenommenen Verfahren Instruktionsrichter ist. Sie hätte deshalb sofort seinen Ausstand verlangen müssen, anstatt damit fast drei Monate lang zuzuwarten. Daran ändert nichts, dass ihre Stellungnahme vom 5. Mai 2022 innert (erstreckter) Frist erfolgt ist. Ihr wurde Frist angesetzt, um zur Vernehmlassung der ESTV Stellung zu nehmen, und nicht um ein Ausstandsgesuch zu stellen. 
 
5.  
Die Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet und ist im vereinfachten Verfahren abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann (Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG). Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind nicht auszurichten (Art. 68 Abs. 1-3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 12. Oktober 2022 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin 
 
Der Gerichtsschreiber: M. Businger