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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_10/2021  
 
 
Urteil vom 15. Juni 2021  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiberin Nünlist. 
 
Verfahrensbeteiligte 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, 
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 17. November 2020 (IV 2018/397). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die 1977 geborene A.________ meldete sich am 26. September 2013 unter Hinweis auf psychische Probleme, eine Einschränkung am linken Unterschenkel sowie eine Beeinträchtigung nach Operation eines Leistenbruchs bei der Eidgenössischen Invalidenversicherung (IV) zum Leistungsbezug an. Nach Abklärungen - insbesondere einer bidisziplinären (orthopädisch, psychiatrischen) Begutachtung durch das Institut B._______ GmbH, Prof. Dr. med. C._______ & Kollegen (Gutachten des Instituts B.________; Expertise vom 13. Februar 2018) - und durchgeführtem Vorbescheidverfahren verneinte die IV-Stelle des Kantons St. Gallen mit Verfügung vom 30. Oktober 2018 den Anspruch der Versicherten auf eine Invalidenrente. 
 
B.  
Die hiergegen von A.________ erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 17. November 2020 gut, hob die Verfügung vom 30. Oktober 2018 auf, sprach der Versicherten mit Wirkung ab 1. Oktober 2015 eine halbe Invalidenrente zu und wies die Sache zur Festsetzung der Rentenbeträge an die IV-Stelle zurück. 
 
C.  
Die IV-Stelle beantragt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, ihre Verfügung vom 30. Oktober 2018 sei unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides zu bestätigen. Weiter sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen. 
Die Vorinstanz schliesst (implizit) auf Abweisung der Beschwerde. Die Beschwerdegegnerin und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die (weiteren) Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 145 V 57 E. 1; 141 V 206 E. 1.1, je mit Hinweisen).  
 
1.2. Das kantonale Gericht hat die Sache unter Aufhebung der Verfügung vom 30. Oktober 2018 zur Berechnung der halben Rente an die Beschwerdeführerin zurückgewiesen. Formell handelt es sich demnach um einen Rückweisungsentscheid. Dient die Rückweisung - wie hier - nur noch der Umsetzung des oberinstanzlich Angeordneten und verbleibt der unteren Instanz somit kein Entscheidungsspielraum mehr, handelt es sich materiell nicht, wie bei Rückweisungsentscheiden sonst grundsätzlich der Fall, um einen Zwischenentscheid, der bloss unter den Voraussetzungen der Art. 92 oder 93 BGG beim Bundesgericht anfechtbar wäre, sondern um einen Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG (BGE 135 V 141 E. 1.1 mit Hinweis auf SVR 2008 IV Nr. 39 S. 131, 9C_684/2007 E. 1.1). Auf die Beschwerde ist daher einzutreten (Art. 90 BGG).  
 
2.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
3.  
 
3.1. Streitig und zu prüfen ist, ob Bundesrecht verletzt wurde, indem das kantonale Gericht der Beschwerdegegnerin - in Aufhebung der Verfügung vom 30. Oktober 2018 - ab 1. Oktober 2015 eine halbe Invalidenrente zugesprochen hat.  
 
3.2. Im angefochtenen Entscheid wurden die massgeblichen rechtlichen Grundlagen teils zutreffend dargelegt. Es betrifft dies namentlich die Erwägungen zur Beurteilung der verbliebenen Arbeitsfähigkeit im Rahmen eines strukturierten Beweisverfahrens anhand der sogenannten Standardindikatoren bei psychischen Erkrankungen (BGE 141 V 281; vgl. auch BGE 143 V 409, 418) sowie zum Beweiswert und zur Beweiswürdigung medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 125 V 351; vgl. auch 143 V 124 E. 2.2.2, 134 V 231 E. 5.1).  
 
3.3. Zu ergänzen bleibt Folgendes:  
 
3.3.1. Auch im Rahmen von BGE 141 V 281 gilt der Grundsatz, wonach das Invalidenversicherungsrecht soziale Faktoren so weit ausklammert, als es darum geht, die für die Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit kausalen versicherten Faktoren zu umschreiben. Die funktionellen Folgen von Gesundheitsschädigungen werden hingegen auch mit Blick auf psychosoziale und soziokulturelle Belastungsfaktoren abgeschätzt, welche den Wirkungsgrad der Folgen einer Gesundheitsschädigung beeinflussen (BGE 141 V 281 E. 3.4.2.1 mit Hinweisen). Soweit soziale Belastungen direkt negative funktionelle Folgen zeitigen, bleiben sie nach wie vor ausgeklammert (BGE 141 V 281 E. 4.3.3 mit Hinweis auf BGE 127 V 294 E. 5a; vgl. auch BGE 143 V 409 E. 4.5.2). Psychosoziale Belastungsfaktoren können jedoch mittelbar zur Invalidität beitragen, wenn und soweit sie zu einer ausgewiesenen Beeinträchtigung der psychischen Integrität als solcher führen, welche ihrerseits eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit bewirkt, wenn sie einen verselbstständigten Gesundheitsschaden aufrechterhalten oder den Wirkungsgrad seiner - unabhängig von den invaliditätsfremden Elementen bestehenden - Folgen verschlimmern (Urteil 8C_559/2019 vom 20. Januar 2020 E. 3.2 mit Hinweis).  
 
3.3.2. Sowohl die medizinischen Sachverständigen als auch die Organe der Rechtsanwendung haben sich bei ihrer Einschätzung des Leistungsvermögens an den normativen Vorgaben zu orientieren; die Gutachter im Idealfall gemäss der entsprechend formulierten Fragestellung. Die Rechtsanwender prüfen die medizinischen Angaben frei insbesondere daraufhin, ob die Ärzte sich an die massgebenden normativen Rahmenbedingungen gehalten haben und ob und in welchem Umfang die ärztlichen Feststellungen anhand der rechtserheblichen Indikatoren auf Arbeitsunfähigkeit schliessen lassen. Im Rahmen der Beweiswürdigung obliegt es den Rechtsanwendern zu überprüfen, ob in concreto ausschliesslich funktionelle Ausfälle bei der medizinischen Einschätzung berücksichtigt wurden (vgl. E. 3.3.1 hiervor) und ob die Zumutbarkeitsbeurteilung auf einer objektivierten Grundlage erfolgte. Es soll keine losgelöste juristische Parallelüberprüfung nach Massgabe des strukturierten Beweisverfahrens (vgl. dazu BGE 145 V 361) stattfinden, sondern im Rahmen der Beweiswürdigung überprüft werden, ob die funktionellen Auswirkungen medizinisch anhand der Indikatoren schlüssig und widerspruchsfrei festgestellt wurden und somit den normativen Vorgaben Rechnung tragen. Entscheidend bleibt letztlich immer die Frage der funktionellen Auswirkungen einer Störung, welche im Rahmen des Sozialversicherungsrechts abschliessend nur aus juristischer Sicht beantwortet werden kann. Nach BGE 141 V 281 kann somit der Beweis für eine lang andauernde und erhebliche gesundheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nur dann als geleistet betrachtet werden, wenn die Prüfung der massgeblichen Beweisthemen im Rahmen einer umfassenden Betrachtung ein stimmiges Gesamtbild einer Einschränkung in allen Lebensbereichen (Konsistenz) für die Bejahung einer Arbeitsunfähigkeit zeigt. Fehlt es daran, ist der Beweis nicht geleistet und nicht zu erbringen, was sich nach den Regeln über die (materielle) Beweislast zuungunsten der rentenansprechenden Person auswirkt (BGE 144 V 50 E. 4.3 mit Hinweisen).  
 
3.3.3. Das Bundesgericht hat den angefochtenen Entscheid dahingehend zu prüfen, ob die Vorinstanz in Anwendung der normativen Vorgaben die Rechtsprechung umgesetzt und im Rahmen der Beweiswürdigung eine korrekte Sachverhaltsfeststellung vorgenommen hat. Frei überprüfbare Rechtsfrage ist dabei, ob und in welchem Umfang die ärztlichen Feststellungen anhand der Indikatoren nach BGE 141 V 281 auf Arbeitsunfähigkeit schliessen lassen (BGE 141 V 281 E. 7).  
 
4.  
 
4.1. Das kantonale Gericht hat dem bidisziplinären Gutachten des Instituts B.________ vom 13. Februar 2018 Beweiskraft zuerkannt und gestützt darauf ab Oktober 2014 eine aus psychiatrischer Sicht 50%ige Arbeitsfähigkeit in leidensangepasster Tätigkeit angenommen.  
 
4.2. Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz hätte mit Blick auf die Ausführungen im (ansonsten unbestritten beweiskräftigen) psychiatrischen Teilgutachten vom 3. Februar 2018 der Arbeitsfähigkeitsschätzung (50 %) von Prof. Dr. med. habil. C.________, Facharzt für Neurologie sowie Psychiatrie und Psychotherapie, bei diagnostizierter rezidivierender depressiver Störung, im Verlauf (durchschnittlich) mittelgradig, gegenwärtig leichtgradig, nicht folgen dürfen. Sodann beanstandet sie den von der Vorinstanz beim Invalideneinkommen gewährten Abzug vom Tabellenlohn in der Höhe von 15 %.  
 
5.  
Soweit die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe die Arbeitsfähigkeitsschätzung von Prof. Dr. med. habil. C.________ "tel quel" respektive "blind" übernommen, kann ihr nicht gefolgt werden: Das kantonale Gericht hat sich eingehend und differenziert mit dem Gutachten und den darin enthaltenen Angaben - insbesondere zu den vom Experten erhobenen Befunden und den Standardindikatoren - auseinandergesetzt. Weiter hat es die psychosozialen Belastungsfaktoren dahingehend berücksichtigt, als es zum Schluss kam, diese seien gemäss Prof. Dr. med. habil. C._______ zur Hauptsache verantwortlich gewesen für die Entwicklung einer krankhaften Störung im Sinne einer rezidivierenden depressiven Störung mit einer im Verlauf durchschnittlich mittelgradigen Ausprägung. In diesem Zusammenhang hat die Vorinstanz ausgeführt, der Experte habe überzeugend aufgezeigt, dass die seit der Kindheit immer wieder aufgetretenen unterschiedlichen Belastungen die Persönlichkeitsentwicklung der Beschwerdegegnerin gestört und letztlich zur Entwicklung einer krankheitswertigen depressiven Störung geführt hätten. Die Funktionsbeeinträchtigungen seien also nicht die direkte Folge von belastenden Lebensumständen, sondern Symptome einer psychischen Erkrankung gewesen (angefochtener Entscheid E. 2.4 S. 12 ff.). 
Diese Beurteilung ist mit Blick auf die gutachterlichen Ausführungen nachvollziehbar. So schloss Prof. Dr. med. habil. C.________ auf eine ab 2014 im Verlauf durchschnittlich mittelgradige chronifizierte depressive Störung mit handicapierenden Fähigkeitsstörungen (Verminderung der Dauerbelastung und der Durchhaltefähigkeit sowie der neurokognitiven Fähigkeiten, Expertise S. 104). Die Fähigkeitsstörungen erachtete er als mit den erhobenen neuropsychologischen Befunden vereinbar (Expertise S. 101). Damit diagnostizierte er eine verselbständigte psychopathologische Symptomatik. Dass psychosoziale Belastungsfaktoren (hauptsächlich) verantwortlich waren für das Beschwerdebild und dieses auch weiterhin unterhalten, spielt dabei keine entscheidende Rolle. Denn wie die Vorinstanz korrekt ausgeführt hat, haben rechtsprechungsgemäss lediglich die direkten Folgen von ungünstigen Lebensumständen bei der Arbeitsfähigkeitsschätzung ausser Acht zu bleiben, nicht jedoch Funktionseinschränkungen, die durch eine Gesundheitsbeeinträchtigung hervorgerufen wurden (auch wenn der krankhafte Zustand selbst durch psychosoziale Faktoren verursacht wurde und/oder unterhalten wird, vgl. E. 3.3.1 hiervor). 
Soweit die Beschwerdeführerin eine eigene - vom Gutachten abweichende - Prüfung vornimmt, handelt es sich um eine unzulässige juristische Parallelüberprüfung (dazu BGE 145 V 361). 
 
6.  
Bei im Übrigen unsubstanziierter Bestreitung hinsichtlich der Bemessung des Invaliditätsgrades kann offen gelassen werden, ob die Vorinstanz mit der Gewährung eines Tabellenabzuges im Umfang von 15 % Bundesrecht verletzt hat: Auch ohne den entsprechenden Abzug resultierte ein zu einer halben Invalidenrente berechtigender Invaliditätsgrad von 50 % (Valideneinkommen: 100 %, Invalideneinkommen: 50 %; vgl. angefochtener Entscheid E. 2.5 S. 15 f.). Die Beschwerde ist unbegründet. 
 
7.  
Das Gesuch um aufschiebende Wirkung wird mit dem heutigen Urteil gegenstandslos. 
 
8.  
Als unterliegende Partei hat die Beschwerdeführerin die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, Abteilung II, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 15. Juni 2021 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Die Gerichtsschreiberin: Nünlist