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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_11/2021  
 
 
Urteil vom 17. Juni 2021  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Denys, 
Bundesrichter Muschietti, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Bundesrichter Hurni, 
Gerichtsschreiber Held. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, 
Postfach, 8036 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Rechtzeitigkeit der Beschwerde (Einsprache gegen Strafbefehl, Rückzugsfiktion), 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 23. November 2020 (UH190297-O/U/HON). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Verfügung vom 19. September 2019 trat die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat auf eine Einsprache von A.________ gegen einen Strafbefehl nicht ein und stellte fest, dass der Strafbefehl infolge Rückzugs der Einsprache in Rechtskraft erwachsen ist. 
A.________ erhob gegen die ihm am 27. September 2019 zugegangene Verfügung Beschwerde. Das Datum des Poststempels ist der 8. Oktober 2019. Auf dem Briefumschlag ist zudem handschriftlich vermerkt, dass die Beschwerde bereits am 7. Oktober 2019 um 23.30 Uhr in einem Briefkasten am "HB Treffpunkt" eingeworfen worden sei und enthält den Namen und die Adresse einer als Zeuge genannten Person nebst deren Unterschrift. 
 
B.  
 
B.a. Mit Verfügung vom 21. November 2019 hielt das Obergericht des Kantons Zürich fest, dass der Name und die Kontaktdaten der auf dem Briefumschlag als Zeuge benannten Person wegen des Poststempels nur schlecht lesbar seien und forderte A.________ auf, sich innert fünf Tagen zur Rechtzeitigkeit seiner Beschwerde zu äussern, unter der Androhung, dass bei Säumnis von einer verspäteten Beschwerde ausgegangen und auf diese nicht eingetreten werde. In seiner Stellungnahme bringt A.________ vor, die Beschwerdeschrift noch am 7. Oktober 2019 vor Mitternacht in einen Briefkasten der Schweizerischen Post eingeworfen zu haben und beantragt, hierüber durch Befragung der Person Beweis zu führen, die auf dem Briefumschlag unterschrieben habe.  
 
B.b. Die Verfahrensleitung des Obergerichts lud die von A.________ benannte Zeugin mit Schreiben vom 5. Februar 2020 ein, sich zur Frage des Zeitpunkts der Beschwerdeaufgabe in Form eines schriftlichen Berichts zu äussern und den beigefügten Fragebogen bis zum 17. Februar 2020 auszufüllen und zu retournieren. Sie wies die Zeugin explizit darauf hin, dass sie "nicht zum Verfassen einer schriftlichen Auskunft verpflichtet" ist. Sollte die Zeugin sich schriftlich nicht äussern wollen, könne sie stattdessen vorgeladen und mündlich befragt werden. Einer solchen Vorladung sei Folge zu leisten.  
Nachdem die Zeugin von der Einladung, sich schriftlich zu äussern, innert der ihr eingeräumten Frist keinen Gebrauch gemacht hatte, lud das Obergericht diese förmlich zur Einvernahme auf den 8. September 2020 vor. Dem telefonischen Verschiebungsgesuch der Zeugin vom 4. September 2020 erteilte die Verfahrensleitung eine Absage und wies die Zeugin sowohl mündlich als auch mit Schreiben vom gleichen Tag darauf hin, dass ein Verschiebungsgesuch schriftlich gestellt werden müsse und die Vorladung ohne gegenteiligen Entscheid bestehen bleibe. Alternativ zur persönlichen Einvernahme könne die Zeugin auch einen schriftlichen Bericht in Form des ihr bereits am 5. Februar 2020 übermittelten Fragebogens erstellen. Die Abnahme der Vorladung bedinge jedoch, dass der ausgefüllte Fragebogen spätestens am 7. September 2020 beim Obergericht eintreffe. 
Die Zeugin erschien zur Einvernahme am 8. September 2020 nicht, jedoch ging gleichentags der von ihr ausgefüllte Fragebogen beim Obergericht ein. 
 
B.c. Mit Beschluss vom 23. November 2020 trat das Obergericht auf die Beschwerde von A.________ nicht ein.  
 
C.  
A.________ beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in Strafsachen zusammengefasst, der Entscheid des Obergerichts vom 23. November 2020 sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
Das Obergericht und die Staatsanwaltschat verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer rügt, entgegen der Vorinstanz sei die Zeugin der Zeugeneinvernahme nicht unentschuldigt ferngeblieben. Sie habe sich zuvor telefonisch entschuldigen lassen, woraufhin ihr angeboten worden sei, sich schriftlich zu äussern. Diese Möglichkeit habe sie wahrgenommen, weshalb sie von der Zeugenaussage befreit worden sei. Unzutreffend sei, dass die Zeugin in ihrer schriftlichen Stellungnahme den Fragebogen nur unvollständig beantwortet habe. Den Akten sei zu entnehmen, dass sämtliche Fragen zwar knapp, aber vollständig, korrekt und richtig beantwortet worden seien. Soweit die Vorinstanz festhalte, die Zeugin habe weder die näheren Umstände des Briefeinwurfs erläutert, noch konkret den Briefkastenstandort bezeichnet, lasse sie ausser Acht, dass bereits auf dem Briefumschlag der genaue Briefkastenstandort ("eingeworfen Briefkasten HB Treffpunkt") und die exakte Zeit ("23.30" [Uhr]) angegeben und von der Zeugin unterschrieben worden seien. Auch habe die Vorinstanz gegenüber der Zeugin im Hinblick auf die Angaben im schriftlichen Bericht nie Beanstandungen geltend gemacht oder Nachfragen gestellt.  
 
1.2. Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer habe die Verfügung der Beschwerdegegnerin am 27. September 2019 in Empfang genommen, sodass die 10-tägige Beschwerdefrist gemäss Art. 396 Abs. 1 StPO am 7. Oktober 2019 geendet habe, die Eingabe jedoch den Poststempel vom 8. Oktober 2019 trage. Zwar könne die sich aus dem Poststempel ergebene Vermutung über den Zeitpunkt der Aufgabe namentlich mit einem Vermerk auf dem Briefumschlag widerlegt werden, "wonach die Postsendung vor Fristablauf in Anwesenheit von Zeugen in einen Briefkasten gelegt worden ist bzw. (richtig) gleich in den Briefkasten gelegt würde". Den hierfür erforderlichen Nachweis einer glaubhaften, klaren und unzweifelhaften Bestätigung durch einen glaubwürdigen Zeugen habe der Beschwerdeführer nicht erbracht. Die Aussagen der Zeugin muteten insgesamt wenig detailliert und eher unglaubhaft an; auch bestünden aufgrund der unklaren Beziehung zum Beschwerdeführer deutliche Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit. Dass die Zeugin am 7. Oktober 2019 noch vor Mitternacht einen entsprechenden Briefeinwurf durch den Beschwerdeführer beobachtet habe, sei bei gegebener Sachlage nicht mit hinreichender Sicherheit dargetan.  
 
2.  
 
2.1. Die Frist für die Beschwerde gemäss Art. 393 ff. StPO beträgt 10 Tage (Art. 396 Abs. 1 StPO) und beginnt am Tag nach der Mitteilung des angefochtenen Entscheids zu laufen (Art. 90 Abs. 1 StPO). Sie ist eingehalten, wenn die Beschwerde spätestens am letzten Tag der Frist bei der Strafbehörde abgegeben oder zu deren Handen der Schweizerischen Post, einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung oder, im Falle von inhaftierten Personen, der Anstaltsleitung übergeben wurde (Art. 91 Abs. 2 StPO).  
Der allgemeine Grundsatz von Art. 8 ZGB, wonach derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache beweisen muss, der aus ihr Rechte ableitet, ist auch im Prozessrecht massgeblich. So trägt der oder die Rechtsuchende die Beweislast für die Rechtzeitigkeit der Beschwerdeerhebung, die mit Gewissheit feststehen und nicht bloss überwiegend wahrscheinlich sein muss (BGE 119 V 7 E. 3c; Urteile 6B_154/2020 vom 16. November 2020 E. 3.1.1; 8C_696/2018 vom 7. November 2018 E. 3.3 mit Hinweisen). Dem Absender obliegt somit der Nachweis, dass er seine Eingabe bis um 24 Uhr des letzten Tages der laufenden Frist der Post übergeben hat. Es wird vermutet, dass das Datum des Poststempels mit demjenigen der Übergabe an die Post übereinstimmt. Wer behauptet, er habe einen Brief schon am Vortag seiner Abstempelung in einen Postbriefkasten eingeworfen, hat das Recht, die sich aus dem Poststempel ergebende Vermutung verspäteter Postaufgabe mit allen tauglichen Beweismitteln zu widerlegen (BGE 142 V 389 E. 2.2; Urteile 6B_154/2020 vom 16. November 2020 E. 3.1.1; 6B_157/2020 vom 7. Februar 2020 E. 2.3, publ. in: SJ 2020 I 232; 8C_696/2018 vom 7. November 2018 E. 3.3). 
 
2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG; BGE 144 V 50 mit Hinweisen). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Offensichtlich unrichtig ist eine Sachverhaltsfeststellung, wenn der angefochtene Entscheid unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht (BGE 143 IV 500 E. 1.1, 241 E. 2.3.1; je mit Hinweis). Sachverhaltsrügen müssen explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden. Auf ungenügend begründete Rügen oder eine bloss allgemein gehaltene appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid, wie sie vor den kantonalen Instanzen mit voller Sachkognition vorgebracht werden kann, tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 146 IV 88 E. 1.3.1; 145 I 26 E. 1.3; 143 IV 241 E. 2.3.1).  
 
3.  
Für die Rechtzeitigkeit seiner Beschwerde offeriert der Beschwerdeführer die Einvernahme einer Zeugin, welche die fristwahrende Postaufgabe am Vorabend des Poststempels vor Mitternacht beobachtet und mit ihrer Unterschrift auf dem Briefumschlag bezeugt haben soll. Die Vorinstanz forderte die Zeugin am 5. Februar 2020 zu einem schriftlichen Bericht ihrer Wahrnehmungen auf. Die Zeugin liess sich nicht vernehmen. Daraufhin lud die Vorinstanz die Zeugin auf den 8. September 2020 zu einer mündlichen Einvernahme vor. Zu dieser Einvernahme ist die Zeugin nicht erschienen. Nachdem die Zeugin sich in der Folge schriftlich zu den ihr von der Vorinstanz im Februar 2020 zugestellten Fragen geäussert hat und der Beschwerdeführer auf Nachfrage der Vorinstanz keine mündliche Befragung der Zeugin beantragt hatte, kann offenbleiben, ob die Zeugin zur betreffenden Verhandlung entschuldigt oder unentschuldigt nicht erschienen ist. 
In Würdigung der Entstehungsgeschichte der schriftlichen Aussagen der Zeugin, deren einsilbigen und vagen Inhalts und der mangels Beantwortung der entsprechenden Frage der Vorinstanz unklaren Beziehung der Zeugin zum Beschwerdeführer durfte die Vorinstanz berechtigte Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin und der Glaubhaftigkeit deren Aussagen haben und damit willkürfrei den Nachweis der fristwahrenden postalischen Aufgabe der Beschwerde als nicht erbracht betrachten. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, erschöpft sich im Wesentlichen in appellatorischer Kritik, indem er der vorinstanzlichen Würdigung der Aussagen der Zeugin seine eigene Interpretation gegenüberstellt. Dies ist nicht geeignet, Willkür in der Beweiswürdigung aufzuzeigen. An der Knappheit und Vagheit der Aussagen der Zeugin hinsichtlich Zeit und Ort des von ihr angeblich bezeugten Briefeinwurfs ändert nichts, dass auf dem Briefumschlag eine exakte Zeit und ein genauer Ort der Postaufgabe angegeben waren, ging es doch gerade darum zu eruieren, ob die Zeugin diese Angaben bestätigen konnte. Dafür genügt es nicht, wenn sie dazu lediglich stichwortartig vage Angaben macht. Da zudem mangels Angaben der Zeugin eine gewisse Beziehungsnähe und damit eine Gefälligkeitsaussage nicht auszuschliessen ist, ist bei der auf Willkür beschränkten Kognition des Bundesgerichts nicht zu beanstanden, dass für die Vorinstanz der Nachweis der fristwahrenden Postaufgabe nicht mit der für die Gewissheit (vgl. E. 2.1) erforderlichen Sicherheit erbracht worden ist. 
 
4.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Auf eine Kostenauflage kann ausnahmsweise verzichtet werden (Art. 66 Abs. 1 BGG), womit das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos wird. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 17. Juni 2021 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Der Gerichtsschreiber: Held