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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_142/2021  
 
 
Urteil vom 17. Juni 2021  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichterin Viscione, Bundesrichter Abrecht, 
Gerichtsschreiberin Polla. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marcel Süsskind, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Bern, Scheibenstrasse 70, 3014 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 13. Januar 2021 (200 20 599 IV). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der 1976 geborene A.________, gelernter kaufmännischer Angestellter und Bauisoleur, meldete sich am 26. November 2012 unter Angabe eines Bandscheibenvorfalls bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 27. Juli 2018 gewährte ihm die IV-Stelle Bern eine Dreiviertelsrente ab 1. Juni 2015 (Invaliditätsgrad 64 %) und eine Viertelsrente ab 1. September 2016 (Invaliditätsgrad 43 %). Die hiergegen geführte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil vom 22. Februar 2019 ab, wobei A.________ noch während des hängigen Verfahrens mit Schreiben vom 15. Februar 2019 um Revision des Rentenanspruchs infolge einer geltend gemachten gesundheitlichen Verschlechterung ersucht hatte.  
 
A.b. Die IV-Stelle holte weitere medizinische Berichte und eine Stellungnahme ihres Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD; Berichte der Dres. med. B.________, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin, und C.________, Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates vom 29. Januar 2020 und 6. Juli 2020) ein. Sie verneinte gestützt darauf einen Anspruch auf Erhöhung des Rentenanspruchs (Verfügung vom 17. Juli 2020).  
 
B.  
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 13. Januar 2021 ab. 
 
C.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des kantonalen Urteils sei die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen, damit dieses - unter Einholung eines medizinischen Gerichtsgutachtens - den Rentenanspruch für die Zeit ab 1. Januar 2019 neu bestimme. Ferner wird um unentgeltliche Rechtspflege ersucht. 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat auf eine Stellungnahme verzichtet. 
Erwägungen: 
 
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren beanstandeten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die vorinstanzliche Bestätigung der Verfügung der IV-Stelle vom 17. Juli 2020, wonach kein Anspruch auf eine höhere als die laufende Viertelsrente besteht, bundesrechtskonform ist.  
 
2.2. Bei der rückwirkenden Festsetzung einer Invalidenrente ist den bereits in diesem Zeitpunkt eingetretenen Tatsachenänderungen, die zu einer Erhöhung, Herabsetzung oder Aufhebung des Anspruchs führen können, Rechnung zu tragen. Auch diese rückwirkende (abgestufte und/oder befristete) Rentenzusprache unterliegt nach der Rechtsprechung dem Revisionsrecht gemäss Art. 17 ATSG (vgl. BGE 125 V 413 E. 2d und E. 3).  
 
2.3. Was den Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten betrifft, ist festzuhalten, dass einer neuen ärztlichen Einschätzung, die sich nicht hinreichend darüber ausspricht, inwiefern im Vergleich zur früheren Beurteilung eine effektive Veränderung des Gesundheitszustands eingetreten ist, für die Belange der Rentenrevision kein genügender Beweiswert zukommt (Urteil 9C_137/2017 vom 8. November 2017 E. 3.1; Bestätigung von SVR 2012 IV Nr. 18 S. 81, 9C_418/2010 sowie des Urteils 9C_710/2014 vom 26. März 2015).  
 
3.  
 
3.1. Die Vorinstanz erkannte, zeitliche Vergleichsbasis für die Beurteilung einer anspruchserheblichen Änderung des Invaliditätsgrades bilde die Verfügung vom 27. Juli 2018. Die Berichte der RAD-Ärzte Dres. med. B.________ und C.________ vom 29. Januar 2020 und 6. Juli 2020 seien beweiskräftig. Danach sei im hier massgeblichen Vergleichszeitraum keine anhaltende Verschlechterung der gesundheitlichen Situation eingetreten. In Würdigung dieser Berichte des RAD und derjenigen der behandelnden Ärzte sei erstellt, dass der Beschwerdeführer an einer Schmerzproblematik im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) bzw. des Nackens leide, welche seine Erwerbsfähigkeit einschränke. Diese Problematik sei bei der Formulierung des Zumutbarkeitsprofils hinsichtlich einer leidensadaptierten Tätigkeit im Zeitpunkt der Rentenzusprache berücksichtigt worden. Die hausärztlicherseits von Dr. med. D.________, Facharzt FMH für Allgemeine Medizin, im Bericht vom 31. August 2018 genannten Beschwerden, in Form eines lumbalen Schmerzsyndroms mit konservativ behandelter Diskushernie L5/S1 und einer Schlafapnoe, seien bereits im früheren Verwaltungsgerichtsverfahren bekannt gewesen. Hieraus ergebe sich keine wesentliche Änderung des Gesundheitszustands.  
 
3.2. Der Beschwerdeführer macht eine Exazerbation der HWS- Beschwerden geltend. Die Vorinstanz habe übersehen, dass eine Anschlussgelenksproblematik mit Instabilität auf Höhe der Halswirbelkörper (HWK) 3/4 hinzugekommen sei. Zudem hätten sich die vom HWS-Syndrom ausgehenden Schmerzen im Vergleichszeitraum wesentlich verstärkt. Der behandelnde Neurochirurg Dr. med. E.________ und der Schmerztherapeut Dr. med. F.________, Facharzt für Anästhesie, würden nunmehr von einer fehlenden Arbeitsfähigkeit selbst in einer leidensadaptierten Tätigkeit ausgehen. Diese Beurteilung unterscheide sich deutlich zur früheren des Dr. med. E.________. So habe dieser in seinem Bericht vom 1. Juni 2016 ein zögerliches Nachlassen der Schmerzen beschrieben; die Schmerzmedikation sei dannzumal abgesetzt worden. Mit dieser im Verlauf unterschiedlichen Einschätzung habe sich die Vorinstanz nicht auseinandergesetzt. Hieraus ergäben sich zumindest Zweifel an den Darlegungen des RAD.  
 
4.  
Die Vorinstanz hat die medizinischen Unterlagen eingehend gewürdigt. Was der Beschwerdeführer gegen diese Feststellungen vorbringt, ist nicht stichhaltig. Insbesondere durfte die Vorinstanz zum Ergebnis gelangen, dass die von den Arbeitsfähigkeitsschätzungen des RAD abweichenden Stellungnahmen der behandelnden Ärzte keine Zweifel an denjenigen des RAD begründeten. Entgegen den Einwänden in der Beschwerde liess die Vorinstanz bei ihrer Würdigung die durch Dr. med. E.________ in der Stellungnahme vom 12. Februar 2019 erwähnte Anschlusssegmentproblematik mit Instabilität auf Höhe HWK 3/4 nicht ausser Acht. Sie stellte vielmehr fest, Dr. med. F.________ habe in seiner Stellungnahme vom 6. September 2019 hierzu ausgeführt, die initiale Vermutung einer Anschlusssegmentdegeneration der Facettengelenke HWK 3/4 habe mittels diagnostischen Medial Branch Blockaden, die negativ gewesen seien, nicht weiter verfolgt werden können. Die Suche nach der Beschwerdeursache sei mittels Infiltration der Nervi major ergänzt und anschliessend eine gepulste Radiofrequenzbehandlung durchgeführt worden. Laut Stellungnahme des Dr. med. F.________ vom 14./17. Februar 2020 habe dies zu einer bis zu diesem Datum anhaltenden Schmerzreduktion der Kopfschmerzen, nicht aber der Nackenschmerzen geführt, wie am 28. Oktober 2019 fälschlicherweise angegeben. Diese seien nach wie vor in starker Intensität vorhanden. 
Mit Blick auf die Darlegungen des RAD vom 29. Januar und 6. Juli 2020, wonach keine klinischen oder bildgebenden Befunde vorliegen würden, die eine relevante Verschlechterung der gesundheitlichen Situation dokumentierten, hält die vorinstanzliche Feststellung stand, dass sich keinem Bericht der Dres. med. E.________ und F.________ ein massgeblich verschlechterter Gesundheitsschaden entnehmen liesse. Keiner der involvierten Ärzte habe nachvollziehbar begründet, weshalb dem Beschwerdeführer keine leidensangepasste Tätigkeit mehr zumutbar sein sollte. Es gelte nach wie vor das der Rentenzusprache zugrunde liegende Leistungsprofil. Danach sei der Beschwerdeführer unter Berücksichtigung des vermehrten Pausenbedarfs zu 80 % arbeitsfähig in einer angepassten, wechselbelastenden, vorwiegend sitzenden Tätigkeit (ohne Heben und Tragen von mittelschweren und schweren Lasten, ohne Zwangshaltungen wie Bücken, Knien oder Kauern, ohne Umwelteinflüsse wie Zugluft, Kälte oder Nässe, ohne überwiegende Überkopfarbeit oder dauerhaften Handeinsatz über Brusthöhe, ohne absturzgefährdetes Arbeiten und Steigen auf Gerüsten, Leitern oder Dächern, ohne repetitive Halsrotation im Sitzen/Stehen). In der zuletzt ausgeübten selbstständigen Tätigkeit als Bauisoleur wurde er als arbeitsunfähig erachtet. Diese Feststellungen des kantonalen Gerichts in Bezug auf die Arbeitsfähigkeit sind nach dem Gesagten weder offensichtlich unrichtig noch basieren sie sonstwie auf einer Rechtsverletzung und sind daher für das Bundesgericht verbindlich. Somit ist es auch nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz auch nur geringe Zweifel an der Richtigkeit der Schlussfolgerungen der RAD-Berichte verneinte. Es ist nicht ersichtlich und wird in der Beschwerde auch nicht begründet, weshalb sich die versicherungsinternen Ärzte nicht ausreichend mit den vorhandenen medizinischen Unterlagen im Hinblick auf die zumutbare Arbeitsfähigkeit befasst haben sollen. Ebenso wenig schmälert der Umstand, dass die RAD-Ärzte den Beschwerdeführer nicht selbst untersucht haben, die Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit ihrer Einschätzung des bestehenden medizinischen Sachverhalts. Hierzu war eine persönliche Untersuchung nicht notwendig (zur Aufgabe des RAD vgl. Art. 59 Abs. 2 und 2 bis IVG; Art. 49 IVV; BGE 135 V 254 E. 3.3.2; Urteil 9C_904/2009 vom 7. Juni 2010 E. 2.2, in: SVR 2011 IV Nr. 2 S. 7). Die Vorinstanz konnte bei dieser Ausgangslage auf eine medizinische Begutachtung (bzw. auf die Erhebung weiterer Beweise) verzichten. Damit hat es beim angefochtenen Urteil sein Bewenden.  
 
5.  
Die Gerichtskosten werden dem Beschwerdeführer als unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Seinem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist stattzugeben, da die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu in der Lage ist. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen und Rechtsanwalt Marcel Süsskind als unentgeltlicher Anwalt des Beschwerdeführers bestellt. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen. 
 
4.  
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2800.- ausgerichtet. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 17. Juni 2021 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Polla