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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_88/2022  
 
 
Urteil vom 19. Juli 2022  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, Bundesrichterinnen Heine, Moser-Szeless, Bundesrichter Wirthlin, 
Gerichtsschreiber Nabold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. Spitex Verband A.________, 
2. Spitex Genossenschaft B.________ 
3. Spitex C.________, 
4. Spitex D.________, 
alle vier vertreten durch Rechtsanwältin Romana Cancar, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Regierungsrat des Kantons Bern, handelnd durch die Gesundheits-, Sozial-, und Integrationsdirektion, Rathausgasse 1, 3011 Bern, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Krankenversicherung, 
 
Beschwerde gegen die Beschlüsse des Regierungsrats des Kantons Bern vom 24. November 2021 (1371/2021 und 1372/2021). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 24. November 2021 beschloss der Regierungsrat des Kantons Bern, das vom Grossen Rat am 9. März 2021 verabschiedete Gesetz über die sozialen Leistungsangebote (SLG/BE; BSG 860.2) auf den 1. Januar 2022 in Kraft zu setzen. Gleichentags erliess er die Verordnung über die sozialen Leistungsansgebote (SLV/BE; BSG 860.21), welche Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetz enthält. 
 
B.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen der Spitex Verband A.________ die Spitex Genossenschaft B.________, die Spitex C.________ und die Spitex D.________, es seien die Absätze 2 und 3 von Art. 8 SLG/BE sowie Art. 4 Abs. 2 lit. c und Art. 5 SLV/BE aufzuheben, eventuell sei der Kanton Bern zur Neufassung dieser Bestimmungen anzuhalten. Sodann sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen. 
Während der Regierungsrat des Kantons Bern beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung. 
In ihrer Stellungnahme vom 23. Mai 2022 halten die Beschwerdeführer an ihren Anträgen fest. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Kantonale Erlasse können unmittelbar beim Bundesgericht angefochten werden, sofern - wie dies hier der Fall ist - kein kantonales Rechtsmittel zur Verfügung steht (Art. 82 lit. b und Art. 87 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht entscheidet über Beschwerden gegen referendumspflichtige kantonale Erlasse grundsätzlich in Fünferbesetzung (vgl. Art. 20 Abs. 3 BGG). 
 
2.  
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die (weiteren) Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (BGE 139 V 42 E. 1 mit Hinweisen). Dies ändert freilich nichts daran, dass Beschwerdeführer nach Art. 42 Abs. 1 BGG gehalten sind, die Erfüllung der Eintretensvoraussetzungen darzutun, wenn diese nicht offensichtlich gegeben sind (vgl. BGE 141 IV 289 E. 1.3 und Urteil 8C_551/2019 vom 10. Januar 2020 E. 1 mit weiteren Hinweisen). 
 
3.  
 
3.1. Gemäss Art. 89 Abs. 1 lit. b und c BGG ist zur Anfechtung eines kantonalen Erlasses legitimiert, wer durch den Erlass aktuell oder virtuell besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Änderung oder Aufhebung hat. Das schutzwürdige Interesse kann rechtlicher oder tatsächlicher Natur sein. Virtuelles Berührtsein setzt voraus, dass der Beschwerdeführer von der angefochtenen Regelung früher oder später einmal mit einer minimalen Wahrscheinlichkeit unmittelbar betroffen ist (BGE 137 I 77 E. 1.4; 136 I 17 E. 2.1; 133 I 206 E. 2.1 und 2.3).  
Ein als juristische Person konstituierter Verband kann zudem Beschwerde erheben, soweit er nach den Statuten die entsprechenden Interessen zu wahren hat und die Mehrheit oder zumindest eine Grosszahl der Mitglieder durch den angefochtenen Erlass direkt oder virtuell betroffen wird (sog. "egoistische Verbandsbeschwerde"; BGE 146 I 62 E. 2.2). 
 
3.2. Gemäss Art. 8 Abs. 1 SLG/BE werden die Beiträge an die Beitragsempfängerinnen und Beitragsempfänger leistungsorientiert, nach Möglichkeit prospektiv und soweit fachlich zielführend aufgrund von Pauschalen oder Normkosten festgesetzt. Bei der Bemessung der Beiträge an die Leistungserbringer sind nach Art. 8 Abs. 2 SLG/BE sämtliche Erträge im Rahmen der Leistungserbringung angemessen anzurechnen. Nicht angerechnet werden insbesondere Spenden und Legate, welche zweckgebunden für andere Tätigkeiten ausgerichtet wurden. Der Regierungsrat kann in Anwendung von Art. 8 Abs. 3 SLG/BE durch Verordnung nähere Vorschriften zur Beitragsfestsetzung, zur Tarifierung der Leistungen und zur Anrechnung der Eigenmittel der Beitragsempfängerinnen und Beitragsempfänger erlassen.  
 
3.3. Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die in Art. 8 SLG/BE (und in den mitangefochtenen Verordnungsbestimmungen näher umrissene) Anrechung von Eigenmitteln der Beitragsempfängerinnen und Beitragsempfänger sowie der Leistungsempfänger nach jenem Gesetz. Sie machen geltend, eine solche verstosse gegen Art. 25a Abs. 5 KVG und würde das Legalitätsprinzip (Art. 36 und 127 BV), das Willkürverbot (Art. 9 BV), die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) und die Eigentumsgarantie (Art. 27 BV) verletzen.  
Hinsichtlich ihrer Legitimation machen die Beschwerdeführerinnen 2, 3 und 4 geltend, sie verfügten über Leistungsverträge mit dem Kanton Bern betreffend Versorgungssicherheit in der ambulanten Pflege. Als Beitragsempfängerinnen würden sie in Zukunft mit grosser Wahrscheinlichkeit von der Eigenmittelanrechnung betroffen sein. Beim Beschwerdeführer 1 handle es sich um einen Verband, dessen Mitglieder Leistungen der sog. Spitexpflege erbrächten und im Kanton Bern Beiträge für die Restfinanzierung der KVG-Leistungen und für die Übernahme der Versorgungspflicht erhielten. 
 
3.4. Das vorliegend streitbetroffene Gesetz (SLG/BE) regelt die sozialen Leistungsangebote umfassend. Unter dem Titel "Leistungsangebote für Menschen mit Betreuungs- und Pflegebedarf" werden in Art. 26 Abs. 1 lit. c SLG/BE auch die vorliegend einzig interessierende Pflege, Betreuung und Hilfe zu Hause (Spitex) genannt. Dabei liegt es an der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion des Kantons Bern (GSI), die erforderlichen Leistungangebote bereitzustellen (Art. 27 SLG/BE). Die GSI gewährt nach Art. 28 SLG/BE den von ihr beauftragten Leistungserbringern Beiträge, daneben vergütet sie ihnen gemäss Art. 29 Abs. 1 SLG/BE die nicht von den Krankenversicherern und den Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfängern gedeckten Pflegekosten nach Art. 25a KVG. Der Regierungsrat kann in Anwendung von Art. 29 Abs. 2 SLG/BE Pauschalen oder Normkosten festsetzen und regelt die Kostenbeteiligung der Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfänger durch Verordnung. Von dieser Kompetenz hat er in (den vorliegend nicht angefochtenen) Art. 29 und 30 der SLV/BE Gebrauch gemacht.  
 
3.5. Der angefochtene Art. 8 SLG/BE (mit den mitangefochtenen Bestimmungen der SLV/BE) beschlägt die Bemessung der "Beiträge" an Beitragsempfängerinnen und Beitragsempfänger sowie an Leistungserbringer. Wie vom Beschwerdegegner indessen zu Recht geltend gemacht und von den Beschwerdeführern in ihrer Stellungnahme vom 23. Mai 2022 letztlich zugestanden wird, stellt die Restfinanzierung der Pflegekosten nach Art. 25a KVG in Verbindung mit Art. 29 SLG/BE gerade keine Beitragszahlung im Sinne von Art. 8 SLG/BE dar. Vielmehr erbringt der Kanton diese Leistungen im Rahmen von regierungsrätlich festgelegten Normkosten (Art. 8 Abs. 1 SLG/BE sowie Art. 29 SLV/BE; vgl. zum Begriff der "Normkosten" auch BGE 144 V 280 E. 7.2 und SVR 2017 KV Nr. 13 S. 59, 9C_176/2016 E. 3.2). Damit sind die Beschwerdeführer - welche nicht geltend machen, neben der Restfinanzierung im Sinne von Art. 25a KVG anderweitig durch die angefochtenen Normen berührt zu sein - auch nicht virtuell durch sie betroffen. Demnach ist ihre Legitimation zu verneinen und auf die Beschwerde nicht einzutreten, ohne dass geprüft zu werden brauchte, ob der Beschwerdeführer 1 die vom Beschwerdegegner bestrittenen Voraussetzungen für eine sog. "egoistische Verbandsbeschwerde" erfüllen würde.  
 
4.  
 
4.1. Mit diesem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.  
 
4.2. Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten den unterliegenden Beschwerdeführern aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1500.- werden den Beschwerdeführern auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 19. Juli 2022 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Der Gerichtsschreiber: Nabold