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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
1C_69/2018  
 
 
Urteil vom 3. Dezember 2018  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Fonjallaz, Eusebio, Chaix, Kneubühler, 
Gerichtsschreiberin Gerber. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.________, 
2. B. und C. D.________, 
3. E.________, 
4. F.________, 
5. G.________, 
6. H. und I. J.________, 
Beschwerdeführer, alle vertreten durch Rechtsanwalt 
Dr. Alexander Weber, 
 
gegen  
 
Einfache Gesellschaft Baugesellschaft Parzelle 6505, 
bestehend aus: 
 
1. K.M.________, 
2. L.M.________, 
Beschwerdegegner, alle drei vertreten durch die 
Fürsprecher Ernst Hauser und Dr. Christoph Jäger, 
 
Einwohnergemeinde Saanen, 
Baubewilligungsbehörde, 3792 Saanen, 
 
Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion 
des Kantons Bern, 
Reiterstrasse 11, 3011 Bern. 
 
Gegenstand 
Baubewilligung für den Abbruch von Gebäuden und Neubau von drei Chalets; Zweitwohnungsverbot, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, vom 3. Januar 2018 (100.2016.369U). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
K. und L. M.________ reichten am 23. Juli 2012 ein Baugesuch für den Abbruch von zwei bestehenden Bauten und die Erstellung von drei Häusern (A, B und C) auf Parzelle Nr. 6505 in der Wohnzone von Unterbort, Saanen ein. Jedes Haus soll zwei Dreizimmerwohnungen und zwei Vierzimmerwohnungen umfassen, mit einer Fläche zwischen 70 und 150 m2. Nebst einer gemeinsamen Einstellhalle sind ein Wellness- und Fitnessbereich und Kellerräume vorgesehen. 
Am 23. November 2012 bewilligte die Gemeinde Saanen das Bauvorhaben und wies die Einsprachen von A.________ und weiteren Stockwerkeigentümern der benachbarten Parzelle Nr. 5758 ab. Am 11. März 2014 hiess die Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern (BVE) eine Beschwerde der Einsprecher insoweit gut, als sie die Sache zur Prüfung der Vereinbarkeit mit Art. 75b BV an die Gemeinde zurückwies. 
 
B.   
Am 26. Februar 2016 reichte die Bauherrschaft die Projektänderung "Nutzung als Erstwohnung" ein. Die Gemeinde bewilligte das Vorhaben am 26. Juli 2016 unter der Auflage eines im Grundbuch anzumerkenden Zweckentfremdungsverbots zugunsten der Erstwohnungsnutzung und wies die Einsprache der Nachbarn ab. 
Dagegen erhoben A.________ und weitere Einsprecher Beschwerde, zunächst bei der BVE und anschliessend beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern. Dieses holte Unterlagen ein und stellte der Gemeinde Fragen zur Leerstandsquote und zur Verfügbarkeit von Erstwohnungen. Am 3. Januar 2018 wies es die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat. 
 
C.   
Dagegen haben A.________ und die weiteren im Rubrum genannten Einsprecher am 9. Februar 2018 Beschwerde an das Bundesgericht erhoben. Sie beantragen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und dem Baugesuch sei der Bauabschlag zu erteilen. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
D.   
Die Beschwerdegegner beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Die Gemeinde Saanen, die BVE und das Verwaltungsgericht schliessen ebenfalls auf Abweisung der Beschwerde. 
Das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) kommt in seiner Vernehmlassung zum Ergebnis, dass die Baubewilligung nicht rechtsmissbräuchlich und die Beschwerde daher abzuweisen sei. 
 
E.   
Im weiteren Schriftenwechsel halten die Beteiligten an ihren Anträgen fest, soweit sie sich nochmals äussern. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Gegen den kantonal letztinstanzlichen Endentscheid des Verwaltungsgerichts steht grundsätzlich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht offen (Art. 82 lit. a, 86 Abs. 1 lit. d und 90 BGG). Die Beschwerdeführer sind als Nachbarn vom Bauvorhaben besonders betroffen und zur Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Auf die rechtzeitig erhobene Beschwerde (Art. 100 Abs. 1 BGG) ist somit grundsätzlich einzutreten. 
 
2.   
Streitig ist in erster Linie, ob die Baubewilligung eine Umgehung des Zweitwohnungsverbots gemäss Art. 75b BV und Art. 6 Abs. 1 Satz 1 des Bundesgesetzes vom 20. März 2015 über Zweitwohnungen (Zweitwohnungsgesetz, ZWG; SR 702) darstellt. Dies prüft das Bundesgericht frei (Art. 106 Abs. 1 BGG), grundsätzlich gestützt auf den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt (Art. 105 BGG). 
 
2.1. Das Verwaltungsgericht verneinte einen Rechtsmissbrauch. Zwar seien in der Umgebung vorwiegend Zweitwohnungen vorhanden und eigne sich die Überbauung von ihrem Konzept her ohne Weiteres für eine Ferienwohnnutzung. Lage, Konzept und Preis der Wohnung schlössen eine Erstwohnnutzung jedoch nicht aus. Nach Angaben der Gemeinde bestehe in Saanen eine Nachfrage nach Erstwohnungen, insbesondere im gehobenen und/oder luxuriösen Segment. Das Angebot von zurzeit 23 - 33 leerstehenden bzw. bewilligten oder im Bau befindlichen Erstwohnungen dieses Segments würde mit dem Bau der zwölf geplanten Wohnungen um knapp die Hälfte zunehmen. Dies sei beträchtlich, zumal die Einwohnerzahl in den letzten Jahren nur leicht zugenommen habe (von 7'611 Einwohnern im Jahr 2005 auf heute 7'643). Dennoch stehe das Angebot nicht in einem Missverhältnis zur Bevölkerungszahl. Die Leerwohnungsziffer im Kreis liege mit 0.91 % unter dem kantonalen Durchschnitt und die Schätzung der Gemeinde zum Leerwohnungsbestand erscheine vorsichtig. Hinzu komme, dass der Gemeinde Saanen gemäss kantonalem Richtplan raumplanerisch eine gewisse Zentrumsfunktion sowie Wachstumspotenzial zukomme. Schliesslich sei zu berücksichtigen, dass die Beschwerdegegner beabsichtigten, das Bauvorhaben in Etappen zu erstellen. Unter diesen Umständen sei ein Rechtsmissbrauch zu verneinen.  
 
2.2. Die Beschwerdeführer kritisieren, das Verwaltungsgericht habe selbst Indizien für eine Nutzung als Ferienwohnung genannt, diese aber lediglich isoliert betrachtet, anstatt sie in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Es habe zu Unrecht auf die vagen Aussagen der Beschwerdegegner zu möglichen Interessenten und zur angeblich geplanten Etappierung abgestellt, ohne diese zu überprüfen.  
Angesichts der schwachen demographischen Entwicklung Saanens erscheine es äusserst unwahrscheinlich, dass die Einheiten als Erstwohnungen Abnehmer finden würden: Der Bau der zwölf Wohnungen würde die Anzahl an Erstwohnungen des gehobenen Segments in der Gemeinde von heute geschätzten 585 - 780 um 1.5 - 2 % und den Leerwohnungsbestand in diesem Segment (zurzeit 10 - 15 Wohneinheiten) um 80 - 120 % erhöhen. Von den 89 im August 2017 bewilligten oder in Bau befindlichen Erstwohnungen seien 12 - 18 dem gehobenen Segment zuzurechnen (davon 5 noch nicht rechtskräftig bewilligt). Diese Kategorie würde mit der Bewilligung des Projekts um 92 - 150 % erhöht. Damit würde die Anzahl von Wohnungen des gehobenen Segments, die ca. 15 - 20 % aller Erstwohnungen ausmachten, überproportional zunehmen (auf 23 - 30 % der total bewilligten Erstwohnungen bzw. 33 - 50 % der leer stehenden und bewilligten Erstwohnungen). Diesen Zahlen stehe der minime Bevölkerungszuwachs der Gemeinde gegenüber. Um alle bewilligten Erstwohnungen zu belegen, müsste die Gemeinde um insgesamt 200 Einwohner wachsen, wovon 46 - 58 Personen sich für das gehobene Segment interessieren müssten. Tatsächlich habe die Bevölkerung aber seit 2005 insgesamt nur um 32 Personen zugenommen. 
 
2.3. Die Gemeinde und die Beschwerdegegner halten dem entgegen, es sei statistisch nachgewiesen, dass der Flächenbedarf je Einwohner stetig zunehme, weshalb der Bedarfsnachweis nicht allein anhand der Bevölkerungsentwicklung geführt werden dürfe. Es gebe in Saanen eine grössere Nachfrage als in anderen Gemeinden nach Wohnungen des gehobenen Segments. Die Leerstandsquote der Gemeinde sei sehr tief und die Nachfragesituation von der Gemeinde vorsichtig bzw. zurückhaltend ermittelt worden.  
Die Beschwerdeführer bestreiten, dass der Wohnflächenbedarf in den letzten Jahren erheblich gestiegen sei; würde der Bedarf anhand des durchschnittlichen Wohnflächenbedarfs des Kantons berechnet, wären die Zahlen noch ungünstiger. 
 
3.   
Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts ist von Amtes wegen zu prüfen, ob konkrete Indizien vorliegen, welche die Absicht bzw. die Möglichkeit einer Erstwohnungsnutzung des Bauvorhabens als unrealistisch erscheinen lassen. Die Möglichkeit, die Erstwohnnutzungsbeschränkung nach Art. 14 Abs. 1 lit. b ZWG zu sistieren, erhöht das Risiko, dass die Bauherrschaft (trotz der restriktiven gesetzlichen Voraussetzungen) von vornherein auf eine künftige Sistierung setzt. Es würde dem Zweck des ZWG und von Art. 75b BV offensichtlich zuwiderlaufen, die Erstellung von Wohnungen zu bewilligen, die wahrscheinlich nie als Erstwohnungen genutzt werden können (BGE 144 II 49 E. 2.4 in fine S. 54 f.). 
 
3.1. Zu berücksichtigen sind (je nach den Umständen des Falls) die Lage der Liegenschaft (Bauzone, ganzjährige Zugänglichkeit, Distanz zu Arbeitsplätzen), die bauliche Gestaltung der Wohnungen aus Sicht einer ganzjährigen Nutzung, der Preis sowie die Verhältnisse der Person, welche dort zu wohnen beabsichtigt (aktueller Wohn- und Arbeitsort, Umzugsabsichten). Sind die künftigen Bewohner oder Bewohnerinnen nicht bekannt, ist die Nachfrage nach Erstwohnungen im gleichen Segment das Hauptkriterium (BGE 144 II 49 E. 2.2 S. 53; 142 II 206 E. 3.2 S. 214). Diesfalls muss glaubhaft gemacht werden, dass im betreffenden Marktsegment eine Nachfrage für Erstwohnungen besteht (BGE 144 II 49 E. 2.3 S. 53; Urteil 1C_160/2015 vom 3. Mai 2016). In Fällen, in denen die Nachfrage offensichtlich unzureichend ist, dürfen Baubewilligungen nur erteilt werden, wenn ernsthafte und konkrete Zusicherungen für den Erwerb durch ganzjährige Bewohner vorliegen (BGE 144 II 49 E. 2.4 S. 54). Dies gilt nach der Rechtsprechung selbst dann, wenn die Bauherrschaft die Absicht hat, das Bauvorhaben als Erstwohnungen zu vermarkten: Ist diese Absicht nicht realistisch, ist von einer Umgehung der gesetzlichen Regelung auszugehen. Diesfalls ist auch der Einwand unbeachtlich, wonach die Bauherrschaft das finanzielle Risiko trage (Urteil 1C_263/2016 vom 21. Februar 2017 E. 5.3 in fine).  
 
3.2. Die vorliegend streitigen Wohnungen wurden ursprünglich als Zweitwohnungen konzipiert; die Baupläne blieben trotz der Projektänderung "Nutzung als Erstwohnung" unverändert. Die Wohnungen entsprechen denn auch von Zuschnitt und Infrastruktur her (Fitnessraum, Wellnessbereich mit Sauna, Dampfbad und Jacuzzi) Ferienwohnungen des gehobenen Standards.  
Eine Erstwohnnutzung erscheint zwar nicht ausgeschlossen, kommt aber aufgrund des voraussichtlichen Preises nur für wohlhabende Personen in Betracht - wie auch die Beschwerdegegner einräumen. Für Erstwohnungen im gehobenen bzw. luxuriösen Segment sind die Wohnungen jedoch klein dimensioniert; dies gilt jedenfalls für die Dreizimmerwohnungen der Häuser A und B mit einer Fläche von nur rund 70 m2. 
Die Wohnungen liegen zudem nicht im Ortszentrum, sondern im Ortsteil Unterbort, rund 140 m oberhalb der Gemeinde Saanen, in dem sich vor allem Zweitwohnungen befinden. Die Distanz zum Ortszentrum (mit Einkaufsmöglichkeiten und Bahnanschluss) beträgt nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts 20 Minuten zu Fuss; zur nächstgelegenen Haltestelle des öffentlichen Verkehrs sind es gut 10 Gehminuten. Die Bewohner sind deshalb für Besorgungen auf ein Auto angewiesen. 
In Saanen besteht kein Mangel an Erstwohnungen, auch nicht im gehobenen/luxuriösen Segment: Nach Schätzung der Gemeinde stehen allein in diesem Segment 10-15 Wohnungen leer (genaue Zahlen fehlen) und sind 13-18 im Bau bzw. bereits bewilligt. Die Wohnbevölkerung Saanens stagniert seit Jahren; ob sie künftig wieder stärker ansteigen wird, bleibt ungewiss. 
Unter diesen Umständen erscheint das Vorhaben der Beschwerdegegner, gleich 12 neue Erstwohnungen des gehobenen/luxuriösen Segments zu vermarkten (bzw. 8 bei Etappierung von Haus C), unrealistisch. Dies gilt jedenfalls, wenn es sich - wie hier - von Zuschnitt und Lage her um typische Ferienwohnungen handelt. Den Beschwerdegegnern ist es denn auch seit Einreichung des Baugesuchs im Jahr 2012 nicht gelungen, auch nur eine einzige Wohnung ab Plan an Ortsansässige zu verkaufen. Dies stellt ein Indiz für die fehlende Nachfrage dar, auch wenn das Rechtsmittelverfahren gewisse Interessenten abgeschreckt haben mag. 
 
3.3. Nach dem Gesagten ist ein Rechtsmissbrauch zu bejahen. Dies hat zur Folge, dass die Baubewilligung aufzuheben ist, da keine ernsthaften und konkreten Zusicherungen für den Erwerb durch Ortsansässige vorliegen.  
 
4.   
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und der Bauabschlag zu erteilen. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens werden die Beschwerdegegner kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 und 68 BGG). Das Verwaltungsgericht wird die Kosten und Entschädigungen für die vorinstanzlichen Verfahren entsprechend neu verlegen müssen. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 3. Januar 2018 aufgehoben und das Baugesuch vom 23. Juli 2012 abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden den Beschwerdegegnern auferlegt. Diese haften solidarisch zu gleichen Teilen. 
 
3.   
Die Beschwerdegegner haben die Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 4'000.-- zu entschädigen. Sie haften solidarisch zu gleichen Teilen. 
 
4.   
Das Verwaltungsgericht hat über die Kosten- und Entschädigungsfolgen der vorinstanzlichen Verfahren neu zu befinden. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, der Einwohnergemeinde Saanen, der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion und dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, sowie dem Bundesamt für Raumentwicklung schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 3. Dezember 2018 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Die Gerichtsschreiberin: Gerber