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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
6B_727/2013  
   
   
 
 
 
Urteil vom 7. Oktober 2014  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Mathys, Präsident, 
Bundesrichter Denys, Rüedi, 
Gerichtsschreiberin Pasquini. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern,  
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Steiner, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Sexuelle Handlungen mit Kindern, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, Strafabteilung, 2. Strafkammer, vom 24. Mai 2013. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
 Das Regionalgericht EmmentaI-Oberaargau verurteilte X.________ wegen mehrfacher, teilweise versuchter sexueller Handlungen mit Kindern zum Nachteil von A.Y.________, B.Y.________, C.________, D.________, E.________, F.________, G.________ und H.________ zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten. 
 
 Auf Berufung von X.________ sprach das Obergericht des Kantons Bern diesen teilweise frei und verurteilte ihn wegen mehrfacher, teilweise versuchter sexueller Handlungen mit Kindern zulasten von A.Y.________, B.Y.________ und C.________ zu einer bedingten Geldstrafe von 300 Tagessätzen zu Fr. 230.--. 
 
B.  
 
 Die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, die obergerichtlichen Freisprüche seien aufzuheben. X.________ sei wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit Kindern auch zum Nachteil von D.________, E.________, F.________, G.________ und H.________ zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten zu verurteilen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen. 
 
C.  
 
 Das Obergericht und X.________ beantragen ausdrücklich bzw. sinngemäss die Abweisung der Beschwerde. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
 Der Beschwerdegegner wurde im kantonalen Verfahren teilweise freigesprochen. Insoweit kann er in seiner Beschwerdeantwort alle Beschwerdegründe geltend machen, um allfällige Fehler der kantonalen Entscheidung zu rügen, die ihm im Falle einer abweichenden Beurteilung durch das Bundesgericht nachteilig sein könnten (BGE 137 I 257 E. 5.4; 135 IV 56 E. 4.2; 134 III 332 E. 2.3; je mit Hinweisen). 
 
 Soweit sich der Beschwerdegegner in seiner Beschwerdeantwort gegen die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung wendet, ist darauf nicht einzutreten, da seine Ausführungen der Begründungspflicht nicht genügen (vgl. Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG). Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn er ohne hinreichende Begründung ausführt, er habe nicht vorsätzlich gehandelt. 
 
2.  
 
 Die Vorinstanz stellt, unter Hinweis auf die Erwägungen der ersten Instanz, folgenden Sachverhalt fest: 
 
 Der Beschwerdegegner gründete eine Art Club mit verschiedenen Knaben als Mitgliedern. Für die Knaben war von grossem Reiz, dass sie Dinge unternehmen konnten, die zu Hause nicht möglich oder verboten waren. Man ging in das Kino oder den Europapark, spielte Computerspiele, die erst ab 16 Jahren freigegeben waren, und durfte so lange aufbleiben wie man wollte. Gewisse Verhaltensweisen der Knaben wurden nach einem Punktesystem belohnt, auch finanziell. Es gab Kleidervorschriften, wobei dem Beschwerdegegner nackte Oberkörper oder zumindest ein ärmelloses Oberteil sowie nackte Füsse und Beine wichtig schienen. Er selber trug meistens nur Unterhosen. Wurde die Geheimhaltungspflicht verletzt, drohte der Verlust aller Punkte sowie der Clubmitgliedschaft. Die Mitglieder blieben jeweils über Jahre paarweise im Club und lösten einander ab. Zuerst waren es G.________ und H.________, dann F.________ und E.________ sowie schliesslich A.Y.________, B.Y.________ und teilweise C.________. 
 
 Der Beschwerdegegner liess sich zwischen 2008 und 2010 mehrmals von verschiedenen Knaben in Unterhosen mit Ketten an sein Bett fesseln. Pro 20 Minuten Fesselung gab es einen Punkt, wobei für ausgefallene Fesselideen Zusatzpunkte verteilt wurden. Die Fesselungen sollten fies sein und nur im Notfall auf Geheiss des Beschwerdegegners unterbrochen werden. A.Y.________ und B.Y.________ sahen das erigierte Glied des Beschwerdegegners mindestens zehnmal. Einmal wäre C.________ an der Reihe gewesen, gemeinsam mit B.Y.________ den Beschwerdegegner zu fesseln. Die beiden machten es aber nicht, sondern spielten weiter am Computer. An Fesselungen beteiligt waren auch D.________, E.________, F.________, G.________ und H.________. Sie sahen jedoch das erigierte Glied des Beschwerdegegners nicht. Einmal liess sich der Beschwerdegegner von F.________ und E.________ im Wald in Unterhosen pflocken. Die Fesselungen hatten für den Beschwerdegegner einen sexuellen Aspekt und erregten ihn. Die leichte Kleidung der Knaben spielte für ihn eine zentrale Rolle, er legte darauf grossen Wert. Vor den Fesselungen zogen sich der Beschwerdegegner und die Knaben gelegentlich bei einem Strip-Poker bis auf die Unterhosen aus. Das Fesseln interessierte die Knaben eigentlich nicht. Sie taten es, um Geld oder Punkte zu erhalten und weil sie dachten, der Beschwerdegegner tue etwas für sie, also könnten sie auch etwas für ihn tun. Sie hatten dabei ein mulmiges Gefühl und fanden, es sei nicht normal. Dieses Unbehagen zeigte sich etwa bei D.________, der nach einem Besuch beim Beschwerdegegner nie mehr zu ihm ging. Wollten die Knaben den Beschwerdegegner nicht mehr fesseln, versuchte er sie durch Boni zu ködern, indem er beispielsweise die doppelte Punktzahl dafür anbot. Der Beschwerdegegner hatte den Club gegründet, um Knaben zu gewinnen, die ihn fesselten, damit er seine sadomasochistisch gefärbte sexuelle Vorliebe ausleben konnte. 
 
 Von 2008 bis 2010 übernachtete der Beschwerdegegner mehrmals mit A.Y.________ und B.Y.________ in seinem Bett, wobei er die beiden umarmte. A.Y.________ spürte seinen erigierten Penis mindestens einmal am Gesäss und B.Y.________ mindestens zweimal. In der gleichen Zeitspanne umarmte der Beschwerdegegner A.Y.________ einmal von hinten, so dass dieser dessen erigiertes Glied spürte. Von 2007 bis 2010 übernachtete auch C.________ mehrmals im Bett des Beschwerdegegners. Er wurde von diesem ebenfalls umarmt, wobei er mindestens fünfmal das erigierte Glied an seiner Körperrückseite spürte. Die Knaben konnten "Penn-Punkte" sammeln, wenn sie beim Beschwerdegegner im Bett schliefen. Gemäss Kleiderregeln war in kurzen Hosen, ohne Socken und mit nacktem Oberkörper oder sogar nur mit Unterhosen zu schlafen. Bonuspunkte erhielt, wer mit dem Beschwerdegegner unter einer Decke schlief. 
 
 
3.   
 
3.1. Die Vorinstanz prüft, ob der Beschwerdegegner die Knaben durch die Fesselungen im Sinne von Art. 187 Ziff. 1 Abs. 3 StGB in eine sexuelle Handlung einbezog. Dabei erwägt sie, der Tatbestand sei nur erfüllt, soweit seine sexuelle Erregung für die Knaben erkennbar war. Da D.________, E.________, F.________, G.________ und H.________ sein erigiertes Glied nicht sahen, sei er nur wegen vollendeter sexueller Handlungen mit Kindern zum Nachteil von A.Y.________ und B.Y.________ sowie wegen versuchter sexueller Handlungen mit Kindern zu Lasten von C.________ zu verurteilen.  
 
 Im Übrigen führt die Vorinstanz aus, die Umarmungen im Bett, bei denen die Knaben das erigierte Glied des Beschwerdegegners am Gesäss spürten, stellten strafbare sexuelle Handlungen mit Kindern im Sinne von Art. 187 Ziff. 1 Abs. 1 StGB dar. 
 
3.2. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen den teilweisen Freispruch und macht geltend, auch die Fesselungen durch Knaben, die keine Erektion des Beschwerdegegners wahrgenommen haben, erfüllten den Tatbestand von Art. 187 Ziff. 1 StGB. Sie seien als Vornahme einer sexuellen Handlung gemäss Art. 187 Ziff. 1 Abs. 1 StGB und nicht als Einbeziehen in eine solche nach Art. 187 Ziff. 1 Abs. 3 StGB zu werten. Da der Beschwerdegegner die Fesselungen nicht habe selber vornehmen können, sei er angewiesen gewesen auf die Mitwirkung der Knaben, die er zu seiner sexuellen Befriedigung instrumentalisiert habe. Ob sich die Knaben bei jeder Fesselung bewusst gewesen seien, dass eine sexuelle Handlung im Gang war, spiele für die Erfüllung des Tatbestands keine Rolle. In die sexuellen Handlungen seien sämtliche Knaben involviert gewesen ausser C.________, bei dem es beim Versuch geblieben sei.  
 
3.3. Gemäss Art. 187 Ziff. 1 StGB wird bestraft, wer mit einem Kind unter 16 Jahren eine sexuelle Handlung vornimmt (Abs. 1), es zu einer sexuellen Handlung verleitet (Abs. 2) oder es in eine sexuelle Handlung einbezieht (Abs. 3). Die Vornahme einer sexuellen Handlung mit einem Kind erfordert in jedem Fall einen körperlichen Kontakt mit dem Opfer (BGE 131 IV 100 E. 7.1 mit Hinweisen).  
 
 Gemäss Rechtsprechung lassen sich sexuelle Handlungen im Sinne von Art. 187 Ziff. 1 Abs. 1 StGB nach der Eindeutigkeit ihres Sexualbezugs abgrenzen. Sind die Handlungen objektiv eindeutig sexualbezogen, kommt es nicht mehr auf das subjektive Empfinden, die Motive oder die Bedeutung, die das Verhalten für den Täter oder das Opfer hat, an. Keine sexuellen Handlungen sind dagegen Verhaltensweisen, die nach ihrem äusseren Erscheinungsbild keinen unmittelbaren sexuellen Bezug aufweisen. Schwierigkeiten bietet die dritte Gruppe der sogenannten ambivalenten Handlungen, die weder äusserlich neutral noch eindeutig sexualbezogen erscheinen. Der Begriff der sexuellen Handlung erstreckt sich nur auf Verhaltensweisen, die im Hinblick auf das Rechtsgut erheblich sind. In Zweifelsfällen wird nach den Umständen des Einzelfalls die Erheblichkeit relativ, etwa nach dem Alter des Opfers oder dem Altersunterschied zum Täter bestimmt (BGE 125 IV 58 E. 3b; Urteil 6B_103/2011 vom 6. Juni 2011 E. 1.1; je mit Hinweisen). Das Merkmal der Erheblichkeit grenzt sozialadäquate Handlungen von solchen ab, die tatbestandsmässig sind. Bedeutsam für die Beurteilung sind hier qualitativ die Art und quantitativ die Intensität und Dauer einer Handlung, wobei die gesamten Begleitumstände zu berücksichtigen sind (Urteile 6B_777/2009 vom 25. März 2010 E. 4.3; Urteil 6S.355/2006 vom 7. Dezember 2006 E. 3.2, nicht publ. in: BGE 133 IV 31; je mit Hinweisen). 
 
3.4. Wie die Vorinstanz feststellt, liess sich der Beschwerdegegner von verschiedenen Knaben wiederholt in Unterhosen mit Ketten an sein Bett fesseln und einmal im Wald pflocken. In einem Fall blieb es beim Versuch. In mehreren Fällen sahen die Knaben durch die Unterhosen des Beschwerdegegners sein erigiertes Glied. Die leichte Kleidung der Knaben bei den Fesselungen spielte für den Beschwerdegegner eine zentrale Rolle. Er legte darauf grossen Wert. Die Fesselungen erregten den Beschwerdegegner sexuell und auch eine unbeteiligte Person hätte angesichts der äusseren Umstände auf eine sexualbezogene Handlung geschlossen.  
 
 Die Vorinstanz subsumiert die Fesselungen zu Unrecht unter Art. 187 Ziff. 1 Abs. 3 StGB. Indem der Beschwerdegegner sich auf die beschriebene Weise von den Knaben fesseln liess, bezog er sie nicht bloss in eine sexuelle Handlung ein, sondern nahm mit ihnen eine sexuelle Handlung gemäss Art. 187 Ziff. 1 Abs. 1 StGB vor. Dass er dabei passiv blieb und den Knaben eine aktive Rolle zuwies, ist entgegen seiner Ansicht ohne Bedeutung (vgl. TRECHSEL/BERTOSSA, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 7 i.f. zu Art. 187 StGB mit Hinweisen). Vielmehr trägt dieser Umstand zum sexuellen Charakter der fraglichen Fesselungen bei. Entgegen den vorinstanzlichen Erwägungen kommt es in Anbetracht der vorliegenden Umstände nicht darauf an, ob die Knaben das erigierte Glied des Beschwerdegegners sahen. Die diesbezüglichen vorinstanzlichen Freisprüche verletzen Bundesrecht. 
 
3.5. Das Anklageprinzip ist entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners offensichtlich nicht verletzt. Einerseits wird in der Anklageschrift bloss Art. 187 Ziff. 1 StGB genannt und keine Zuordnung vorgenommen zu Abs. 1 (Vornahme einer sexuellen Handlung) oder Abs. 3 (Einbeziehen in eine sexuelle Handlung). Anderseits ist das Gericht ohnehin nur an den in der Anklage umschriebenen Sachverhalt gebunden und nicht an die darin vorgenommene rechtliche Würdigung (Art. 350 Abs. 1 StPO).  
 
4.  
 
 Die Beschwerde ist gutzuheissen. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdegegner aufzuerlegen, welcher mit seinem Antrag auf Abweisung der Beschwerde unterliegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Es ist keine Parteientschädigung auszurichten, da die Beschwerdeführerin in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegt (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 24. Mai 2013 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdegegner auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Strafabteilung, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 7. Oktober 2014 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Mathys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Pasquini