Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_1048/2022  
 
 
Urteil vom 10. November 2022  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
nebenamtliche Bundesrichterin Griesser, 
Gerichtsschreiberin Erb. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.A.________, 
vertreten durch Fürsprecher Dr. Urs Oswald, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
2. B.A.________, 
Beschwerdegegnerinnen. 
 
Gegenstand 
Sexuelle Belästigung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts 
des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, 
vom 5. Juli 2022 (SST.2022.54). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten verurteilte A.A.________ mit Strafbefehl vom 2. September 2021 wegen sexueller Belästigung und Tätlichkeiten zu einer Busse von Fr. 1'000.--. Auf Einsprache von A.A.________ hin hielt die Staatsanwaltschaft am Strafbefehl fest und überwies diesen als Anklageschrift an das Bezirksgericht Bremgarten. 
Der Präsident des Bezirksgerichts Bremgarten sowie, auf Berufung von A.A.________ hin, das Obergericht des Kantons Aargau sprachen A.A.________ am 17. November 2021 bzw. am 5. Juli 2022 der Tätlichkeiten i.S.v. Art. 126 Abs. 1 StGB und der sexuellen Belästigung i.S.v. Art. 198 Abs. 2 StGB schuldig und bestraften ihn mit einer Busse von Fr. 800.--. 
 
B.  
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.A.________, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau sei dahingehend abzuändern, dass er vom Vorwurf der sexuellen Belästigung freizusprechen und zu einer Busse von Fr. 200.-- zu verurteilen sei. Als Folge des Teilfreispruchs seien ihm die Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens zu einem Viertel aufzuerlegen, im Übrigen seien sie auf die Staatskasse zu nehmen. Die Parteikosten vor Erst- und Zweitinstanz seien ihm zu einem Viertel aufzuerlegen, zu drei Vierteln seien sie ihm aus der Staatskasse zu ersetzen. Eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht des Kantons Aargau zurückzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer beanstandet die rechtliche Würdigung des von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalts. Die vorgeworfene Tathandlung habe keinen sexuellen Bezug und stelle keine sexuelle Belästigung dar. Der Beschwerdeführer habe mit dem Kuss auf den Mund seiner Noch-Ehefrau lediglich den Abschluss des gemeinsamen Lebens bekräftigen und keine sexuelle Lust ausleben wollen. Das Bundesgericht habe sich zum sexuellen Charakter von Küssen geäussert und in BGE 125 IV 58 festgehalten, unter Erwachsenen würden nur Zungenküsse als sexuelle Handlungen qualifiziert. Mit ihrer Beurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers setze sich die Vorinstanz in Widerspruch zur höchstrichterlichen Praxis.  
 
1.2. Die Vorinstanz verweist auf die von der Erstinstanz wiedergegebenen Aussagen des Beschwerdeführers und der Privatklägerin. Der Beschwerdeführer habe den Kuss auf den Mund zugegeben. Er habe eingeräumt, die Privatklägerin habe sich weggedreht, weil sie es nicht wollte, weshalb er sie mit einer Hand festgehalten habe. Die Vorinstanz erachtet den Kuss des Beschwerdeführers auf den Mund der Privatklägerin als erstellt. Es sei vor dem Kuss zu einem Streit zwischen den beiden gekommen und der Kuss sei der Privatklägerin gegen ihren Willen vom Beschwerdeführer aufgedrängt worden. Weiter erwägt die Vorinstanz, ob der Beschwerdeführer während des Kusses die Privatklägerin mit einer oder zwei Händen gehalten habe, sei ohne Bedeutung.  
Die unangefochten gebliebene Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz ist für das Bundesgericht verbindlich (Art. 105 Abs. 1 BGG). 
 
1.3. Gemäss Art. 198 Abs. 2 StGB macht sich der sexuellen Belästigung schuldig, wer jemanden tätlich oder in grober Weise durch Worte sexuell belästigt. Die Bestimmung erfasst geringfügigere Beeinträchtigungen der sexuellen Integrität. Ob sie eine Verletzung der Selbstbestimmung darstellen, kann zweifelhaft sein. Sie sind aber mit solchen Eingriffen vergleichbar, indem sie die betroffene Person jedenfalls ohne ihren Willen mit Sexualität konfrontieren. Es handelt sich um qualifiziert unerwünschte sexuelle Annäherungen beziehungsweise um physische, optische und verbale Zumutungen sexueller Art. Aus dem Merkmal der Belästigung ergibt sich, dass das Opfer in diese weder eingewilligt noch sie - etwa spasseshalber - provoziert haben darf. Die tätliche Belästigung gemäss Art. 198 Abs. 2 StGB setzt eine körperliche Kontaktnahme voraus. Hiefür genügen bereits wenig intensive Annäherungsversuche oder Zudringlichkeiten, solange sie nur nach ihrem äusseren Erscheinungsbild sexuelle Bedeutung haben. Hierunter fallen neben dem überraschenden Anfassen einer Person an den Geschlechtsteilen auch weniger aufdringliche Berührungen wie das Antasten an der Brust oder am Gesäss, das Betasten von Bauch und Beinen auch über den Kleidern, das Anpressen oder Umarmungen. Zu berücksichtigen ist, ob dem Opfer zugemutet werden kann, sich der Belästigung zu entziehen, was am Arbeitsplatz oder an ähnlichen Örtlichkeiten in der Regel weniger einfach ist als etwa in öffentlichen Lokalitäten (BGE 137 IV 263 E. 3.1 mit Hinweisen; Urteil 6B_1102/2019 vom 28. November 2019 E. 2.2). Kann sich die betroffene Person der beabsichtigten und unmittelbar bevorstehenden sexuell motivierten körperlichen Kontaktaufnahme nur durch eine tätliche Abwehrhaltung entziehen, liegt auch bei "einem Kuss- und Brustberührungsversuch" eine qualifiziert unerwünschte Annäherung sexueller Art i.S.v. Art. 198 Abs. 2 StGB vor (Urteil 6B_966/2016 vom 26. April 2017 E. 1.4.1 und 1.4.2).  
In subjektiver Hinsicht verlangt Art. 189 Abs. 2 StGB, dass der Täter zumindest in Kauf genommen hat, dass sich das Opfer belästigt fühlt (BGE 137 IV 263 E. 3.1 in fine; Urteil 6P.123/2003 vom 21. November 2003 E. 6.1). 
 
1.4. Die rechtliche Würdigung des Verhaltens des Beschwerdeführers als sexuelle Belästigung i.S.v. Art. 198 Abs. 2 StGB durch die Vorinstanz verletzt kein Bundesrecht.  
Nichts zu seinen Gunsten abzuleiten vermag der Beschwerdeführer aus den Erwägungen des Bundesgerichts im Entscheid BGE 125 IV 58, ging es doch in jenem Fall um die Definition von sexuellen Handlungen im Sinne von Art. 187 Ziff. 1 StGB. Im zitierten Entscheid hielt das Bundesgericht sogar ausdrücklich fest, dass geringfügige Entgleisungen zwar nicht unter Art. 187 Ziff. 1 StGB bzw. Art. 189 Abs. 1 StGB fallen, doch "bietet bei aufgedrängten Annäherungen der Tatbestand der sexuellen Belästigung (Art. 198 StGB) einen weitergehenden Schutz" (BGE 125 IV 58 E. 3b). Anders als beim Übertretungstatbestand des Art. 198 Abs. 2 StGB, wo bereits wenig intensive Annäherungsversuche oder Zudringlichkeiten mit sexueller Bedeutung ausreichen, gelten als sexuelle Handlungen im Sinne von Art. 187 Ziff. 1 und Art. 189 Abs. 1 StGB nur Verhaltensweisen, die für den Aussenstehenden nach ihrem äusseren Erscheinungsbild einen unmittelbaren sexuellen Bezug aufweisen und im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut erheblich sind (BGE 131 IV 100 E. 7.1; 125 IV 58 E. 3b; Urteil 6B_1102/2019 vom 28. November 2019 E. 2.2; je mit Hinweisen; PHILIPP MAIER, in: Basler Kommentar, Strafrecht II, 4. Aufl. 2019, N. 31 Vor Art. 187 StGB). Ist die Verletzung des Rechtsguts nicht erheblich, kann Art. 198 StGB als Auffangtatbestand dienen (vgl. Urteile 6B_265/2020 vom 11. Mai 2022 E. 6.1, nicht zur Publ. vorgesehen; 6B_7/2011 vom 15. Februar 2011 E. 1.2; 6B_702/2009 vom 8. Januar 2010 E. 5.5; 6B_303/2008 vom 22. Januar 2009 E. 3; je mit Hinweis). Dabei kann die Intensität des sexuellen Bezuges im Rahmen des Übertretungstatbestands von Art. 198 Abs. 2 StGB nur gering sein und es genügt, dass ein Durchschnittsbetrachter die Handlung mit Sexualität im weitesten Sinn in Verbindung bringt (BGE 137 IV 263 E. 3.1 mit Hinweis). 
 
Dies ist bei einem Kuss eines Mannes auf den Mund einer Frau zu bejahen (vgl. PHILIPP MAIER, a.a.O., N. 30 zu Art. 198 StGB mit Hinweis; Urteil 6B_966/2016 vom 26. April 2017 E. 1.4.1 und 1.4.2). Der Beschwerdeführer hielt die Privatklägerin am Kopf fest, diese drehte den Kopf ab und brachte so klar zum Ausdruck, dass sie nicht geküsst werden will. Aus welchen Motiven der Beschwerdeführer die Privatklägerin küsste, ist nicht entscheidend, da die sexuelle Bedeutung des Verhaltens vom Standpunkt des objektiven Betrachters aus zu beurteilen ist (BGE 137 IV 263 E. 3.1 mit Hinweisen). Wie die Vorinstanz zu Recht ausführt, stellt der Kuss des Beschwerdeführers auf den Mund der Privatklägerin gegen ihren erkennbaren Willen im vorliegenden Kontext eine aufgedrängte körperliche Zudringlichkeit dar. Diese ist vom Standpunkt eines objektiven Betrachters als sexuell motivierte körperliche Kontaktnahme zu erkennen (vgl. Urteil 6B_966/2016 vom 26. April 2017 E. 1.4.2). Die Vorinstanz verletzt nicht Bundesrecht, wenn sie den objektiven Tatbestand von Art. 198 Abs. 2 StGB für erfüllt erachtet. 
Gleiches gilt für die Bejahung des subjektiven Tatbestandes durch die Vorinstanz. Der Beschwerdeführer und die Privatklägerin waren gerichtlich getrennt, sie hatten sich unmittelbar vor der Zudringlichkeit gestritten und der Beschwerdeführer musste wegen des Wegdrehens der Privatklägerin diese mit der Hand festhalten, um ihr den Kuss auf den Mund geben zu können. Für ihn war aufgrund des Verhaltens der Privatklägerin erkennbar, dass sie von ihm nicht geküsst werden will. Demzufolge hat der Beschwerdeführer zumindest in Kauf genommen, dass sich die Privatklägerin durch sein Verhalten belästigt fühlt. Der Beschwerdeführer wurde folglich zu Recht der sexuellen Belästigung gemäss Art. 198 Abs. 2 StGB schuldig gesprochen. 
 
2.  
Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 10. November 2022 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Die Gerichtsschreiberin: Erb