Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
1C_621/2019  
 
 
Urteil vom 23. April 2020  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, Präsident, 
Bundesrichter Fonjallaz, Kneubühler, Haag, Müller, 
Gerichtsschreiber Nabold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Beat Rohrer, 
 
gegen  
 
Verkehrssicherheitszentrum OW/NW, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Annullierung des Führerausweises auf Probe, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Nidwalden, Verwaltungsabteilung, vom 30. September 2019 (VA 19 8). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1998 geborene A.________ ist Inhaber eines Führerausweises auf Probe. Am 8. Juni 2018 verursachte er einen Verkehrsunfall, als er beim Rückwärtsfahren eine korrekt entgegenkommende Fahrradfahrerin übersah und mit dieser kollidierte. Mit Strafbefehl vom 20. Juli 2018 sprach ihn die Staatsanwaltschaft Nidwalden der fahrlässigen einfachen Verkehrsregelverletzung durch Nichtbeherrschen des Fahrzeugs infolge ungenügender Vorsicht beim Rückwärtsfahren für schuldig und bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 200.-. Dieser Strafbefehl erwuchs in der Folge in Rechtskraft. Am 27. Juni 2018 teilte ihm das Verkehrssicherheitszentrum OW/NW mit, es werde die Einleitung eines Administrativverfahrens geprüft; das Verfahren werde jedoch bis zum Abschluss des Strafverfahrens sistiert. 
 
Am 8. September 2018 verursachte A.________ als Fahrzeugführer eines militärischen Fahrzeugs wegen nicht angepasster Geschwindigkeit einen Selbstunfall, wobei drei seiner fünf Mitfahrer leichte Verletzungen erlitten. Daraufhin annullierte das Verkehrssicherheitszentrum OW/NW mit Verfügung vom 14. Januar 2019 und Einspracheentscheid vom 14. März 2019 den Führerausweis auf Probe. 
 
B.   
Die von A.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden mit Entscheid vom 30. September 2019 ab. 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, das Verkehrssicherheitszentrum OW/NW sei unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides anzuweisen, ihm den Führerausweis auf Probe wieder zu erteilen. 
 
Das Verkehrssicherheitszentrum OW/NW und das Bundesamt für Strassen ASTRA schliessen auf Abweisung der Beschwerde. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
 
1.1. Die Voraussetzungen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten sind grundsätzlich gegeben (Art. 82 lit. a, Art. 83 e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2, Art. 89 Abs. 1, Art. 90 und Art. 100 Abs. 1 BGG).  
 
1.2. Das Bundesgericht wendet das (Bundes-) Recht von Amtes wegen (Art. 106 Abs. 1 BGG; BGE 143 V 19 E. 2.3 S. 23 f.) und mit uneingeschränkter (voller) Kognition an (Art. 95 lit. a BGG; BGE 141 V 234 E. 2 S. 236). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).  
 
1.3. Das Bundesgericht kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG).  
Die beschwerdeführende Partei, welche die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz anfechten will, muss substanziiert darlegen, inwiefern die Voraussetzungen einer Ausnahme gemäss Art. 105 Abs. 2 BGG gegeben sind und das Verfahren bei rechtskonformer Ermittlung des Sachverhalts anders ausgegangen wäre; andernfalls kann ein Sachverhalt, der vom im angefochtenen Entscheid festgestellten abweicht, nicht berücksichtigt werden (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 S. 18 mit Hinweisen). 
 
2.   
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzt hat, als es die Annullierung des Führerausweises auf Probe durch den Beschwerdegegner bestätigt hat. 
 
3.   
 
3.1. Der erstmals erworbene Führerausweis für Motorräder und Motorwagen wird zunächst auf Probe erteilt. Die Probezeit beträgt drei Jahre (Art. 15a Abs. 1 SVG). Für Inhaber des Führerausweises auf Probe wird der definitive Führerausweis erteilt, wenn die Probezeit abgelaufen ist und der Inhaber die vorgeschriebenen Weiterbildungskurse besucht hat (Art. 15b Abs. 2 SVG). Wird dem Inhaber der Ausweis auf Probe wegen einer Widerhandlung entzogen, so wird die Probezeit um ein Jahr verlängert (Art. 15a Abs. 3 SVG). Der Führerausweis auf Probe verfällt mit der zweiten Widerhandlung, die zum Entzug des Ausweises führt (Art. 15a Abs. 4 SVG). Ein neuer Lernfahrausweis kann frühestens ein Jahr nach Begehung der Widerhandlung und nur auf Grund eines verkehrspsychologischen Gutachtens erteilt werden, das die Eignung bejaht (Art. 15a Abs. 5 SVG).  
 
3.2. Der vorerst nur probeweisen Erteilung des Führerausweises liegt der Gedanke zugrunde, dass sich Neulenker (sog. "Neuerwerber") während einer dreijährigen Probezeit in der Fahrpraxis bewähren sollen, bevor ihnen der (unbefristete) Führerausweis definitiv erteilt wird. Während der Probezeit soll sich der Neulenker durch einwandfreies und klagloses Fahrverhalten im Verkehr ausweisen. Verstösse gegen Verkehrsregeln lösen deshalb nicht nur die gegen Inhaber des unbefristeten Führerausweises vorgesehenen Strafsanktionen und Administrativmassnahmen aus. Gleichzeitig erschweren sie während der Probezeit die Erlangung des unbefristeten Ausweises. Besteht der Neulenker die Probezeit nicht, kann er frühestens ein Jahr nach der zweiten Widerhandlung mit Ausweisentzug (und nach erfolgter verkehrspsychologischer Abklärung der Fahreignung) einen neuen Lernfahrausweis (und nach Bestehen der Führerprüfung einen neuen Führerausweis auf Probe) beantragen. Das neu eingeführte administrativmassnahmenrechtliche Instrument dient (ergänzend zur Verschärfung der Warnungsentzüge) der strengeren Ahndung und Prävention von SVG-Widerhandlungen durch Neulenker und damit der Erhöhung der Verkehrssicherheit (BGE 136 I 345 E. 6.1 S. 348 f. mit Hinweisen; BGE 136 II 447 E. 5.1 S. 454 f.). Unter die nach Art. 15a Abs. 4 SVG relevanten Fälle von erneuten Widerhandlungen fallen auch leichte Fälle, für die (nach Art. 16a Abs. 2 SVG) ein weiterer Ausweisentzug anzuordnen wäre (BGE 136 I 345 E. 6.1 S. 348 mit Hinweis).  
 
4.   
 
4.1. Es steht fest und ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer am 8. Juni 2018 und am 8. September 2018 je eine Widerhandlung gegen das SVG begangen hat, welche jede für sich einen Ausweisentzug rechtfertigen würde. Das kantonale Gericht bestätigte die aufgrund dieser beiden Widerhandlungen gestützt auf Art. 15a Abs. 4 SVG vorgenommene Annullierung des Führerausweises auf Probe durch den Beschwerdegegner. Der Beschwerdeführer bringt dagegen vor, diese Norm sei auf ihn nicht anwendbar, da das Administrativverfahren bezüglich der ersten Widerhandlung im Zeitpunkt der zweiten noch nicht abgeschlossen war.  
 
4.2. Rechtsprechungsgemäss setzt der Verfall des Führerausweises auf Probe im Sinne von Art. 15a Abs. 4 SVG nicht voraus, dass der vorangehende Ausweisentzug vollzogen worden oder auch nur, dass der betreffende Entscheid in Rechtskraft erwachsen ist. Entscheidend ist einzig, dass nach einer ersten Widerhandlung, die zu einem Ausweisentzug (sowie zu einer Verlängerung der Probezeit) führte, eine zweite Widerhandlung begangen wird, welche ebenfalls einen Ausweisentzug zur Folge hat. Eine zweite Widerhandlung bewirkt somit den Verfall des Führerausweises auf Probe, auch wenn der Entscheid, welcher die erste Widerhandlung mit einem Ausweisentzug sanktionierte, noch nicht rechtskräftig ist und/oder noch nicht vollzogen wurde (BGE 136 II 447 E. 5 ff. S. 454 ff.). Offengelassen hat das Bundesgericht in diesem Leitentscheid jedoch die Frage, ob dies auch dann gilt, wenn - wie im vorliegenden Fall - der Entscheid über die Sanktionierung der ersten Widerhandlung noch nicht einmal gefällt und dem Fahrzeugführer eröffnet worden ist.  
 
4.3. Während ein Teil der Lehre diese Frage bejaht (vgl. PHILIPPE WEISSENBERGER, Kommentar zum Strassenverkehrsgesetz, 2. Aufl. 2015, N. 23 f. zu Art. 15a SVG und JÜRG BICKEL, in: Basler Kommentar, Strassenverkehrsgesetz, 2014, Fn. 49 zu Art. 15a SVG), schlägt ein anderer Teil unter Verweis auf die Rechtsprechung zur Verwirklichung mehrerer Entzugsgründe beim definitiven Führerausweis (BGE 122 II 180 E. 5b S. 183 f.; vgl. auch Urteil 1C_710/2013 vom 7. Januar 2014 E. 3.2) vor, in solchen Fällen Art. 49 StGB analog anzuwenden und eine Gesamtmassnahme auszusprechen (vgl. CÉDRIC MIZEL, Droit et pratique illustrée du retrait du permis de conduire, 2015, S. 636; siehe auch ANDRÉ BUSSY ET AL., Code suisse de la circulation routière commenté, 4. Aufl. 2015, N 5.2 zu Art. 15a SVG). Da jedoch das Gesetz bei einer zweiten, selbst leichten Widerhandlung, welche einen Entzug rechtfertigt, zwingend den Verfall des Führerausweises auf Probe vorsieht (vgl E. 3.2 hievor), würde eine analoge Anwendung von Art. 49 StGB diejenigen Fahrer, die innerhalb kurzer Zeit mehrere Entzugsgründe setzen, gegenüber jenen, die dies in grösseren zeitlichen Abständen tun, privilegieren. Eine solche Privilegierung wäre indes ungerechtfertigt, geht doch für die Sicherheit im Strassenverkehr in der Regel von ersteren die grössere Gefahr aus als von letzteren. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass es bei der ersten Widerhandlung des Beschwerdeführers zu einer Kollision mit einer korrekt entgegenkommenden Fahrradfahrerin kam, wobei sich diese leicht verletzte (Platzwunde am Kinn, Prellungen an den Beinen). Von einem Fahrer, der im Strassenverkehr bereits eine andere Person - und sei es auch nur leicht - verletzt hat, darf ohne weiteres ein besonderes Mass an Verantwortungsbewusstsein und an sorgfältigem künftigem Fahrverhalten erwartet werden.  
Wie es sich in dem vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Spezialfall, in dem der Fahrer im Zeitpunkt der zweiten Widerhandlung noch nicht von seiner ersten Widerhandlung weiss, verhält, braucht demgegenüber vorliegend nicht geprüft zu werden. Somit hat das kantonale Gericht kein Bundesrecht verletzt, als es die Annullierung des Führerausweises auf Probe bestätigt hat; die Beschwerde ist abzuweisen. 
 
5.   
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden, Verwaltungsabteilung, und dem Bundesamt für Strassen Sekretariat Administrativmassnahmen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 23. April 2020 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Chaix 
 
Der Gerichtsschreiber: Nabold