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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
1C_612/2020  
 
 
Urteil vom 1. April 2021  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Müller, Merz, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Christian Perrig, 
 
gegen  
 
Einwohnergemeinde Bürchen, 
Haselstrasse 42, 3935 Bürchen, 
Staatsrat des Kantons Wallis, 
Place de la Planta 3, 1950 Sitten. 
 
Gegenstand 
Enteignung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Wallis, Öffentlichrechtliche Abteilung, 
vom 21. September 2020 (A1 20 64). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ ist Eigentümerin der Parzelle Nr. 3286 in Bürchen. Das Grundstück liegt in der Zone für touristische Bauten und Anlagen und misst 1'326 m². Die Einwohnergemeinde Bürchen mietet davon eine Fläche von 963 m² für den Betrieb eines öffentlichen Parkplatzes, der je nach Jahreszeit den Besuchern des Skigebiets, der Skischule, der Minigolfanlage und des Tourismusbüros dient. Die restlichen 363 m² mietet die B.________ AG. Darauf steht das Kassenhaus der Bergbahnen und ein Container, in dem das Tourismusbüro untergebracht ist. 
Am 6. September 2019 ersuchte die Gemeinde den Staatsrat des Kantons Wallis um die Erteilung des Rechts auf Enteignung und vorzeitige Besitznahme der Parzelle. A.________ erhob dagegen Einsprache. Mit Entscheid vom 19. Februar 2020 hiess der Staatsrat die Einsprache gut und wies das Enteignungsgesuch ab. Das Gesuch um vorzeitige Besitznahme schrieb er als gegenstandslos geworden ab. 
Gegen den Entscheid des Staatsrats erhob die Gemeinde Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Mit Entscheid vom 21. September 2020 hiess das Kantonsgericht die Beschwerde gut und verlieh der Gemeinde das Enteignungsrecht sowie das Recht, die Parzelle ab dem 1. Juli 2021 in Besitz zu nehmen. 
 
B.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht vom 1. November 2020 beantragt A.________, der Entscheid des Kantonsgerichts sei aufzuheben. 
Das Kantonsgericht und die Gemeinde schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Der Staatsrat hat auf eine Stellungnahme verzichtet. Die Beschwerdeführerin hat eine Replik eingereicht. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid über eine Enteignung. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen (vgl. Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Art. 90 BGG). Die Beschwerdeführerin ist nach Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. 
 
2.  
 
2.1. Die vorgesehene Enteignung der Parzelle der Beschwerdeführerin ist mit der Eigentumsgarantie vereinbar, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, im öffentlichen Interesse liegt und verhältnismässig ist (Art. 26 i.V.m. Art. 36 BV). Die Beschwerdeführerin bestreitet das öffentliche Interesse und die Verhältnismässigkeit. Zudem kritisiert sie die Sachverhaltsfeststellung durch die Vorinstanz.  
 
2.2. Das Vorliegen eines öffentlichen Interesses und die Verhältnismässigkeit prüft das Bundesgericht bei der Beschränkung von Grundrechten frei. Es auferlegt sich jedoch Zurückhaltung, soweit die Beurteilung von einer Würdigung der örtlichen Verhältnisse abhängt, welche die kantonalen Behörden besser überblicken (BGE 142 I 76 E. 3.3; Urteil 1C_486/2019 vom 16. Oktober 2020 E. 3.2; je mit Hinweisen). Die Feststellung des Sachverhalts kann gemäss Art. 97 Abs. 1 BGG gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann.  
 
2.3. In Bezug auf die Sachverhaltsfeststellung macht die Beschwerdeführerin geltend, das Kantonsgericht habe in willkürlicher Weise festgestellt, die Parteien seien sich uneins über den marktüblichen Mietzins und sie habe keine Bereitschaft zur Einräumung eines Baurechts geäussert. Ebenso sei willkürlich anzunehmen, dass die Gemeinde im Falle der Fortsetzung des Mietverhältnisses Gefahr liefe, langfristig mehr zu zahlen als bei einer Enteignung. Zudem lege das Kantonsgericht einen unbelegten Sachverhalt zu Grunde, wenn es behaupte, sie habe nicht geltend gemacht, das Grundstück selbst bewirtschaften zu wollen.  
Wie aus den nachfolgenden Erwägungen hervorgeht, spielt keine Rolle, ob zwischen den Parteien Einigkeit über die Marktüblichkeit des Mietzinses besteht, welche Bereitschaft bzw. Absichtsbekundungen die Beschwerdeführerin geäussert hat und ob die Gemeinde bei einer Fortführung des Mietverhältnisses möglicherweise mehr bezahlt als bei einer Enteignung. Die Beschwerdeführerin legt die Relevanz der betreffenden Feststellungen denn auch nicht dar. Darauf ist deshalb nicht einzutreten (Art. 97 Abs. 1 und Art. 42 Abs. 2 BGG). 
 
2.4. Das öffentliche Interesse an der Nutzung der Parzelle als touristische Anlage stellt die Beschwerdeführerin nicht in Abrede (vgl. dazu Urteil 1C_455/2010 vom 7. Januar 2011 E. 3.4 f. betr. den Betrieb eines Golfplatzes sowie Art. 7 Abs. 1 lit. b des Gesetzes des Kantons Wallis vom 9. Februar 1996 über den Tourismus [SGS 935.1], wonach die Gemeinden die Aufgabe haben, die touristische Ausstattung und Entwicklung auf ihrem Gebiet zu fördern). Sie macht jedoch geltend, die Parzelle befinde sich in der Zone für touristische Bauten und nicht in der Zone für touristische Anlagen, somit in einer für die angestrebte Nutzung ungeeigneten Zone.  
Während das Bundesgericht das Bestehen eines öffentlichen Interesses frei prüft, gilt für die Frage der Zonenkonformität die Willkürkognition, da diese durch das kantonale Recht geregelt wird. Die Beschwerdeführerin legt indessen nicht dar, dass es geradezu willkürlich wäre, die Parkplatzanlage, das Kassenhaus und das Tourismusbüro als in der Zone für touristische Bauten zulässig anzusehen (Art. 106 Abs. 2 BGG; zur Willkür in der Rechtsanwendung s. BGE 145 II 32 E. 5.1 S. 41; 142 V 513 E. 4.2 S. 516; je mit Hinweisen). Auf ihre Rüge ist deshalb nicht einzutreten. Hinzu kommt, dass gemäss Kantonsgericht lediglich die bisherige Nutzung weitergeführt werden soll und die genannten Bauten bereits erstellt sind. Die Beschwerdeführerin als Eigentümerin und Vermieterin macht nicht geltend, dass dafür keine rechtskräftige Baubewilligung existiert. 
 
2.5. Die Beschwerdeführerin hält die Enteignung auch für unverhältnismässig. Der Mietvertrag mit der Gemeinde und der B.________ AG könne weitergeführt werden, womit ein milderes Mittel gegenüber der Enteignung bestehe. Er sei bisher nicht gekündigt worden und gelte somit sicher bis Ende Juni 2022 weiter. Sie sei zudem nach wie vor zu Vertragsverhandlungen über den künftigen Mietzins bereit. Es sei die Gemeinde gewesen, die die Verhandlungen abgebrochen habe. Sie selbst erziele aus dem Mietertrag jährliche Einnahmen und habe damit ein Interesse am Weiterbestand ihres Eigentums.  
Das Verhältnismässigkeitsprinzip verlangt, dass eine Massnahme für das Erreichen des im öffentlichen Interesse liegenden Ziels geeignet und erforderlich ist und sich für die Betroffenen in Anbetracht der Schwere der Grundrechtseinschränkung als zumutbar erweist (BGE 140 I 2 E. 9.2.2 S. 24 mit Hinweisen). Das Prinzip gebietet allerdings nicht, dass der Eingriff auf das absolute Minimum zu beschränken ist. Es besteht ein öffentliches Interesse daran, dass die Rechtsbeziehungen klar und einfach geregelt werden, damit der Enteigner nicht mit unverhältnismässigen Lasten und Kosten beschwert wird (BGE 105 Ib 187 E. 6a; 99 Ia 473 E. 4b; Urteil 1C_385/2016 vom 17. November 2016 E. 5.1.2; je mit Hinweisen). In BGE 99 Ia 473 urteilte das Bundesgericht etwa, dass sich das Gemeinwesen für die Erstellung eines Schulhauses nicht mit einer Baurechtsdienstbarkeit begnügen müsse. Dabei berücksichtigte es unter anderem, dass die Abtretung eines blossen Baurechts statt des vollen Eigentums am Boden mit Umtrieben und Mehraufwendungen verbunden sei, die sich mit dem öffentlichen Interesse nicht vereinbaren liessen. Das Baurecht könne als selbständiges Recht nur auf hundert Jahre begründet werden und nach Ablauf der Dauer fielen die Bauwerke dem Grundeigentümer heim. Das Werk sei jedoch auf Dauer angelegt und die öffentlichen Zwecke, die damit verfolgt würden, unbefristet (a.a.O., E. 4). 
Auch im vorliegenden Fall geht es um eine auf Dauer angelegte Nutzung. Die blosse Miete der Parzelle birgt für die Gemeinde die Gefahr, periodisch mit der Eigentümerin über den Mietzins und die weiteren Vertragsbestimmungen verhandeln zu müssen. Gemäss dem angefochtenen Urteil kann der Mietvertrag mit einer Kündigungsfrist von einem Jahr jeweils auf den 30. Juni gekündigt werden. Aufgrund dieses Umstands kann die Miete nicht als gleich geeignetes Mittel wie die Enteignung betrachtet werden. 
Schliesslich ergibt eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Interessen, dass der Eigentumseingriff der Beschwerdeführerin auch zumutbar ist. Dass ihr eine erhebliche Restnutzung verbliebe, wenn sie die Parzelle weiterhin vermieten könnte, macht sie nicht geltend. Weshalb regelmässige Mieteinnahmen für sie vorteilhafter sein sollten als eine einmalige Entschädigung, ist ebenfalls nicht erkennbar. Zwar würde sie im Fall des Erhalts des Eigentums von einer möglichen künftigen Zunahme des Verkehrswerts profitieren, doch liegt in diesem Umstand gemäss der Praxis kein der Enteignung entgegenstehendes schützenswertes privates Interesse (BGE 99 Ia 473 E. 4c S. 481). Vor diesem Hintergrund überwiegt das Interesse des Gemeinwesens am vollen Verfügungsrecht über die Parzelle. 
 
2.6. Die Rüge der Verletzung der Eigentumsgarantie erweist sich somit als unbegründet, soweit sie hinreichend substanziiert wurde.  
 
3.  
 
3.1. Die Kritik der Beschwerdeführerin richtet sich schliesslich gegen die vorzeitige Besitznahme. Sie rügt eine willkürliche Anwendung von Art. 25 Abs. 1 des kantonalen Enteignungsgesetzes vom 8. Mai 2008 (kEntG; SGS 710.1). Von erheblichen Nachteilen im Fall der Nichtgenehmigung der vorzeitigen Besitznahme könne nicht gesprochen werden, da der Zugang zum Grundstück seit Jahren bestehe und sie keine Absicht habe, dieses selbst zu nutzen. Es sei zudem widersprüchlich, die Dringlichkeit zu bejahen, dann aber die vorzeitige Besitznahme erst ab dem 1. Juli 2021 zuzulassen.  
 
3.2. Nach Art. 25 Abs. 1 kEntG kann der Enteigner jederzeit beim Staatsrat die Erlaubnis zur vorzeitigen Besitznahme des zu enteignenden Objekts verlangen, sofern er nachweist, dass die Verwirklichung des Werkes dringend notwendig ist (Satz 1). Diese Massnahme ist für bewohnte Gebäude ausgeschlossen (Satz 2). Das Kantonsgericht bejaht diese Voraussetzungen. Die Gemeinde verfüge als Mieterin und Betreiberin der Parkplatzanlage bereits seit Jahren über den Zugang zum Grundstück und habe ein grosses Interesse daran, dass die Parkplätze und die touristischen Zwecken dienenden Gebäude nach Ablauf des Vertrags weiterhin genutzt werden können. Die Beschwerdeführerin mache ihrerseits keine Absicht geltend, das Grundstück bzw. die Anlagen selbst zu nutzen. Die Interessen der Gemeinde an einer vorzeitigen Besitznahme der Parzelle überwögen klar. Da sie ausgeführt habe, dass der Mietvertrag auf den 30. Juni 2021 gekündigt werden könne, werde sie ermächtigt, das Grundstück ab dem 1. Juli 2021 in Besitz zu nehmen.  
 
3.3. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist es nicht widersprüchlich, die Dringlichkeit zu bejahen und die vorzeitige Besitznahme erst ab dem 1. Juli 2021 zuzulassen. Das Kantonsgericht richtete sich dabei nach dem nächstmöglichen Kündigungstermin. Mindestens bis dahin durfte es von einer Weitergeltung des Mietvertrags ausgehen, weshalb kein Anlass bestand, eine frühere Besitznahme zuzulassen. Dass es die Dringlichkeit mit Blick auf die Zeit nach diesem Datum bejahte, erscheint nachvollziehbar. Die Beschwerdeführerin stellt das grosse Interesse der Gemeinde an der touristischen Nutzung der Parzelle nicht in Frage. Obwohl sie behauptet, keine entsprechende Absicht zu hegen, könnte sie den Mietvertrag jedoch noch vor dem Erwerb des Eigentums durch die Gemeinde (s. Art. 46 kEntG) auflösen, was der Gemeinde verunmöglichen würde, die Parzelle weiter zu nutzen. Die Rüge der willkürlichen Anwendung von Art. 25 Abs. 1 kEntG erweist sich somit als unbegründet.  
 
4.   
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. 
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Einwohnergemeinde Bürchen obsiegt in ihrem amtlichen Wirkungskreis und hat deshalb keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1-3 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Einwohnergemeinde Bürchen, dem Staatsrat des Kantons Wallis und dem Kantonsgericht Wallis, Öffentlichrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 1. April 2021 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Der Gerichtsschreiber: Dold