Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_305/2020, 6B_321/2020  
 
 
Urteil vom 1. Oktober 2020  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichter Muschietti, 
Bundesrichterin Koch, 
Gerichtsschreiberin Rohrer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
6B_305/2020 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Loher, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
1. B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Werner Rechsteiner, 
2. Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, 
Beschwerdegegnerinnen, 
 
und 
 
Verfahrensbeteiligte 
6B_321/2020 
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt Gossau, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Werner Rechsteiner, 
Beschwerdegegnerin, 
 
Gegenstand 
Fahrlässige schwere Körperverletzung; willkürliche Beweiswürdigung, 
 
Beschwerden gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer, vom 2. Dezember 2019 (ST.2018.97-SK3 / Proz. Nr. ST.2014.42257). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Am 17. Dezember 2014 gegen 17 Uhr überquerten A.________ und C.________ die U.________strasse in V.________ am Ende des Bahnhofsgeländes. Sie wurden von B.________ angefahren, die mit einem Personenwagen auf der U.________strasse in Richtung W.________ fuhr. A.________ wurde frontal erfasst. Sie erlitt verschiedene schwere Körperverletzungen, die zu einer vollen IV-Rente führten. C.________ wurde vom Seitenspiegel erfasst und zog sich weniger gravierende Verletzungen zu, die folgenlos ausheilten. 
 
B.   
Das Kreisgericht Toggenburg verurteilte B.________ am 22. März 2018 wegen fahrlässiger einfacher und schwerer Körperverletzung zu einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu Fr. 60.-- bei einer Probezeit von zwei Jahren. 
Das Kantonsgericht St. Gallen sprach B.________ in Gutheissung ihrer Berufung am 2. Dezember 2019 vom Vorwurf der fahrlässigen einfachen und schweren Körperverletzung frei. 
 
C.   
A.________ und die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen führen Beschwerde in Strafsachen. 
A.________ beantragt, der Entscheid des Kantonsgerichts sei aufzuheben. B.________ sei der fahrlässigen schweren Körperverletzung schuldig zu sprechen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen (6B_305/2020). 
Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Sache sei zur Schuldigsprechung von B.________ an die Vorinstanz zurückzuweisen (6B_321/2020). 
 
D.   
In Bezug auf die Beschwerde von A.________ (6B_305/2020) beantragt B.________, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventualiter sei sie abzuweisen. Das Kantonsgericht beantragt die Abweisung der Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft liess sich nicht vernehmen. 
In Bezug auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft (6B_321/2020) beantragt B.________, die Beschwerde sei abzuweisen. Das Kantonsgericht liess sich nicht vernehmen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Das Bundesgericht vereinigt mehrere Verfahren, wenn diese in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen, namentlich, wenn sie sich gegen denselben Entscheid richten und wenn sie die gleichen Parteien sowie ähnliche oder gleiche Rechtsfragen betreffen (vgl. BGE 126 V 283 E. 1 S. 285; 113 Ia 390 E. 1 S. 394; je mit Hinweisen). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Es rechtfertigt sich, die Beschwerden gestützt auf Art. 71 BGG in sinngemässer Anwendung von Art. 24 Abs. 2 lit. b BZP zu vereinigen und in einem einzigen Entscheid zu beurteilen. 
 
2.  
 
2.1. Zur Beschwerde in Strafsachen ist berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (Art. 81 Abs. 1 lit. a BGG) und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG), unter anderem die Privatklägerschaft, wenn der angefochtene Entscheid sich auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG). Als Zivilansprüche gelten solche, die ihren Grund im Zivilrecht haben und deshalb ordentlicherweise vor dem Zivilgericht durchgesetzt werden müssen. In erster Linie handelt es sich um Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung nach Art. 41 ff. OR (BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 4). Die zu Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG ergangene Rechtsprechung verlangt daher, dass sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung der im Strafverfahren adhäsionsweise geltend gemachten bzw. noch geltend zu machenden Zivilforderungen auswirken kann. Dies ist nicht der Fall, wenn das Strafverfahren im Zivilpunkt bereits erledigt ist, weil die Zivilforderungen z.B. rechtskräftig auf den Zivilweg verwiesen wurden (Urteil 6B_92/2019 vom 21. März 2019 E. 3 mit Hinweisen).  
 
2.2. A.________ beantragte als Privatklägerin im erstinstanzlichen Verfahren, B.________ sei der schweren Körperverletzung schuldig zu sprechen und angemessen zu bestrafen. Am Berufungsverfahren beteiligte sie sich nicht (vgl. vorinstanzliche Akten B/3). Dies ist in dem Sinne zu verstehen, dass sie an ihren erstinstanzlichen Anträgen festhielt. Da sie damit im Berufungsverfahren unterlag, erfüllt sie die Legitimationsvoraussetzungen von Art. 81 Abs. 1 lit. a BGG (BGE 143 IV 434 E. 1.2.2 f. S. 437 ff.).  
Zu prüfen ist, ob auch die Legitimationsvoraussetzungen von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG vorliegen, was B.________ in ihrer Vernehmlassung verneint. Die erste Instanz sprach B.________ der fahrlässigen einfachen und schweren Körperverletzung schuldig. Sie nahm Vormerk, "dass die Zivilansprüche auf dem Zivilprozessweg geltend gemacht werden". Das Urteil wurde einzig von B.________ angefochten und Anschlussberufungen erfolgten keine. Zivilansprüche waren damit nicht Gegenstand des erst- und vorinstanzlichen Gerichtsverfahrens. Eine Gutheissung der Beschwerde durch das Bundesgericht hätte deshalb keine Auswirkungen auf Zivilansprüche im Strafverfahren. A.________ argumentiert, der Zivilrichter sei zwar nach Art. 53 OR nicht an das Straferkenntnis gebunden, hingegen bestehe eine faktische Bindung. Sie sei in Bezug auf den Schuldpunkt zur Beschwerde legitimiert. Auch habe die Versicherung von B.________ bisher jede Haftung abgelehnt (Beschwerde S. 4). Dies genügt nach ständiger Rechtsprechung für die Begründung der Beschwerdelegitimation im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG jedoch nicht. Ob und inwieweit sich ein rechtskräftiges Strafurteil auf die Zivilforderungen auswirken kann, beurteilt sich nach Art. 53 OR und ist für die Rechtsmittellegitimation nach Art. 81 BGG nicht relevant (Urteil 6B_92/2019 vom 21. März 2019 E. 4 mit Hinweis). A.________ ist in der Sache nicht zur Beschwerde in Strafsachen legitimiert. 
 
2.3. Ungeachtet der fehlenden Legitimation in der Sache selbst kann die Privatklägerschaft die Verletzung von Verfahrensrechten geltend machen, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Zulässig sind Rügen formeller Natur, die von der Prüfung der Sache getrennt werden können. Nicht zu hören sind Rügen, die im Ergebnis auf eine materielle Überprüfung des angefochtenen Entscheids abzielen (BGE 146 IV 76 E. 2 S. 79 mit Hinweis). Eine in der Sache nicht legitimierte Beschwerdeführerin kann deshalb weder die Beweiswürdigung kritisieren, noch kann sie geltend machen, die Begründung sei materiell unzutreffend (BGE 136 IV 41 E. 1.4 S. 44; 135 II 430 E. 3.2 S. 436 f.; je mit Hinweisen). Sie kann hingegen vorbringen, auf ein Rechtsmittel sei zu Unrecht nicht eingetreten worden, sie sei nicht angehört worden, sie habe keine Gelegenheit erhalten, Beweisanträge zu stellen, oder sie habe keine Einsicht in die Akten nehmen können ("Star-Praxis"; BGE 120 Ia 157 E. 2a/bb S. 160; Urteil 6B_536/2018 vom 2. November 2018 E. 2.1; je mit Hinweisen).  
A.________ rügt eine willkürliche Beweiswürdigung, da die Vorinstanz ohne triftigen Grund und ohne ergänzende gutachterliche Einschätzung von einer Expertise abweiche. Verneine man eine räumliche Vermeidbarkeit der Kollision, sei zudem mangels Feststellungen zur zeitlichen Vermeidbarkeit und zur hypothetischen Kollisionsgeschwindigkeit bei pflichtgemässem Verhalten die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung unvollständig. Darüber hinaus hätte B.________ die Geschwindigkeit den besonderen Verhältnissen anpassen müssen. Damit habe sich die Vorinstanz in Verletzung ihrer Begründungspflicht nicht auseinandergesetzt. Diese Rügen sind nicht formeller Natur, deren Beurteilung von der Sache getrennt werden könnte. Vielmehr zielt das Vorbringen auf die materielle Überprüfung des Entscheids. Folglich kann auch unter diesem Titel nicht auf die Beschwerde von A.________ eingetreten werden. 
 
3.   
Die Staatsanwaltschaft (nachfolgend: Beschwerdeführerin) wirft der Vorinstanz eine willkürliche Beweiswürdigung vor. Diese weiche ohne triftige Gründe von einer Expertise ab. Die Kombination verschiedener voneinander abhängiger Parameter aus unterschiedlichen Szenarien widerspreche den Grundregeln der Unfallanalytik. Durch ihre eigenmächtige Korrektur des Gutachtens verletze die Vorinstanz zudem Art. 189 StPO und Art. 29 Abs. 2 BV (Beschwerde S. 3 ff. und 9 f.). 
 
3.1. Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 146 IV 88 E. 1.3.1 S. 91 f.; 145 IV 154 E. 1.1 S. 155 f.; 143 I 310 E. 2.2 S. 313; je mit Hinweisen; vgl. zum Begriff der Willkür BGE 146 IV 88 E. 1.3.1 S. 92; 141 III 564 E. 4.1 S. 566; je mit Hinweisen).  
Die Rüge der Verletzung von Grundrechten (einschliesslich Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung) muss in der Beschwerde anhand des angefochtenen Entscheids präzise vorgebracht und substanziiert begründet werden, anderenfalls darauf nicht eingetreten wird (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 146 IV 114 E. 2.1 S. 118; 145 IV 154 E. 1.1 S. 155 f.; 143 IV 500 E. 1.1 S. 503; 142 II 206 E. 2.5 S. 210; 142 I 135 E. 1.5 S. 144; je mit Hinweisen). 
 
3.2. Unbestritten ist, dass die damals 18-jährige A.________ und der 14-jährige C.________ am 17. Dezember 2014 kurz vor 17 Uhr die U.________strasse von der Bahnhofseite her überquerten, indem sie (aus Sicht von B.________) hinter einem auf dem Bahnhofplatz parkierten Postauto die Strasse betraten. B.________ erfasste mit ihrem Fahrzeug die beiden Jugendlichen auf ihrer Fahrbahn in Richtung W.________. Das Fahrzeug kollidierte frontal mit der rechten Körperseite von A.________. Diese schlug auf der Motorhaube und der Frontscheibe auf und wurde weggeschleudert. C.________ wurde von der rechten Fahrzeugfront und vom Seitenspiegel erfasst.  
 
3.3. Zur Frage, mit welcher Geschwindigkeit B.________ das Fahrzeug lenkte, zu welchem Zeitpunkt die Fussgänger erkennbar waren und ob der Unfall vermeidbar war, erstattete das kantonale Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt am 8. September 2016 (mit Ergänzung vom 31. März 2017) ein Gutachten. Dieses macht einleitend unter anderem Ausführungen zur Endlage des Fahrzeugs und zu den anlässlich eines Augenscheins rekonstruierten Endlagen der Fussgänger sowie zum Kollisionspunkt. Anhand der Kollisionsanalyse setzt das Gutachten die Kollisionsgeschwindigkeit des Personenwagens (41 - 49 km/h) und der Fussgänger (3 - 7 km/h) sowie die Verzögerung des Fahrzeugs ab dem Kollisionspunkt (4 - 5 m/s²) fest. Ausgehend von einer Reaktionszeit von 0.8 s befand sich das Fahrzeug zum Zeitpunkt der Reaktion 9.1 - 10.9 m vor dem Kollisionspunkt ("Reaktionspunkt"). Der Gutachter bemisst den Anhalteweg ab dem Kollisionspunkt bis zur Endlage auf 14.6 - 17 m. B.________ habe die Fussgänger erstmals 5.2 s (minimale Variante) bis 2.8 s (maximale Variante) vor der Kollision sehen können. Zu diesem Zeitpunkt habe sich das Fahrzeug 59.2 m (minimale Variante) respektive 38.1 m (maximale Variante) und die Fussgänger 4.3 m (minimale Variante) respektive 5.4 m (maximale Variante) vor dem Kollisionspunkt befunden. Nach der minimalen Variante sei die Kollision (bei einem Anhalteweg von 26.5 m und einer Verzögerung von 4 m/s²) bis 2.4 s respektive 27.1 m vor dem Kollisionspunkt vermeidbar gewesen. Bei der maximalen Variante sei die Kollision (bei einem Anhalteweg von 30.6 m und einer Verzögerung von 5 m/s²) bis 2.3 s respektive 31.4 m vor dem Kollisionspunkt vermeidbar gewesen (vorinstanzliche Akten, Dossier G4/7 und G4/11).  
 
3.4. Das Gericht würdigt Gutachten grundsätzlich frei. In Fachfragen darf es davon indessen nicht ohne triftige Gründe abweichen, und Abweichungen müssen begründet werden. Ein Abweichen ist zulässig, wenn die Glaubwürdigkeit des Gutachtens durch die Umstände ernsthaft erschüttert ist. Umgekehrt kann das Abstellen auf nicht schlüssige Gutachten unter Verzicht auf die gebotenen zusätzlichen Beweiserhebungen gegen das Willkürverbot und gegen Verfahrensrechte der Parteien verstossen (BGE 142 IV 49 E. 2.1.3 S. 53; 141 IV 369 E. 6.1 S. 372 f.; 140 II 334 E. 3 S. 338; je mit Hinweisen). Ob ein Gericht die im Gutachten enthaltenen Erörterungen für überzeugend hält oder nicht und ob es dementsprechend den Schlussfolgerungen des Experten folgen oder ein Ergänzungsgutachten bzw. eine Oberexpertise einholen soll, ist eine Frage der Beweiswürdigung, die mit Beschwerde in Strafsachen wegen Verletzung des Willkürverbots aufgeworfen werden kann. Eine entsprechende Kritik muss substanziiert dargelegt werden (BGE 141 IV 305 E. 6.6.1 S. 315 mit Hinweisen).  
 
3.5. Das Gutachten des Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamts rekonstruiert den Unfall anhand einer minimalen und maximalen Variante. Die Geschwindigkeit von 41 - 49 km/h (entsprechend 11.38 - 13.61 m/s) folgert es aus dem Kollisionsbereich und den Endlagen der Fussgänger. In der minimalen Variante wird eine Gehgeschwindigkeit von 3 km/h angenommen (entsprechend 0.8 m/s, "langsames Gehen"), in der maximalen Variante eine solche von 7 km/h (entsprechend 1.9 m/s, "schnelles Gehen"; vgl. Zusatzgutachten vom 31. März 2017 S. 3, vorinstanzliche Akten Dossier G4/11).  
Die Vorinstanz verweist auf die gutachterlich festgestellten Fahr- und Gehgeschwindigkeiten, die vom Personenwagen und den Fussgängern zurückgelegten Strecken und die dafür benötigte Zeit ab dem ersten möglichen Sichtkontakt bis zum Kollisionspunkt. Sie erwägt, zugunsten der Fahrzeuglenkerin sei von der maximalen Gehgeschwindigkeit von 7 km/h, der minimalen Fahrgeschwindigkeit von 41 km/h und der minimalen von den Fussgängern zurückgelegten Distanz von 4.3 m auszugehen. In einem nächsten Schritt schlussfolgert sie, ab dem möglichen Sichtkontakt bis zur Kollision resultiere "eine Strecke von 25.1 m [...] bzw. eine Dauer von 2.2 s." Mit Blick auf den gutachterlich richtig errechneten Anhalteweg von 26.5 m sei der Unfall räumlich nicht vermeidbar gewesen (Entscheid S. 10). Da der so ermittelten Strecke eine Zeit von 2.2 s zugrunde liegt, ist anzunehmen, dass die Vorinstanz in einem ersten Schritt die Zeit (4.3 m : 1.9 m/s = 2.2 s) und in einem zweiten Schritt die Strecke des Fahrzeugs (11.38 m/s x 2.2 s = 26.5 m) errechnet hat. 
Diesen Erwägungen kann nicht gefolgt werden. Dass das Gutachten nicht schlüssig erscheinen sollte, legt die Vorinstanz nicht dar. Vielmehr klammert sie die gutachterlichen Ausführungen in ihren eigenen Berechnungen im Ergebnis aus. Sie belässt es damit, aus zwei Varianten verschiedene Grössen zu kombinieren (minimale Fahrgeschwindigkeit, maximale Gehgeschwindigkeit, minimale Wegstrecke der Fussgänger). Die Vorinstanz vermengt nach den zutreffenden Ausführungen der Beschwerdeführerin die jeweils in sich geschlossene minimale und maximale Variante in unzulässiger Weise. Es wird im vorinstanzlichen Entscheid nicht aufgezeigt, inwiefern die minimale Variante (mit einer tiefen Fahr- und Gehgeschwindigkeit) und die maximale Variante (mit einer hohen Fahr- und Gehgeschwindigkeit) nicht überzeugend sein sollten. Umstände, welche auf inhaltliche Mängel hinweisen und die Überzeugungskraft der Expertisen erschüttern könnten, legt die Vorinstanz nicht dar. Indem sie ohne erkennbaren Grund vom Gutachten abweicht, verfällt sie in Willkür. Unbeantwortet bleibt auch, ob das von der Vorinstanz gezeichnete Szenario aus gutachterlicher Sicht vertretbar erscheint. Dies ist zumindest zweifelhaft. Unter dem Titel "Sicht von B.________" geht aus der Expertise hervor, dass sich die verschiedenen Faktoren (Fahrgeschwindigkeit, Gehgeschwindigkeit, Strecke und benötigte Zeit ab dem ersten möglichen Sichtkontakt bis zum Kollisionspunkt) gegenseitig bedingen. Aus der in Abhängigkeit von Wegstrecke und minimaler Fahrgeschwindigkeit errechneten Zeit folgt (soweit erkennbar) die zurückgelegte Strecke der Fussgänger anhand der minimalen Gehgeschwindigkeit (vgl. Gutachten vom 8. September 2016 S. 14). Es ist zu vermuten, dass die gleiche Ausgangslage bei höherer Gehgeschwindigkeit (die Fussgänger hätten bei t=5.2 s und v=1.9 m/s die Strasse möglicherweise bereits überquert) nicht zu einer Kollision geführt hätte und der Gutachter sie (auch) deshalb ausschliesst. Darauf braucht nicht näher eingegangen zu werden. Nicht zweifelhaft ist, dass das Gutachten die Dauer ab dem ersten Sichtkontakt bis zum Kollisionspunkt auf mindestens 2.8 s (und nicht 2.2 s) bemisst. Die Version der Vorinstanz kommt mithin nach der zutreffenden Rüge der Beschwerdeführerin innerhalb der Varianten des Gutachtens nicht vor. Mit ihren eigenen Annahmen und Berechnungen stellt die Vorinstanz letztlich die Schlüssigkeit des Gutachtens in wesentlichen Punkten in Frage, ohne eine überzeugende Antwort zu geben. 
Gemäss Art. 189 StPO lässt die Verfahrensleitung das Gutachten von Amtes wegen oder auf Antrag einer Partei durch die gleiche sachverständige Person ergänzen oder verbessern oder bestimmt weitere Sachverständige, wenn (lit. a) das Gutachten unvollständig oder unklar ist, (lit. b) mehrere Sachverständige in ihren Ergebnissen erheblich voneinander abweichen oder (lit. c) Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens bestehen. Die Vorinstanz hätte deshalb ergänzende Beweise zur Klärung dieser Zweifel erheben müssen (BGE 142 IV 49 E. 2.1.3 S. 53; 141 IV 369 E. 6.1 S. 372 f.; je mit Hinweisen). 
 
3.6. Die Vorinstanz erwägt, B.________ sei "trotz eingeleiteter Vollbremsung" mit den Fussgängern kollidiert (Entscheid S. 5). Die Beschwerdeführerin argumentiert, diese Sichtweise sei offensichtlich unrichtig. Die Expertise gehe von einer Normalbremsung mit einer Verzögerung von 4 - 5 m/s² ab dem Kollisionspunkt aus. Abweichende Feststellungen würden eine neue gutachterliche Einschätzung erfordern. Zutreffend ist, dass B.________ laut Gutachten 0.8 s (9.1 - 10.9 m) vor dem Kollisionspunkt reagierte. Ihr Fahrzeug verzögerte ab dem Kollisionspunkt bei nasser Fahrbahn mit 4 - 5 m/s² (vgl. beispielsweise Gutachten vom 8. September 2016 S. 10 und 12; Zusatzgutachten vom 31. März 2017 S. 2 f.). Was die Vorinstanz in diesem Zusammenhang feststellt, bleibt unbestimmt. Unklar ist, welche Verzögerung sie annimmt und ob sie in Abweichung von der Expertise nicht nur eine Reaktion, sondern eine Verzögerung noch vor der Kollision feststellt. Unklar ist auch, ob die Vorinstanz mit der Umschreibung "Vollbremsung" von einer höheren Verzögerung (als 4 - 5 m/s²) ausgeht. Eine solche Verzögerung noch vor der Kollision würde mit der Beschwerdeführerin eine über die Kollisionsgeschwindigkeit liegende Fahrgeschwindigkeit bedeuten. Es erübrigt sich, näher darauf einzugehen. Die Vorinstanz wird den Sachverhalt neu feststellen müssen. Gleiches gilt, soweit die Beschwerdeführerin die Feststellungen zur Gehgeschwindigkeit der Fussgänger thematisiert.  
 
3.7. Aus prozessökonomischen Gründen bleibt Folgendes zu bemerken. Die Vorinstanz belässt es bei der Feststellung, die Kollision sei gestützt auf die ermittelten Werte räumlich nicht vermeidbar gewesen (Entscheid S. 10). In der Folge spricht sie B.________ vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung frei. Der Anklagevorwurf geht ausdrücklich darüber hinaus (vgl. Strafbefehl vom 20. Juni 2017 S. 2). Dem wird die Vorinstanz gegebenenfalls Rechnung tragen müssen.  
Wie ausgeführt, verfällt die Vorinstanz in Willkür, indem sie die Distanz ab dem möglichen Sichtkontakt bis zur Kollision auf 25.1 m bemisst und damit ohne erkennbaren Grund vom Gutachten abweicht. Diese Tatsachenfeststellung wird die Vorinstanz neu vornehmen müssen. Soweit sie die gutachterlichen Ausführungen zur effektiven - nicht nur rein geometrischen - Sichtbarkeit in Zweifel zieht (vgl. Ergänzungsgutachten vom 31. März 2017 S. 4 f.), fehlen im Übrigen entsprechende Erwägungen (vgl. Entscheid S. 10 E. III.4d/bb mit Verweis auf die nicht einschlägige E. III.4d/dd). 
 
3.8. Zusammenfassend ist die Rüge der Beschwerdeführerin begründet, soweit sie eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung geltend macht. Die Vorinstanz wird die Beweiswürdigung neu vornehmen müssen. Es erübrigt sich deshalb, die weiteren Rügen der Beschwerdeführerin näher zu prüfen.  
 
4.   
D ie Beschwerde im Verfahren 6B_321/2020 ist gutzuheissen. Der Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen vom 2. Dezember 2019 ist aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Auf die Beschwerde im Verfahren 6B_305/2020 ist nicht einzutreten. 
Die Parteien werden im Umfang ihres Unterliegens kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). A.________ sind Gerichtskosten im Umfang von Fr. 1'000.-- aufzuerlegen. B.________ sind Gerichtskosten im Umfang von Fr. 3'000.-- aufzuerlegen. A.________ hat B.________ eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.-- auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Verfahren 6B_305/2020 und 6B_321/2020 werden vereinigt. 
 
2.   
Die Beschwerde 6B_321/2020 wird gutgeheissen. Der Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen vom 2. Dezember 2019 wird aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
3.   
Auf die Beschwerde 6B_305/2020 wird nicht eingetreten. 
 
4.   
Die Gerichtskosten werden im Umfang von Fr. 1'000.-- A.________ und im Umfang von Fr. 3'000.-- B.________ auferlegt. 
 
5.   
A.________ hat an B.________ eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.-- zu bezahlen. 
 
6.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 1. Oktober 2020 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Rohrer