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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_145/2021  
 
 
Urteil vom 2. Juli 2021  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiberin Huber. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Ausgleichskasse des Kantons Freiburg, Impasse de la Colline 1, 1762 Givisiez, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Anna Gruber, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Ergänzungsleistung zur AHV/IV, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Freiburg vom 
20. Januar 2021 (608 2020 62 / 608 2020 63). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der 1945 geborene A.________ bezieht seit 1. Juli 2010 eine AHV-Altersrente. Nachdem die Ausgleichskasse des Kantons Freiburg seine Gesuche um Ergänzungsleistungen (EL) dreimal abgewiesen hatte, meldete er sich am 8. Februar 2019 erneut zum EL-Bezug an. Mit Verfügung vom 20. März 2019 verneinte die Ausgleichskasse wiederum einen Leistungsanspruch. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 18. Februar 2020 fest. 
 
B.  
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Kantonsgericht Freiburg mit Urteil vom 20. Januar 2021 gut und hob den Einspracheentscheid vom 18. Februar 2020 auf. Es wies die Sache an die Ausgleichskasse zurück, damit diese im Sinne der Erwägungen über den Leistungsanspruch neu verfüge. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die Ausgleichskasse, das vorinstanzliche Urteil sei aufzuheben und der Einspracheentscheid vom 18. Februar 2020 sei zu bestätigen. Ausserdem sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen. 
 
A.________ verlangt die Abweisung der Beschwerde und beantragt, das vorinstanzliche Urteil sei zu bestätigen und die Ausgleichskasse sei zu verpflichten, den Anspruch auf EL neu zu berechnen und die entsprechenden Leistungen auszurichten. Ausserdem ersucht er um Abweisung des Gesuchs um aufschiebende Wirkung und um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) beantragt die Gutheissung der Beschwerde. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Beim angefochtenen Rückweisungsurteil handelt es sich, da das Verfahren noch nicht abgeschlossen wird und die Rückweisung auch nicht einzig der Umsetzung des oberinstanzlich Angeordneten dient (Urteil 9C_684/2007 vom 27. Dezember 2007 E. 1.1, in: SVR 2008 IV Nr. 39 S. 131), um einen - selbstständig eröffneten - Vor oder Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG (BGE 133 V 477 E. 4.2 mit Hinweisen). Die Zulässigkeit der Beschwerde setzt somit - alternativ - voraus, dass der Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Abs. 1 lit. a) oder dass die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (Abs. 1 lit. b).  
 
1.2. Nach der Rechtsprechung liegt bei einem Rückweisungsurteil, das - wie vorliegend - der Verwaltung Vorgaben für den Erlass einer ihres Erachtens rechtswidrigen Verfügung macht, für diese ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG vor (BGE 133 V 477 E. 5.2; Urteil 8C_682/2007 vom 30. Juli 2008 E. 1.2.2, nicht publ. in: BGE 134 V 392). Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.  
 
2.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
3.  
 
3.1. Vorbehältlich besonderer übergangsrechtlicher Regelungen sind in zeitlicher Hinsicht - auch bei einer Änderung der gesetzlichen Grundlage - grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgeblich, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestands Geltung haben (BGE 132 V 215 E. 3.1.1; 130 V 445 E. 1.2.1; Urteil 9C_833/2009 vom 4. Februar 2010 E. 3.1, in: SVR 2010 IV Nr. 59 S. 180). Mithin sind für den hier relevanten Beurteilungszeitraum (EL-Anspruch für das Jahr 2019) die geltenden Bestimmungen des ELG und der ELV in den ab 1. Januar 2019 gültig gewesenen Fassungen anwendbar ( v gl. auch Abs. 3 der Übergangsbestimmungen zur Änderung vom 22. März 2019 [EL-Reform] in der ab 1. Januar 2021 gültigen Fassung).  
 
3.2. Im Einspracheentscheid vom 18. Februar 2020 nahm die Ausgleichskasse im Jahr 2005 ein Verzichtsvermögen von Fr. 440'881.- an und reduzierte dieses zwischen dem Zeitpunkt des Verzichts und der Berechnung für das Jahr 2019 um Fr. 130'000.-. Das kantonale Gericht bestätigte, dass der Beschwerdegegner im Jahr 2005 in Bezug auf sein Freizügigkeitskapital von Fr. 440'881.35 einen Vermögensverzicht im Sinne von aArt. 11 Abs. 1 lit. g ELG getätigt habe, was unter den Verfahrensbeteiligten unbestritten ist. Streitig und zu prüfen ist jedoch, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie eine Verringerung des Verzichtsvermögens von mehr als Fr. 130'000.- anordnete.  
 
4.  
 
4.1. Das kantonale Gericht stellte fest, werde der Vermögensverzicht ausser Acht gelassen, resultiere aus den Berechnungen der Ausgleichskasse aus den Jahren 2010, 2011, 2015, 2017 und 2018 jeweils ein Ausgabenüberschuss. Es liege auf der Hand, dass der Beschwerdegegner, wenn er nicht auf Vermögen verzichtet hätte, berechtigt gewesen wäre, sein eigens für diesen Zweck bestimmtes Vermögen zur Deckung des Ausgabenüberschusses zu verwenden. Gleiches müsse ihm auch zugestanden werden, wenn er auf Vermögen verzichtet habe. Denn ihm dürfe selbstredend nur ein Vermögensverzicht in der Höhe angerechnet werden, in der das Vermögen, hätte er darauf nicht verzichtet, tatsächlich noch vorhanden gewesen wäre. Dies mit der Folge, dass der anrechenbare Betrag nicht nur um jährlich Fr. 10'000.- (aArt. 17a Abs. 1 ELV) zu reduzieren sei, sondern auch derjenige Betrag vom Vermögensverzicht in Abzug zu bringen sei, den der Beschwerdegegner zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes benötigt habe. Andernfalls würde Vermögen, das für den Lebensunterhalt aufgewendet worden sei, als Vermögensverzicht angerechnet.  
 
4.2. Die Ausgleichskasse sowie das BSV bringen dagegen vor, die Auffassung der Vorinstanz widerspreche sowohl dem Wortlaut von aArt. 17a Abs. 1 ELV als auch der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Es lägen keine Gründe dafür vor, das Verzichtsvermögen um mehr als die in aArt. 17a Abs. 1 ELV vorgesehenen Fr. 10'000.- pro Jahr zu reduzieren.  
 
5.  
 
5.1. Nach aArt. 17a Abs. 1 und 2 ELV wird der anzurechnende Betrag von Vermögenswerten, auf die verzichtet worden ist (aArt. 11 Abs. 1 lit. g ELG), jährlich um Fr. 10'000.- vermindert. Der Wert des Vermögens im Zeitpunkt des Verzichtes ist unverändert auf den 1. Januar des Jahres, das auf den Verzicht folgt, zu übertragen und dann jeweils nach einem Jahr zu vermindern.  
 
5.2.  
 
5.2.1. Die in aArt. 17a Abs. 1 ELV vorgesehene pauschale Verminderung des Verzichtsvermögens um Fr. 10'000.- pro Jahr erleichtert den EL-Stellen die Handhabung der Amortisation des hypothetischen Vermögens, indem sie keinen Raum für eine differenzierte Betrachtungsweise lässt (Urteil 9C_732/2014 vom 12. Dezember 2014 E. 4.2.1 mit Hinweis auf BGE 118 V 150 E. 3c/cc, in: SZS 2015 S. 264). Es wird zwar davon ausgegangen, dass der Beschwerdegegner, auch wenn er sein Vermögen nicht veräussert hätte, einen Teil davon zur Deckung seines Bedarfs verwendet hätte; die in aArt. 17a Abs. 1 ELV vorgesehene Amortisation ist jedoch nur in Form eines Pauschalbetrags zulässig, der unabhängig von der genauen Höhe des veräusserten oder dem Beschwerdegegner noch zur Verfügung stehenden Vermögens ist (vgl. Urteile 9C_36/2014 vom 7. April 2014 E. 3.2 und 9C_945/2011 vom 11. Juli 2012 E. 5.2, beide mit Hinweis auf 8C_68/2008 vom 27. Januar 2009 E. 4.2.2, in: SVR 2009 EL Nr. 6 S. 21). Diese Regelung ist weder rechtsungleich noch willkürlich (bereits erwähntes Urteil 9C_732/2014 E. 4.2.1). Die Einführung der Amortisationspauschale bezweckte, die Ungleichheit zu beseitigen, dass es einer versicherten Person, die auf Vermögen verzichtete, bis anhin - anders als Versicherten, die ihr Vermögen behielten und nur sukzessive verzehrten - für immer verschlossen blieb, das ihr weiterhin zu- und angerechnete Verzichtsvermögen jemals abzutragen (BGE 118 V 150 E. 3c/bb).  
 
5.2.2. Mit Blick auf das soeben Dargelegte bietet aArt. 17a Abs. 1 ELV folglich keine Handhabe für einen über die vorgesehene Amortisationspauschale von jährlich Fr. 10'000.- hinaus gehenden Abzug im Umfang des Betrages, den der Beschwerdegegner für seinen Lebensunterhalt benötigte. Dem Argument der Vorinstanz, dem Beschwerdegegner dürfe nur ein Vermögensverzicht in der Höhe angerechnet werden, in der das Vermögen, hätte er darauf nicht verzichtet, tatsächlich noch vorhanden gewesen wäre, ist entgegenzuhalten, dass aArt. 17a Abs. 1 ELV gerade keinen Raum für eine differenzierte Betrachtungsweise lässt (E. 5.2.1). Ausserdem läge eine relevante Verzichtshandlung gar nicht vor, hätte der Beschwerdegegner das Vermögen nachweislich für seine eigenen Bedürfnisse verwendet.  
 
5.3. Zusammengefasst hatte das kantonale Gericht keine Veranlassung, in Bezug auf die Verringerung des Verzichtsvermögens von der Berechnung der Ausgleichskasse abzuweichen. Die Beschwerde ist daher begründet und das angefochtene Urteil aufzuheben.  
 
6.  
Mit diesem Urteil wird das Gesuch der Ausgleichskasse um aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegenstandslos. 
 
7.  
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten dem Beschwerdegegner aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen Verbeiständung, Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG) kann gewährt werden. Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach der Beschwerdegegner der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn er später dazu im Stande ist. 
 
Die Beschwerdeführerin hat keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Kantonsgerichts Freiburg vom 20. Januar 2021 wird aufgehoben und der Einspracheentscheid der Ausgleichskasse des Kantons Freiburg vom 18. Februar 2020 bestätigt. 
 
2.  
Dem Beschwerdegegner wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Rechtsanwältin Anna Gruber wird als unentgeltliche Anwältin bestellt. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt, indes vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen. 
 
4.  
Der Rechtsvertreterin des Beschwerdegegners wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2800.- ausgerichtet. 
 
5.  
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Kantonsgericht Freiburg zurückgewiesen. 
 
6.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Freiburg und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 2. Juli 2021 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Die Gerichtsschreiberin: Huber