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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_1395/2019  
 
 
Urteil vom 3. Juni 2020  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichter Muschietti, 
Bundesrichterin Koch, 
Gerichtsschreiber Matt. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Ulrich Kobelt, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Grobe Verletzung der Verkehrsregeln; Beweiswürdigung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts 
des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, 
vom 29. Oktober 2019 (SST.2019.184). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm wirft A.________ vor, am 29. Mai 2017 in Zofingen mit 61 km/h statt der erlaubten 30 km/h gefahren zu sein und damit die signalisierte Höchstgeschwindigkeit um netto 26 km/h überschritten zu haben. Am 14. Januar 2019 verurteilte ihn der Präsident des Bezirksgerichts Zofingen wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln zu 40 Tagessätzen Geldstrafe bedingt und Fr. 800.-- Busse. Auf seine Berufung hin bestätigte das Obergericht des Kantons Aargau am 29. Oktober 2019 den Schuldspruch, reduzierte aber die bedingte Geldstrafe auf 30 Tagessätze, wobei es diese als Zusatzstrafe zu einem Strafbefehl vom 8. November 2018 aussprach; die Busse liess es unverändert. 
 
B.   
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, das angefochtene Urteil sei aufzuheben. Aus der Begründung erhellt, dass er seine Täterschaft bestreitet. Sein Gesuch um aufschiebende Wirkung der Beschwerde weist das Bundesgericht am 15. Januar 2020 ab. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 141 IV 317 E. 5.4). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1). Dies ist der Fall, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht. Dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht. Erforderlich ist, dass der Entscheid nicht nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis willkürlich ist (BGE 141 IV 305 E. 1.2 mit Hinweisen). Für die Willkürrüge gelten erhöhte Begründungsanforderungen (Art. 97 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 2 BGG). Es genügt nicht, einen von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten oder die eigene Beweiswürdigung zu erläutern (BGE 137 II 353 E. 5.1 mit Hinweisen). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 144 V 50 E. 4.2; 143 IV 500 E. 1.1).  
Der Grundsatz "in dubio pro reo" besagt als Beweiswürdigungsregel, dass sich das Strafgericht nicht von einem für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalt überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Bloss abstrakte und theoretische Zweifel genügen nicht, weil solche immer möglich sind. Relevant sind mithin nur unüberwindliche Zweifel, d.h. solche, die sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen (vgl. Art. 10 Abs. 3 StPO; BGE 138 V 74 E. 7; 127 I 38 E. 2a; je mit Hinweisen). Der Grundsatz "in dubio pro reo" verlangt indes nicht, dass bei sich widersprechenden Beweismitteln unbesehen auf den für den Angeklagten günstigeren Beweis abzustellen ist. Die Entscheidregel kommt nur zur Anwendung, wenn nach erfolgter Beweiswürdigung als Ganzem relevante Zweifel verbleiben (Urteil 6B_824/2016 vom 10. April 2017 E. 13.1, nicht publ. in BGE 143 IV 214 mit Hinweisen). Als Beweiswürdigungsregel kommt dem Grundsatz "in dubio pro reo" im Verfahren vor Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zu (BGE 145 IV 154 mit Hinweisen). Als Beweislastregel ist der Grundsatz verletzt, wenn das Gericht einen Angeklagten (einzig) mit der Begründung verurteilt, er habe seine Unschuld nicht nachgewiesen. Dies prüft das Bundesgericht mit freier Kognition (Urteil 6B_927/2019 vom 20. November 2019 E. 2.1.2 mit Hinweis). 
 
1.2. Es ist unbestritten, dass der auf die Gebrüder A.________ AG zugelassene Personenwagen C.________ mit dem Kontrollschild xxx am 29. Mai 2017 um 12.16 Uhr in Zofingen mit einer Geschwindigkeit von 61 km/h statt der erlaubten 30 km/h geblitzt wurde. Die Vorinstanz begründet, weshalb sie die Täterschaft des Beschwerdeführers als erstellt erachtet. Sie erwägt, diese sei allein aufgrund des Vergleichs der Radaraufnahme mit dem Ausweisfoto resp. der Erscheinung des Beschwerdeführers anlässlich der Berufungsverhandlung augenscheinlich. Weil sein Gesicht eindeutig erkennbar sei, sei unerheblich, dass sich auf der oberen rechten Gesichtshälfte im Radarfoto eine Abdunkelung befinde. Dies gelte ebenso für die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Gesichtsbehaarung, wobei es sich um kein dauerhaftes Erkennungsmerkmal handle. Das Argument des Beschwerdeführers, wonach die Identität ausgeschlossen sei, weil er keine Perücke trage, erscheine sodann abwegig. Angesichts des belastenden Radarfotos könne zudem vernünftigerweise von ihm erwartet werden, seine Täterschaft nicht bloss zu bestreiten, sondern seine Version des Sachverhalts durch zusätzliche Angaben und Erklärungen zu belegen. Dazu genüge es nicht, lediglich zu behaupten, das Geschäftsauto werde von ca. 50 Mitarbeitenden benutzt, und es sei möglich, dass dies zum inkriminierten Tatzeitpunkt der Fall gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe insbesondere keine Angaben dazu gemacht, welcher Mitarbeiter - ausser ihm -, etwa aufgrund anderer Aufträge, als Täter in Frage käme und ihm ähnlich sehen würde. Auch die dereinst angebotene Mitarbeiterliste habe er nicht vorgelegt. Da seine Täterschaft angesichts des Radarfotos unzweifelhaft erscheine, könne sein Bestreiten resp. das Unvermögen, die zu seiner Entlastung erforderlichen Angaben zu machen, nur als Schutzbehauptung betrachtet werden.  
Dies gelte umso mehr, als die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem angeblichen Alibi widersprüchlich seien. So habe er zunächst ausgesagt, er sei am Tattag bis ungefähr zur Mittagszeit auf einer Baustelle in Aarau gewesen und dann zu einem für 13.30 Uhr angesetzten Termin nach Hagendorn bei Cham gefahren. Erst in der Berufungsverhandlung habe er behauptet, der Termin in Aarau habe bis 12.30 Uhr gedauert und er habe erst um 14.00 Uhr in Hagendorn sein müssen. Die eingereichte elektronische Kalendereinladung belege diese Behauptung nicht, zumal daraus nicht hervor gehe, wie lange die Besprechung in Aarau tatsächlich gedauert habe. Auch gebe es keine Zeugen, die die Anwesenheit des Beschwerdeführers zur Tatzeit an einem anderen als dem Tatort bestätigen könnten. Auf deren Befragung, zumal nach über zwei Jahren, könne verzichtet werden. Das vom Beschwerdeführer beigebrachte Alibi vermöge den Anwesenheitsbeweis am Tatort aufgrund des Radarfotos mithin nicht zu widerlegen. Dies gelte ebenso für die verlangte Auswertung seines Mobiltelefons, welches keine Anwesenheit beweise und dessen Daten heute nicht mehr abrufbar wären. Auch von einem Identitätsgutachten sei abzusehen, da nach eigener Wahrnehmung der Vorinstanz kein vernünftiger Zweifel daran bestehe, dass das Radarfoto den Beschwerdeführer zeige. Schliesslich sei schleierhaft, inwiefern ihm ein handlungspsychologisches Gutachten über die vernünftigste Routenwahl von Aarau nach Hagendorn ein Alibi verschaffen sollte. Es sei zeitlich ohne Weiteres möglich gewesen, Zofingen zu passieren, etwa um über Mittag kurz nach Hause zu fahren. 
 
1.3. Die vorinstanzlichen Ausführungen sind schlüssig. Der Beschwerdeführer beschränkt sich im Wesentlichen darauf, diese zu bestreiten und ihnen seine eigene Sachverhaltsdarstellung gegenüber zu stellen. Dies genügt zum Nachweis von Willkür nicht (oben E. 1.1). So macht er unter Verweis auf Zeugen, eine Terminbestätigung und eine Aktennotiz wiederum geltend, angesichts seiner bis zur Mittagszeit dauernden Besprechung in Aarau könne er nicht um 12.16 Uhr in Zofingen geblitzt worden sein. Die Vorinstanz hat sich mit diesen Argumenten indes einlässlich auseinandergesetzt und sie nachvollziehbar widerlegt. Der Beschwerdeführer vermag damit nicht darzutun, dass die Annahme, wonach das inkriminierte Radarfoto seine Anwesenheit am Tatort und damit seine Täterschaft beweise, schlechterdings unhaltbar wäre. Dies behauptet er im Übrigen gar nicht, macht er doch lediglich geltend, die Schlussfolgerung der Vorinstanz sei falsch. Entgegen seiner Auffassung ist Zofingen von Aarau zudem durchaus innert der fraglichen Zeitspanne zu erreichen, zumal wenn, wie vorliegend, die zulässige Höchstgeschwindigkeit gelegentlich überschritten und mit der Vorinstanz davon ausgegangen wird, dass der Beschwerdeführer die Besprechung in Aarau gegen Mittag, mithin vor 12 Uhr, verlassen hat. Das Abstellen auf die tatnäheren Angaben ist nachvollziehbar und nicht zu beanstanden. Die Frage, ob die Vorinstanz eine andere, nicht über Zofingen führende Route von Aarau nach Hagendorn als "effizienter" und daher naheliegender hätte bejahen müssen, prüft das Bundesgericht zudem nur unter dem Aspekt der Willkür (vgl. oben E. 1.1). Die Vorinstanz war auch nicht gehalten, ein Gutachten zu dieser Frage oder weitere Beweise hierzu einzuholen, was das Bundesgericht ebenfalls nur eingeschränkt prüft (zur antizipierten Beweiswürdigung vgl. BGE 141 I 60 E. 3.3; Urteil 6B_927/2019 vom 20. November 2019 E. 2.1.3). Dies gilt ebenso für das vom Beschwerdeführer als notwendig erachtete Gutachten zur wissenschaftlichen Identifizierung der Person auf dem Radarfoto, was die Vorinstanz gestützt auf ihre eigene Wahrnehmung und zu Recht ablehnt.  
Wie die Vorinstanz sodann zutreffend erwägt, kann unter den gegebenen Umständen, namentlich angesichts des Radarfotos, vom Beschwerdeführer erwartet werden, Angaben dazu zu machen, wer ausser ihm konkret als Täter in Frage kommen und ihm ähnlich sehen würde, was er weiterhin nicht tut. Darin liegt weder eine Verletzung der Unschuldsvermutung noch des Verbots des Selbstbelastungszwangs (sog. nemo-tenetur-Grundsatz; BGE 131 IV 36 E. 3.1 S. 40). Diese hindern das Sachgericht nicht daran, die zur Entlastung vorgebrachte Behauptung des beschuldigten Fahrzeughalters, nicht er, sondern ein Dritter habe das Tatfahrzeug gelenkt, aufgrund der konkreten Fallumstände als unglaubhaft zu würdigen. Aussagen, auch jene des Angeklagten, sind Beweismittel. Fehlt eine solche Aussage, fehlt lediglich ein Beweismittel. Auch das Schweigen des Beschuldigten schliesst die Annahme der Täterschaft nicht aus, wenn sie aufgrund der gesamten Beweis- und Indizienlage nicht zweifelhaft ist. Der Schluss auf die Täterschaft begründet auch keine Umkehr der Beweislast, welche die Unschuldsvermutung verletzen könnte. In dem Masse, wie der Betroffene auf Mitwirkung verzichtet, begibt er sich der Möglichkeit, auf sein Verfahren einzuwirken und seine Interessen aktiv wahrzunehmen. Dies kann aber die Behörden nicht hindern, ihre gesetzliche Aufgabe wahrzunehmen. Zu prüfen ist in solchen Fällen nur noch, ob die Behörden wirksame Verteidigungsmöglichkeiten gewährt und das Beweismaterial gesetzmässig verwendet haben (vgl. zum Ganzen: Urteil 6B_843/2018 vom 8. Januar 2019 E. 1.4 mit Hinweisen). Dass dies nicht geschehen wäre, behauptet der Beschwerdeführer nicht und ist nicht ersichtlich. 
Soweit der Beschwerdeführer schliesslich in verfahrensrechtlicher Hinsicht eine Ordnungswidrigkeit der Aktenführung seitens der Untersuchungsbehörden und der Vorinstanz rügt, zeigt er nicht auf, was er daraus für sich ableiten will. Es kann auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden. Der vor Bundesgericht erstmals erhobene Einwand, es sei nicht ausgeschlossen, dass der seine Täterschaft stets bestreitende Beschwerdeführer im angeblich unvollständigen Einvernahmeprotokoll der Polizei vom 8. Juni 2017 substanzielle - über die bisher beurteilten Vorbringen hinausgehende, das Radarfoto widerlegende - Angaben zu seinem Alibi gemacht haben könnte, ist verspätet (Art. 99 Abs. 1 BGG) und rein spekulativ. Jedenfalls aber vermag der Einwand die Schlussfolgerungen der Vorinstanz nicht zu erschüttern. 
 
2.   
Die Beschwerde ist abzuweisen. Ausgangsgemäss hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Der Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten von Fr. 3'000.--. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 3. Juni 2020 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Matt