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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
8C_233/2020  
 
 
Urteil vom 5. August 2020  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin, 
Gerichtsschreiber Nabold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1.       A.________, 
2.       B.________, 
beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Volker Pribnow, 
Beschwerdeführerinnen, 
 
gegen  
 
Kanton Aargau, 
handelnd durch den Regierungsrat des Kantons Aargau, Regierungsgebäude, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Prämienverbilligung (abstrakte Normenkontrolle), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau 
vom 19. Februar 2020 (WNO.2019.2). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der Grosse Rat des Kantons Aargau beschloss am 25. Juni 2019 eine Änderung des § 1 des kantonalen Dekrets vom 13. Dezember 2016 zur Prämienverbilligung; mit dieser Änderung wurde die Höhe des Kantonsbeitrags an die Prämienverbilligungen für die Jahre 2019 und 2020 festgelegt. 
 
B.   
Auf das von A.________, B.________ und C.________ hiegegen erhobene Normenkontrollbegehren trat das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 19. Februar 2020 nicht ein. 
 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen A.________ und B.________, die Sache sei unter Aufhebung des kantonalen Entscheides zur materiellen Beurteilung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. 
Während das Verwaltungsgericht auf Abweisung der Beschwerde schliesst, beantragt der Regierungsrat, es sei die Beschwerde abzuweisen, eventuell sei auf sie nicht einzutreten. 
In ihrer Eingabe vom 17. Juni 2020 halten die Beschwerdeführerinnen an ihren Anträgen fest. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Angefochten ist ein Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau betreffend die Änderung des kantonalen Dekrets zur Prämienverbilligung im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle gemäss Art. 82 lit. b BGG. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist zulässig. Die Ausnahmen gemäss Art. 83 BGG finden bei Beschwerden gegen Erlasse (abstrakte Normenkontrolle) keine Anwendung (BGE 138 I 435 E. 1.2 S. 440). Soweit das kantonale Recht gegen den Erlass selbst ein Rechtsmittel vorsieht, ist der kantonale Instanzenzug auszuschöpfen (Art. 87 Abs. 2 i.V.m. Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG); Anfechtungsobjekt ist dann der kantonale letztinstanzliche Entscheid (BGE 145 I 26 E. 1 S. 29). Anders als bei der Anfechtung von Entscheiden (vgl. Art. 86 Abs. 2 BGG), schreibt das BGG den Kantonen jedoch nicht vor, dass sie ein kantonales Normkontrollverfahren einzuführen haben (vgl. etwa Urteile 8C_152/2019 vom 14. Januar 2020 E. 1, zur Publikation vorgesehen, 8C_768/2019 vom 15. April 2020 E. 2 und 2C_618/2019 vom 30. April 2020 E. 1). Unabhängig vom Vorliegen eines kantonalen Gerichtsentscheides richtet sich die materielle Beschwer nach den Grundsätzen des abstrakten Normenkontrollverfahrens (BGE 145 I 26 E. 1.1 S. 29 f. mit weiteren Hinweisen).  
 
1.2.  
 
1.2.1. Legitimiert zur Erhebung der Beschwerde im abstrakten Normenkontrollverfahren ist aufgrund von Art. 89 Abs. 1 (in Verbindung mit Art. 87) BGG wer - sofern ein solches im kantonalen Recht vorgesehen ist - am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen hat, durch den angefochtenen Erlass aktuell oder virtuell besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Änderung oder Aufhebung hat. Das schutzwürdige Interesse kann rechtlicher oder tatsächlicher Natur sein. Virtuelles Berührtsein setzt nach der Rechtsprechung voraus, dass der Beschwerdeführer von der angefochtenen Regelung früher oder später einmal mit einer minimalen Wahrscheinlichkeit unmittelbar betroffen sein wird (BGE 145 I 26 E. 1.1 S. 30 mit weiteren Hinweisen).  
 
1.2.2. Ob die Beschwerdeführerinnen, wie von ihnen geltend gemacht, durch den angefochtenen Erlass tatsächlich aktuell oder virtuell besonders berührt sind, erscheint mit Blick auf die vorinstanzlichen Erwägungen zweifelhaft. Ebenfalls bleibt unklar, ob ihnen mit einer Aufhebung des Erlasses geholfen wäre, stünde doch diesfalls zunächst gar kein Kantonsbeitrag für die Prämienverbilligungen zur Verfügung. Wie es sich hiermit jedoch genau verhält, braucht nicht abschliessend geprüft zu werden: Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, die Vorinstanz sei in willkürlicher Anwendung des kantonalen Prozessrechts nicht auf ihr Begehren eingetreten. Damit rügen sie eine formelle Rechtsverweigerung. Hiezu sind sie als kantonal unterlegene Partei unabhängig von ihrem Beschwerderecht in der Sache legitimiert (vgl. BGE 114 Ia 307 E. 3c S. 313; BGE 129 I 217 E. 1.4 S. 222 mit Hinweisen; zur Weiterführung dieser so genannten "Star-Praxis" unter der Herrschaft des Bundesgerichtsgesetzes vgl. BGE 135 II 430 E. 3.2 S. 436 f. und Urteil 1C_14/2020 vom 4. Mai 2020 E. 1.2).  
 
1.3. Die Beschwerdeschrift hat unter anderem ein Rechtsbegehren zu enthalten (Art. 42 Abs. 1 BGG). Da die Beschwerde an das Bundesgericht ein reformatorisches Rechtsmittel ist (Art. 107 Abs. 2 BGG), darf sich diese grundsätzlich nicht darauf beschränken, die Aufhebung bzw. Rückweisung des angefochtenen Entscheids zu beantragen. Grundsätzlich ist ein materieller Antrag erforderlich, damit die Beschwerde zulässig ist, ausser wenn das Bundesgericht ohnehin nicht reformatorisch entscheiden könnte (BGE 137 II 313 E. 1.3 S. 317; 136 V 131 E. 1.2 S. 135; 134 III 379 E. 1.3 S. 383; 133 III 489 E. 3.1 S. 489 f.: siehe allerdings auch BGE 133 II 409 E. 1.4.1 S. 414 f.).  
Vorliegend ist das kantonale Gericht nicht auf das Begehren der Beschwerdeführerinnen eingetreten. Da das Bundesgericht bei dieser Ausgangslage nicht materiell entscheiden könnte, haben die Beschwerdeführerinnen vor Bundesgericht korrekterweise ein rein kassatorisches Begehren, verbunden mit einem Rückweisungsantrag, gestellt. 
 
1.4. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass; auf die Beschwerde ist demnach einzutreten.  
 
2.   
Da der angefochtene Erlass nicht einem kantonalen Referendum unterstand, ist Art. 20 Abs. 3 BGG nicht anwendbar, so dass die vorliegende Beschwerde durch einen Spruchkörper von drei Richtern beurteilt werden kann (Art. 20 Abs. 1 BGG). 
 
3.  
 
3.1. Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung, auf Beurteilung innert angemessener Frist sowie auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 1 und 2 BV). Eine Gehörsverletzung im Sinne einer formellen Rechtsverweigerung liegt nach der Praxis des Bundesgerichts vor, wenn eine Behörde auf eine ihr frist- und formgerecht unterbreitete Sache nicht eintritt, obschon sie darüber entscheiden müsste (BGE 134 I 229 E. 2.3 S. 232). Stützt sich der vom kantonale Gericht angerufene Nichteintretensgrund auf kantonales Recht, so überprüft das Bundesgericht diesen jedoch nur auf Willkür hin (BGE 131 I 153 E. 5 S. 159; vgl. auch Urteile 2C_351/2017 vom 12. April 2018 E. 3.2 und 1C_14/2020 vom 4. Mai 2020 E. 4.1).  
 
3.2. Die Beschwerdeführerinnen haben vor kantonalem Gericht ein Begehren um Normenkontrolle im Sinne von § 70 Abs. 1 des kantonalen Gesetzes vom 4. Dezember 2007 über die Verwaltungsrechtspflege (VRPG AG) eingereicht. Gemäss dieser Norm können dem Verwaltungsgericht Vorschriften verwaltungsrechtlicher Natur in kantonalen Gesetzen, Dekreten und Verordnungen sowie Erlassen von Gemeinden, öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten jederzeit zur Prüfung auf ihre Übereinstimmung mit dem übergeordneten Recht unterbreitet werden. Das kantonale Gericht ist mit einer Doppelbegründung nicht auf das Begehren eingetreten: Einerseits handle es sich beim angefochtenen Erlass nicht um eine "Vorschrift" im Sinne von § 70 Abs. 1 VRPG AG, andererseits sei der Erlass nicht verwaltungsrechtlicher Natur im Sinne dieser Norm. Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, beide Begründungen beruhten auf einer willkürlichen Anwendung des einschlägigen kantonalen Prozessrechts, mithin auf einer willkürlichen Auslegung von § 70 Abs. 1 VRPG AG.  
 
3.3. Willkürlich ist ein Entscheid nach konstanter Rechtsprechung nicht schon dann, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht hebt einen kantonalen Entscheid wegen Willkür vielmehr nur auf, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Dabei genügt es nicht, wenn sich nur die Begründung des angefochtenen Entscheides als unhaltbar erweist. Eine Aufhebung rechtfertigt sich nur dann, wenn der Entscheid auch im Ergebnis verfassungswidrig ist (BGE 140 III 16 E. 2.1 S. 18 f.; 129 I 8 E. 2.1 S. 9; je mit Hinweisen), also die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein könnte (Art. 97 Abs. 1 BGG).  
 
3.4.  
 
3.4.1. Das kantonale Gericht hat erwogen, beim angefochtenen Akt handle es sich um einen Budgetbeschluss, welcher aufgrund einer speziellen kantonalen Gesetzesnorm in Dekretsform zu erlassen war. Dabei handle es sich um ein strategisches Steuerungsinstrument des Kantonsparlaments, nicht aber um eine Regelung, mit welcher Rechte und Pflichten von Privaten begründet würden. Demgemäss falle der angefochtene Akt nicht unter den Begriff der "Vorschrift" (bzw. des Rechtssatzes) gemäss § 70 Abs. 1 VRPG AG, womit das kantonale Normenkontrollverfahren nach dieser Norm nicht zur Verfügung stehe.  
 
3.4.2. Entgegen den Vorbringen der Beschwerdeführerinnen beruht die kantonale Auslegung, wonach Budgetbeschlüsse nicht unter den Begriff der Vorschrift im Sinne von § 70 Abs. 1 VRPG AG fallen, auf nachvollziehbaren Überlegungen und erweist sich damit jedenfalls nicht als völlig unhaltbar. Vielmehr steht diese Auslegung im Einklang mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach ein Budgetentscheid grundsätzlich ein behördeninterner Akt ist, mit dem die Legislative die Kontrolle über die Verwaltung ausübt, der aber keine Rechtswirkungen entfaltet und keiner gerichtlichen Anfechtung unterliegt (BGE 72 I 279; 95 I 531 E. 3 S. 353; 99 la 188 E. 2b S. 193; 145 I 121 E. 1.1.3 S. 125). Gebundene Ausgaben, das heisst Ausgaben, die durch einen Rechtssatz prinzipiell und dem Umfange nach vorgeschrieben oder zur Erfüllung der gesetzlich geordneten Verwaltungsaufgaben unbedingt erforderlich sind, müssen selbst dann getätigt werden, wenn sie im Budget nicht enthalten sind (BGE 145 I 121 E. 1.1.3 S. 125; 124 II 436 E. 10h; 110 lb 148 E. 2c; Urteil 2C_272/2012 vom 9. Juli 2012 E. 5.2). Gemäss den nicht substanziiert bestrittenen Erwägungen des kantonalen Gerichts bestimmt sich die Frage, ob eine im Kanton Aargau wohnhafte Person Anspruch auf Prämienverbilligungen hat, nicht aus der Höhe des vom Grossen Rat beschlossenen Kantonsbeitrags, sondern grundsätzlich aus den Berechnungselementen in der kantonalen Verordnung (und in deren Anhang) vom 16. März 2016 zum Gesetz zum Bundesgesetz über die Krankenversicherung (V KVGG AG). Ergibt sich bei einer bundesrechtskonformen Anwendung dieser Verordnung ein Anspruch eines Einzelnen auf Prämienverbilligungen, so besteht dieser Anspruch auch dann, wenn der Kantonsbeitrag nicht zur Deckung aller Ansprüche ausreichen sollte. Da es sich bei den Ausgaben für die Prämienverbilligungen somit um eine gebundene Ausgabe handelt, erscheint es jedenfalls nicht als willkürlich, den Beschluss über die Höhe des Kantonsbeitrags nicht als Regelung zu betrachten, mit welcher in generell-abstrakter Weise Rechte und Pflichten von Privaten begründet werden.  
 
3.4.3. Hat die Vorinstanz demnach kein Bundesrecht verletzt, als sie den angefochtenen Erlass nicht als Vorschrift im Sinne von § 70 Abs. 1 VRPG qualifiziere, so braucht die Frage, ob sie auch willkürfrei die verwaltungsrechtliche Natur des angefochtenen Erlasses verneinen durfte, nicht näher geprüft zu werden. So oder anders hält das vorinstanzliche Nichteintreten vor Bundesrecht stand; die Beschwerde ist demgemäss abzuweisen.  
 
4.   
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten den Beschwerdeführerinnen aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Kanton Aargau, der in seinem amtlichen Wirkungskreis obsiegt, steht keine Entschädigung zu (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 3000.- werden den Beschwerdeführerinnen auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 5. August 2020 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Der Gerichtsschreiber: Nabold