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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_432/2022  
 
 
Urteil vom 8. September 2022  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Müller, Merz, 
Gerichtsschreiberin Dambeck. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Advokat Ozan Polatli, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, 4051 Basel. 
 
Gegenstand 
Untersuchungshaft, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, Einzelgericht, vom 14. Juli 2022 (HB.2022.28). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ wurde am 26. Juni 2022 unter dem Vorwurf festgenommen, er habe wenige Minuten zuvor einer international bekannten Persönlichkeit von hinten mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen und, nachdem diese infolge des Schlages zu Boden gegangen sei, weiter mit dem Hammer auf sie eingeschlagen, bis er von Passanten aufgehalten und fixiert worden sei. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt leitete ein Strafverfahren gegen A.________ ein wegen versuchter vorsätzlicher Tötung. 
Mit Verfügung vom 29. Juni 2022 ordnete das Zwangsmassnahmengericht gegenüber A.________ eine Untersuchungshaft für die vorläufige Dauer von zwölf Wochen an. 
Die gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde von A.________ wies das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Einzelgericht, mit Entscheid vom 14. Juli 2022 ab. 
 
B.  
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 17. August 2022 gelangt A.________ an das Bundesgericht und beantragt, der Entscheid des Appellationsgerichts vom 14. Juli 2022 sei aufzuheben und er sei unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen; eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. 
Das Appellationsgericht verzichtet auf eine Vernehmlassung und beantragt gestützt auf den angefochtenen Entscheid die Abweisung der Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft stellt im Rahmen ihrer Vernehmlassung ebenfalls Antrag auf Abweisung der Beschwerde, worüber der Beschwerdeführer in Kenntnis gesetzt wurde. Dieser persönlich und sein Rechtsvertreter reichten je eine Stellungnahme ein. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend die Anordnung von Untersuchungshaft. Dagegen steht grundsätzlich die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht gemäss Art. 78 ff. BGG offen. Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und befindet sich nach wie vor in Haft. Er hat folglich ein aktuelles, rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids und ist somit gemäss Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten. 
 
2.  
Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, die Annahme von Ausführungsgefahr im Sinne von Art. 221 Abs. 1 StPO durch die Vorinstanz sei widersprüchlich und grundlos erfolgt. 
Gemäss Art. 221 Abs. 2 StPO ist die Haft zulässig, wenn ernsthaft zu befürchten ist, eine Person werde ihre Drohung, ein schweres Verbrechen auszuführen, wahrmachen. Wie sich aus dem Gesetzeswortlaut und der inneren Systematik von Art. 221 StPO ergibt, setzt der in Abs. 2 geregelte selbständige Präventivhaftgrund (anders als die besonderen Haftgründe von Abs. 1 lit. a-c) keinen dringenden Tatverdacht von bereits verübten Verbrechen oder Vergehen (Abs. 1 Ingress) notwendigerweise voraus (BGE 140 IV 19 E. 2.1.1; Urteile 1B_631/2021 vom 15. Dezember 2021 E. 2.1; 1B_567/2018 vom 21. Januar 2019 E. 4.1; 1B_31/2018 vom 19. Februar 2018 E. 2.2.1; je mit Hinweisen). 
Die Notwendigkeit, Personen an der Begehung strafbarer Handlungen zu hindern, wird auch in Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK ausdrücklich als Haftgrund anerkannt. Die rein hypothetische Möglichkeit der Verübung von Delikten sowie die Wahrscheinlichkeit, dass nur geringfügige Straftaten verübt werden, reichen allerdings nicht aus, um eine Präventivhaft zu begründen. Vielmehr setzt der Haftgrund der Ausführungsgefahr ein ernsthaft drohendes schweres Verbrechen ausdrücklich voraus (Art. 221 Abs. 2 StPO). Rechtsprechungsgemäss ist bei der Annahme dieses Präventivhaftgrunds besondere Zurückhaltung geboten. Erforderlich ist eine sehr ungünstige Risikoprognose. Nicht Voraussetzung ist hingegen, dass die verdächtige Person bereits konkrete Anstalten getroffen hat, um das angedrohte schwere Verbrechen zu vollenden. Vielmehr genügt es, wenn die Wahrscheinlichkeit einer Ausführung aufgrund einer Gesamtbewertung der persönlichen Verhältnisse sowie der Umstände als sehr hoch erscheint. Besonders bei drohenden schweren Gewaltverbrechen ist dabei auch dem psychischen Zustand der verdächtigen Person bzw. ihrer Unberechenbarkeit oder Aggressivität Rechnung zu tragen (BGE 140 IV 19 E. 2.1.1; 137 IV 122 E. 5.2; Urteil 1B_392/2020 vom 24. August 2020 E. 4). 
Bei einer zu befürchtenden vorsätzlichen Tötung darf an die Annahme der Ausführungsgefahr kein allzu hoher Massstab angelegt werden. Anders zu entscheiden hiesse, das potenzielle Opfer einem nicht verantwortbaren Risiko auszusetzen (BGE 123 I 268 E. 2e; Urteile 6B_990/2013 vom 10. Juni 2014 E. 2.3; 1B_440/2011 vom 23. September 2011 E. 2.2, nicht publ. in: BGE 137 IV 339). 
 
3.  
 
3.1. Dem angefochtenen Entscheid ist zu entnehmen, der dringende Tatverdacht ergebe sich in erster Linie aus den Aussagen einer Vielzahl von Tatzeugen, die das fragliche Geschehen aus nächster Nähe beobachtet hätten.  
Die Vorinstanz erwog, diverse Indizien wiesen darauf hin, dass der Beschwerdeführer psychisch krank sein könnte, und führte in diesem Zusammenhang das von den Zeugen geschilderte Tatvorgehen, sein Verhalten während den Einvernahmen und den sehr zerstreuten Eindruck an, den er gemacht habe. Ausserdem habe er gemäss eigenen Angaben im Jahr 2014 ("hauptsächlich wegen Cannabis") an einem Burnout gelitten und sich deshalb in psychiatrischer Behandlung befunden. Seither sei er nicht mehr berufstätig und habe weder eine geregelte Tagesstruktur noch eine konkrete Beschäftigung. 
Da es sich beim Opfer um eine international bekannte Persönlichkeit handle, sei auch ein politischer oder ideologischer Hintergrund des Angriffs denkbar. Der Beschwerdeführer habe Kenntnisse über das Opfer gezeigt, die den Wissensstand einer durchschnittlich informierten Person überstiegen. Ein gezielter Angriff mit politischem oder ideologischem Zusammenhang - möglicherweise vor dem Hintergrund einer psychischen Erkrankung - könne nicht ausgeschlossen werden. 
Angesichts der gesamten Umstände erscheine der Beschwerdeführer offensichtlich unberechenbar und psychisch auffällig. Mit Blick auf die Schwere der Gewalttat, auf die sich der Tatverdacht beziehe (versuchte Tötung), und der ohne psychiatrische Begutachtung schwierigen Risikoeinschätzung sei derzeit der Haftgrund der Ausführungsgefahr zu bejahen. Es müsse ernsthaft befürchtet werden, dass der Beschwerdeführer das Opfer erneut angreife oder eine andere schwere Gewalttat ausführe. 
 
3.2.  
 
3.2.1. Der Beschwerdeführer bestreitet den gegen ihn erhobenen Tatverdacht und macht geltend, keinen Bezug zum Opfer und kein Tatmotiv zu haben. Er sei vom Täter von hinten gestossen worden und zu Boden gefallen, wo er den am Boden liegenden Hammer ergriffen habe. So habe er das Pech gehabt, den Hammer in der Hand zu halten, als sich die Augen der angeblichen Zeugen auf ihn gerichtet hätten. Es handle sich klar um ein Turbulenzgeschehen, in dem es keine klaren und übereinstimmenden Aussagen mehrerer unbeteiligter Personen geben könne.  
Wie sich aus dem angefochtenen Entscheid ergibt, brachte der Beschwerdeführer im vorinstanzlichen Verfahren dieselben Argumente vor. Die Vorinstanz erwog, dass die klaren und übereinstimmenden Aussagen mehrerer unbeteiligter Personen der Darstellung des Beschwerdeführers widersprächen. Diese würden bezeugen, gesehen zu haben, wie der Beschwerdeführer selber das Opfer mit dem Hammer angegriffen habe. Von einem allfälligen Dritttäter habe niemand etwas gesehen. 
Der Beschwerdeführer zeigt nicht auf, inwiefern sich die Aussagen der verschiedenen Zeugen widersprechen sollen, obwohl die Vorinstanz die relevanten Stellen in den jeweiligen Einvernahmen genau angab und die Zeugenaussagen in der Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts, auf die die Vorinstanz zusätzlich verweist, einzeln zusammengefasst waren. Ausserdem kann er aus seiner Mutmassung, dass es sich beim Vorfall in Bern vom 28. Juni 2022, als der Täter statt eines Hammers eine Axt gehabt habe, um dieselbe Person gehandelt habe, nichts zu seinen Gunsten ableiten. Insbesondere führt er keine konkreten diesbezüglichen Indizien an. Insgesamt vermag der Beschwerdeführer somit nicht darzutun, dass die Ausführungen der Vorinstanz nicht zutreffen würden. 
 
3.2.2. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ging die Vorinstanz nicht von widersprüchlichen Annahmen aus, wenn sie einerseits festhielt, dem Beschwerdeführer werde ein unvermittelter und massiver Angriff mit Hammerschlägen auf den Kopf einer ihm unbekannten Person in aller Öffentlichkeit vorgeworfen, und andererseits, dass der Beschwerdeführer Kenntnisse über das Opfer gezeigt habe, die den Wissensstand einer durchschnittlich informierten Person übersteigen würden. Vielmehr unterschied die Vorinstanz dabei, dass der Beschwerdeführer zwar über Informationen betreffend das Opfer verfügte, dieses aber nicht persönlich kannte. Dies ist nicht zu beanstanden. Dem Beschwerdeführer kann daher nicht gefolgt werden, wenn er zum Schluss kommt, durch diese "widersprüchlichen Annahmen - einerseits unbekannt, andererseits doch bekannt" - könne die Ausführungsgefahr im Sinne von Art. 221 Abs. 2 StPO nicht begründet werden.  
 
3.2.3. Die Ausführungen der Vorinstanz, wonach der Beschwerdeführer in der Einvernahme vom 27. Juni 2022 ausgesagt habe, das Opfer vielleicht mal im Fernsehen gesehen zu haben; und etwas später, dass es sich natürlich um eine bekannte Persönlichkeit handle, diese Leute kenne man schon, bestreitet er nicht. Dass die Vorinstanz daraus folgerte, der Beschwerdeführer zeige damit Kenntnisse über das Opfer, die den Wissensstand einer durchschnittlich informierten Person überstiegen, ist nicht zu beanstanden. Ebensowenig rügt der Beschwerdeführer die vorinstanzlichen Ausführungen, wonach er nach Angaben eines Zeugen vor der Tat zwei bis drei Runden um den Bahnhofplatz gedreht habe und beim Auftauchen des Opfers direkt auf dieses zugegangen sei und ihm mit dem Hammer auf den Kopf geschlagen habe. Somit ist ebenfalls nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz erwog, im jetzigen Zeitpunkt könne ein gezielter Angriff auf das Opfer mit politischem oder ideologischen Zusammenhang - möglicherweise vor dem Hintergrund einer psychischen Erkrankung des Beschwerdeführers - nicht ausgeschlossen werden. Der Umstand, dass darüber hinaus keine ausdrückliche oder verbale Drohung vorhanden ist, führt in diesem Fall und mit Blick auf die im vorliegend massgeblichen Verfahrensstadium bestehenden Kenntnisse nicht dazu, dass die Ausführungsgefahr im Sinne von Art. 221 Abs. 2 StPO zu verneinen wäre.  
 
3.2.4. Weiter bringt der Beschwerdeführer vor, die Staatsanwaltschaft und die Vorinstanz betrieben "Küchenpsychologie", wenn sie aufgrund von Indizien auf eine psychische Krankheit schlössen. Nur weil er beispielsweise das Einvernahmeprotokoll genau lese, heisse das nicht, er sei psychisch auffällig. Er habe im Jahr 2014 ein Burnout gehabt und daraus gelernt, wie man im Einklang mit sich selber sei.  
Der Beschwerdeführer übersieht, dass die Vorinstanz aufgrund diverser Indizien folgerte, er könnte psychisch krank sein. So lasse der von Zeugen geschilderte unvermittelte und massive Angriff mit Hammerschlägen auf den Kopf einer diesem unbekannten Person in aller Öffentlichkeit darauf schliessen, dass der Beschwerdeführer unberechenbar und psychisch auffällig sei. Auch sein Verhalten während der Einvernahmen, als er behauptet habe, seine Aussagen seien falsch protokolliert worden, und das gezeigte Misstrauen gegenüber den Ermittlungsbeamten und seinem eigenen Verteidiger deuteten auf psychische Probleme hin. Die Vorinstanz erachtete es sodann als zwingend notwendig, möglichst bald ein psychiatrisches Gutachten über den Beschwerdeführer in Auftrag zu geben, um seine Gefährlichkeit und das Risiko weiterer schwerer Gewaltdelikte fundiert feststellen zu können. 
Aus der Vernehmlassung der Staatsanwaltschaft ergibt sich, dass eine psychiatrische Begutachtung in Auftrag gegeben wurde. Gemäss den kantonalen Akten soll das Gutachten Ende Oktober 2022, spätestens Ende November 2022 vorliegen. Sollte die Beurteilung des Haftgrunds allerdings weiterhin massgeblich von der Gefährlichkeitsprognose abhängen, wird die Staatsanwaltschaft - angesichts des Beschleunigungsgebots in Haftsachen (Art. 31 Abs. 4 BV, Art. 5 Abs. 2 StPO) - in einem Kurzgutachen vorab eine Risikoeinschätzung einholen müssen (vgl. Urteil 1B_392/2020 vom 24. August 2020 E. 3.4 mit Hinweisen). 
 
3.3. Nach diesen Ausführungen hält die vorinstanzliche Bejahung des Haftgrunds der Ausführungsgefahr im Sinne von Art. 221 Abs. 2 StPO gestützt auf die im vorliegend massgeblichen Verfahrensstadium bestehenden Kenntnisse und mit Blick insbesondere auf das noch ausstehende psychiatrische (Kurz-) Gutachten vor Bundesrecht stand.  
 
4.  
In Bezug auf die Verhältnismässigkeit der angeordneten Untersuchungshaft bringt der Beschwerdeführer einzig vor, die Verweigerung von Ersatzmassnahmen sei unrechtmässig, weil seine Gefährlichkeit aus widersprüchlichen und nicht überzeugenden Gründen angenommen worden sei. Auch damit vermag er vorliegend keine Rechtsverletzung darzutun. 
 
5.  
Demnach ist die Beschwerde abzuweisen. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er ersucht jedoch um unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung. Da die diesbezüglichen gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kann dem Gesuch entsprochen werden (Art. 64 BGG). Dem Beschwerdeführer werden daher keine Gerichtskosten auferlegt und seinem Rechtsvertreter wird aus der Bundesgerichtskasse eine angemessene Entschädigung ausgerichtet. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird gutgeheissen. 
 
2.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.  
 
2.2. Advokat Ozan Polatli wird als unentgeltlicher Rechtsbeistand eingesetzt und für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- aus der Bundesgerichtskasse entschädigt.  
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Einzelgericht, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 8. September 2022 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Dambeck