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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
4A_263/2018  
 
 
Urteil vom 9. Juli 2018  
 
I. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Kiss, Präsidentin, 
Bundesrichterinnen Klett, May Canellas, 
Gerichtsschreiber Curchod. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ AG, 
vertreten durch Rechtsanwalt Stephan Stulz, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Handelsgericht des Kantons Aargau, Obere Vorstadt 40, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegner, 
 
B.________ AG, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Markus Fiechter. 
 
Gegenstand 
Ausstand, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Justizgerichts 
des Kantons Aargau vom 28. Februar 2018 (JG/2017/01). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Die A.________ AG (Gesuchstellerin, Beschwerdeführerin) ist beklagte Partei in einem Verfahren, das die B.________ AG vor dem Handelsgericht des Kantons Aargau gegen sie eingeleitet hat. Die Klägerin ist vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Markus Fiechter, der als Ersatzrichter am Handelsgericht des Kantons Aargau amtet.  
 
A.b. Die Gesuchstellerin stellte in ihrer Duplik und Widerklagereplik vom 29. September 2017 den Antrag, es sei das Verfahren an ein nicht vorbefasstes, unparteiisches und neutrales Gericht zu verweisen und abzutreten (Antrag 1). Ausserdem verlangte sie Auskunft über die Mitwirkungen von Ersatzrichter Fiechter (Antrag 2) und eventualiter verlangte sie, die Klägerin sei zu verpflichten, sich durch einen Anwalt vertreten zu lassen, der keine ausstandsbegründenden Verbindungen zum angerufenen Gericht habe, auch nicht Bürokollege von Ersatzrichter Fiechter sei (Antrag 3). Ihre Anträge begründete sie im Wesentlichen damit, dass der Anwalt der Gegenpartei als Ersatzrichter am Handelsgericht tätig sei.  
 
A.c. Mit Verfügung vom 3. Oktober 2017 überwies der Vizepräsident des Handelsgerichts die Akten dem Justizgericht. Das Verfahren vor Handelsgericht wurde bis zum rechtskräftigen Entscheid über das Ausstandbegehren sistiert.  
 
B.  
 
B.a. Das Justizgericht des Kantons Aargau hiess das Gesuch mit Urteil vom 28. Februar 2018 gut und wies das Verfahren an das Handelsgericht zurück, damit es im Sinne der Erwägungen einen Spruchkörper bestimme, in dem keine Fachrichterinnen und Fachrichter des Handelsgerichts mitwirken. Das Justizgericht hielt fest, gemäss § 24 Abs. 3 des kantonalen Gerichtsorganisationsgesetzes (GOG AG) dürften nebenamtliche Richterinnen und Richter vor der Abteilung des Gerichts, der sie angehören, nicht als Parteivertreter auftreten. Bei Ersatzrichterinnen und Ersatzrichtern des Obergerichts gelte dieser Ausschluss für den entsprechenden Spruchkörper (Kammer einer Abteilung des Obergerichts). Diese Vorschrift solle verhindern, dass Mitglieder eines Gerichts in einem Verfahren mitwirkten, in welchem eine Partei durch ein Mitglied des Gerichts vertreten wird, mit dem sie in anderen Fällen zusammenarbeiten. Da die Fachrichterinnen und Fachrichter des Handelsgerichts beiden Kammern angehörten, lasse sich dieser Zweck nicht dadurch erreichen, dass der Ersatzrichter als Parteivertreter nur vor der Kammer des Handelsgerichts auftreten dürfe, der er nicht angehöre. Das Justizgericht überliess es dem Handelsgericht zu entscheiden, wie es einen Spruchkörper ohne Fachrichterinnen oder Fachrichter bilden wolle. Es sah eine Möglichkeit darin, die vorgesehene Fünferbesetzung mit Mitgliedern der Zivilkammern des Obergerichts zu erfüllen, eine andere, das Verfahren vor das in der Zivilgerichtsbarkeit allgemein zuständige Gericht zu weisen, wobei in diesem Fall handelsrichterlicher Fachverstand mit dem Beizug externer Fachgutachten ersetzt werden könne.  
 
B.b. Mit Beschwerde in Zivilsachen begehrt die Beschwerdeführerin die Aufhebung des angefochtenen Entscheids insoweit, als bestimmt werde, es dürften dem Spruchkörper keine Fachrichter angehören; sie beantragt ausserdem, dass die Gegenpartei im Hauptverfahren verpflichtet werde, auf die Vertretung durch den Ersatzrichter zu verzichten. Sie stellt schliesslich verschiedene Verfahrensanträge. Zur Begründung wiederholt sie nach einer "Vorbemerkung" unter dem Titel "Sachverhalt" ihre Ausführungen im Ausstandsgesuch des kantonalen Verfahrens nahezu wörtlich und rügt als Verletzung von Art. 30 BV (S. 18-20) im Wesentlichen, das Justizgericht habe den falschen Weg gewählt, denn Ersatzrichter Fiechter hätte das Mandat als Anwalt der Gegenpartei niederlegen müssen, während sie selbst Anspruch auf ein mit Fachrichtern besetztes Handelsgericht habe.  
 
B.c. Die Akten des Justizgerichts des Kantons Aargau wurden beigezogen.  
 
B.d. Stellungnahmen wurden keine eingeholt.  
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerde richtet sich gegen einen selbständig eröffneten Zwischenentscheid über den Ausstand (Art. 92 BGG) und die Beschwerde ist innert Frist eingereicht worden (der angefochtene Entscheid wurde am 21. März 2018 versandt und ging der Beschwerdeführerin nicht vor dem 22. März 2018 zu). Dass der Streitwert erreicht ist, kann daraus abgeleitet werden, dass das Handelsgericht des Kantons Aargau die Klage instruiert hat (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 lit. b ZPO). Ob allerdings der kantonale Instanzenzug im Sinne von Art. 75 BGG ausgeschöpft ist, nachdem das Bundesrecht für Ausstandsbegehren keine einzige kantonale Instanz vorsieht und das Justizgericht als spezielles oberes kantonales Gericht (zuständig gemäss § 38 Abs. 1 lit. e GOG AG über Ausstandsbegehren gegen eine Abteilung des Obergerichts in ihrer Mehrheit oder Gesamtheit zu entscheiden) nicht als Rechtsmittelinstanz entschieden hat, erscheint fraglich. Die Frage kann aber ebenso offen bleiben, wie die Beurteilung, ob die Beschwerdeführerin gemäss Art. 76 BGG legitimiert ist, ob sie namentlich angesichts ihrer Anträge im kantonalen Verfahren ein schutzwürdiges Interesse an der Änderung des angefochtenen Entscheids hat. Denn auf die Beschwerde ist aus andern Gründen nicht einzutreten. 
 
2.  
Neue Begehren sind im Verfahren vor Bundesgericht unzulässig (Art. 99 Abs. 2 BGG). 
 
2.1. Die Beschwerdeanträge vor Bundesgericht lauten wie folgt:  
 
"1. Es sei das Urteil des Justizgerichts des Kantons Aargau vom 28. Februar 2018 insofern und teilweise aufzuheben, als dass das Handelsgericht angewiesen wird, einen Spruchkörper zu bestimmen, dem keine Fachrichterinnen und Fachrichter des Handelsgerichts angehören. 
2. Es sei die Beschwerdegegnerin (sc. Klägerin B.________ AG) zu verpflichten, sich entweder selber zu vertreten oder durch einen Anwalt vertreten zu lassen, welcher keine ausstands- begründenden Verbindungen zum angerufenen Gericht innehat und auch nicht Bürokollege/in von RA Dr. M. Fiechter ist." 
In der Duplik/Widerklagereplik wurden folgende Anträge gestellt: 
 
"1. Es sei das Verfahren an ein nicht vorbefasstes, unparteiisches und neutrales Gericht zu verweisen und abzutreten. 
2. Es seien sämtliche Gerichtsentscheide und sonstige Aktivitäten bei weiteren Entscheiden/Stellungnahmen des Handelsgerichts, an denen Dr. RA M. Fiechter in irgendeiner Form (als Ersatzrichter, stellvertretender Präsident oder Parteivertreter) mitgewirkt bzw. vertreten hat, offenzulegen. 
3.  Eventualiter, es sei die Klägerin zu verpflichten, sich entweder selber zu vertreten oder durch einen Anwalt vertreten zu lassen, welcher keine ausstandsbegründenden Verbindungen zum angerufenen Gericht innehat; auch nicht Bürokollege von RA M. Fiechter ist.  
-..]" 
 
2.2. Nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz verlangte die Beschwerdeführerin vor Vorinstanz hauptsächlich die Verweisung der Streitsache an ein nicht vorbefasstes, unparteiisches und neutrales Gericht. Die Vorinstanz hat den Hauptantrag der Beschwerdeführerin in dem Sinne geschützt, als es die Sache an das Handelsgericht mit der Weisung zurückwies, einen Spruchkörper zu bestellen, in dem keine Fachrichter amten, weil diese nach der Organisation des Handelsgerichts dem selben Spruchkörper angehörten, wie der Anwalt der Gegenpartei als Ersatzrichter.  
Die Beschwerdeführerin hatte vor der Vorinstanz das Begehren gemäss Ziffer 2 als Eventualantrag (Ziffer 3) gestellt. Das Justizgericht hat nicht geprüft, ob die Anträge der Beschwerdeführerin insgesamt - namentlich auch der Eventualantrag in Ziffer 3 - allenfalls nach Treu und Glauben im Lichte der Begründung so ausgelegt werden könnten, dass die Durchsetzung des Verbots von § 24 Abs. 3 GOG AG verlangt werde, wonach der Anwalt der Gegenpartei sein Mandat in der vorliegenden Streitsache niederlegen müsse, weil er vor dem Spruchkörper nicht auftreten darf, dem er angehört. Die Vorinstanz hat vielmehr den Hauptantrag auf Überweisung der Streitsache an einen anderen Spruchkörper gutgeheissen und den Eventualantrag nicht geprüft. Die Beschwerdeführerin bringt auch in diesem Zusammenhang nicht vor, ihre Anträge seien rechtswidrig ausgelegt worden, wenn ihr Hauptantrag so verstanden wurde, dass die Streitsache an ein anderes Gericht zu überweisen sei. Wenn sie nun sinngemäss verlangt, der Verstoss gegen die Unabhängigkeit des Gerichts sei in der Weise zu beheben, dass der Ersatzrichter zu verpflichten sei, sein Mandat als Parteivertreter vor dem Spruchkörper niederzulegen, dem er angehört, ist ihr Begehren neu und unzulässig. 
Wenn die Beschwerdeführerin nun im bundesgerichtlichen Verfahren hauptsächlich beantragt, dass die Fachrichter, die demselben Spruchkörper wie der Anwalt der Gegenpartei angehören, nicht in den Ausstand treten hätten, so stellt sie ein anderes Begehren, als sie dies in ihrem Hauptantrag vor dem kantonalen Justizgericht getan hatte. Dieses Begehren ist neu; darauf kann nicht eingetreten werden. 
 
3. Beiläufig ist immerhin Folgendes zu bemerken.  
Das Justizgericht kommt zum Schluss, dass der Ersatzrichter demselben Spruchkörper angehört wie die Fachrichter des Handelsgerichts, die von Gesetzes wegen in jedem Streitfall vor Handelsgericht beizuziehen sind. Das Justizgericht stellt damit fest, dass der Ersatzrichter vor Handelsgericht dem Spruchkörper angehört, vor dem er gemäss § 24 Abs. 3 GOG AG nicht als Vertreter einer Partei auftreten darf. Es versteht sich von selbst, dass sich der Richter von sich aus an dieses gesetzliche Verbot halten muss, ebenso wie jeder Richter verpflichtet ist, sich auch ohne Antrag einer Partei in den Ausstand zu begeben, wenn er einen Grund erkennt, der den Anschein der Befangenheit begründet. Der Ersatzrichter ist nach § 24 Abs. 3 GOG AG verpflichtet, die Übernahme eines Mandats abzulehnen bzw. ein übernommenes Mandat niederzulegen, wenn der Spruchkörper, dem er angehört, zur Entscheidung des Streitfalles zuständig ist. Missachtet der Ersatzrichter dieses gesetzliche Verbot, so obliegt dem Gericht, dem er angehört, auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung, für die Einhaltung der Ausstandsvorschriften zu sorgen, wie dies nach der Stellungnahme des Handelsgericht an das Justizgericht bis vor wenigen Jahren denn auch der Fall war. Jedenfalls ist nicht nachvollziehbar, dass eine Ausnahmeregelung getroffen werden soll, wenn die gesetzliche Regelung zu Verhinderung der Befangenheit nicht eingehalten wird. Denn Gerichte, die eigens für die Beurteilung einer Angelegenheit gebildet werden, sind gemäss Art. 30 Abs. 1 BV grundsätzlich unzulässig (Urteil 1B_517/2017 vom 13. März 2018 E. 5.1. zur Publikation vorgesehen, BGE 144 I 37 E. 2.1; 137 I 340 E. 2.2.1). 
 
4.  
Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin zu auferlegen. Da keine Vernehmlassungen eingeholt wurden, sind den anderen Verfahrensbeteiligten keine Parteikosten erwachsen. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, der B.________ AG und dem Justizgericht des Kantons Aargau, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 9. Juli 2018 
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Kiss 
 
Der Gerichtsschreiber: Curchod