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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_563/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 11. September 2017  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Bundesrichter Oberholzer, 
Gerichtsschreiber Briw. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X._________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Rudolf Studer, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Einstellungsverfügung; Verfahrenskosten (Fahren in fahrunfähigem Zustand), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 20. März 2017. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
X._________ wurde anlässlich einer Verkehrskontrolle am 18. Mai 2016, 07.30 Uhr, als Lenker eines Personenwagens angehalten. Aufgrund äusserer Anzeichen wurde ein sog. "Drugwipe", ein Drogenschnelltest, durchgeführt, der ein positives Resultat bezüglich Cannabis ergab. In der Folge wurde ihm eine Blutprobe entnommen. Die Analyse des Instituts für Rechtsmedizin (IRM) der Universität Bern ergab keinen Nachweis des aktiven Cannabis-Wirkstoffes THC. Nachgewiesen wurde das inaktive Cannabis-Abbauprodukt THC-COOH. 
 
Die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach stellte am 5. August 2016 das Verfahren wegen Verdachts auf Fahrens in fahrunfähigem Zustand gemäss Art. 319 Abs. 1 lit. a StPO ein. Sie auferlegte X._________ gemäss Art. 426 Abs. 2 StPO Verfahrenskosten von Fr. 1'025.-- und richtete weder Entschädigung noch Genugtuung aus. 
 
X._________ erhob Beschwerde und beantragte, die Kostenauflage unter Kosten- und Entschädigungsfolgen aufzuheben. 
 
Das Obergericht des Kantons Aargau wies am 20. März 2017 die Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung vom 5. August 2016 ab und auferlegte X._________ die obergerichtlichen Verfahrenskosten von insgesamt Fr. 675.--. 
 
B.   
Die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach bestrafte X._________ am 15. August 2016 wegen mehrfachen Konsums von Cannabis mit einer Busse von Fr. 100.--. Sie ging davon aus, er habe letztmals am 16. Mai 2016 zwischen 23.00 - 00.00 Uhr einen Joint Marihuana konsumiert. X._________ erhob Einsprache. 
 
C.   
X._________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, den vorinstanzlichen Entscheid vom 20. März 2017 sowie Ziff. 2 der Einstellungsverfügung vom 5. August 2016 aufzuheben und die Verfahrenskosten der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Beschwerdegegenstand bildet die Anwendung von Art. 426 Abs. 2 StPO im Rahmen einer Einstellung gemäss Art. 319 Abs. 1 lit. a StPO
 
1.1. Gemäss Art. 426 Abs. 1 StPO trägt die beschuldigte Person die Verfahrenskosten, wenn sie verurteilt wird. E contrario trägt sie die Verfahrenskosten nicht, wenn sie nicht verurteilt wird, insbesondere jene nicht, die der Bund oder der Kanton durch unnötige oder fehlerhafte Verfahrenshandlungen verursacht hat (Art. 426 Abs. 3 lit. a StPO; vgl. Urteil 6B_1255/2016 vom 24. Mai 2017 E. 1.3).  
 
Eine Ausnahme normiert Art. 426 Abs. 2 StPO: Wird das Verfahren eingestellt [...], so können ihr die Verfahrenskosten auferlegt werden, wenn sie rechtswidrig und schuldhaft die Einleitung des Verfahrens bewirkt oder dessen Durchführung erschwert hat. 
 
1.2. Das Bundesgericht setzte im Grundsatzentscheid zur Kostenauflage bei Freispruch oder Einstellung des Strafverfahrens voraus, dass der Beschuldigte in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise gegen eine geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnorm klar verstossen und dadurch die Einleitung des Strafverfahrens veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat (BGE 116 Ia 162 E. 2d und 2e). Es hielt zudem fest, ein widerrechtliches Verhalten reiche nicht aus. Erforderlich sei zudem, dass es die  adäquate Ursache für die Einleitung oder Erschwerung des Strafverfahrens gewesen sei. Dabei sei zu betonen, dass eine Kostentragung nur in Frage komme, wenn sich die Behörde aufgrund des normwidrigen Verhaltens des Beschuldigten in Ausübung pflichtgemässen Ermessens zur Einleitung eines Strafverfahrens veranlasst sehen konnte. Jedenfalls falle eine Kostenauferlegung ausser Betracht, wenn die Behörde aus Übereifer, aufgrund unrichtiger Beurteilung der Rechtslage oder vorschnell eine Strafuntersuchung eingeleitet habe. Dies entspreche auch dem Grundsatz, dass der Überbindung von Verfahrenskosten an den Beschuldigten bei Freispruch oder Einstellung des Verfahrens  Ausnahmecharakter zukomme (BGE 116 Ia 162 E. 2c S. 170 f.). Es ist ferner verfassungswidrig, einem Beschuldigten wegen eines allein unter ethischen Gesichtspunkten vorwerfbaren Verhaltens Kosten zu überbinden (BGE 116 Ia 162 E. 2g). Zwischen dem "zivilrechtlich vorwerfbaren Verhalten" und den Verfahrenskosten muss ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen (Urteile 6B_1247/2015 vom 15. April 2016 E. 1.3, 6B_67/2016 vom 31. Oktober 2016 E. 1.1, 6B_1169/2015 vom 23. November 2016 E. 1.1; zur Adäquanz etwa BGE 142 IV 237 E. 1.5.2).  
 
1.3. Die Vorinstanz führt aus, ausweislich des Befundes des IRM sei erwiesen, dass der Beschwerdeführer Cannabis konsumiert habe, was gemäss Art. 19a BetmG verboten sei. In der erstellten Missachtung des Verbots liege unabhängig von einer strafrechtlichen Würdigung des Verhaltens als Fahren in fahrunfähigem Zustand ein widerrechtliches Verhalten. Es sei für ihn voraussehbar gewesen, dass dieses Verhalten im Falle einer Polizeikontrolle das eingeleitete Strafverfahren mit Kostenfolgen nach sich habe ziehen müssen. Er habe die Kosten unzweifelhaft leichtfertig verursacht und dafür einzustehen.  
 
Die Polizei dürfe keine anlassfreie Drogenkontrolle durchführen. Bestünden Hinweise, dass eine kontrollierte Person wegen einer anderen Substanz als Alkohol fahrunfähig sei, so könne die Polizei zum Nachweis von Betäubungs- oder Arzneimitteln namentlich im Urin, Speichel oder Schweiss Vortests durchführen (Art. 10 Abs. 2 Strassenverkehrskontrollverordnung [SKV; SR 741.013]). 
 
Die Polizei habe beim Beschwerdeführer gerötete Augen, Augenlidflattern sowie einen schwankenden Stand festgestellt. Demnach hätten äussere Anzeichen für einen Konsum von Betäubungsmitteln vorgelegen, womit die Polizei berechtigt gewesen sei, einen Drogentest durchzuführen. Mit dem positiven Test seien weitere Untersuchungen angezeigt gewesen, namentlich die Anordnung einer Blut- und Urinprobe. Im Blut sei das inaktive Abbauprodukt THC-Carbonsäure (THC-COOH) nachgewiesen worden. Damit sei keine Fahrunfähigkeit im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Verkehrsregelnverordnung (VRV) vorgelegen, weshalb das Verfahren zu Recht eingestellt worden sei. 
 
Das ändere aber nichts am positiven Testergebnis. Die Einleitung einer Strafuntersuchung sei unumgänglich gewesen. Der Beschwerdeführer habe durch sein widerrechtliches Verhalten dazu unmittelbar Anlass gegeben und das Verfahren adäquat-kausal verursacht. Daran vermöge eine allfällige Unverwertbarkeit der aus der Blutprobe gewonnenen Erkenntnisse nichts zu ändern, da er zugegeben habe, eineinhalb Tage vor der Verkehrskontrolle einen Joint Cannabis geraucht zu haben. Die Blutprobe habe einzig nachgewiesen, dass er nicht wegen Fahrens unter Drogeneinfluss strafbar sei. 
 
1.4. Der Beschwerdeführer bringt vor, die Polizei wolle bei der Kontrolle eine weitere Beeinträchtigung festgestellt haben. Damit habe sie und später die Staatsanwaltschaft einen neuen Tatverdacht gehegt, nämlich das Fahren in fahrunfähigem Zustand sowie allenfalls einen weiteren Betäubungsmittelkonsum. Das habe sich nicht erhärtet und sei durch die Blutuntersuchung vollends widerlegt worden. Nach der Vorinstanz ändere diese Entlastung nichts am rechtswidrigen Verhalten und der dadurch eingeleiteten Strafuntersuchung. Damit werfe sie ihm indirekt ein strafbares Verhalten vor. 32 Stunden nach dem Konsum, als die Wirkung längst verflogen gewesen sei, habe er nicht damit rechnen müssen, dass ein Strafverfahren wegen Fahrens in fahrunfähigem Zustand eingeleitet werden würde.  
 
Die Blutentnahme sei eine Zwangsmassnahme. Zwangsmassnahmen müssten durch die Staatsanwaltschaft angeordnet werden. Es bestehe keine gesetzliche Delegation an die Polizei. Eine schriftliche Anordnung durch die Staatsanwaltschaft liege nicht vor. 
 
1.5. Der Beschwerdeführer unterschrieb das Formular "Abnahme Blut- Urinprobe" am 18. Mai 2016, 08.05 Uhr, in der Rubrik "Einverständiserklärung". Die Anordnung wurde vom Polizeibeamten gezeichnet. Die Rubrik "Gestützt auf die Anordnung der Staatsanwaltschaft (Einzelverfügung) " blieb leer (kantonale Akten, act. 18).  
 
Gemäss Art. 12a SKV (in der Änderung vom 1. Juli 2015) ist eine Blutprobe anzuordnen, wenn Anzeichen von Fahrunfähigkeit oder Hinweise auf Fahrunfähigkeit vorliegen, die nicht oder nicht allein auf Alkoholeinfluss zurückzuführen sind; zusätzlich kann die Sicherstellung von Urin angeordnet werden. Diese Bestimmung enthält anders als Art. 10 SKV keine Anordnungskompetenz der Polizei. 
 
Da die Vorinstanz eine polizeiliche Kompetenz im Sinne von Art. 198 Abs. 2 StPO nicht annimmt, war bundesrechtlich einzig die Staatsanwaltschaft zur Anordnung der Blutprobe zuständig (Art. 198 Abs. 1 lit. a StPO), wovon aufgrund der ersatzlosen Streichung von Art. 55 Abs. 5 SVG ohnehin auszugehen ist (Urteil 6B_996/2016 vom 11. April 2017 E. 3.3 und 3.4 mit Hinweis auf die Literatur). 
 
Die Anordnung der Blutprobe ist folglich nicht verwertbar. Dem Beschwerdeführer entstand insoweit kein Rechtsnachteil, als sie ihn vom Tatverdacht (Fahren in fahrunfähigem Zustand) entlastete. Die Vorinstanz nimmt dies an, begründet die Kostenauflage aber mit einem widerrechtlichen Verhalten, nämlich dem erklärten Drogenkonsum. Der Beschwerdeführer bestritt bei der Polizeikontrolle einen fahrunfähigen Zustand. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gemäss Art. 319 Abs. 1 lit. a StPO ein, "weil kein Tatverdacht erhärtet ist, der eine Anklage rechtfertigt". 
 
1.6. Der Beschwerdeführer hatte an der Verkehrskontrolle erklärt, am 16./17. Mai 2016, 23.00 - 00.00 Uhr, "1 Marihuana-Joint" geraucht zu haben (Protokoll bei Verdacht auf Drogenkonsum, act. 23). Die Polizei hegte angesichts des Vortests (Art. 10 Abs. 2 SKV) den Tatverdacht (vgl. Urteil 6B_109/2016 vom 12. Oktober 2016 E. 4.2) und zog eine Blutprobe in Betracht. Sie ordnete diese gesetzwidrig in eigener Kompetenz an. Die Unterzeichnung der "Einverständniserklärung" ändert daran nichts. Er hatte sich kooperativ verhalten. Verfahrensgegenstand war einzig der Verdacht auf Fahrunfähigkeit wegen Betäubungsmittelkonsums.  
 
Somit hatte der Beschwerdeführer die Einleitung des Strafverfahrens (wegen Fahrunfähigkeit) entgegen der Vorinstanz nicht "widerrechtlich", d.h. rechtswidrig und schuldhaft adäquat-kausal im Sinne von Art. 426 Abs. 2 StPO bewirkt. Die Verfahrenskosten können ihm nicht auferlegt werden. Im "Normalfall" der Verfahrenseinstellung werden keine Verfahrenskosten auferlegt (BGE 143 IV 91 E. 1.5). 
 
1.7. Der Beschwerdeführer wendet zutreffend ein, der an der Polizeikontrolle vom 18. Mai 2016 erklärte Cannabiskonsum sei gesondert vom vorliegenden Verfahren zu betrachten. Der Drogenkonsum wurde denn auch bereits mit Strafbefehl geahndet (vgl. oben Bst. B).  
 
2.   
Beschwerdegegenstand ist der angefochtene Entscheid (Art. 80 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer begründet nicht, weshalb die Einstellungsverfügung eigens bundesgerichtlich aufzuheben wäre. Auf das Rechtsbegehren (oben Bst. C) ist nicht einzutreten. 
 
3.   
Die Sache ist nicht zwecks Abklärung einer allfälligen kantonalrechtlichen polizeilichen Anordnungskompetenz zur Blutprobe zurückzuweisen (anders Urteil 6B_996/2016 vom 11. April 2017 E. 3.5). Sodann handelt es sich in casu um die Beurteilung einer Rechtsfrage auf der Grundlage eines abschliessend geklärten Sachverhalts. Eine andere Sachentscheidung wäre mit Art. 391 Abs. 2 StPO ohnehin nicht vereinbar. Es kann auf eine Vernehmlassung verzichtet werden (vgl. Urteile 6B_996/2016 vom 11. April 2017 E. 3.5, 6B_259/2016 vom 21. März 2017 E. 11, 6B_496/2015 vom 6. April 2016 E. 2.4.2). 
 
 
4.   
Die Beschwerde ist gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann, der Entscheid aufzuheben und die Sache zur Beurteilung der Kosten- und Entschädigungsfolgen zurückzuweisen. Es sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Aargau hat den Beschwerdeführer zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, der Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau vom 20. März 2017 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.   
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3.   
Der Kanton Aargau hat dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- auszurichten. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 11. September 2017 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Briw