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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
4A_104/2018  
 
 
Urteil vom 12. Juni 2018  
 
I. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Kiss, Präsidentin, 
Bundesrichterinnen Hohl, Niquille, 
Gerichtsschreiber Brugger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. André Largier, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
B.________ AG, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Versicherungsvertrag, Anzeigepflichtverletzung, Frist nach Art. 6 Abs. 2 VVG 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich, I. Kammer, vom 22. Dezember 2017 (KK.2016.00018). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die B.________ AG (Beklagte, Beschwerdegegnerin) unterbreitete A.________ (Klägerin, Beschwerdeführerin) im November 2014 eine Offerte zum Abschluss eines Krankenversicherungsvertrags ab 1. Januar 2015, beinhaltend einerseits die obligatorische Grundversicherung und andererseits verschiedene Zusatzversicherungen. Am 11. November 2014 bestätigte die Klägerin unterschriftlich, die Offerte annehmen zu wollen und beantwortete im als Formular ausgestalteten Versicherungsantrag verschiedene Fragen. 
Am 28. November 2014 teilte die Beklagte der Klägerin zunächst mit, sie lehne die Aufnahme in die Zusatzversicherung ab. Am 2. Dezember 2014 stellte sie der Klägerin aber dennoch die Police (gültig ab 1. Januar 2015) für die Grundversicherung und die Zusatzversicherungen zu. 
Am 18. August 2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie habe festgestellt, dass die Zusatzversicherungen zu Unrecht aktiviert worden seien. Diesen Fehler korrigiere sie und annulliere die Zusatzversicherungen rückwirkend per 1. Januar 2015, unter Rückerstattung der geleisteten Prämien und Rückforderung der erbrachten Leistungen. Dagegen opponierte die Klägerin. Die Beklagte hielt an ihrem Entscheid fest. Am 15. Oktober 2015 erklärte sie ergänzend den Rücktritt vom Vertrag, weil die Klägerin beim Vertragsabschluss ihre Anzeigepflicht verletzt habe. 
 
B.  
Am 5. April 2016 klagte die Klägerin beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich gegen die B.________ Gesundheitsorganisation und begehrte deren Verpflichtung, sie weiterhin rückwirkend ab 1. Januar 2015 durch die Zusatzversicherungen wie in der Police vom 2. Dezember 2014 umschrieben zu versichern und rückwirkend sowie weiterhin die vertraglichen Leistungen zu erbringen. Die Beklagte beantragte Klageabweisung, eventualiter Auflösung der Zusatzversicherungen per 18. August 2015. Gemäss übereinstimmenden Parteianträgen wurde anstelle der ins Recht gefassten B.________ Gesundheitsorganisation die B.________ AG als Beklagte aufgeführt. 
Mit Urteil vom 22. Dezember 2017 wies das Sozialversicherungsgericht die Klage ab, soweit es auf sie eintrat. 
Es hielt eine Anzeigepflichtverletzung beim Vertragsabschluss für erstellt. Die Klägerin habe im Antragsformular die Frage nach der Ablehnung bisheriger Versicherungsanträge wahrheitswidrig verneint. Sodann habe die Beklagte die Kündigung des Versicherungsvertrags am 15. Oktober 2015 rechtzeitig erklärt, was zur Vertragsauflösung ex nunc führe. Insoweit wies es die Klage ab. Soweit die Klägerin rückwirkend die Abrechnung und Auszahlung von Leistungen forderte, trat es zufolge Unbestimmtheit der Rechtsbegehren nicht auf die Klage ein. 
 
C.  
Die Beschwerdeführerin beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in Zivilsachen, die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, die Beschwerdeführerin weiterhin durch die Zusatzversicherungen wie in der Police vom 2. Dezember 2014 umschrieben zu versichern und ihr rückwirkend ab 1. Januar 2015 sowie weiterhin die vertraglichen Leistungen abzurechnen und auszuzahlen. 
Ausserdem beantragt sie für das bundesgerichtliche Verfahren die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege. 
Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Das angefochtene Urteil hat Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung zum Gegenstand. Derartige Zusatzversicherungen unterstehen gemäss Art. 2 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 26. September 2014 betreffend die Aufsicht über die soziale Krankenversicherung (KVAG; SR 832.12) dem Bundesgesetz vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag (VVG; SR 221.229.1). Streitigkeiten aus solchen Versicherungen sind privatrechtlicher Natur, weshalb als Rechtsmittel an das Bundesgericht die Beschwerde in Zivilsachen gemäss Art. 72 ff. BGG in Betracht kommt (BGE 138 III 2 E. 1.1 S. 3; 133 III 439 E. 2.1 S. 441 f.).  
Die Beschwerde richtet sich gegen einen verfahrensabschliessenden Entscheid (Art. 90 BGG) einer oberen kantonalen Gerichtsinstanz, die als einzige kantonale Instanz im Sinne von Art. 7 ZPO in Verbindung mit Art. 75 Abs. 2 lit. a BGG entschieden hat. Die Beschwerde ist in diesem Fall streitwertunabhängig zulässig (Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG; BGE 138 III 2 E. 1.2.2 S. 5, 799 E. 1.1 S. 800). Schliesslich ist auch die Beschwerdefrist eingehalten (Art. 100 Abs. 1 BGG), weshalb auf die Beschwerde - unter Vorbehalt von E. 1.2 hiernach sowie einer genügenden Begründung (Art. 42 Abs. 2 BGG) - einzutreten ist. 
 
1.2. Was den Antrag der Beschwerdeführerin betrifft, ihr seien "rückwirkend ab 1. Januar 2015 sowie weiterhin die vertraglichen Leistungen abzurechnen und auszuzahlen", ist folgendes zu beachten: Wird die Bezahlung eines Geldbetrages verlangt, so ist dieser gemäss Art. 84 Abs. 2 ZPO zu beziffern. Dabei handelt es sich um eine allgemeine Prozessvoraussetzung (BGE 142 III 102 E. 3 S. 104). Zu Recht trat die Vorinstanz auf das unbestimmte, nicht bezifferte Begehren nicht ein. Das nämliche Begehren ist auch vor Bundesgericht unzulässig.  
 
2.  
 
2.1. Hat der Anzeigepflichtige beim Abschluss der Versicherung eine erhebliche Gefahrstatsache, die er kannte oder kennen musste und über die er schriftlich befragt worden ist, unrichtig mitgeteilt oder verschwiegen, so ist der Versicherer berechtigt, den Vertrag durch schriftliche Erklärung zu kündigen (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VVG). Das Kündigungsrecht erlischt vier Wochen, nachdem der Versicherer von der Verletzung der Anzeigepflicht Kenntnis erhalten hat (Art. 6 Abs. 2 VVG).  
Bei der Kündigungsfrist nach Art. 6 Abs. 2 VVG handelt es sich um eine Verwirkungsfrist, deren Einhaltung der Versicherer zu beweisen hat (BGE 118 II 333 E. 3 S. 338; Urteil 4A_150/2015 vom 29. Oktober 2015 E. 6.3 und E. 6.6). Sie beginnt erst zu laufen, wenn der Versicherer zuverlässige Kunde von den Tatsachen erhält, aus denen sich der sichere Schluss auf eine Verletzung der Anzeigepflicht ziehen lässt; blosse Vermutungen, die zu grösserer oder geringerer Wahrscheinlichkeit drängen, dass die Anzeigepflicht verletzt ist, genügen nicht (BGE 130 V 9 E. 2.1 S. 12; 119 V 283 E. 5a; Urteile 4A_294/2014 vom 30. Oktober 2014 E. 4; 4A_112/2013 vom 20. August 2013 E. 2.1). Der Versicherer muss vollständig über alle Punkte orientiert sein, welche die Verletzung der Anzeigepflicht betreffen, d.h. er muss darüber sichere, zweifelsfreie Kenntnis erlangt haben (BGE 118 II 333 E. 3a S. 340; Urteil 9C_768/2016 vom 15. März 2017 E. 5.2). Eine juristische Person verfügt über rechtlich relevante Kenntnis eines Sachverhalts, wenn das betreffende Wissen innerhalb ihrer Organisation abrufbar ist (Urteile 4A_294/2014 vom 30. Oktober 2014 E. 4; 9C_199/2008 vom 19. November 2008 E. 4.1). 
 
2.2. Vorliegend ist einzig streitig, ob die Beschwerdegegnerin rechtzeitig innert der vierwöchigen Frist nach Art. 6 Abs. 2 VVG gekündigt hat.  
 
2.3. Die Vorinstanz bejahte dies. Sie hielt dazu fest, die Beschwerdegegnerin habe am 15. September 2015 telefonisch von der C.________ erfahren, dass diese einen Antrag auf Höherversicherung abgelehnt habe. Nach der telefonischen Auskunft der C.________ vom 15. September 2015 habe die Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 17. September 2015 um eine schriftliche Bestätigung der Ablehnung betreffend Höherversicherung gebeten und auf die im Versicherungsantrag erteilte Einverständniserklärung und Entbindung von der Schweigepflicht hingewiesen. Daraufhin habe die C.________ mit Schreiben vom 30. September 2015 bestätigt, den Antrag der Beschwerdeführerin auf Aufnahme in die Zusatzversicherung abgelehnt zu haben. Die Vorinstanz hielt dafür, es sei der Beschwerdegegnerin nicht vorzuwerfen, dass sie zwecks Nachweises der Anzeigepflichtverletzung zunächst die schriftliche Bestätigung der C.________ abgewartet habe. Erst diese habe ihr die zuverlässige Bestätigung der Anzeigepflichtverletzung vermittelt. Die Kündigung vom 26. Oktober 2015 sei innert vier Wochen seit der schriftlichen Bestätigung der C.________ vom 30. September 2015 und damit rechtzeitig erfolgt.  
 
2.4. Die Beschwerdeführerin will demgegenüber für den fristauslösenden Zeitpunkt auf die telefonische Auskunft der C.________ vom 15. September 2015 abstellen. Bereits dann habe die Beschwerdegegnerin Kenntnis von der Anzeigepflichtverletzung genommen, nicht erst mit der schriftlichen Bestätigung.  
 
2.5. Dem ist nicht zu folgen. Vielmehr ist der Vorinstanz im Lichte der zitierten Rechtsprechung (E. 2.1) beizupflichten, dass die Beschwerdegegnerin erst mit der schriftlichen Erklärung der C.________ vom 30. September 2015 über sichere und zuverlässige Kenntnis von der Anzeigepflichtverletzung verfügte. Dass die blosse telefonische Auskunft bereits die notwendige sichere Kenntnis vermittelt hätte, lässt sich auch aus den von der Beschwerdeführerin zitierten Entscheiden nicht ableiten. Im Gegenteil: Der Versicherer muss mit Urkunden oder anderen Beweismitteln den Zeitpunkt beweisen, an dem er von der Anzeigepflichtverletzung Kenntnis erlangt hat (Urteil 4A_150/2015 vom 29. Oktober 2015 E. 6.6). Vorliegend gab die C.________ erst aufgrund des Schreibens der Beschwerdegegnerin vom 17. September 2015 mit Hinweis auf die im Versicherungsantrag erteilte Einverständniserklärung und Entbindung von der Schweigepflicht eine als Beweis verwertbare schriftliche Bestätigung ab. Darauf durfte die Beschwerdegegnerin warten. Sie konnte erst mit Erhalt der schriftlichen Bestätigung vom 30. September 2015 den sicheren Schluss ziehen, dass eine Anzeigepflichtverletzung vorlag und erlangte mithin erst dann davon Kenntnis im Sinne von Art. 6 Abs. 2 VVG.  
 
3.  
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Da sie von vornherein als aussichtslos erschien, kann dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren nicht entsprochen werden (Art. 64Abs. 1 und 2 BGG). Die Gerichtskosten sind somit der unterliegenden Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Da keine Vernehmlassung eingeholt worden ist und der Beschwerdegegnerin somit keine Kosten erwachsen sind, entfällt die Zusprechung einer Parteientschädigung. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, I. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 12. Juni 2018 
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Kiss 
 
Der Gerichtsschreiber: Brugger