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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_480/2018  
 
 
Urteil vom 13. September 2019  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, 
Bundesrichter Rüedi, 
Gerichtsschreiber Matt. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Patrick Götze, 
Badenerstrasse 21, 8004 Zürich, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Betrug, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts 
des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, 
vom 15. März 2018 (SST.2017.211 / BB). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau wirft X.________ vor, am 16. März 2011 in unrechtmässiger Bereicherungsabsicht einen Privatkredit von Fr. 60'000.-- erhältlich gemacht zu haben, indem er im Kreditantrag wahrheitswidrig angegeben habe, monatlich Fr. 8'806.40 zu verdienen. Er habe eine falsche Lohnabrechnung erstellt und einmal die angebliche Lohnsumme auf sein Konto überwiesen. Am 23. Mai 2017 sprach die Präsidentin des Bezirksgerichts Aarau X.________ vom Vorwurf des Betrugs frei. Das von der Staatsanwaltschaft angerufene Obergericht des Kantons Aargau befand ihn hingegen am 15. März 2018 für schuldig und verurteilte ihn zu 115 Tagessätzen Geldstrafe bedingt sowie zu Fr. 600.-- Busse. 
 
B.   
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, er sei freizusprechen. Der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege. Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft verzichten auf eine Stellungnahme. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Der Beschwerdeführer bestreitet den Anklagesachverhalt nicht. Er macht aber geltend, der Tatbestand des Betrugs sei nicht erfüllt. Weder habe sich die Bank in einem Irrtum über seine künftigen Einkommensverhältnisse befunden, noch habe er hierüber arglistig getäuscht. Auch eine relevante Vermögensgefährdung habe zum Zeitpunkt der Kreditaufnahme nicht bestanden. 
 
1.1. Gemäss Art. 146 Abs. 1 StGB macht sich des Betrugs schuldig, wer in der Absicht, sich oder einen andern unrechtmässig zu bereichern, jemanden durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen arglistig irreführt oder ihn in einem Irrtum arglistig bestärkt und so den Irrenden zu einem Verhalten bestimmt, wodurch dieser sich selbst oder einen andern am Vermögen schädigt.  
 
1.1.1. Angriffsmittel des Betrugs ist die Täuschung. Als solche gilt jedes Verhalten, das darauf gerichtet ist, bei einem anderen eine von der Wirklichkeit abweichende Vorstellung hervorzurufen. Die Täuschung ist eine unrichtige Erklärung über Tatsachen, mit der auf die Vorstellung eines anderen eingewirkt wird (BGE 135 IV 76 E. 5.1).  
Der Tatbestand erfordert darüber hinaus Arglist. Diese liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn der Täter mit einer gewissen Raffinesse oder Durchtriebenheit täuscht, mithin, wenn er ein ganzes Lügengebäude errichtet oder sich besonderer Machenschaften oder Kniffe bedient. Bei einfachen falschen Angaben ist das Merkmal erfüllt, wenn deren Überprüfung nicht oder nur mit besonderer Mühe möglich oder nicht zumutbar ist, sowie dann, wenn der Täter den Getäuschten von der möglichen Überprüfung abhält oder nach den Umständen voraussieht, dass dieser die Überprüfung der Angaben aufgrund eines besonderen Vertrauensverhältnisses unterlassen werde. Die Vorspiegelung des Leistungswillens ist grundsätzlich arglistig, weil sie eine innere Tatsache betrifft, die vom Vertragspartner ihrem Wesen nach nicht direkt überprüft werden kann. Dies gilt aber dann nicht, wenn die Behauptung des Erfüllungswillens mittels Nachforschungen über die Erfüllungsfähigkeit überprüfbar ist und sich aus der möglichen und zumutbaren Prüfung ergeben hätte, dass der andere zur Erfüllung nicht fähig ist. Eine mit gefälschten oder verfälschten Urkunden verübte Täuschung ist dem Grundsatz nach ebenfalls arglistig, da im geschäftlichen Verkehr in aller Regel auf die Echtheit von Urkunden vertraut werden darf. Man muss sich im Rechtsverkehr auf Urkunden verlassen können (BGE 133 IV 256 E. 4.4.3). Anders kann es sich verhalten, wenn die vorgelegten Urkunden ernsthafte Anzeichen für Unechtheit aufweisen. Wesentlich ist, ob die Täuschung unter Einbezug der dem Opfer nach Wissen des Täters zur Verfügung stehenden Möglichkeiten des Selbstschutzes als nicht oder nur erschwert durchschaubar erscheint (BGE 135 IV 76 E. 5.2; 118 IV 359 E. 2; Urteil 6B_112/2018 vom 4. März 2019 E. 5.2). 
Allgemein scheidet Arglist aus, wenn der Getäuschte den Irrtum mit einem Mindestmass an Aufmerksamkeit hätte vermeiden können. Dabei sind die jeweilige Lage und die Schutzbedürftigkeit des Betroffenen im Einzelfall entscheidend. Rücksicht zu nehmen ist namentlich auf geistesschwache, unerfahrene oder aufgrund von Alter oder Krankheit beeinträchtigte Opfer oder auf solche, die sich in einem Abhängigkeits- oder Unterordnungsverhältnis oder in einer Notlage befinden und deshalb kaum imstande sind, dem Täter zu misstrauen. Auf der anderen Seite sind besondere Fachkenntnis und Geschäftserfahrung des Opfers in Rechnung zu stellen, wie sie etwa im Rahmen von Kreditvergaben Banken beigemessen wird. Auch unter dem Gesichtspunkt der Opfermitverantwortung erfordert die Erfüllung des Tatbestands indes nicht, dass das Täuschungsopfer die grösstmögliche Sorgfalt walten lässt und alle erdenklichen Vorkehrungen trifft. Arglist ist lediglich zu verneinen, wenn es die grundlegendsten Vorsichtsmassnahmen nicht beachtet. Entsprechend entfällt der strafrechtliche Schutz nicht bei jeder Fahrlässigkeit des Getäuschten, sondern nur bei Leichtfertigkeit, welche das betrügerische Verhalten des Täters in den Hintergrund treten lässt. Die zum Ausschluss der Strafbarkeit des Täuschenden führende Opfermitverantwortung kann nur in Ausnahmefällen bejaht werden, denn mit einer engen Auslegung des Betrugstatbestands würde die sozialadäquate Geschäftsausübung und damit der Regelfall des Geschäftsalltags betrugsrechtlich nicht geschützt. Selbst ein erhebliches Mass an Naivität des Geschädigten hat nicht zwingend zur Folge, dass der Täter straflos bleibt. Anwendungsfälle nicht arglistiger Täuschungen betreffen in der bisherigen Rechtsprechung insbesondere Banken und sonst im Geldanlagengeschäft berufsmässig tätige Personen als potenzielle Opfer. Bejaht wird Arglist demgegenüber bei Ausnutzung des gierig-vertrauensselig-unseriösen Gewinnstrebens gewöhnlicher Leute (BGE 142 IV 153 E. 2.2.2; 135 IV 76 E. 5.2; Urteile 6B_977/2018 vom 27. Dezember 2018 E. 1.1; 6B_1323/2017 vom 16. März 2018 E. 1.1; je mit Hinweisen). 
 
1.1.2. Der Tatbestand des Betrugs setzt eine irrtumsbedingte Vermögensverfügung des Getäuschten voraus, wodurch dieser sich selbst bzw. das seiner tatsächlichen Verfügung unterliegende Vermögen eines Dritten unmittelbar schädigt. Zwischen Täuschung, Irrtum und Vermögensdisposition muss ein Motivationszusammenhang bestehen (BGE 128 IV 255 E. 2e/aa; 126 IV 113 E. 3a). Ein Vermögensschaden liegt vor, wenn das Vermögen des Täuschungsopfers nach Vornahme der irrtumsbedingten Vermögensverfügung in seinem Gesamtwert verringert ist. Der Schaden als Vermögensnachteil muss der Bereicherung als Vermögensvorteil entsprechen (BGE 134 IV 210 E. 5.3). Ein Kreditbetrug besteht darin, dass der Borger beim Abschluss des Darlehensvertrages über seine Kreditwürdigkeit und damit über die Sicherheit der Forderung oder über seinen Rückzahlungswillen täuscht. Werden dem Kreditgeber nicht vorhandene Sicherheiten vorgetäuscht, ist das ganz oder teilweise ungesicherte Darlehen weniger wert als er meint. Der Vermögensschaden ist in solchen Fällen nicht erst bei einem definitiven Ausfall der Forderung gegeben; er tritt bereits dann ein, wenn eine qualifizierte Vermögensgefährdung (sog. Gefährdungsschaden) vorliegt. Freilich ist Betrug ein Verletzungs- und nicht ein Gefährdungsdelikt (Urteil 6B_112/2018 vom 4. März 2019 E. 6.2.2; MAEDER/NIGGLI, Basler Kommentar, Strafrecht II, 4. Aufl. 2019, N 186 zu Art. 146 StGB). Ein Gefährdungsschaden darf deshalb nicht leichthin angenommen werden. Das Vermögen muss in einem Masse gefährdet sein, dass es in seinem wirtschaftlichen Wert vermindert ist. Dies trifft nach ständiger Rechtsprechung zu, wenn der Gefährdung im Rahmen einer sorgfältigen Bilanzierung durch Wertberichtigung oder Rückstellung Rechnung getragen werden muss, weil ein objektivierbares Ausfallrisiko besteht (vgl. insbesondere zur Notwendigkeit einer Objektivierung der subjektiven Wertbestimmung: STEFAN MAEDER, Gefährdung - Schaden - Vermögen: Zum sogenannten Schaden durch Vermögensgefährdung im Strafrecht, 2017, Rz. 484 ff.; kritisch gegenüber dem Abstellen auf das Rechnungslegungsrecht als Bewertungselement MAEDER/NIGGLI, a.a.O., N 189 ff. zu Art. 146 StGB; STEFAN MAEDER, a.a.O., Rz. 740 ff.). Die erhebliche Unsicherheit über die Einbringlichkeit des gewährten Darlehens bedeutet mit anderen Worten nicht nur eine Gefährdung des Vermögens in der Höhe des Darlehensbetrages, sondern gleichzeitig auch einen Schaden in der Höhe eines Teilbetrages desselben (BGE 142 IV 346 E. 3.2; 129 IV 124 E. 3.1; 122 IV 279 E. 2a; 102 IV 84 E. 4;).  
Massgebend für den Zeitpunkt der Schädigung - und die Vollendung des Betrugs - ist das Verpflichtungsgeschäft. Bereits ab diesem Moment hätte die Darlehensforderung bedeutend leichter und besser an einen Dritten abgetreten werden können, wären die Angaben wahr gewesen. Eine vorübergehende Schädigung genügt. Späterer Ersatz schliesst Betrug mithin nicht aus; selbst eine vertragsgemässe Rückzahlung kann die schon beim Vertragsabschluss eingetretene Vermögensverminderung nicht ungeschehen machen (BGE 123 IV 17 E. 3d; 122 II 422 E. 3b/aa; 120 IV 122 E. 6b/bb; 102 IV 84 E. 4; Urteile 6B_150/2017 vom 11. Januar 2018 E. 3.3, nicht publ. in BGE 144 IV 52; 6B_462/2014 vom 27. August 2015 E. 8.1.2, nicht publ. in BGE 141 IV 369; zum Ganzen: Urteil 6B_112/2018 vom 4. März 2019 E. 6.2.2). 
 
1.2. Die Vorinstanz hält dem Beschwerdeführer zugute, dass er in den Monaten Januar bis März 2011 jeweils durchschnittlich Fr. 8'708.50 für private Zwecke als Lohn aus der Gesellschaft bezogen habe. Dies, wie sie selber ausführt, obwohl das Geschäftskonto bereits im Dezember 2010 einen Negativsaldo von beinahe Fr. 11'000.-- und Ende Februar 2011 einen solchen von mehr als Fr. 8'500.-- aufwies. Im März 2011 habe der Beschwerdeführer den Rest des aufgenommenen Kredits, total Fr. 41'000.--, zur Schuldentilgung der Gesellschaft verwendet (Fr. 15'000.--) bzw. für sich selbst - offensichtlich als Lohn - bezogen (Fr. 19'000.--). Dies deckt sich im Wesentlichen mit seinen Angaben, wonach er den Kredit als Überbrückung aufgenommen habe um grosse Debitorenverluste abzufangen. Zwar konnte sich der Beschwerdeführer somit im März 2011 faktisch nur aufgrund der Kreditaufnahme einen Lohn ausrichten. Daraus kann jedoch - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - nicht geschlossen werden, dass er zu diesem Zeitpunkt klarerweise nicht willens oder fähig gewesen wäre, den Kredit in 60 monatlichen Raten zurückzubezahlen. Auch hat er die Bank weder über seine damaligen Einkommensverhältnisse noch über das - unbefristete - Arbeitsverhältnis getäuscht, zumal er, wie die Vorinstanz willkürfrei annimmt, tatsächlich während drei Monaten einen dem deklarierten Betrag entsprechenden Lohn bezogen hat. Ebenso wenig kann unter diesen Umständen von einem ganzen Lügengebäude gesprochen werden, weil der Beschwerdeführer einmalig eine Lohnabrechnung erstellt hat, anstatt wie üblich den Lohn nach Bedarf vom Geschäftskonto zu beziehen. So gingen denn auch offensichtlich weder die Staatsanwaltschaft noch die Vorinstanz insoweit von einer Urkundenfälschung aus. Wie der Beschwerdeführer schliesslich zu Recht rügt, kann ihm trotz der schon damals schwierigen Finanzlage der Gesellschaft nicht vorgeworfen werden, den Kredit in Bereicherungsabsicht oder vorsätzlich zum Schaden der Bank aufgenommen zu haben (zum subjektiven Tatbestand vgl. Urteile 6B_150/2017 vom 11. Januar 2018 E. 3.3, nicht publ. in BGE 144 IV 52; 6B_1323/2017 vom 16. März 2018 E. 1.1). Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass er insgesamt neun Raten ordnungsgemäss geleistet hat. Die Ausführungen der Vorinstanz legen vielmehr nahe, dass der Beschwerdeführer tatsächlich, wenn auch letztlich erfolglos versuchte, die Firma mit dem Kredit über Wasser zu halten. Im Übrigen ist ihm zuzustimmen, dass die Kreditgeberin den teilweisen Zahlungsausfall ihrer eigenen Unvorsichtigkeit zuzuschreiben hat. Dass sie lediglich eine einzige Lohnabrechnung sowie einen Kontoauszug verlangt und keine weiteren Abklärungen zur Bonität des Schuldners getroffen hat, muss für eine auf die Vergabe von Kleinkrediten spezialisierte Bank als fahrlässig bezeichnet werden. Der Eintritt eines kalkulierten, der Kreditvergabe immanenten (und mit 10% Zins vergüteten) Risikos verdient unter diesen Umständen keinen strafrechtlichen Schutz.  
 
2.   
Die Beschwerde ist gutzuheissen und der Beschwerdeführer ist vom Vorwurf des Betrugs freizusprechen. Im Übrigen ist die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Ausgangsgemäss sind keine Verfahrenskosten zu erheben und hat der Beschwerdeführer zulasten des Kantons Aargau Anspruch auf eine angemessene Parteientschädigung. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist als gegenstandslos abzuschreiben (Art. 64, 66 Abs. 1 und 4, 68 Abs. 1 und 2 BGG). Gleiches gilt mit Ergehen des vorliegenden Urteils für das Gesuch um aufschiebende Wirkung der Beschwerde. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 15. März 2018 wird aufgehoben und der Beschwerdeführer vom Vorwurf des Betrugs freigesprochen. Im Übrigen wird die Sache an das Obergericht zurückgewiesen. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Der Kanton Aargau bezahlt an den Rechtsanwalt des Beschwerdeführers für das bundesgerichtliche Verfahren Fr. 3'000.-- Parteientschädigung. 
 
4.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird als gegenstandslos abgeschrieben. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 13. September 2019 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Matt