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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
9C_170/2021  
 
 
Urteil vom 14. April 2021  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, Bundesrichterin Glanzmann, 
Gerichtsschreiber Nabold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Krankenkasse SLKK, Hofwiesenstrasse 370, 8050 Zürich, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Eva Druey Just, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Krankenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Obwalden vom 12. Februar 2021 (VB 20/037/ABO). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1938 geborene A.________ leidet an einem Tumor im lymphatischen System (Non-Hodgkin Lymphom; Erstdiagnose: Oktober 2018). Durch eine Chemotherapie konnte im März 2019 eine komplette metabolische Remission erreicht werden; allerdings wurde im Mai 2020 erneut ein Tumor festgestellt. In der Folge wurde die Chemotherapie wiederaufgenommen. Am 27. Mai 2020 stellte das Onkologieteam des Spitals B.________ ein Kostengutsprachegesuch zur Durchführung einer CAR-T-Zelltherapie unter Verwendung des Wirkstoffes "Tisagenlecleucel"; die Krankenkasse SLKK lehnte dieses Gesuch mit Verfügung vom 11. September 2020 und Einspracheentscheid vom 27. November 2020 ab, da diese Behandlung die "WZW-Kriterien" nicht erfülle. 
 
B.   
Die von A.________ hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Obwalden mit Entscheid vom 12. Februar 2021 gut und verpflichtete die Krankenkasse SLKK unter Aufhebung des Einspracheentscheides vom 27. November 2020, die Kosten für die CAR-T-Zelltherapie des Beschwerdeführers im Spital B.________ zu übernehmen und ohne weitere Verzögerung eine entsprechende Kostengutsprache zu erteilen. 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die Krankenkasse SLKK, es sei unter Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides ihr Einspracheentscheid vom 27. November 2020 und damit die Ablehnung einer Kostenübernahme für die CAR-T-Zelltherapie zu bestätigen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 134 V 250 E. 1.2 S. 252 mit Hinweisen; BGE 133 III 545 E. 2.2 S. 550; BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).  
 
1.2. Das Bundesgericht kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG).  
Die beschwerdeführende Partei, welche die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz anfechten will, muss substanziiert darlegen, inwiefern die Voraussetzungen einer Ausnahme gemäss Art. 105 Abs. 2 BGG gegeben sind und das Verfahren bei rechtskonformer Ermittlung des Sachverhalts anders ausgegangen wäre; andernfalls kann ein Sachverhalt, der vom im angefochtenen Entscheid festgestellten abweicht, nicht berücksichtigt werden (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 S. 18 mit Hinweisen). 
 
1.3. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen vor Bundesgericht nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 135 V 194), was in der Beschwerde näher darzulegen ist (BGE 133 III 393 E. 3 S. 395). Der vorinstanzliche Verfahrensausgang allein bildet noch keinen hinreichenden Anlass im Sinne von Art. 99 Abs. 1 BGG für die Zulässigkeit von unechten Noven, die bereits im kantonalen Verfahren ohne Weiteres hätten vorgebracht werden können. Beweismittel, welche erst nach dem angefochtenen Entscheid entstanden sind, sind im bundesgerichtlichen Verfahren als echte Noven von vornherein unbeachtlich (BGE 143 V 19 E. 1.2 S. 22 f. mit Hinweisen; vgl. auch Urteile 9C_823/2018 vom 11. Juni 2019 E. 1 und 2C_445/2019 vom 7. August 2019 E. 1.3).  
 
2.   
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, als es die Beschwerdeführerin zur Kostenübernahme der CAR-T-Zelltherapie unter Verwendung des Wirkstoffes "Tisagenlecleucel im Spital B.________ verpflichtete. 
 
3.   
Gemäss Art. 25 Abs. 1 KVG übernimmt die obligatorische Krankenpflegeversicherung die Kosten für jene Leistungen, die der Diagnose oder Behandlung einer Krankheit und ihrer Folgen dienen. Darunter fallen nach Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG die von Ärzten durchgeführten Untersuchungen, Behandlungen und Pflegemassnahmen; sie gelten vermutungsweise als wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich (Art. 32 Abs. 1 KVG) und sind kostenvergütungspflichtig, sofern sie nicht in der vom Bundesrat respektive vom Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) erstellten, abschliessenden Negativliste von der Leistungspflicht ausgenommen sind (Art. 33 Abs. 1 und 5 KVG in Verbindung mit Art. 33 lit. a KVV [SR 832.102]; Art. 1 KLV [832.112.31] in Verbindung mit Anhang 1 zur KLV; BGE 136 V 84 E. 2.1 S. 86; vgl. auch Urteil 9C_539/2013 vom 8. April 2014 E. 3.1.1). Hält ein Krankenversicherer dafür, dass eine bestimmte nicht ausgeschlossene ärztliche (oder chiropraktorische) Therapie unwirksam, unzweckmässig oder unwirtschaftlich sei (Art. 32 Abs. 1 KVG), hat er im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes die Verhältnisse abzuklären (z.B. durch Einholung eines Gutachtens) und hernach über die Leistungspflicht im Einzelfall zu verfügen (BGE 129 V 167 E. 3.2 S. 170). 
 
4.   
 
4.1. Die vorliegend streitige CAR-T-Zelltherapie ist in der Liste des Anhangs 1 der KLV aufgeführt, wobei für die Leistungspflicht gewisse Voraussetzungen (Durchführung in einem speziell akkreditierten Zentrum und Erfassung der Fälle in einem Register; bei Verwendung des Wirkstoffes "Tisagenlecleucel" bei rezidiviertem oder therapierefraktärem diffus-grosszelligem B-Zell-Lymphom: nach mindestens zwei Therapielinien) erfüllt sein müssen. Es steht fest und ist unbestritten, dass diese vorliegend gegeben sind. Somit besteht grundsätzlich eine Leistungspflicht des Krankenversicherers, es sei denn, ihm gelinge im Einzelfall der Nachweis, dass die Therapie entgegen der durch die Aufnahme in die Liste geschaffenen Vermutung unwirksam, unzweckmässig oder unwirtschaftlich wäre (vgl. E. 3 hievor). Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass der Wirkstoff "Tisagenlecleucel", der bei der Therapie zur Anwendung kommen soll, vorerst nur provisorisch in den Anhang 1 der KLV aufgenommen wurde.  
 
4.2. Eine Leistung ist wirksam, wenn sie geeignet ist, das angestrebte diagnostische oder therapeutische Ziel zu erreichen (BGE 137 V 295 E. 6.1 S. 303; Urteil 9C_246/2020 vom 4. März 2021 E. 5.2). Die Beschwerdeführerin bestreitet die Wirksamkeit der vorgeschlagenen Therapie bei Patienten, welche älter als 76 Jahre sind und gleichzeitig eine Niereninsuffizienz aufweisen. Sie begründet dies im Wesentlichen damit, dass in den bisherigen Studien zur Wirksamkeit der Therapiemethode das entsprechende Patientenkollektiv fehlt. Entgegen ihren Ausführungen kann dies jedoch nicht ausschlaggebend sein: Sowohl die CAR-T-Zelltherapie als auch der Wirkstoff "Tisagenlecleucel" wurden ohne einen Alters- oder Komorbiditätsvorbehalt in den Anhang 1 der KLV aufgenommen. Damit gilt auch für die entsprechenden Patienten die aus der Aufnahme fliessende Wirksamkeitsvermutung. Diese könnte lediglich durch Studienresultate, welche nahelegen würden, dass die Therapie für dieses Patientenkollektiv nicht wirksam wäre, in Frage gestellt werden. Solches wird indessen von der Beschwerdeführerin nicht dargelegt. Entsprechend hat das kantonale Gericht kein Bundesrecht verletzt, als es die Wirksamkeit der Therapie bejahte.  
 
4.3. Die Beschwerdeführerin bestreitet weiter die Zweckmässigkeit der streitigen Behandlung. Die Zweckmässigkeit fragt nach dem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen der Anwendung im Einzelfall unter Berücksichtigung der damit verbundenen Risiken, gemessen am angestrebten Heilerfolg der möglichst vollständigen Beseitigung der körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung sowie allenfalls der Missbrauchsgefahr (BGE 137 V 295 E. 6.2 S. 306; Urteil 9C_246/2020 vom 4. März 2021 E. 5.2). Soweit sich die Beschwerdeführerin auf das Kostengutsprachegesuch des Spitals C.________ vom 17. Februar 2021 bzw. die darin vorgeschlagene Therapie beruft, ist darauf als echtes Novum nicht einzugehen (Art. 99 Abs. 1 BGG; vgl. E. 1.3 hievor). Was mögliche Nebenwirkungen der CAR-T-Zelltherapie betrifft, hat das kantonale Gericht für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich festgestellt, dass die Krebserkrankung des Beschwerdegegners unbehandelt zu dessen sicheren Tod führen würde. Vor diesem Hintergrund erscheint die vorinstanzliche Erwägung, auch das Risiko schwerer oder gar lebensbedrohlicher Nebenwirkungen würde vorliegend nicht gegen die Zweckmässigkeit der beantragten Therapie sprechen, nicht als bundesrechtswidrig. Gleichwertige Therapieoptionen, welche mit einem geringeren Risiko für schwere und schwerste Nebenwirkungen verbunden sind, bestehen nach den Feststellungen der Vorinstanz keine. Somit hat das kantonale Gericht nicht gegen Bundesrecht verstossen, als es auch die Zweckmässigkeit der CAR-T-Zelltherapie trotz der Gefahr eines akuten Nierenversagens bejaht hat. Damit erübrigen sich auch Weiterungen zur Frage, wie stark vorgeschädigt die Niere bzw. die Nieren des Beschwerdegegners sind.  
 
4.4. Das Kriterium der Wirtschaftlichkeit gemäss Art. 32 Abs. 1 KVG hat vergleichenden Charakter: Bestehen zwischen zwei alternativen Behandlungsmethoden vom medizinischen Standpunkt keine ins Gewicht fallenden Unterschiede, ist grundsätzlich die kostengünstigere und damit wirtschaftlichere Anwendung zu wählen. Weist jedoch eine bestimmte Behandlungsmethode gegenüber anderen Anwendungen Vorteile in diagnostischer oder therapeutischer Hinsicht auf (u.a. geringere Risiken, weniger Komplikationen, günstigere Prognose betreffend Nebenwirkungen und Spätfolgen), kann dies die Übernahme der Kosten dieser teureren Applikation rechtfertigen (BGE 142 V 26 E. 5.2.1 S. 34 ff.). Gibt es nur eine Behandlungsmöglichkeit, stellt sich die Frage der Wirtschaftlichkeit nicht (vgl. BGE 145 V 116 E. 3.2.3 S. 120 f.); es sei denn, zwischen Aufwand und Heilerfolg bestehe ein grobes Missverhältnis (BGE 136 V 395 E. 7.4 S. 407).  
Gemäss den verbindlichen Feststellungen des kantonalen Gerichts stellt die beantragte Therapie die einzige kurative Behandlungsoption dar; die übrigen vorgeschlagenen Therapieansätze sind palliativer Natur und damit nicht gleichwertig zu einer kurativen Therapie. Die Beschwerdeführerin bringt nichts vor, was diese Feststellungen als offensichtlich unrichtig oder sonstwie bundesrechtswidrig erscheinen lassen würden (zur Unbeachtlichkeit der Vorbringen in Zusammenhang mit dem Kostengutsprachegesuch des Spitals C.________ vom 17. Februar 2021 vgl. E. 1.3 und E. 4.3 hievor). Ein grobes Missverhältnis zwischen Aufwand und Heilerfolg wird letztinstanzlich zu Recht nicht geltend gemacht, hängt doch gemäss den vorinstanzlichen Feststellungen das Überleben des Beschwerdegegners von einem Heilerfolg ab (vgl. auch E. 4.3 hievor). Damit war auch die vorinstanzliche Bejahung der Wirtschaftlichkeit bundesrechtskonform. 
 
4.5. Hat damit das kantonale Gericht nicht gegen Bundesrecht verstossen, als es die Wirksamkeit, die Zweckmässigkeit und die Wirtschaftlichkeit der CAR-T-Zelltherapie bejahte, so ist nicht zu beanstanden, dass es die Krankenversicherung zur Kostenübernahme für diese Therapie verpflichtete. Ihre Beschwerde ist somit abzuweisen.  
 
5.   
 
5.1. Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Da die Beschwerde ohne Durchführung eines Schriftenwechsels erledigt wird (vgl. Art. 102 Abs. 1 BGG e contrario) und dem Beschwerdegegner damit kein entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden ist, ist von der Zusprache einer Parteientschädigung abzusehen.  
 
5.2. Mit diesem Entscheid in der Sache erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit den Vorbringen zur Dringlichkeit der vorliegenden Streitsache bzw. mit der Frage, ob der Beschwerde - obwohl kein entsprechender formeller Antrag vorliegt - allenfalls von Amtes wegen aufschiebende Wirkung zu erteilen wäre.  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Obwalden und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 14. April 2021 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Der Gerichtsschreiber: Nabold