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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_105/2022  
 
 
Urteil vom 14. Juli 2022  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Stadelmann, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin Moser-Szeless, 
nebenamtliche Bundesrichterin Bechaalany, 
Gerichtsschreiberin Dormann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch B.________, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Bern, Scheibenstrasse 70, 3014 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 10. Januar 2022 (200 21 670 IV). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die 1978 geborene A.________, Mutter zweier 2006 geborener Kinder, meldete sich im Februar 2020 unter Hinweis auf Folgen eines im Januar 2018 erlittenen Autounfalls bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abklärungen - insbesondere Einholung des polydisziplinären Gutachtens der PMEDA AG Polydisziplinäre Medizinische Abklärungen (nachfolgend: PMEDA) vom 27. April 2021 - und Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte die IV-Stelle Bern mit Verfügung vom 26. August 2021 einen Leistungsanspruch mangels eines "invalidisierenden Gesundheitszustands im Sinne von Art. 8 ATSG". 
 
B.  
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Urteil vom 10. Januar 2022 ab. 
 
C.  
A.________ lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen, unter Aufhebung des Urteils vom 10. Januar 2022 und der Verfügung vom 26. August 2021 sei die Sache an das kantonale Gericht bzw. an die IV-Stelle zurückzuweisen; diese sei anzuweisen, ergänzende medizinische und berufliche Abklärungen vorzunehmen und anschliessend über das Leistungsgesuch neu zu befinden. Eventuell sei ein gerichtliches Gutachten einzuholen und anschliessend über die Invalidenleistungen neu zu entscheiden; subeventuell sei das Beschwerdeverfahren bis zum Vorliegen eines privaten Gutachtens zu sistieren; subeventuell sei eine angemessene Frist zur Ergänzung der Beschwerdebegründung zu gewähren. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde ist samt Begründung (vgl. Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) innerhalb der gesetzlichen und somit nicht erstreckbaren (vgl. Art. 47 Abs. 1 BGG) Frist von Art. 100 Abs. 1 BGG einzureichen. Diese ist am Tag der Beschwerdeeinreichung abgelaufen. Die Ansetzung einer Nachfrist zur Ergänzung der Eingabe der Beschwerdeführerin fällt daher ausser Betracht, zumal es sich nicht um eine Beschwerde im Sinne von Art. 43 BGG handelt.  
 
1.2. Das Gericht kann aus Gründen der Zweckmässigkeit das Verfahren aussetzen, insbesondere wenn das Urteil von der Entscheidung in einem anderen Rechtsstreit beeinflusst werden kann (Art. 6 Abs. 1 BZP [SR 273] i.V.m. Art. 71 BGG). Die Beschwerdeführerin zeigt nicht auf, inwiefern ein erst noch zu erstellendes Gutachten im Lichte von Art. 99 Abs. 1 BGG überhaupt zulässig wäre. Mit Blick darauf ist eine Verfahrensaussetzung nicht zweckmässig.  
 
1.3. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
2.  
 
2.1. Invalidität ist die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit (Art. 8 Abs. 1 ATSG). Volljährige, die vor der Beeinträchtigung ihrer körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit nicht erwerbstätig waren und denen eine Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann, gelten als invalid, wenn eine Unmöglichkeit vorliegt, sich im bisherigen Aufgabenbereich zu betätigen (Art. 8 Abs. 3 ATSG).  
 
Der Anspruch auf eine Invalidenrente setzt u.a. eine während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch bestehende Arbeitsunfähigkeit von durchschnittlich mindestens 40 % (sog. Wartejahr) und einen Invaliditätsgrad von mindestens 40 % voraus (Art. 28 IVG in der hier anwendbaren, bis zum 31. Dezember 2021 geltenden Fassung). 
 
2.2.  
 
2.2.1. Bei der Beurteilung der Arbeits (un) fähigkeit stützt sich die Verwaltung und im Beschwerdefall das Gericht auf Unterlagen, die von ärztlichen und gegebenenfalls auch anderen Fachleuten zur Verfügung zu stellen sind. Ärztliche Aufgabe ist es, den Gesundheitszustand zu beurteilen und dazu Stellung zu nehmen, in welchem Umfang und bezüglich welcher Tätigkeiten die versicherte Person arbeitsunfähig ist. Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes ist entscheidend, ob dieser für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge sowie der medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen der Experten begründet sind (BGE 140 V 193 E. 3.2; 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a mit Hinweis).  
 
2.2.2. Geht es um psychische Erkrankungen wie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, ein damit vergleichbares psychosomatisches Leiden (vgl. BGE 140 V 8 E. 2.2.1.3) oder depressive Störungen leicht- bis mittelgradiger Natur (BGE 143 V 409 und 418), sind für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit systematisierte Indikatoren (Beweisthemen, Indizien) beachtlich, die - unter Berücksichtigung leistungshindernder äusserer Belastungsfaktoren einerseits und Kompensationspotentialen (Ressourcen) anderseits - erlauben, das tatsächlich erreichbare Leistungsvermögen einzuschätzen (BGE 141 V 281 E. 2, E. 3.4-3.6 und 4.1).  
 
3.  
Die Vorinstanz hat dem PMEDA-Gutachten Beweiskraft beigemessen. Gestützt darauf hat sie einen invalidenversicherungsrechtlich relevanten Gesundheitsschaden mit Auswirkung auf die Arbeits- und Leistungsfähigkeit ab Februar 2020 verneint. 
 
4.  
 
4.1. Die Beschwerdeführerin bestreitet die Beweiskraft des PMEDA-Gutachtens resp. des psychiatrischen und rheumatologischen Teilgutachtens. Sie macht im Wesentlichen geltend, die Expertise sei tendenziös und ziele darauf ab, sie in ein schlechtes Licht zu rücken. Die Gutachter hätten nicht berücksichtigt, dass die Reise in ihre Heimat im Sommer 2020 gemeinsam mit ihrem Ehemann und den Kindern erfolgt sei und dass sie insbesondere für die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel und die Wahrnehmung ihrer Termine auf einen Rollator angewiesen sei, da sie ohne diesen bereits mehrmals gestürzt sei. Zudem wichen deren Einschätzungen erheblich von fast allen anderen ärztlichen Beurteilungen ab. Das Gutachten bestehe aus 202 Seiten, weise aber sehr viele Wiederholungen auf. Die Experten hätten zwar eine passagere, psychiatrisch begründete Arbeitsunfähigkeit für möglich gehalten, aber nicht näher eingegrenzt oder quantifiziert. Der rheumatologische Gutachter habe die frühere Erwerbstätigkeit zu Unrecht als zumutbar erachtet, obwohl es sich dabei nicht um eine leichte, sondern um eine mittelschwere bis schwere Tätigkeit gehandelt habe. Auch die Tätigkeit als Hausfrau sei mindestens mittelschwer. Er habe auch nicht beantwortet, weshalb die attestierte Fibromyalgie zu keinen Einschränkungen führen soll, und es müsse geklärt werden, ob die Diagnose einer Polyarthritis bestätigt oder widerlegt werden könne.  
 
4.2. Die im Sommer 2020 erfolgte Reise war für die PMEDA-Experten nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Vielmehr begründeten sie ihre Einschätzungen insbesondere mit den Angaben der Versicherten, den selbst erhobenen Untersuchungsbefunden, den festgestellten Diskrepanzen im Verhalten und den Ergebnissen der Laboruntersuchung, wonach die behauptete Medikamenteneinnahme nicht nachweisbar war. Dass im rheumatologischen Teilgutachten die Benutzung eines Rollators nur ungenügend berücksichtigt worden sein soll, ist nicht ersichtlich. Sodann schloss der Rheumatologe eine Polyarthritis "sowohl klinisch als auch laborchemisch" und damit nachvollziehbar aus. Hinsichtlich einer Fibromyalgie (deren Folgen grundsätzlich ebenfalls an der Rechtsprechung gemäss vorangehender E. 2.2.2 zu messen sind; Urteil 9C_701/2020 vom 6. September 2021 E. 4.1) hielt er zwar die "formalen Kriterien" für erfüllt; er ging aber insofern von einem geringfügig ausgeprägten Leiden aus, als er die entsprechenden "subjektiven" Beschwerden für gut therapierbar hielt. Dass in psychischer Hinsicht eine frühere "passagere" Einschränkung der Arbeitsfähigkeit für möglich gehalten wurde, aber rückblickend aufgrund der Aktenlage keine weiteren Aussagen dazu möglich waren, schmälert die Beweiskraft des Gutachtens nicht. Weiter legten die Gutachter einleuchtend dar, weshalb sie von den Einschätzungen anderer Ärzte abwichen. Zudem ist im Zusammenhang mit unterschiedlichen ärztlichen Einschätzungen sowohl dem Ermessensspielraum der Experten (vgl. BGE 137 V 210 E. 3.4.2.3; Urteil 9C_397/2015 vom 6. August 2015 E. 5.3) als auch dem Unterschied zwischen Behandlungs- und Begutachtungsauftrag (vgl. BGE 125 V 351 E. 3b/cc; Urteil 9C_561/2018 vom 8. Februar 2019 E. 5.3.2.2) Rechnung zu tragen.  
 
Es trifft zwar zu, dass die umfangreiche PMEDA-Expertise aussergewöhnlich viele Wiederholungen enthält. Das ändert indessen nichts daran, dass keine konkreten Indizienersichtlich sind, die gegen die Zuverlässigkeit de s Gutachtens sprechen (vgl. BGE 125 V 251 E. 3b/bb S. 353). Laut dem rheumatologischen Teilgutachten scheiden aufgrund der Unfallfolgen "überwiegend schwere körperliche Tätigkeiten mit Belastung der Wirbelsäule, in Vor- und Rückneige sowie häufig schwerem Heben und Tragen von Lasten sowie ständig Arbeiten im Stehen" auf Dauer aus. Darüber hinaus wurde keine Arbeitsunfähigkeit attestiert. Es ist ohne Belang, ob die zuletzt ausgeübte Erwerbstätigkeit im PMEDA-Gutachten zu Unrecht als leicht und leidensangepasst erachtet wurde, zumal die Beschwerdeführerin nach eigener Darstellung seit der Geburt ihrer Kinder (2006) nicht mehr erwerbstätig war. Weshalb und inwiefern bei den Anforderungen an eine leidensangepasste Tätigkeit die Arbeit im Haushalt erheblich eingeschränkt sein soll, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht ausgeführt. 
 
4.3. Nach dem Gesagten genügt das PMEDA-Gutachten den Anforderungen an die Beweiskraft. Der vorinstanzliche Verzicht auf weitere Beweiserhebungen erfolgte in pflichtgemässer antizipierender Beweiswürdigung (vgl. BGE 144 V 361 E. 6.5; 136 I 229 E. 5.3; Urteil 8C_728/2020 vom 23. Juni 2021 E. 5). Die vorinstanzliche Feststellung eines fehlenden anspruchsrelevanten Gesundheitsschadens bleibt für das Bundesgericht verbindlich (vgl. vorangehende E. 1.3). Die Beschwerde ist unbegründet.  
 
5.  
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführer in die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Gesuche um Ansetzung einer Nachfrist und Sistierung des Verfahrens werden abgewiesen. 
 
2.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 14. Juli 2022 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Stadelmann 
 
Die Gerichtsschreiberin: Dormann