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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
8C_592/2020  
 
 
Urteil vom 15. April 2021  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin, 
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Bütikofer, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Hilflosenentschädigung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt 
vom 10. Juni 2020 (UV.2019.52). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________, geboren 1956, war ab 1. September 1997 bei der B.________ AG angestellt und in dieser Eigenschaft bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) gegen die Folgen von Unfällen versichert. Bei einem Tauchunfall vom 25. Dezember 1998 erlitt er multiple subakute Infarkte Th8-11 mit konsekutiver ischämischer Paraplegie, primär sensorisch inkomplett sub Th9 und motorisch komplett sub Th9, aktuelles Niveau sensomotorisch inkomplett sub Th8 (Austrittsbericht des Zentrums C.________ vom 1. Juli 1999). Seit 1. März 2003 bezieht er von der Suva eine Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 100 % sowie eine Hilflosenentschädigung bei einer Hilflosigkeit leichten Grades (Verfügung vom 5. Juni 2003; Einspracheentscheid vom 5. November 2003). Zudem richtet die Invalidenversicherung (mit Ausnahme eines kurzen Unterbruchs mit Zahlung von IV-Taggeldern) seit Dezember 1999 eine ganze Invalidenrente aus. 
Am 25. Oktober 2018 teilte die Suva mit, sie werde den Grad der Hilflosigkeit überprüfen. Es erfolgte eine Abklärung (Bericht vom 31. Oktober 2018). Mit Verfügung vom 10. Dezember 2018, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 8. November 2019, verneinte die Suva den Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung mittleren Grades. 
 
B.   
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 10. Juni 2020 ab. 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sowie der Einspracheentscheid vom 8. November 2019 seien insofern aufzuheben, als ihm damit keine Hilflosenentschädigung mittleren Grades zugesprochen werde, und die Suva sei zu verpflichten, ihm eine Hilflosenentschädigung mittleren Grades "seit wann rechtens" auszurichten. Eventualiter seien der vorinstanzliche Entscheid und der Einspracheentscheid vom 8. November 2019 aufzuheben und es sei die Sache zu weiteren Abklärungen an die Vorinstanz oder an die Suva zurückzuweisen. 
 
Die Vorinstanz und die Suva schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
D.   
Mit Eingabe vom 23. November 2020 (Poststempel 24. November 2020) äussert sich A.________ nochmals zur Sache und lässt eine Honorarnote einreichen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an    (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).  
 
1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).  
 
1.3. Soweit sich der Beschwerdeführer in seiner Eingabe vom 23. November 2020 zu Ereignissen äussert, die sich nach Einreichung seiner Beschwerde ereignet haben, ist darauf nicht weiter einzugehen, da es sich dabei um unzulässige Noven nach Art. 99 Abs 1 BGG handelt.  
 
 
2.   
Streitig ist, ob die Vorinstanz zu Recht den Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung mittleren Grades verneint hat. Dabei ist unbestritten, dass in den alltäglichen Lebensverrichtungen "An-/Auskleiden" und "Verrichtung der Notdurft" Hilfsbedürftigkeit erstellt ist, hingegen in jener des "Essens" nicht. 
 
3.   
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Begriff der Hilflosigkeit (Art. 9 ATSG) und den Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung (Art. 26 f. UVG; Art. 38 UVV) zutreffend dargelegt. Dies gilt auch für die analog anwendbare Rechtsprechung der Alters- und Hinterlassenen- resp. der Invalidenversicherung (Urteil 8C_681/2014 vom 19. März 2015 E. 2) zu den sechs alltäglichen Lebensverrichtungen "An-/Auskleiden", "Aufstehen/Absitzen/Abliegen", "Essen", "Körperpflege", "Verrichtung der Notdurft" und "Fortbewegung/Kontaktaufnahme" (BGE 127 V 94 E. 3c S. 97; 125 V 297 E. 4a S. 302), von welchen für den Anspruch auf eine Hilflosigkeit mittleren Grades vier erfüllt sein müssen (BGE 121 V 88 E. 3b S. 90). 
Zu ergänzen bleibt, dass der vorliegende Rechtsstreit auf einer revisionsrechtlichen Fragestellung gründet und insofern nach Art. 17 ATSG vorzugehen ist (vgl. SVR 2017 UV Nr. 1 S. 1, 8C_257/2016 E. 2.3 mit Verweis auf BGE 137 V 424 E. 3.1 S. 428). Die Erhöhung, Herabsetzung oder Aufhebung einer Hilflosenentschädigung gestützt auf      Art. 17 Abs. 2 ATSG setzt einen Revisionsgrund voraus. Darunter ist jede wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen, u.a. Verbesserung oder Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder Verwendung neuer Hilfsmittel, zu verstehen, die geeignet ist, den Grad der Hilflosigkeit und damit den Umfang des Anspruchs zu beeinflussen. 
 
4.  
 
4.1. Der Beschwerdeführer bezieht seit 1. März 2003 eine Hilflosenentschädigung leichten Grades. Angesichts der bereits laufenden Leistung geht es offensichtlich um eine revisionsrechtliche Beurteilung. Dies impliziert auch die Formulierung der Suva in ihrer Aktennotiz vom 25. Oktober 2018 über die Besprechung mit dem Beschwerdeführer, wonach der Grad der Hilflosigkeit überprüft werde. Denn die Überprüfung einer Leistung setzt voraus, dass eine solche bereits ausgerichtet wird. Insofern musste der Suva und auch der Vorinstanz bewusst sein, dass es sich um eine Revision nach Art. 17 Abs. 2 ATSG handelt. Bevor jedoch der Anspruch neu und konkret geprüft wird, muss zuerst das Vorliegen eines Revisionsgrundes in Form eines der Hilflosenentschädigung zugrundeliegenden erheblich veränderten Sachverhaltes (vorliegend eine Verschlechterung oder Verbesserung des Gesundheitszustandes) erstellt sein. Diesem Erfordernis genügt weder die Beurteilung durch die Suva noch jene der Vorinstanz; vielmehr haben beide im Sinne einer erstmaligen Beurteilung des Leistungsanspruchs direkt den aktuellen Grad der Hilflosigkeit resp. der Hiflsbedürftigkeit in den alltäglichen Lebensverrichtungen geprüft.  
 
4.2. Die Sache ist somit unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids an die Suva zurückzuweisen, damit sie - allenfalls nach Vornahme weiterer Abklärungen (vgl. dazu E. 4.3) - prüfe, ob ein Revisionsgrund vorliegt und bejahendenfalls, ob Anspruch auf eine Hilflosigkeit mittleren Grades besteht.  
Bei Letzterem wird sie zu berücksichtigen haben, dass bezüglich der Lebensverrichtung "Fortbewegung/Kontaktaufnahme" nach konstanter Rechtsprechung bei versicherten Personen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, die Hilflosigkeit zu bejahen ist; dies gilt selbst dann, wenn die versicherte Person in der Lage ist, selber Auto zu fahren oder sich im Alltag weitgehend selbstständig zu bewegen (BGE 117 V 146 E. 3a/bb S. 150; vgl. zum Ganzen auch Hardy Landolt, in: Bundesgesetz über die Unfallversicherung, 2018, N. 44 zu Art. 26 UVG sowie Raffaella Biaggi, in: Basler Kommentar, Unfallversicherungsgesetz, 2019, N. 10 zu Art. 26 UVG). Denn nach der Rechtsprechung genügt für die Bejahung der Hilflosigkeit bei der Lebensverrichtung "Fortbewegung", dass eine infolge Gehunfähigkeit auf einen Rollstuhl angewiesene Person (ungeachtet davon, ob eine komplette oder inkomplette Paraplegie vorliegt) im Alltag auf die regelmässige und erhebliche Hilfe Dritter angewiesen ist, um Hindernisse in einer nicht rollstuhlgängigen Umgebung zu überwinden (vgl. etwa die Urteile des damaligen Eidg. Versicherungsgerichts I 642/06 vom 22. August 2007 E. 7 und U 595/06 vom 19. Juni 2007 E. 3.2 sowie das Urteil 8C_674/2007 vom 6. März 2008 E. 8.2; vgl. auch SVR 2017 UV Nr. 1 S. 1, 8C_257/2016 vom 23. August 2016 E. 3.1 und 4.1). Da der Beschwerdeführer unbestrittenermassen als Paraplegiker auf einen Rollstuhl und damit in einer nicht behindertengerechten Umgebung auf Hilfe angewiesen ist, ist hinsichtlich der Lebensverrichtung "Fortbewegung" eine Hilflosigkeit zu bejahen. Daran ändern auch die vorinstanzlichen Ausführungen, wonach der Beschwerdeführer nicht hilflos sei, da er sich mit einem Hilfsmittel (Rollstuhl) selbstständig fortbewegen könne und sich die Hilflosigkeit unter Berücksichtigung allfälliger Hilfsmittel bemesse, nichts. Denn Hilfsmittel schliessen nur soweit eine Hilflosigkeit aus, als sie von der Sozialversicherung auch entschädigt werden. Dies trifft etwa auf private Fahrten mit einem auf Kosten der Invalidenversicherung angepassten Auto nicht zu, was für die Annahme der Hilflosigkeit bei der Lebensverrichtung "Fortbewegung" genügt (grundsätzlich dazu BGE 117 V 146). Die dem angefochtenen Entscheid zugrunde gelegte kantonale Praxis (vgl. dazu den Verweis der Vorinstanz auf ihren Entscheid UV 2019 37 vom 2. März 2020) ist angesichts der klaren und konstanten Rechtsprechung bundesrechtswidrig. 
 
4.3. Schliesslich rügt der Beschwerdeführer hinsichtlich der alltäglichen Lebensverrichtung "Aufstehen/Absitzen/Abliegen" zu Recht eine Abklärung des unvollständigen Sachverhalts. Denn für die Frage, was ihm im Zeitpunkt der revisionsrechtlichen Neubeurteilung (8. November 2019) noch möglich ist, kann nicht auf eine zwanzigjährige medizinische Beurteilung, namentlich die Berichte vom 13. Januar 2000 und vom 29. Januar 2001, abgestellt werden. Die Suva wird diesbezüglich allenfalls weitere Abklärungen zu veranlassen haben.  
 
5.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die Rückweisung der Sache zur weiteren Abklärung und Neuentscheidung gilt als Obsiegen, unabhängig davon, ob sie beantragt und ob das entsprechende Begehren im Haupt- oder im Eventualantrag gestellt wird (BGE 141 V 281 E. 11.1 S. 312). Die unterliegende Suva hat daher die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine Parteientschädigung zu Lasten der Suva (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Mit Eingabe vom 23. November 2020 lässt er ein Honorar von Fr. 5851.75 bei einem Aufwand von 19.67 Stunden geltend machen. Dieser Aufwand ist angesichts der nicht schwierigen tatsächlichen und rechtlichen Fragen sowie der konstanten Rechtsprechung nicht angemessen und daher zu hoch. Insbesondere war angesichts der Eingaben von Suva und Vorinstanz, welche beide lediglich einen Antrag stellten, sich aber nicht inhaltlich zur Sache äusserten, der Aufwand für die Replik von insgesamt vier Stunden offensichtlich überhöht und unnötig, zumal die darin enthaltenen Ausführungen sich in unzulässigen Noven erschöpften (vgl. E. 1.3). Nach dem Gesagten rechtfertigt sich eine Entschädigung von Fr. 4000.-. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 10. Juni 2020 und der Einspracheentscheid der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) vom 8. November 2019 werden aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verfügung an die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 4000.- zu entschädigen. 
 
4.   
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt zurückgewiesen. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 15. April 2021 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Riedi Hunold