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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
4A_34/2022  
 
 
Urteil vom 16. Juni 2022  
 
I. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin, 
Bundesrichterinnen Kiss, Niquille, 
Gerichtsschreiber Brugger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ AG, 
vertreten durch Rechtsanwältin Eva Pouget-Hänseler, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Loher, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Versicherungsvertrag, Zwischenentscheid, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 8. Dezember 2021 (LB210027-O/U). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
B.________ (Kläger, Beschwerdegegner) schloss mit der A.________ AG (Beklagte, Beschwerdeführerin) mit Wirkung ab dem 21. September 1994 einen Versicherungsvertrag für eine Rente bei Erwerbsunfähigkeit ab. Danach verpflichtet sich die Beklagte, dem Kläger bei Erwerbsunfähigkeit nach einer Wartefrist von 720 Tagen unter Befreiung der Leistung der Versicherungsprämien eine jährliche Rente von Fr. 36'000.-- zu bezahlen. 
Am 7. November 2014 erlitt der Kläger während einer Autofahrt einen Ohnmachtsanfall mit Zungenbiss und Amnesie, wobei zwischen den Parteien umstritten ist, ob es sich hierbei um einen epileptischen Anfall handelte. Noch im selben Jahr wurde ihm eine Diskushernie und im Jahr 2015 eine Leberzirrhose ärztlich diagnostiziert. Im September 2016 wurde dem Kläger eine neue Leber transplantiert. 
 
B.  
 
B.a. Am 4. September 2019 leitete der Kläger beim Bezirksgericht Hinwil eine Klage ein. Er beantragte, es sei die Beklagte zu verpflichten, ihm die im Vertrag vereinbarte Rente in der Höhe von Fr. 36'000.-- pro Jahr auszurichten, beginnend ab dem 28. Oktober 2018, zuzüglich Zins zu 5% p.a. ab jeweiliger Fälligkeit, und ihm sei die volle Prämienbefreiung zu gewähren.  
Mit Urteil vom 17. Dezember 2020 wies das Bezirksgericht die Klage ab. Das Bezirksgericht kam zum Schluss, der Kläger habe die behaupteten Krankheiten und deren Symptome und insbesondere die konkreten Auswirkungen auf seine Erwerbsfähigkeit nicht genügend substanziiert. 
 
B.b. Die dagegen vom Kläger erhobene Berufung hiess das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss und Urteil vom 8. Dezember 2021 gut. Das Obergericht kam zusammengefasst zum Ergebnis, das Bezirksgericht habe die Substanziierungsanforderungen überspannt. Es hob das Urteil des Bezirksgerichts auf und wies die Sache zur Ergänzung des Verfahrens und zu neuem Entscheid an das Bezirksgericht zurück. Das Obergericht bewilligte sodann das Gesuch des Klägers um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege samt unentgeltlichem Rechtsbeistand.  
 
C.  
Gegen das Urteil des Obergerichts erhebt die Beschwerdeführerin Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht. Sie beantragt, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben. Es sei die Klage abzuweisen, die vorinstanzlichen Kosten seien auf die Gerichtskasse zu nehmen und ihr sei eine Parteientschädigung von 14'000.-- für das erst- und eine von Fr. 15'300.-- für das zweitinstanzliche Verfahren zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache an das Obergericht zurückzuweisen, subeventualiter an das Bezirksgericht. 
Die Vorinstanz verzichtete auf Vernehmlassung. Der Beschwerdegegner beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Ihm sei sodann auch für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege samt unentgeltlichem Rechtsbeistand zu gewähren. Die Beschwerdeführerin replizierte. 
Mit Verfügung vom 11. März 2022 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung erteilt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Beim angefochtenen Rückweisungsentscheid der Vorinstanz handelt es sich unbestrittenermassen um einen selbstständig eröffneten Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG. Ein solcher Zwischenentscheid kann nur unter den in Art. 93 Abs. 1 lit. a und b BGG genannten Voraussetzungen direkt mit Beschwerde beim Bundesgericht angefochten werden. Die selbständige Anfechtbarkeit von Zwischenentscheiden aus prozessökonomischen Gründen bildet eine Ausnahme vom Grundsatz, dass sich das Bundesgericht mit jeder Angelegenheit nur einmal befassen soll (BGE 144 III 475 E. 1.2; 141 III 80 E. 1.2).  
Diese Ausnahme ist restriktiv zu handhaben, zumal die Parteien keiner Rechte verlustig gehen, wenn sie einen Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG nicht selbständig anfechten, können sie ihn doch mit dem Endentscheid anfechten, soweit er sich auf dessen Inhalt auswirkt (Art. 93 Abs. 3 BGG; BGE 144 III 475 E. 1.2; 138 III 94 E. 2.2 S. 95). Dementsprechend obliegt es der beschwerdeführenden Partei darzutun, dass die Voraussetzungen von Art. 93 BGG erfüllt sind, soweit deren Vorliegen nicht offensichtlich in die Augen springt (BGE 142 III 798 E. 2.2; 141 III 80 E. 1.2). 
 
1.2. Die Beschwerdeführerin beruft sich für die Zulässigkeit ihrer Beschwerde auf die Bestimmung von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG.  
 
1.2.1. Demnach ist die Beschwerde zulässig, wenn deren Gutheissung sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde.  
Diese Ausnahme wird nach der Rechtsprechung einschränkend verstanden. So wird berücksichtigt, dass jede Instruktion einer Streitsache mit Aufwand verbunden ist und ein Beweisverfahren, das den üblichen Rahmen nicht sprengt, die gesonderte Anrufung des Bundesgerichts nicht rechtfertigt. Die Voraussetzung von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG ist etwa dann nicht erfüllt, wenn sich das Beweisverfahren auf die Befragung der Parteien, die Würdigung der eingereichten Unterlagen und die Befragung von wenigen Zeugen beschränkt oder auch eine nicht übermässig aufwendige Expertise umfasst. Dagegen ist die zweite Voraussetzung von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG etwa bejaht worden, wenn Zeugen im entfernten Ausland hätten befragt werden müssen oder wenn eine oder mehrere Expertisen zu komplexen Sachverhaltsfragen, namentlich mit weiteren Zeugenbefragungen im Ausland, erforderlich waren (Urteile 4A_555/2017 vom 12. April 2018 4.2; 4A_479/2017 vom 27. März 2018 E. 1.4; 4A_116/2017 vom 20. April 2017 E. 2.1; 4A_484/2014 vom 3. Februar 2015 E. 1.3). 
Geht es bereits aus dem angefochtenen Urteil oder der Natur der Sache hervor, dass ein bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren erforderlich sein wird, darf auf lange Ausführungen verzichtet werden. Andernfalls hat die beschwerdeführende Partei im Einzelnen darzutun, welche Tatfragen offen sind und welche weitläufigen Beweiserhebungen in welchem zeit- oder kostenmässigen Umfang erforderlich sind (BGE 133 III 629 E. 2.4.2; 133 IV 288 E. 3.2; Urteile 4A_629/2021 vom 3. Januar 2022 E. 2.2.2; 4A_288/2021 vom 13. Juli 2021 E. 2.1; 4A_479/2017 vom 27. März 2018 E. 1.4). Zudem hat sie mit Aktenhinweisen darzulegen, dass die betreffenden Beweise im kantonalen Verfahren bereits angerufen oder entsprechende Anträge in Aussicht gestellt wurden (Urteile 4A_629/2021 vom 3. Januar 2022 E. 2.2.2; 4A_288/2021 vom 13. Juli 2021 E. 2.1). 
Das Bundesgericht prüft nach freiem Ermessen, ob die Voraussetzung, dass bei einer Gutheissung der Beschwerde ein bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren erspart werden kann, erfüllt ist (BGE 133 IV 288 E. 3.2; 118 II 91 E. 1a; Urteile 4A_629/2021 vom 3. Januar 2022 E. 2.2.2; 4A_288/2021 vom 13. Juli 2021 E. 2.1). 
 
1.3. Die erste Voraussetzung von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG, dass das Bundesgericht, sollte es die Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin teilen, einen verfahrensabschliessenden Endentscheid fällen könnte, ist im vorliegenden Fall erfüllt: Die Beschwerdeführerin verlangt im Hauptantrag die Abweisung der Klage des Beschwerdegegners, was sie mit der mangelnden Substanziierung des Anspruchs begründet. Bei Gutheissung dieses Standpunkts wäre die Klage in einem Endurteil abzuweisen.  
Demgegenüber wird in der Beschwerde nicht rechtsgenüglich aufgezeigt und ist auch nicht erkennbar, inwiefern durch deren Gutheissung ein bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG erspart würde: Die Beschwerdeführerin führt zwar mit präzisen Aktenhinweisen die vom Beschwerdegegner im kantonalen Verfahren angerufenen Beweismittel an und erklärt, dass bei Gutheissung der Beschwerde auf das vom Beschwerdegegner beantragte medizinische Gutachten (aufgrund dessen behaupteten Leiden von Spezialisten aus mehreren medizinischen Fachrichtungen) und auf die Befragung von fünf Zeugen, wovon einer in Italien lebt, verzichtet werden könne. Bezüglich Letzterem handelt es sich lediglich um eine Handvoll Zeugen (zwei Ärzte und drei Bekannte bzw. Verwandte des Beschwerdegegners) und es ist weder dargetan, noch ersichtlich, dass sich bei einer Zeugenbefragung im benachbarten Italien besondere Herausforderungen stellen würden. Mit diesen wenigen Zeugenbefragungen wird kein bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren begründet. 
Ebensowenig legt die Beschwerdeführerin hinreichend dar, dass unter den vorliegenden Umständen medizinische Gutachten von erheblicher Komplexität erstellt werden müssten, so dass zu erwarten ist, dies sei mit bedeutendem Kosten- und Zeitaufwand verbunden. Vielmehr scheint es, dass es sich bei der beantragten Expertise bezüglich des Gesundheitszustands bzw. der Erwerbsfähigkeit des Beschwerdegegners um medizinische Gutachten im üblichen Ausmass handelt, die bei einer Streitigkeit, wie der vorliegenden, oftmals angeordnet werden, ohne dass dies zeitlich oder kostenmässig besonders aufwändig oder komplex im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG wäre. 
Hinzu kommt, dass die Beschwerdefüḧrerin vor Bundesgericht die Komplexität und den Aufwand der Gutachten selbst relativiert. Sie führt aus, dass sich die Gutachter im vorliegenden Fall auf die vorhandenen Arztberichte stützen müssten, da die angeblichen Erkrankungen des Beschwerdegegners "heute längst überwunden" seien, und sich in den vorhandenen Arztberichten nur sehr spärliche Hinweise auf die Auswirkungen der behaupteten Beschwerden fänden, weshalb die Aktengutachten "nicht zu verwertbaren Erkenntnissen führen" würden. Unter Berücksichtigung, dass die selbstständige Anfechtbarkeit von Zwischenentscheiden nach Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG einschränkend verstanden wird (Erwägung 1.2.1), ist unter den Umständen des vorliegenden Einzelfalls nicht dargetan, inwiefern das - zufolge der Rückweisung durch die Vorinstanz erforderliche - Beweisverfahren einen besonders grossen Aufwand an Zeit oder Kosten im Sinne der zitierten Rechtsprechung verursachen und den üblichen Rahmen sprengen soll. Dies geht im Übrigen auch nicht aus dem angefochtenen Urteil oder der Natur der Sache hervor. Das Vorliegen der zweiten Voraussetzung nach Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG ist damit nicht dargetan. 
 
1.4. Die Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG für eine direkte Anfechtbarkeit des vorliegenden Zwischenentscheids sind somit nicht gegeben.  
 
2.  
Auf die Beschwerde ist nach dem Gesagten nicht einzutreten. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG). Dem geringen Aufwand des Gerichts wird durch eine reduzierte Gerichtsgebühr Rechnung getragen. Das Gesuch des Beschwerdegegners um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren erweist sich als gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 16. Juni 2022 
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Hohl 
 
Der Gerichtsschreiber: Brugger