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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_561/2020  
 
 
Urteil vom 16. September 2020  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichter Muschietti, 
Bundesrichterin Koch, 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Führen eines Motorfahrzeuges trotz Entzugs des Führerausweises, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts 
des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, 
vom 16. April 2020 (ST.2019.247). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau bestrafte den Beschwerdeführer mit Strafbefehl vom 28. November 2018 wegen Führens eines Motorfahrzeugs trotz Entzugs des Führerausweises (Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG) mit einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu Fr. 40.-- und einer Busse von Fr. 600.-- (Ersatzfreiheitsstrafe 15 Tage). 
Auf Einsprache des Beschwerdeführers hin hielt die Staatsanwaltschaft am Strafbefehl fest und überwies die Akten zur Durchführung des Hauptverfahrens. Das Bezirksgericht Lenzburg sprach den Beschwerdeführer am 12. Februar 2019 des fahrlässigen Führens eines Motorfahrzeugs trotz Entzug s des Führerausweises schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 40.-- und einer Busse von Fr. 300.-- (Ersatzfreiheitsstrafe 8 Tage). 
Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung und die Staatsanwaltschaft Anschlussberufung. Mit dem Einverständnis der Parteien wurde das schriftliche Berufungsverfahren angeordnet. 
Das Obergericht des Kantons Aargau stellte mit Urteil vom 16. April 2020 eine Verletzung des Beschleunigungsgebots fest. Es verurteilte den Beschwerdeführer wegen Führens eines Motorfahrzeugs trotz Entzugs des Führerausweises zu einer bedingten Geld strafe von 60 Tagessätzen zu Fr. 40.-- und einer Busse von Fr. 600.-- (Ersatzfreiheitsstrafe von 15 Tagen). 
 
2.   
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt der Beschwerdeführer die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils. 
 
3.   
Gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Beschwerdebegründung in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt, wobei für die Anfechtung des Sachverhalts und die Rüge der Verletzung von Grundrechten qualifizierte Begründungsanforderungen gelten (vgl. Art. 97 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 2 BGG). Die beschwerdeführende Partei hat mit ihrer Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz anzusetzen (BGE 140 III 115 E. 2; Urteil 6B_3/2016 vom 28. Oktober 2016 E. 2.2; je mit Hinweisen). 
 
4.   
Die Vorinstanz führte das Berufungsverfahren mit dem Einverständnis der Parteien im schriftlichen Verfahren durch (vgl. Urteil S. 3 E. 3.3). Vor Bundesgericht moniert der Beschwerdeführer, er sei "durch seinen freiwilligen Verzicht einer mündlichen Verhandlung beraubt" worden. Bei seiner Kritik befasst er sich allerdings nicht ansatzweise mit den Voraussetzungen von Art. 405 und Art. 406 StPO, sondern beanstandet im Wesentlichen lediglich, dass sich sein Verzicht entgegen seinen Erwartungen nicht positiv auf das Strafmass ausgewirkt hat. Daraus ergibt sich indessen nicht, dass und inwiefern die Vorinstanz das schriftliche Verfahren zu Unrecht angeordnet und durchgeführt haben soll. Die Beschwerde vermag den Begründungsanforderungen diesbezüglich nicht zu genügen. Soweit der Beschwerdeführer im weiteren Zusammenhang sinngemäss auch eine Schlechtverteidigung durch den damaligen amtlichen Verteidiger zur Diskussion stellt, erschöpfen sich die diesbezüglichen Vorbringen ausnahmslos in unbelegten Behauptungen (wie z.B. der geäusserte Verdacht eines "Päckli-Schnürens" zwischen dem Obergericht und dem damaligen amtlichen Verteidiger). Der Begründungsmangel ist offensichtlich. Darauf ist nicht weiter einzugehen. 
 
5.   
Nicht streitig ist, dass der Beschwerdeführer trotz Entzugs des Führerausweises einen Personenwagen gelenkt und damit den objektiven Tatbestand von Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG erfüllt hat. In subjektiver Hinsicht schliesst die Vorinstanz auf eventualvorsätzliches Handeln. Sie erwägt kurz zusammengefasst, der Beschwerdeführer habe um den Entzug des Führerausweises für einen Monat ab dem 16. Juli 2018 gewusst und den Ausweis deshalb beim Strassenverkehrsamt vor den Ferien am 10. Juli 2018 deponiert. Zudem habe er selber gesagt, er wisse, wie man sich im Strassenverkehr verhalte. Er habe als freiwilliger Fahrer für das Schweizerische Rote Kreuz in einem Jahr rund 22'000 km zurückgelegt. Es sei deshalb davon auszugehen, dass er gewusst habe, ohne Führerausweis bzw. ohne Fahrberechtigung nicht fahren zu dürfen. Dass er nach seiner Ferienrückkehr am 18. Juli 2018 bereits vergessen haben soll, dass der rechtskräftig festgesetzte Entzug zwei Tage vorher, also am 16. Juli 2018, zu laufen begonnen habe und er für die Dauer von einem Monat keinen Führerausweis besitze, sei nicht glaubhaft und liege ausserhalb einer vernünftigen Betrachtungsweise (Urteil S. 6 f. E. 2.2). 
Was der Täter weiss, will und in Kauf nimmt, betrifft eine innere Tatsache und ist Tatfrage, welche im Verfahren vor Bundesgericht nur im Rahmen von Art. 97 Abs. 1 BGG gerügt werden kann (vgl. auch Art. 106 Abs. 2 BGG). Rechtsfrage ist hingegen, ob gestützt auf die festgestellten Tatsachen bewusste Fahrlässigkeit, Eventualvorsatz oder direkter Vorsatz gegeben ist (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 4; 135 IV 152 E. 2.3.2; je mit Hinweisen). Eventualvorsatz im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Satz 2 StGB ist nach ständiger Rechtsprechung gegeben, wenn der Täter die Tatbestandsverwirklichung für möglich hält, aber dennoch handelt, weil er den Erfolg für den Fall seines Eintritts in Kauf nimmt, sich mit ihm abfindet, mag er ihm auch unerwünscht sein (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 4 mit Hinweis). 
Was an den Erwägungen der Vorinstanz gegen das Recht im Sinne von Art. 95 BGG verstossen könnte, ist weder dargetan noch ersichtlich. Substanziierte Willkürrügen fehlen in der Beschwerde. Der Beschwerdeführer legt vor Bundesgericht auch nicht dar, inwiefern die Vorinstanz den bundesrechtlichen Begriff des Eventualvorsatzes verkannt und sie bei der von ihr festgestellten Sachlage eventualvorsätzliches Handeln zu Unrecht bejaht haben könnte. Dies ist auch nicht ersichtlich. Der von der Vorinstanz angenommene Eventualvorsatz kann weder mit der vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Frage, ob Vergesslichkeit strafbar sei, noch mit seinem Hinweis widerlegt wer den, er wäre ja wirklich wahnsinnig dumm, wenn er freiwillig den Ausweis deponieren und dann doch absichtlich herumfahren würde. Beim vorinstanzlich ohne Willkür festgestellten Sachverhalt ist der Schluss auf Eventualvorsatz nicht zu beanstanden. Die Vorbringen des Beschwerdeführers sind unbehelflich. 
 
6.   
Der Beschwerdeführer kritisiert die Strafzumessung. 
Das Gericht misst die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Es berücksichtigt das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters (Art. 47 Abs. 1 StGB). Das Bundesgericht hat die Grundsätze der Strafzumessung nach Art. 47 ff. StGB wiederholt dargelegt (BGE 141 IV 61 E. 6.1 S. 66 ff.; 136 IV 55 E. 5.4 ff. S. 59 ff.; je mit Hinweisen). 
Nicht einzusehen ist, weshalb die Vorinstanz den Einsatz des Beschwerdeführers als freiwilliger Fahrer des Schweizerischen Roten Kreuzes strafmindernd oder -mildernd in das Urteil hätte einfliessen lassen müssen. Dass die Fahrdienste des Beschwerdeführers bei der Strafzumessung negativ bewertet wurden, ist nicht ersichtlich. 
Die Vorinstanz gewichtet die Vorstrafen des Beschwerdeführers aus den Jahren 2011 und 2013 leicht straferhöhend (Urteil S. 9 E. 3.3). Dass die Vorstrafen weit zurückliegen und mit dem heute zu beurteilenden Vorfall nichts zu tun haben bzw. nicht "kompatibel" sind, ist nicht massgebend. Der Beschwerdeführer verkennt, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts auch nicht einschlägige Vorstrafen straferhöhend berücksichtigt werden können (vgl. statt vieler Urteil 6B_690/2019 vom 4. Dezember 2019 E. 1.4.2). 
Soweit der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit Art. 84 Abs. 4 StPO generell die gesetzliche (Fristen-) Konzeption der StPO beanstandet und den Grundsatz der Verfahrensfairness und Waffengleichheit als verletzt kritisiert, bleibt unklar, was er mit seinem Vorbringen zu erreichen versucht. Davon abgesehen bringt er indes zu Recht vor, dass das erstinstanzliche Gericht die Frist für die schriftliche Urteilsbegründung nicht eingehalten hat. Bei den in Art. 84 Abs. 4 StPO geregelten Fristen handelt es sich um Ordnungsfristen, die das Beschleunigungsgebot konkretisieren. Ihre Nichteinhaltung kann ein Indiz für eine Verletzung des Beschleunigungsgebots sein (statt vieler vgl. Urteil 6B_1220/2019 vom 14. April 2020 E. 6.5 mit Hinweisen). Die Vorinstanz hält fest, die Dauer von 8 Monaten sei für die Begründung des erstinstanzlichen Urteils angesichts der konkreten Umstände eindeutig zu lang und verstosse gegen das Beschleunigungsgebot. Die Verletzung rechtfertige jedoch keine Strafreduktion, zumal dem Beschwerdeführer sowohl Schuldspruch als auch Strafmass anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung mündlich eröffnet und sodann schriftlich im Dispositiv zugestellt worden seien und er somit bis zur schriftlichen Urteilsbegründung nicht mehr im Ungewissen gewesen sei. Mit der Feststellung einer Verletzung des Beschleunigungsgebots im Urteilsdispositiv könne es deshalb sein Bewenden haben (vgl. Urteil S. 10 E. 3.5). Inwiefern diese Beurteilung der Vorinstanz verfassungs- oder sonstwie bundesrechtswidrig sein könnte, ergibt sich aus der Beschwerde nicht. Insbesondere ist weder dargetan noch ersichtlich, inwiefern der Beschwerdeführer unter den konkreten Umständen durch die gerügte Zeitspanne (besonders) belastet worden sein soll. 
Gesamthaft gesehen ergibt sich aus der Beschwerde nicht und ist auch nicht ersichtlich, dass und inwieweit die Vorinstanz bei der Strafzumessung das Recht im Sinne von Art. 95 BGG verletzt bzw. ihr Ermessen überschritten oder missbraucht haben könnte. 
 
7.   
Die Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 BGG als unbegründet abzuweisen, soweit sie den Begründungsanforderungen überhaupt genügt und darauf eingetreten werden kann. 
Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist abzuweisen, weil die Beschwerde von vornherein aussichtslos war. Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist mit herabgesetzten Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 16. September 2020 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill