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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
2C_473/2022  
 
 
Urteil vom 17. November 2022  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin, 
Bundesrichterin Hänni, 
Bundesrichter Beusch, 
Gerichtsschreiber Matter. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ AG, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Herrn Marcel Wieser, 
 
gegen  
 
Eidgenössische Steuerverwaltung, 
Hauptabteilung Mehrwertsteuer, 
Schwarztorstrasse 50, 3003 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Mehrwertsteuer, Steuerperiode 2016, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung I, vom 
12. April 2022 (A-4452/2021, A-4454/2021). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Gegenüber der A.________ AG erliess die Eidgenössische Steuerverwaltung am 7. September 2021 zwei Einspracheentscheide, mit denen sie die Steuerpflichtige zur Zahlung von Verzugszinsen im Betrag von Fr. 6'911.50 (Mehrwertsteuer; 1. bis 3. Quartal 2016) und Fr. 3'873.90 (4. Quartal 2016) verpflichtete. Dagegen gelangte die Gesellschaft erfolglos an das Bundesverwaltungsgericht, das für beide Verfahren am 12. April 2022 ein einziges Urteil fällte.  
 
1.2. Am 9. Juni 2022 hat die durch Herrn Marcel Wieser vertretene A.________ AG Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht eingereicht. Sie beantragt hauptsächlich, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben, und es sei aufgrund einer Verletzung des rechtlichen Gehörsanspruchs im Einspracheverfahren das Verfahren einzustellen, eventualiter zu neuer Entscheidung an die EStV zurückzuweisen. In Bezug auf die Verzugszinsen (Mehrwertsteuer 1. bis 3. sowie 4. Quartalsabrechnung 2016) sei das Urteil der Vorinstanz aufzuheben; von der Erhebung eines Verzugszinses sei abzusehen; eventualiter sei der Verzugszins nach Massgabe des Gerichts neu und deutlich unter 4.0% p.a. festzusetzen; zudem sei festzustellen, dass Verzugszinsen in einem Nullzinsumfeld am Kapitalmarkt mangels Nachgewiesenheit eines Verzugsschadens eine strafrechtlich motivierte Sanktion nach Art. 6 und Art. 7 lit. d EMRK darstellten.  
 
1.3. Auf die Einholung von Vernehmlassungen ist verzichtet worden, da die Sache im vereinfachten Verfahren gemäss Art. 109 BGG beurteilt werden kann (im Wesentlichen unter Verweis auf das angefochtene Urteil, vgl. Art. 109 Abs. 3 BGG).  
 
2.  
 
2.1. Angefochten ist ein Endentscheid des Bundesverwaltungsgerichts in einem Mehrwertsteuerstreit, d.h. in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. a und Art. 90 BGG). Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist zulässig, da keine Ausschlussgründe nach Art. 83 BGG vorliegen. Auf die frist- und grundsätzlich formgerecht (vgl. dazu unten E. 2.2) eingereichte Beschwerde (Art. 42 und Art. 100 Abs. 1 BGG) der nach Art. 89 Abs. 1 BGG legitimierten Beschwerdeführerin ist einzutreten.  
 
2.2. Ungebührliche Rechtsschriften können zur Änderung zurückgewiesen werden (vgl. Art. 42 Abs. 6 BGG).  
Im Verfahren 2C_753/2020 in einer Steuerangelegenheit betreffend den durch die A.________ AG vertretenen Marcel Wieser (Urteil vom 23. Dezember 2020) enthielt die Beschwerdeschrift u.a. folgende Aussage: "Der Beschwerdeführer wird innerhalb von sechs Monaten nach Erlass des Urteils des Bundesgerichts für den Fall, dass die Beschwerde abgewiesen wird, eine Individualbeschwerde beim EGMR zur Klärung der Unabhängigkeit der ASU/EStV im Verwaltungsstrafverfahren einreichen." (Ziff. 18 S. 10). Dazu wurde festgehalten (E. 1.6.2), dass nicht weiter geprüft werden musste, ob diese Aussage als ungebührlich im Sinne von Art. 42 Abs. 6 BGG einzustufen war. 
Hier äussert sich die Beschwerdeführerin vor Bundesgericht u.a. wie folgt: "Die Beschwerdeführerin will diese Frage der Verdachtsstrafe dem EGMR zur Beurteilung vorlegen, sollte auch das Bundesgericht die Ansicht vertreten, es liege keine strafrechtliche Sanktion vor." (Ziff. 43 S. 16). Auch unter den vorliegend gegebenen Umständen muss eine mögliche Ungebührlichkeit im Sinne von Art. 42 Abs. 6 BGG nicht näher untersucht werden. 
 
2.3. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann insbesondere die Verletzung von Bundes- und Völkerrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a und b BGG). Bei der Prüfung wendet das Bundesgericht das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG; BGE 142 I 155 E. 4.4.5) und verfügt es über volle Kognition (Art. 95 BGG; BGE 141 V 234 E. 2). In Bezug auf die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem Recht gilt eine qualifizierte Rüge- und Substanziierungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 147 I 73 E. 2.1; 142 I 99 E. 1.7.2; 139 I 229 E. 2.2).  
 
2.4. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Von den tatsächlichen Grundlagen des vorinstanzlichen Urteils weicht es nur ab, wenn diese offensichtlich unrichtig, unvollständig oder in Verletzung wesentlicher Verfahrensrechte ermittelt wurden und die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 147 I 73 E. 2.2; 142 I 135 E. 1.6; Urteil 2C_827/2019 vom 17. Januar 2020 E. 2.2). Eine entsprechende Rüge ist substanziiert vorzubringen; auf rein appellatorische Kritik an der Sachverhaltsfeststellung bzw. Beweiswürdigung geht das Gericht nicht ein (BGE 140 III 264 E. 2.3; 139 II 404 E. 10.1)  
 
3.  
 
3.1. In Bezug auf die Höhe der gegenüber der Beschwerdeführerin verfügten Verzugszinsen wendet diese - vor dem Hintergrund von auf dem Kapitalmarkt schon seit Jahren vorherrschenden Null- oder sogar Negativzinsen - im Wesentlichen ein: Der hier zur Anwendung gekommene Zinssatz von 4% sei nicht (mehr) "marktüblich" im Sinne von Art. 108 Bst. a MWSTG und somit gesetzwidrig. Diese Einwendung erweist sich als offensichtlich unbegründet, wobei es genügt, verkürzt die Begründung im eben ergangenen und dieselbe Frage betreffenden Urteil 2C_933/2021 vom 23. September 2022 (gegenüber einer ebenfalls durch Marcel Wieser vertretenen GmbH) wiederzugeben.  
 
3.1.1. Nach Art. 86 Abs. 1 MWSTG hat die steuerpflichtige Person die Steuerforderung innert 60 Tagen nach Ablauf der betreffenden Abrechnungsperiode zu begleichen. Bei verspäteter Zahlung ist nach Art. 87 Abs. 1 MWSTG ohne Mahnung ein Verzugszins geschuldet. Die Bestimmung des Verzugszinssatzes obliegt dem Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD). Der Gesetzgeber hat das EFD in Art. 108 lit. a MWSTG verpflichtet, "marktübliche Verzugs- und Vergütungszinssätze" festzusetzen. Gemäss der Botschaft hat sich das EFD dabei an den Marktverhältnissen zu orientieren (Botschaft 2008, S. 7024). Das EFD muss diese Zinssätze laut Art. 108 lit. a MWSTG periodisch anpassen (vgl. neuerdings auch Art. 1 Abs. 2 Zinssatzverordnung EFD, wonach das EFD die Zinssätze für jedes Kalenderjahr festlegen muss). Das EFD hat den Verzugs- und den Vergütungszinssatz in einer Verordnung festgesetzt und zuletzt per 1. Januar 2012 geändert. Beide Zinssätze betragen seither 4 % (Art. 4 Abs. 1 lit. a der Verordnung des EFD vom 25. Juni 2021 über die Verzugs- und Vergütungszinssätze auf Abgaben und Steuern [Zinssatzverordnung EFD; SR 631.014]; zum Ganzen: E. 8.1, 8.2 u. 8.4 des Urteils 2C_933/2021).  
 
3.1.2. Der Verzugszins bezweckt im Mehrwertsteuerrecht den Vor- bzw. Nachteilsausgleich (vgl. zur insoweit analogen Rechtslage im AHV-Recht BGE 139 V 297 E. 3.3.2.2). Er dient nicht dazu, die steuerpflichtige Person zu bestrafen (vgl. Botschaft vom 25. Juni 2008 zur Vereinfachung der Mehrwertsteuer [Botschaft 2008], BBl 2008 S. 7024). Dementsprechend ist er unabhängig vom Verschulden der steuerpflichtigen Person geschuldet (vgl. Urteil 2C_809/2017 vom 23. April 2019 E. 2.1; siehe auch E. 8.4 des Urteils 2C_933/2021).  
 
3.1.3. Auch für das hier zu beurteilende Verfahren genügt es, auf das bereits erwähnte Urteil 2C_933/2021 (vgl. oben E. 3.1 einleitend) zu verweisen (siehe dort E. 8 gesamthaft) und festzuhalten, dass sich der Verzugszins von 4% (ab dem 1. Januar 2012) für die massgebliche Steuerperiode 2016 im Gestaltungsspielraum befindet, den Art. 108 lit. a MWSTG dem EFD eröffnet. Der Zinssatz kann somit als (weiterhin) "marktüblich" eingestuft werden, so dass das angefochtene Urteil sich insoweit als bundesrechtskonform erweist.  
 
3.2. Zum anderen macht die Beschwerdeführerin in Bezug auf die Höhe des ihr gegenüber verfügten Verzugszinses geltend: In einem Nullzinsumfeld am Kapitalmarkt würden Verzugszinsen mangels Nachgewiesenheit eines Verzugsschadens eine strafrechtlich motivierte und gegen Art. 6 sowie Art. 7 lit. d EMRK verstossende Sanktion darstellen. Bei der Verzugssteuerpflicht im Nullteuerungsumfeld handle es sich um eine «Verdachtsstrafe» mit pönalem Charakter, weIche auch die Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV, Art. 6 Abs. 2 EMRK) ver- letze.  
 
3.2.1. Inwiefern der mehrwertsteuerrechtliche Verzugszinssatz mit den Grundrechten aus der Bundesverfassung und der EMRK vereinbar ist, muss hier nicht näher geprüft werden. Die Beschwerdeführerin macht zwar geltend, dass der Verzugszinssatz gegen die EMRK verstosse, diese Argumentation wird aber den qualifizierten Begründungsanforderungen für geltend gemachte Grundrechtsverletzungen nach Art. 106 Abs. 2 BGG (vgl. oben E. 2.3) nicht gerecht.  
 
3.2.2. Es genügt, diesbezüglich auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung in verschiedenen Rechtsbereichen zu verweisen: Die Verzugszinsen bezwecken unabhängig vom tatsächlichen Nutzen und Schaden, den Zinsverlust des Gläubigers und den Zinsgewinn des Schuldners in pauschalierter Form auszugleichen. Hingegen weisen sie nicht pönalen Charakter auf und sind unabhängig von einem Verschulden am Verzug geschuldet (vgl. dazu mit ausführlicher Begründung u.a. BGE 139 V 297 E. 3.3.2.2; 134 V 199 E. 3.3.1; BGE 129 V 345 E. 4.2.1; m.w.H; siehe auch oben E. 3.1.2).  
Damit steht das angefochtene Urteil im Einklang, wenn es festgehalten hat, dass die Verzugszinsregelung des Mehrwertsteuergesetzes ohne Zweifel nicht dem Strafrecht zuzuordnen ist. Zumindest im - hier eingehaltenen - Gestaltungsspielraum von Art. 108 lit. a MWSTG hat der Verzugszins keinen abschreckenden oder vergeltenden Zweck. Er ist weder eine strafrechtliche Sanktion, noch kommt in der Feststellung, dass Verzugszins geschuldet sei, ein strafrechtlich relevanter Vorwurf zum Ausdruck. Ebenso unbegründet ist die Rüge einer Verletzung der Unschuldsvermutung (vgl. E. 5.6 des angefochtenen Urteils gesamthaft). 
Was die Beschwerdeführerin dagegen einwendet, erweist sich als unzureichend, um dem Verzugszins unter den spezifischen Umständen eines "Nullzinsumfeldes" einen pönalen Charakter zuzuschreiben. Als ungenügend erweist es sich insbesondere, wenn die Beschwerdeführerin geltend macht, allein die Betragshöhe des Verzugszinses werde von ihr als Adressatin der Forderung als echte Sanktion in der Form einer Kriminalstrafe empfunden. Mit einer solchen Argumentation ist auch eine Verdachtssrafe oder ein Verstoss gegen die Unschuldsvermutung nicht dargetan. 
 
4.  
Als offensichtlich unbegründet erweist sich auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin, im Einspracheverfahren sei ihr rechtliches Gehör verletzt worden; das habe das Bundesverwaltungsgericht nicht anerkannt und somit seinerseits einen Gehörverstoss begangen. 
Dagegen ist festzuhalten, dass sich die Vorinstanz eingehend mit den behaupteten Gehörsverletzungen im Einspracheverfahren auseinandergesetzt und sie rechtskonform verneint hat. Auf ihre Erwägungen kann verwiesen werden (vgl. E. 2 des angefochtenen Urteils), ohne dass ihnen noch etwas hinzuzufügen wäre. 
 
5.  
 
5.1. Die mit Blick auf das Gesagte offensichtlich unbegründete Beschwerde ist im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG - mit summarischer Begründung und unter Verweis auf das vorinstanzlichen Urteil (Art. 109 Abs. 3 BGG) - abzuweisen.  
 
5.2. Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (vgl. Art. 65 f. BGG).  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung I, mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 17. November 2022 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin 
 
Der Gerichtsschreiber: Matter