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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
9C_54/2020  
 
 
Urteil vom 20. Mai 2020  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiberin Nünlist. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Christian Haag, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Luzern, 
Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Luzern vom 27. Dezember 2019 (5V 18 247). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Die 1965 geborene A.________ bezieht seit dem 1. April 2006 eine ganze Invalidenrente (Verfügungen vom 27. April und 13. Mai 2009; Diagnosen: chronifizierte depressive Störung, Angststörung, Somatisierungsstörung, Persönlichkeit mit anakastischen Zügen). Am 31. Januar 2011 meldete sie sich zum Bezug einer Hilflosenentschädigung an. Mit Verfügung vom 6. Juni 2011 sprach ihr die IV-Stelle Luzern rückwirkend ab 1. Februar 2010 eine Entschädigung infolge Hilflosigkeit leichten Grades zu. Diese wurde mit Verfügung vom 26. September 2013 ab 1. Mai 2013 auf eine Hilflosenentschädigung mittleren Grades erhöht.  
 
A.b. Im Juni 2016 leitete die IV-Stelle eine Revision der Hilflosenentschädigung ein. Nach Abklärungen - insbesondere einer psychiatrischen Untersuchung durch den Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD; Bericht vom 28. April 2017) und einer Abklärung bei der Versicherten zu Hause (Bericht vom 19. Juni 2017) - setzte die IV-Stelle die Hilflosenentschädigung mit Verfügung vom 13. Juni 2018 ab 1. August 2018 auf eine Entschädigung infolge Hilflosigkeit leichten Grades herab.  
 
B.   
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Luzern mit Entscheid vom 27. Dezember 2019 ab. 
 
C.   
A.________ lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten folgende Rechtsbegehren stellen: 
 
"1. Die Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 13. Juni 2018 sowie das vorinstanzliche Urteil vom 27. Dezember 2019 seien aufzuheben. 
 
2.1. Die Beschwerdegegnerin habe der Beschwerdeführerin ab 1. August 2018 weiterhin eine Hilflosenentschädigung für eine mittlere Hilflosigkeit auszurichten. 
 
2.2. Eventualiter sei die Sache zur weiteren Abklärung der Hilfsbedürftigkeit der Beschwerdeführerin an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (inkl. MWSt) im vorinstanzlichen Verfahren und im bundesgerichtlichen Verfahren zulasten der Beschwerdegegnerin, eventualiter zulasten des Staates." 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
1.2. Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist. Eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung weist damit die Tragweite von Willkür auf. Es liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erscheint. Eine Sachverhaltsfeststellung ist etwa dann offensichtlich unrichtig, wenn das kantonale Gericht den Sinn und die Tragweite eines Beweismittels offensichtlich falsch eingeschätzt, ohne sachlichen Grund ein wichtiges und für den Ausgang des Verfahrens entscheidendes Beweismittel nicht beachtet oder aus den abgenommenen Beweisen unhaltbare Schlüsse gezogen hat (BGE 144 V 50 E. 4.2 S. 53 mit Hinweisen; Urteil 9C_752/2018 vom 12. April 2019 E. 1.2).  
 
2.   
Eine sachgerechte Anfechtung des vorinstanzlichen Entscheids war möglich; es kann somit nicht von einer Verletzung der Begründungspflicht resp. des Anspruchs auf rechtliches Gehör gesprochen werden (vgl. BGE 142 III 433 E. 4.3.2 S. 436 mit Hinweisen). 
 
3.  
 
3.1. Das kantonale Gericht hat festgehalten, massgebender Vergleichszeitpunkt sei die rechtskräftige Verfügung vom 26. September 2013, mit welcher der Beschwerdeführerin eine Hilflosenentschädigung mittleren Grades zugesprochen worden sei. Es hat den RAD-Bericht von Dr. med. B.________, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 28. April 2017 als hinreichende Grundlage für die Beurteilung der in Frage stehenden Streitpunkte beurteilt, da dieser insgesamt ein nachvollziehbares Bild über die bei der Beschwerdeführerin vorliegenden psychischen Erkrankungen vermittle. Gestützt auf eine Verbesserung hinsichtlich der Suizidalität hat es einen Revisionsgrund nach Art. 17 ATSG bejaht und den Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung neu beurteilt. Es hat den Bedarf an lebenspraktischer Begleitung im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit. a und b IVV (im Umfang von rund drei Stunden pro Woche) bejaht. Eine regelmässige und erhebliche Dritthilfe in den Lebensverrichtungen Verrichten der Notdurft, Körperpflege sowie An- und Auskleiden hat es dagegen verneint. Gestützt hierauf hat es auf den Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung für eine leichte Hilflosigkeit geschlossen.  
 
3.2. Strittig und damit zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht zu Recht einen Revisionsgrund angenommen und neu eine Hilflosigkeit leichten Grades bestätigt hat.  
 
4.   
Die Vorinstanz hat die entscheidwesentlichen Rechtsgrundlagen zum Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung bei Hilflosigkeit mittelschweren oder leichten Grades, namentlich zu den massgebenden sechs alltäglichen Lebensverrichtungen (Aufstehen, Absitzen, Abliegen; An- und Auskleiden; Essen; Körperpflege; Verrichten der Notdurft; Fortbewegung und Kontaktaufnahme) und zur lebenspraktischen Begleitung (Art. 9 ATSG; Art. 42 bis 42ter IVG in Verbindung mit Art. 35 ff. IVV; BGE 133 V 450), sowie zur Revision der Hilflosenentschädigung (Art. 17 Abs. 2 ATSG; BGE 137 V 424 E. 3.1 S. 428 mit Hinweis; 133 V 108 E. 5.4 S. 114 mit Hinweis; 112 V 371 E. 2b in fine S. 372 mit Hinweisen; vgl. ferner Art. 35 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 87 bis 88bis IVV) zutreffend wiedergegeben. Gleiches gilt für die Grundlagen zur Beweiskraft von Arzt- und Abklärungsberichten (BGE 140 V 543 E. 3.2.1 S. 546 f. mit Hinweisen; 139 V 225 E. 5.2 S. 229 mit Hinweisen; 134 V 231 E. 5.1 S. 232 f. mit Hinweisen; 125 V 351 E. 3a S. 352 und E. 3b/ee S. 353 f., je mit Hinweis). Darauf wird verwiesen. 
 
5.  
 
5.1. Bei den gerichtlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit resp. deren Veränderung in einem bestimmten Zeitraum handelt es sich grundsätzlich um Tatfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.). Gleiches gilt für die konkrete Beweiswürdigung. Dagegen sind frei überprüfbare Rechtsfragen (Urteil 9C_194/2017 vom 29. Januar 2018 E. 3.2) die unvollständige Feststellung rechtserheblicher Tatsachen sowie die Missachtung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 43 Abs. 1, Art. 61 lit. c ATSG) und der Anforderungen an den Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232). Gleiches gilt für die Frage, ob mit dem veränderten Gesundheitszustand ein Revisionsgrund nach Art. 17 ATSG vorliegt.  
 
5.2.  
 
5.2.1. Wie die Beschwerdeführerin selbst darlegt, ist das kantonale Gericht Dr. med. B.________ hinsichtlich der beanstandeten Punkte nicht gefolgt. Inwiefern auf den versicherungsinternen Bericht insbesondere bezüglich der Befundaufnahme und der hieraus gezogenen Schlussfolgerungen zum Gesundheitszustand nicht hätte abgestellt werden dürfen, ist hingegen nicht ersichtlich. Die vorinstanzliche Beweiswürdigung ist demnach nicht in Frage zu stellen - der Verzicht auf weitere Abklärungen ist in zulässiger antizipierter Beweiswürdigung (BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236; 124 V 90 E. 4b S. 94) und damit ohne Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes erfolgt.  
 
5.2.2. Ob ein Revisionsgrund vorliegt, beurteilt sich (unter anderem) aufgrund einer Veränderung des Gesundheitszustandes. Diese muss geeignet sein, den Grad der Hilflosigkeit und damit den Umfang des Anspruchs auf Hilflosenentschädigung zu beeinflussen. Die konkrete Hilflosigkeit in einzelnen Bereichen betrifft dagegen die Folgen einer allfälligen Veränderung und ist als solche im Rahmen der Vorfrage nach einem Revisionsgrund unbeachtlich. Aus den diesbezüglichen Vorbringen kann die Beschwerdeführerin daher nichts zu ihren Gunsten ableiten.  
Die Verbesserung hinsichtlich der Suizidalität (vorinstanzliche Erwägung 5.5. S. 11; Dr. med. B.________ stellte eine nahezu vollständige Remission der depressiven Symptomatik fest) eignet sich durchaus, Auswirkungen auf den Hilfebedarf zu zeitigen. So kann insbesondere ein erhöhter Antrieb die Motivation zur selbständigen Vornahme einzelner Lebensverrichtungen steigern, sich aber auch positiv auf den Bedarf an persönlicher Überwachung und/oder lebenspraktischer Begleitung auswirken. Eine revisionsweise Prüfung ist daher zulässig. 
 
6.  
 
6.1. Die depressive Symptomatik, auf welche die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit dem Hilfebedarf in der Lebensverrichtung Körperpflege verweist, hat sich - wie dargelegt (E. 5.2) - eindeutig verbessert, hielt ja Dr. med. B.________ fest, die depressive Störung sei  nahezu vollständig remittiert (Bericht S. 18); es gebe keine Hinweise darauf, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Selbstfürsorge, der Fähigkeit, angemessen für die eigenen Bedürfnisse zu sorgen, wesentlich beeinträchtigt wäre (Bericht S. 19). Der Gesundheitszustand rechtfertigt es somit von vornherein nicht, in den Lebensverrichtungen wie Körperpflege und An- und Auskleiden eine Hilflosigkeit anzunehmen. Dass der Ehemann dennoch zufolge aktenmässig belegter Überbehütung dazu Hilfestellung leistet, vermag an der fehlenden medizinischen Indikation nichts zu ändern. Eine Verletzung von Bundesrecht liegt nicht vor. Eine Hilfsbedürftigkeit in den sechs Lebensverrichtungen liegt klarerweise auch sonst nicht mehr vor, wie sich aus dem Nachfolgenden ergibt.  
 
6.2. Die Hilfe ist regelmässig, wenn sie die versicherte Person täglich oder eventuell (nicht voraussehbar) täglich benötigt (Urteil 9C_562/2016 vom 13. Januar 2017 E. 5.3 mit Hinweisen). Es ist nicht ersichtlich, dass und inwiefern hinsichtlich des Verrichtens der Notduft die Voraussetzung der Regelmässigkeit erfüllt sein sollte. Sämtliche Vorbringen in der Beschwerde ändern daran nichts.  
 
6.3. Der angefochtene Entscheid verletzt weder das Gleichbehandlungsgebot noch das Diskriminierungsverbot. Weiterungen erübrigen sich.  
 
7.   
Als unterliegende Partei hat die Beschwerdeführerin die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 20. Mai 2020 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Die Gerichtsschreiberin: Nünlist