Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_239/2021  
 
 
Urteil vom 20. August 2021  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichterin Jametti, Bundesrichter Müller, 
Gerichtsschreiber König. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Wehrli, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft, 
Allgemeine Hauptabteilung, 
Grenzacherstrasse 8, Postfach, 4132 Muttenz. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; amtliche Verteidigung, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichts 
Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, 
vom 9. Februar 2021 (470 20 286 [D 228] 20 3264). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft führt gegen A.________ ein Strafverfahren wegen mehrfacher Tätlichkeiten und mehrfacher Drohungen zum Nachteil seiner zwischenzeitlich verstorbenen Ehefrau B.________. 
Ein weiteres Strafverfahren dieser Staatsanwaltschaft richtet sich gegen A.________s Vater. Diesem wird vorgeworfen, B.________ ermordet oder vorsätzlich getötet zu haben. 
Am 19. November 2020 stellte A.________ bei der Staatsanwaltschaft ein Gesuch um amtliche Verteidigung durch Rechtsanwalt Michael Wehrli. Die Staatsanwaltschaft wies das Gesuch mit Verfügung vom 7. Dezember 2020 ab. 
Eine hiergegen erhobene Beschwerde von A.________ wurde vom Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Beschluss vom 9. Februar 2021 kostenpflichtig abgewiesen (Dispositiv-Ziff. 1 und 2 des Beschlusses). Das Gericht bewilligte A.________ zugleich die amtliche Verteidigung im Beschwerdeverfahren und sprach Rechtsanwalt Wehrli ein Honorar zu (Dispositiv-Ziff. 3 des Beschlusses). 
 
B.  
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 6. Mai 2021 beantragt A.________, Dispositiv-Ziff. 1 und 2 des Beschlusses des Kantonsgerichts aufzuheben und im Strafverfahren gegen ihn Rechtsanwalt Michael Wehrli mit Wirkung ab dem 19. November 2020 als amtlichen Verteidiger einzusetzen. Eventualiter stellt er den Antrag, die Angelegenheit zur Neubeurteilung an das Kantonsgericht zurückzuweisen. Ferner ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und unentgeltliche Verbeiständung im bundesgerichtlichen Verfahren. 
Die Staatsanwaltschaft schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Kantonsgericht beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Mit Eingabe vom 1. Juli 2021 verzichtete der Beschwerdeführer darauf, sich weiter zur Sache zu äussern. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über die Gewährung der amtlichen Verteidigung in einem Strafverfahren. Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen zulässig (Art. 78 Abs. 1 und Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; BGE 133 IV 335 E. 4 mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer, der im Strafverfahren beschuldigt wird und dessen Gesuch um amtliche Verteidigung abgewiesen wurde, ist zur Beschwerdeführung befugt (Art. 81 Abs. 1 BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde in Strafsachen ist einzutreten. 
 
2.  
Der Beschwerdeführer rügt, die Verweigerung der amtlichen Verteidigung verletze Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO, Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
 
2.1. Das Kantonsgericht führt aus, der Beschwerdeführer sei jedenfalls derzeit noch mittellos. Es würden ihm mehrfache Tätlichkeiten und mehrfache Drohungen zum Nachteil seiner verstorbenen Ehefrau vorgeworfen. Als Sanktion sei eine Busse, eine geringfügige Geldstrafe oder eine geringfügige Freiheitsstrafe zu erwarten. Es gehe damit um offensichtliche Bagatelldelikte, bei welchen eine amtliche Verteidigung grundsätzlich ausgeschlossen sei. Zudem handle es sich um einen leicht überschaubaren, in sich abgegrenzten Lebenssachverhalt. Auch werfe die rechtliche Würdigung keine besonderen Schwierigkeiten auf. Es sei namentlich nicht ersichtlich, inwiefern es dem Beschwerdeführer nicht möglich sein sollte, im ersten Rechtshilfeverfahren, das zur Abklärung des Sachverhalts eingeleitet worden sei, Ergänzungsfragen an die Familie der verstorbenen Ehefrau im Kosovo zu formulieren oder Einwände gegen bestimmte Fragen zu erheben. Ein weiteres, an die Vereinigten Staaten von Amerika gerichtetes Rechtshilfeersuchen werfe sodann keine komplexen Fragen für den Beschwerdeführer auf. Das entsprechende Verfahren betreffe lediglich die Herausgabe gespeicherter Daten diverser Accounts der Verstorbenen. Weitere Gesichtspunkte, welche für eine amtliche Verteidigung sprechen würden, seien nicht gegeben. Insbesondere genüge die Verknüpfung des Verfahrens mit der Strafuntersuchung gegen den Vater des Beschwerdeführers nicht, um die Notwendigkeit einer amtlichen Verteidigung zu begründen. Auch lasse sich diese Notwendigkeit nicht aus dem Umstand ableiten, dass C.________ (Schwester der verstorbenen Ehefrau des Beschwerdeführers) im Strafverfahren gegen den Vater des Beschwerdeführers als rechtsverbeiständete Privatklägerin auftrete. Dem Beschwerdeführer fehle es ferner nicht an den intellektuellen Fähigkeiten, sich im vorliegenden Fall selbst zu verteidigen. Schliesslich seien die von ihm geltend gemachten psychischen Beschwerden nicht belegt. Eine amtliche Verteidigung sei deshalb insgesamt nicht erforderlich.  
 
2.2. Die Verteidigung ist in den Art. 128 ff. StPO geregelt. In besonders schwer wiegenden Straffällen ist sie unter bestimmten Voraussetzungen notwendig, d.h. der beschuldigten Person muss auf jeden Fall eine Verteidigerin oder ein Verteidiger zur Seite gestellt werden. Bestimmt sie keine Wahlverteidigung, muss ihr diesfalls zwingend eine amtliche Verteidigung bestellt werden (Art. 132 Abs. 1 lit. a StPO). In Bagatellfällen besteht dagegen grundsätzlich kein Anspruch auf amtliche Verteidigung (Art. 132 Abs. 2 StPO). Steht für den Fall einer Verurteilung eine Freiheitsstrafe von über 4 Monaten oder eine Geldstrafe von über 120 Tagessätzen in Aussicht, liegt jedenfalls kein Bagatellfall mehr vor (Art. 132 Abs. 3 StPO). In den dazwischen liegenden Fällen relativer Schwere ist eine amtliche Verteidigung anzuordnen, wenn die beschuldigte Person nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und die Verteidigung zur Wahrung ihrer Interessen geboten erscheint (Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO). Letzteres ist dann der Fall, wenn der Straffall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Probleme aufwirft, denen die beschuldigte Person allein nicht gewachsen wäre (Art. 132 Abs. 2 StPO). Mit dieser Regelung der amtlichen Verteidigung wird die bisherige bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK für den Bereich des Strafprozessrechts umgesetzt (BGE 143 I 164 E. 3.5 S. 174 mit Hinweis).  
Daraus, aber auch aus dem Wortlaut von Art. 132 Abs. 3 StPO ("jedenfalls dann nicht"), folgt, dass nicht automatisch von einem Bagatellfall auszugehen ist, wenn die im Gesetz genannten Schwellenwerte nicht erreicht sind. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Formulierung von Art. 132 Abs. 2 StPO durch die Verwendung des Worts "namentlich" zum Ausdruck bringt, dass nicht ausgeschlossen ist, neben den beiden genannten Kriterien (kein Bagatellfall; tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten, denen die beschuldigte Person allein nicht gewachsen wäre) weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Mithin ist eine Beurteilung der konkreten Umstände des Einzelfalls notwendig, die sich einer strengen Schematisierung entzieht. Immerhin lässt sich festhalten, dass je schwerwiegender der Eingriff in die Interessen der betroffenen Person ist, desto geringer die Anforderungen an die erwähnten tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten sind, und umgekehrt (zum Ganzen: BGE 143 I 164 E. 3.6 a.E. S. 176 mit Hinweisen). 
 
2.3. Wie erwähnt, droht dem Beschwerdeführer nach Auffassung des Kantonsgerichts konkret keine Strafe, welche die in Art. 132 Abs. 3 StPO festgelegten Grenzen überschreitet. Diese Einschätzung ist indes nicht nachvollziehbar. Das Kantonsgericht stützt sich im Wesentlichen einzig auf mehrfache Äusserungen der Staatsanwaltschaft, wonach vorliegend eine Strafe unter der Bagatellgrenze zu erwarten sei. Allerdings handelt es sich bei der Drohung im Sinne von Art. 180 StGB an sich nicht um ein von vornherein geringfügiges Delikt. Die abstrakte Strafandrohung bei diesem Straftatbestand ist Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. Zu berücksichtigen ist in diesem Kontext, dass dem Beschwerdeführer eine mehrfache Tatbegehung über einen Zeitraum von mehreren Jahren zum Vorwurf gemacht wird. Im Einzelnen soll der Beschwerdeführer seine verstorbene Ehefrau in der Zeitspanne vom Herbst 2017 bis zum 19. Juni 2020 mindestens drei bis vier Mal im Jahr geschlagen und an den Haaren gerissen haben. Ferner soll er seiner Ehefrau gedroht haben, ihr das gemeinsame Kind wegzunehmen und sie in den Kosovo abzuschieben. Letzterer Vorwurf wiegt schwer, erscheint doch eine solche Drohung in besonderem Masse als geeignet, das Opfer in Angst und Schrecken zu versetzen (vgl. zur Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsgutes als Strafzumessungskriterium Art. 47 Abs. 2 StGB).  
Aufgrund der dem Beschwerdeführer vorgehaltenen Handlungen ist nicht von vornherein davon auszugehen, dass bei einer Verurteilung nur eine Freiheitsstrafe von bis zu 4 Monaten ausgesprochen wird. Damit handelt es sich vorliegend nicht um einen Bagatellfall im Sinne von Art. 132 Abs. 3 StPO
 
2.4. Entgegen der Vorinstanz geht es vorliegend auch nicht um Handlungen mit einem leicht überschaubaren, in sich abgegrenzten Lebenssachverhalt. Zu berücksichtigen ist, dass eine Mehrzahl von Tatvorwürfen im Raum steht, was bereits eine nicht unerhebliche Komplexität darstellt (vgl. Urteil 1B_654/2020 vom 22. März 2021 E. 2.5 mit Hinweis). Es geht sodann vorliegend um allfällige wiederholte Tathandlungen während der Ehe. In tatsächlicher Hinsicht erfordert die Angelegenheit soweit ersichtlich insbesondere die Würdigung von Aussagen von Angehörigen der Familie der verstorbenen Ehefrau und die Würdigung von gespeicherten Daten diverser Accounts der Verstorbenen.  
Für die sachliche Notwendigkeit einer amtlichen Verteidigung spricht auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer der Staatsanwaltschaft vorwirft, ihm im Zusammenhang mit dem Rechtshilfeersuchen vom 4. September 2020 zunächst nicht in der gebotenen Weise Gelegenheit gegeben zu haben, als beschuldigte Person Fragen zuhanden der ersuchten ausländischen Behörde im Kosovo zu formulieren (vgl. dazu Art. 148 Abs. 1 lit. a StPO). Es stellen sich damit Fragen der Verwertbarkeit von Beweismitteln. Hinzu kommt, dass ein weiteres Rechtshilfeersuchen an die USA gestellt worden war, was die Verfahrenskomplexität zusätzlich erhöht. 
Unter den dargelegten Voraussetzungen erscheint der mittellose Beschwerdeführer nicht in der Lage, ohne anwaltliche Unterstützung seine Argumente gezielt vorzutragen und sich sachgerecht zu verteidigen. Dies gilt auch dann, wenn er - wie die Vorinstanz annimmt - über die intellektuellen Fähigkeiten verfügen sollte, sich bei einem einfach gelagerten Fall selbst zu verteidigen. 
 
3.  
Die Beschwerde ist deshalb gutzuheissen. Dispositiv-Ziff. 1 und 2 des angefochtenen Entscheids sind aufzuheben (vgl. zur Aufhebung der Kostenregelung der Vorinstanz Art. 67 BGG sowie Art. 428 StPO). Rechtsanwalt Michael Wehrli ist rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Gesuchstellung als amtlicher Verteidiger einzusetzen (vgl. Art. 107 Abs. 2 BGG; BGE 122 I 203 E. 2f; Urteil 1B_205/2019 vom 14. Juni 2019 E. 5 mit Hinweisen). 
Dem Ausgang des bundesgerichtlichen Verfahrens entsprechend sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Basel-Landschaft hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor Bundesgericht eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Der betreffende Honoraranspruch wird dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers persönlich zugesprochen (vgl. Art. 64 Abs. 2 Satz 2 BGG). Die eingereichte Kostennote vom 6. Mai 2021 im Betrag von Fr. 8'406.50 (inkl. MWST) ist indes übersetzt, da der Anwalt des Beschwerdeführers diesen schon im kantonalen Verfahren vertrat und damit bereits mit dem Fall vertraut war. Für das gesamte bundesgerichtliche Verfahren erweist sich eine pauschale Entschädigung von Fr. 3'000.-- (inkl. MWST) als angemessen. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Verfahren vor dem Bundesgericht wird aufgrund der genannten Kosten- und Entschädigungsfolgen gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Dispositiv-Ziff. 1 und 2 des angefochtenen Beschlusses werden aufgehoben. Rechtsanwalt Michael Wehrli wird rückwirkend auf den 19. November 2020 als amtlicher Verteidiger bestellt. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Basel-Landschaft hat Rechtsanwalt Michael Wehrli für das Verfahren vor Bundesgericht mit insgesamt Fr. 3'000.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 20. August 2021 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Der Gerichtsschreiber: König