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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_103/2021  
 
 
Urteil vom 20. August 2021  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Haag, Müller, 
Gerichtsschreiberin Sauthier. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.________, 
2. B.________, 
3. C.________, 
4. D.________, 
alle vier vertreten durch Rechtsanwalt Michael Ausfeld, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Kanton Zürich, vertreten durch die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich, Kantonale Opferhilfestelle, Postfach, 8090 Zürich. 
 
Gegenstand 
Leistungen gemäss OHG, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich, II. Kammer, vom 5. Januar 2021 (OH.2020.00002). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 29. Juni 2019 verstarb E.________ an den Folgen einer Schussverletzung. Diese hatte er sich (versehentlich) selbst zugefügt, als er mit einem Kaninchentöter hantiert und sich dabei ein Schuss gelöst hatte. Den Kaninchentöter hatte er, neben anderen Gegenständen, aus dem Brockenhaus, für welches er seit mehreren Jahren ehrenamtlich tätig war, zur Sichtung und Reparatur mit nach Hause genommen. 
Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland stellte die Untersuchung betreffend den aussergewöhnlichen Todesfall mangels Hinweisen auf ein strafrechtlich relevantes Verhalten mit Verfügung vom 6. August 2019 ein. 
A.________, B.________, C.________ und D.________, Angehörige des verstorbenen E.________, stellten am 19. Dezember 2019 ein Gesuch um Übernahme der ungedeckten Anwaltskosten für die Aufwendungen im Zivil- und Strafverfahren bei der Kantonalen Opferhilfestelle Zürich. Diese wies das Gesuch mit Verfügung vom 10. Januar 2020 ab. Dagegen erhoben A.________, B.________, C.________ und D.________ am 12. Februar 2020 Beschwerde an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, welches die Beschwerde am 5. Januar 2021 abwies. 
 
B.  
Mit Eingabe vom 17. Februar 2021 führen A.________, B.________, C.________ und D.________ Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Sie beantragen, das Urteil des Sozialversicherungsgerichts vom 5. Januar 2021 sei aufzuheben und der Kanton Zürich sei zu verpflichten, Gutsprache für die Übernahme von ungedeckten Kosten der anwaltlichen Vertretung im zivil- und im strafrechtlichen Verfahren zu erteilen. 
Das Sozialversicherungsgericht, die Kantonale Opferhilfestelle sowie das Bundesamt für Justiz verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der angefochtene Entscheid stellt einen kantonal letztinstanzlichen Endentscheid im Bereich der Opferhilfe dar (vgl. Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 sowie Art. 90 BGG). Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gemäss Art. 82 lit. a BGG grundsätzlich offen. Da die Opferhilfe keine Staatshaftung betrifft, ist die Streitwertgrenze gemäss Art. 85 Abs. 1 lit. a BGG nicht anwendbar (BGE 132 II 117 E. 2.2.4 S. 121; Urteil 1C_320/2019 vom 23. April 2020 E. 1.1; je mit Hinweisen). Die Beschwerdeführenden haben am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und sind durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt, weshalb sie zur Beschwerde legitimiert sind (Art. 89 Abs. 1 BGG). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen gegeben sind, ist auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten.  
 
1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG). Eine entsprechende Sachverhaltsrüge ist substanziiert vorzubringen (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 144 V 50 E. 4.1; 136 I 184 E. 1.2).  
 
1.3. Gemäss der ständigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist ein Entscheid willkürlich gemäss Art. 9 BV, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid jedoch nur auf, wenn nicht bloss die Begründung, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist; dass eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht (BGE 144 IV 136 E. 5.8; 142 V 513 E. 4.2; je mit Hinweisen).  
 
2.  
Nach Art. 1 Abs. 1 OHG (SR 312.5) hat jede Person, die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, psychischen oder sexuellen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist (Opfer), Anspruch auf Unterstützung nach diesem Gesetz (Opferhilfe). Gemäss Abs. 2 haben auch der Ehegatte oder die Ehegattin des Opfers, seine Kinder und Eltern sowie andere Personen, die ihm in ähnlicher Weise nahestehen (Angehörige) Anspruch auf Opferhilfe. Der Anspruch besteht unabhängig davon, ob der Täter oder die Täterin ermittelt worden ist, sich schuldhaft verhalten und vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat (Abs. 3). 
Die Opferhilfe umfasst gemäss Art. 2 OHG die Beratung und Soforthilfe (lit. a), längerfristige Hilfe der Beratungsstellen (lit. b), Kostenbeiträge für längerfristige Hilfe Dritter (lit. c), Entschädigung (lit. d), Genugtuung (lit. e) sowie Befreiung von Verfahrenskosten (lit. f). 
 
3.  
 
3.1. Die Vorinstanz erwog, die kantonale Opferhilfestelle habe davon ausgehen dürfen, dass es vorliegend an einer für den Nachweis der Opferstellung vorausgesetzten tatbestandsmässigen und rechtswidrigen Straftat fehle. Dies stehe in Übereinstimmung mit der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft. Die kantonale Opferhilfestelle sei daher nicht gehalten gewesen, das Vorliegen einer Straftat selbständig zu prüfen. Von weiteren Abklärungen seien keine neuen Erkenntnisse in der Sache zu erwarten gewesen. Folglich sei nicht zu beanstanden, dass das Gesuch der Beschwerdeführenden um Gutsprache für die Übernahme der ungedeckten Kosten der anwaltlichen Vertretung im zivil- und strafrechtlichen Verfahren mangels einer Anspruch begründenden Straftat abgewiesen habe.  
 
3.2. Die Beschwerdeführenden sind demgegenüber der Ansicht, der Entscheid der Vorinstanz sei aufgrund einer ungenügenden und rechtlich nicht zutreffenden Würdigung des Sachverhalts erfolgt. Zur Begründung führen sie aus, der Polizeirapport befasse sich nur mit der Frage, ob ein aussergewöhnlicher Todesfall vorliege bzw. ob weitere Ermittlungen vorzunehmen seien. Letzteres sei jedoch stillschweigend verneint worden. Dieser Umstand habe Anlass gegeben, bei der Opferhilfestelle den Antrag auf weitere Abklärungen zu deponieren. Dabei sei vor allem abzuklären, ob ein Organisationsverschulden des Brockenhauses vorliege, weil keine Regelung bestanden habe, Gegenstände auf ihre Gefährlichkeit zu überprüfen, bevor sie intern weiter behandelt wurden, um dann allenfalls in den Verkauf zu gelangen oder weggeworfen zu werden. Dass die Vorinstanz ohne weitere Abklärung der massgebenden Verhältnisse eine Sorgfaltspflicht der Organe des Brockenhauses verneint habe, sei absolut stossend. Die Verhältnisse seien zuerst weiter abzuklären, bevor eine solche Schlussfolgerung gezogen werden könne. Der vorinstanzliche Entscheid erscheine als sachlich nicht vertretbar und sei damit willkürlich.  
 
3.3. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Wie dem angefochtenen Entscheid entnommen werden kann, hat die Vorinstanz einlässlich geprüft, ob die Organe des Brockenhauses eine Garantenstellung innegehabt hatten, aufgrund derer sie verpflichtet gewesen wären, allfällige Sicherheitsvorkehrungen in Bezug auf den Kaninchentöter zu treffen (vgl. E. 4.2 des angefochtenen Entscheids). Darauf kann verwiesen werden. Die Vorinstanz hat in Übereinstimmung mit der kantonalen Opferhilfestelle nachvollziehbar dargelegt, dass E.________ die Herrschaft über das zum Tode führende Geschehen innegehabt habe. Er habe jederzeit von der freiwilligen und ehrenamtlichen Reparatur bzw. Sichtung des Kaninchentöters Abstand nehmen können. Daran ändere auch nichts, dass er den Gegenstand allenfalls nicht als Waffe erkannt habe und es deshalb zum tragischen Ereignis gekommen sei. Er habe sich in freier Verantwortung einer Selbstgefährdung ausgesetzt. Die Organe des Brockenhauses seien jedenfalls nicht unmittelbar beteiligt und hätten ihn nicht gefährdet. Sie hätten folglich keine Garantenstellung innegehabt und es könne ihnen keine pflichtwidrige Untätigkeit vorgeworfen werden, die zum Tod von E.________ geführt habe.  
Dass die Vorinstanz das Vorliegen einer Straftat verneinte, ist nach dem Gesagten nicht zu beanstanden. Inwiefern die von den Beschwerdeführenden beantragte "Ergänzung/Präzisierung des Sachverhalts", wonach "der Verstorbene schon seit längerer Zeit für das Blaue Kreuz tätig war und für diese Organisation zuvor eingesammelte Gegenstände sichtete, prüfte und für einen späteren Verkauf wieder dem Brockenhaus aushändigte, was alles mit Wissen und Willen der Organe des Blauen Kreuzes geschehen sei", daran etwas ändern soll, ist nicht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als die Vorinstanz diese Tatsachen ohnehin berücksichtigte. Sie hielt fest, E.________ sei bereits seit 20 Jahren freiwillig und ehrenamtlich für das Blaue Kreuz tätig gewesen (vgl. E. 4.2 des angefochtenen Entscheids). Unbehelflich ist sodann auch der Einwand der Beschwerdeführenden, E.________ sei im Zeitpunkt des Ereignisses bereits über 70 Jahre alt gewesen. Anhaltspunkte, dass er nicht mehr in der Lage gewesen wäre, eigenverantwortlich zu handeln, werden von den Beschwerdeführenden nicht substanziiert geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich. 
Schliesslich steht die vorinstanzliche Schlussfolgerung in Übereinstimmung mit den Strafakten, insbesondere der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft vom 6. August 2019. Darin wird festgehalten, die Untersuchung habe keinerlei Hinweise auf ein strafrechtlich relevantes Verhalten bzw. eine todesursächliche Fremdeinwirkung ergeben, weshalb das Verfahren einzustellen sei. Es sei davon auszugehen, dass E.________ in den Lauf des Kaninchentöters geschaut habe, als sich der Schuss gelöst habe. Der Schussverlauf spreche aus rechtsmedizinischer Sicht am ehesten für eine unfallmässige und nicht für eine suizidale Schussabgabe. 
Es kann den Vorinstanzen unter diesen Umständen auch nicht eine unvollständige Sachverhaltsfeststellung vorgeworfen werden, wenn sie auf die Anordnung weiterer Untersuchungsmassnahmen verzichtet haben. Aufgrund der vorinstanzlichen Feststellungen und der Strafakten ist davon auszugehen, dass es sich beim Tod von E.________ um einen tragischen, jedoch eigenverantwortlichen Unfall und nicht um eine Straftat gehandelt hat. Bei dieser Sachlage bestand folglich für die Vorinstanzen kein Anlass, weitere Untersuchungsmassnahmen anzuordnen, auch nicht im Zusammenhang mit einem allfälligen Organisationsverschulden seitens des Brockenhauses, wie von den Beschwerdeführenden vorgebracht. 
Die Vorinstanzen durften davon ausgehen, dass es an einer für den Nachweis der Opferstellung vorausgesetzten tatbestandsmässigen und rechtswidrigen Straftat fehlt. Der angefochtene Entscheid beruht weder auf einer unrichtigen noch auf einer ungenügenden Sachverhaltsfeststellung. Dass die Vorinstanzen das Gesuch um Gutsprache für die Übernahme der ungedeckten Kosten der anwaltlichen Vertretung abgewiesen haben, kann vorliegend daher nicht als unhaltbar bezeichnet werden. 
 
4.  
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen. Gerichtskosten sind keine zu erheben (Art. 30 Abs. 1 OHG i.V.m. Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführenden haben keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem Kanton Zürich, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, II. Kammer, und dem Bundesamt für Justiz BJ schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 20. August 2021 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Sauthier