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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
4A_199/2022  
 
 
Urteil vom 20. September 2022  
 
I. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin, 
Bundesrichterinnen Kiss, Niquille, 
Bundesrichter Rüedi, 
Bundesrichterin May Canellas, 
Gerichtsschreiber Stähle. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ AG, 
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Schatz, Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Stiftung B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Simon Ruchti, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Vormerkung eines Mietverhältnisses im Grundbuch gemäss Art. 261b OR; Verfahrensart; sachliche Zuständigkeit, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 6. April 2022 (HG220029-O). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die A.________ AG (Klägerin, Beschwerdeführerin) ist Mieterin von Geschäftsräumlichkeiten an der U.________strasse in V.________. Vermieterin ist die Stiftung B.________ (Beklagte, Beschwerdegegnerin). Der vom 18. Dezember 2018 datierende Mietvertrag wurde für eine Dauer von 10 Jahren abgeschlossen. 
Im Jahr 2021 entschied die Beklagte, das Grundstück per Januar 2026 an die C.________ AG zu verkaufen. Aus diesem Grund kündigte die Beklagte das mit der Klägerin bestehende Mietverhältnis mit Schreiben vom 15. Juli 2021 "ausserordentlich" per 31. Dezember 2025. 
Am 13. August 2021 reichte die Klägerin ein Schlichtungsgesuch bei der Schlichtungsbehörde in Miet- und Pachtsachen des Bezirks Horgen ein und verlangte die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung. Eventualiter focht sie die Kündigung gestützt auf Art. 271 f. OR an. Subeventualiter ersuchte sie um Erstreckung des Mietverhältnisses. Dieser Prozess ist zurzeit hängig und nicht Gegenstand des vorliegenden bundesgerichtlichen Verfahrens. 
 
B.  
 
B.a. Am 16. Februar 2022 klagte die Klägerin beim Handelsgericht des Kantons Zürich mit dem (hier zusammengefassten) Begehren, die Beklagte sei zu verurteilen, den Mietvertrag vom 18. Dezember 2018 nach Art. 261b OR beziehungsweise Art. 959 ZGB im Grundbuch der Gemeinde V.________ für die vertraglich vorgesehene feste Mietdauer bis zum 31. Dezember 2029 in der Rubrik "Vormerkungen" eintragen zu lassen. Eventualiter sei die Beklagte zu verurteilen, ihr eine (in der Klageschrift im Einzelnen wiedergegebene) Grundbuchanmeldung betreffend die Vormerkung des Mietverhältnisses rechtsgültig unterzeichnet auszuhändigen.  
Die Klägerin stützte sich dabei auf eine Klausel im Mietvertrag, welche ihr "das Recht auf eine solche Vormerkung" einräume. Sie wolle verhindern, dass die C.________ AG (als Erwerberin des Grundstücks per Januar 2026) den Mietvertrag gestützt auf Art. 261 Abs. 2 lit. a OR wegen Eigenbedarfs vorzeitig kündigen könne. 
 
B.b. Die Beklagte beantragte Nichteintreten auf die Klage, mit der Begründung, das Handelsgericht sei sachlich nicht zuständig.  
 
B.c. Mit Beschluss vom 6. April 2022 trat das Handelsgericht auf die Klage nicht ein. Es ging davon aus, dass es sich um eine Streitigkeit aus der Miete von Geschäftsräumen handle und der Kündigungsschutz betroffen sei. Gemäss Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO gelte in solchen Fällen das vereinfachte Verfahren. Folglich sei die handelsgerichtliche Zuständigkeit nicht gegeben.  
 
C.  
Die Klägerin verlangt mit Beschwerde in Zivilsachen, der Beschluss des Handelsgerichts sei aufzuheben. Der "Einwand der fehlenden sachlichen Zuständigkeit" sei abzuweisen und auf die Klage sei einzutreten. Eventualiter sei die Sache "zum Eintreten" (subeventualiter "zur Neubeurteilung") an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Das Handelsgericht verzichtete auf Vernehmlassung. Die Beschwerdegegnerin begehrt, die Beschwerde abzuweisen. Die Beschwerdeführerin reichte ein weiteres Schreiben ein. 
 
D.  
Mit Präsidialverfügung vom 28. Juni 2022 wurde das von der Beschwerdeführerin gestellte Gesuch um Erlass vorsorglicher Massnahmen abgewiesen und die Beschwerdegegnerin auf ihrer Zusicherung behaftet, bis zum Abschluss des vorliegenden Beschwerdeverfahrens auf eine vorzeitige Eigentumsübertragung zu verzichten. Am 5. Juli 2022 reichte die Beschwerdeführerin ein Gesuch um Wiedererwägung der Präsidialverfügung vom 28. Juni 2022 ein, zu welchem sich die Beschwerdegegnerin vernehmen liess, worauf die Beschwerdeführerin am 26. Juli 2022 replizierte. Mit Verfügung vom 29. Juli 2022 trat das präsidierende Mitglied nicht auf das Wiedererwägungsgesuch ein. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Der angefochtene Beschluss des Handelsgerichts ist ein Endentscheid (Art. 90 BGG) einer einzigen kantonalen Instanz im Sinne von Art. 75 Abs. 2 lit. b BGG. Dagegen steht grundsätzlich die Beschwerde in Zivilsachen offen, gemäss Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG unabhängig vom Streitwert (BGE 139 III 67 E. 1.2; siehe auch BGE 138 III 799 E. 1.1, 2 E. 1.2.2 S. 5). 
 
2.  
Das vereinfachte Verfahren findet keine Anwendung in Streitigkeiten vor dem Handelsgericht (Art. 243 Abs. 3 ZPO). Gilt für eine Streitigkeit nach Art. 243 Abs. 1 oder 2 ZPO das vereinfachte Verfahren, ist das Handelsgericht mithin nicht zuständig, selbst wenn es sich um eine handelsrechtliche Streitigkeit im Sinne von Art. 6 Abs. 2 ZPO handelt. Die Regelung der Verfahrensart geht jener über die sachliche Zuständigkeit vor (BGE 143 III 137 E. 2.2; 142 III 788 E. 4.1, 515 E. 2.2.4; 139 III 457 E. 4.4.3). 
Die Vorinstanz hat daher im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung zu Recht untersucht, ob der Geltungsbereich des vereinfachten Verfahrens gemäss Art. 243 Abs. 1 oder 2 ZPO eröffnet ist. 
Angesichts des Fr. 30'000.-- übersteigenden Streitwerts fällt die vorliegende Streitigkeit nicht unter Abs. 1 von Art. 243 ZPO. Nach Abs. 2 lit. c dieser Bestimmung gilt das vereinfachte Verfahren aber streitwertunabhängig (unter anderem) auch bei Streitigkeiten aus Miete von Wohn- und Geschäftsräumen, wenn der Kündigungsschutz betroffen ist. 
Fest steht, dass es um die Miete von Geschäftsräumen geht. 
 
3.  
Umstritten ist dagegen, ob die auf Art. 261b OR (in Verbindung mit Art. 959 ZGB) gestützte Klage betreffend die grundbuchliche Vormerkung eines Mietverhältnisses den Kündigungsschutz gemäss Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO betrifft. 
 
3.1. Der Begriff des "Kündigungsschutzes" ("protection contre les congés"; "protezione dalla disdetta") ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung weit zu verstehen. Er umfasst nicht nur jene Tatbestände, die im Obligationenrecht im mit "Kündigungsschutz" betitelten Abschnitt geregelt sind (Anfechtung und Erstreckung [Art. 271 bis 273c OR]). Vielmehr liegt ein Fall von Kündigungsschutz im Sinne von Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO stets und jedenfalls dann vor, wenn das Gericht über die Beendigung eines Mietverhältnisses ("la fin du bail") befinden muss, sei es zufolge einer (ordentlichen oder ausserordentlichen) Kündigung, sei es aufgrund des Ablaufs der vereinbarten Dauer des Mietvertrags, sei es im Zusammenhang mit der Ausübung eines Optionsrechts oder dergleichen (BGE 144 III 346 E. 1.2.2.1; 142 III 690 E. 3.1, 402 E. 2, 278 E. 4.2; 139 III 457 E. 5.2 f.; Urteile 4A_359/2017 vom 16. Mai 2018 E. 4.3 f.; 4A_340/2017 vom 24. Juli 2017 E. 2.2 f.; 4A_547/2016 vom 5. Dezember 2016 E. 2.1; 4A_300/2016 vom 5. Oktober 2016 E. 2.3; ferner BGE 146 III 63 E. 4.2 und 4.4.5).  
 
3.2.  
 
3.2.1. Veräussert die Vermieterin die Sache nach Abschluss des Mietvertrags, so geht das Mietverhältnis nach Art. 261 Abs. 1 OR mit dem Eigentum an der Sache auf die Erwerberin über.  
Soweit es sich - wie hier - um Wohn- oder Geschäftsräume handelt, kann die neue Eigentümerin das Mietverhältnis jedoch gemäss Art. 261 Abs. 2 lit. a ZPO mit der gesetzlichen Frist auf den nächsten gesetzlichen Termin kündigen, wenn sie einen dringenden Eigenbedarf für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte geltend macht. 
 
3.2.2. Anders als unter altem (vor dem 1. Juli 1990 geltenden) Recht (aArt. 259 OR) findet damit von Gesetzes wegen ein Vertragsparteienwechsel statt, mit der Folge, dass (pro futuro) sämtliche aus dem Mietverhältnis resultierenden Rechte und Pflichten von der bisherigen auf die neue Eigentümerin übergehen. Letztere tritt in den unverändert weiterbestehenden Mietvertrag ein (BGE 127 III 273 E. 4c/aa). Es gilt der Grundsatz "Kauf bricht Miete nicht", mit der Ausnahme, dass die Erwerberin des Mietobjekts das Mietverhältnis gemäss Art. 261 Abs. 2 lit. a OR wegen dringenden Eigenbedarfs kündigen kann (zur Entstehungsgeschichte BGE 125 III 123 E. 1b).  
 
3.3.  
 
3.3.1. Nach Art. 261b OR kann bei der Miete an einem Grundstück verabredet werden, dass das Verhältnis im Grundbuch vorgemerkt wird (Abs. 1). Die Vormerkung bewirkt, dass jede neue Eigentümerin der Mieterin gestatten muss, das Grundstück entsprechend dem Mietvertrag zu gebrauchen (Abs. 2). Das Gebrauchsrecht der Mieterin wird dadurch zur Realobligation im Sinne von Art. 959 ZGB (statt aller: HIGI/WILDISEN, Zürcher Kommentar, 5. Aufl. 2019, N. 13 zu Art. 261b OR mit weiteren Hinweisen; LACHAT/BOHNET, in: Commentaire romand, Code des obligations I, 3. Aufl. 2021, N. 4 zu Art. 261b OR).  
 
3.3.2. Nachdem das Mietverhältnis nach "neuem" Mietrecht ohnehin ipso iure auf die Erwerberin übergeht, besteht Sinn und Zweck der (realobligatorisch wirkenden) Vormerkung nach Art. 261b OR heute im Wesentlichen darin, die auf Art. 261 Abs. 2 lit. a OR gestützte Eigenbedarfskündigung der neuen Eigentümerin zu verunmöglichen (HANS BÄTTIG, in: Das schweizerische Mietrecht, Kommentar, 4. Aufl. 2018, N. 9 zu Art. 261b OR; ferner HANS GIGER, Berner Kommentar, 2020, N. 20 zu Art. 261b OR; LACHAT/RUBLI, Le bail à loyer, 2019, S. 207; ROGER WEBER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht I, 7. Aufl. 2020, N. 1 zu Art. 261b OR; SYLVAIN MARCHAND, in: Droit du bail à loyer et à ferme, Bohnet/Carron/Montini [Hrsg.], 2. Aufl. 2017, N. 10 zu Art. 261b OR; MICHEL MOOSER, in: Commentaire romand, Code civil II, 2016, N. 24 zu Art. 959 ZGB; ZUCKER/EICHENBERGER, Die Vormerkung des Mietverhältnisses im Grundbuch, AJP 2010, S. 835; so bereits auch WALTER FELLMANN, Der Übergang des Mietverhältnisses nach Art. 261 OR - ein gesetzlicher Parteienwechsel mit Lücken und Tücken, AJP 1994, S. 547; DIETER ZOBL, Grundbuchrecht, 2. Aufl. 2004, Rz. 302 S. 129 und dort in Fn. 673; siehe auch BGE 125 III 123 E. 1f).  
Die Vormerkung eines Mietverhältnisses ist damit im Kern ein Institut des (vorsorglichen) Kündigungsschutzes geworden. 
So verhält es sich denn auch hier: Es ist das in der Klageschrift erklärte Ziel der Beschwerdeführerin, eine allfällige Eigenbedarfskündigung des Mietvertrags durch die das Grundstück per 2026 übernehmende C.________ AG zu unterbinden. 
 
3.3.3. Freilich hat die Vormerkung darüber hinausgehende sachenrechtliche Wirkungen, indem das - nun dinglich verstärkte - Mietverhältnis überhaupt jedem später am Grundstück erworbenen Recht vorgeht (Art. 959 Abs. 2 ZGB; vgl. für einen Spezialfall Art. 261a OR; eingehend etwa BETTINA HÜRLIMANN-KAUP, Grundfragen des Zusammenwirkens von Miete und Sachenrecht, 2008, Rz. 773-783 S. 313-318). Soweit aber die Vormerkung nicht ohnehin auch insoweit der Verhinderung einer vorzeitigen Beendigung des Mietverhältnisses dient, steht jedenfalls der Schutz vor Eigenbedarfskündigungen im Sinne von Art. 261 Abs. 2 lit. a OR bei der Vormerkung nach Art. 261b OR im Vordergrund.  
 
3.4. Bei dieser Ausgangslage entspricht es der weitgefassten bundesgerichtlichen Rechtsprechung (Erwägung 3.1), dass eine Streitigkeit über die grundbuchliche Vormerkung eines Mietverhältnisses den Kündigungsschutz im Sinne von Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO betrifft.  
Wohl steht in diesem Verfahren - und insofern unterscheidet sich die mietvertragliche Vormerkung von jenen Fällen, welche den bisherigen bundesgerichtlichen Urteilen zum Begriff des Kündigungsschutzes zugrunde lagen (Erwägung 3.1) - "keine konkrete Kündigung" (oder allgemein: nicht die konkrete Beendigung) eines Mietvertrags im Streit. Dies ist der Vormerkung nach Art. 261b OR indes inhärent, erfolgt diese doch begriffsnotwendig vor der Veräusserung des Mietobjekts und somit vor einer möglichen (Eigenbedarfs-) Kündigung der neuen Eigentümerin, welche die Vormerkung gerade verhindern will. 
 
3.5. Zusammenfassend ist festzuhalten: Streitigkeiten über die Vormerkung von Mietverhältnissen an Wohn- und Geschäftsräumen im Grundbuch nach Art. 261b OR (in Verbindung mit Art. 959 ZGB) fallen unter den Begriff des "Kündigungsschutzes" im Sinne von Art. 243 Abs. 2 lit. c ZPO. Für sie gilt demnach das vereinfachte Verfahren (Art. 243 ff. ZPO) ohne Rücksicht auf den Streitwert.  
Dies hat das Handelsgericht zutreffend erkannt (Art. 243 Abs. 3 ZPO), und es ist zu Recht mangels sachlicher Zuständigkeit auf die Klage nicht eingetreten (Art. 59 Abs. 2 lit. b ZPO). 
 
4.  
Die Beschwerde ist abzuweisen. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig (siehe Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 8'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 9'000.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Handelsgericht des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 20. September 2022 
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Hohl 
 
Der Gerichtsschreiber: Stähle