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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_1481/2020  
 
 
Urteil vom 22. März 2021  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Bundesrichter Hurni, 
Gerichtsschreiber Held. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.________, 
2. B.________, 
Beschwerdeführerinnen, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, Bahnhofstrasse 29, 8200 Schaffhausen, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Nichtanhandnahmeverfügung (vorsätzliche Tötung, eventuell fahrlässige Tötung), 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 12. Mai 2020 (51/2020/16/B). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Beschwerdeführerinnen erstatteten am 8. August 2019 gegen verschiedene Behörden und Beamte Strafanzeige wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Tötung ihrer am 8. Februar 2018 in der Türkei verstorbenen Mutter. 
 
Die Beschwerdegegnerin verfügte am 27. Januar 2020, kein Strafverfahren an die Hand zu nehmen. Auf die hiergegen erhobene Beschwerde trat die Vorinstanz mit Verfügung vom 12. Mai 2020 mit der Begründung nicht ein, "[d]ie Beschwerdeschrift setzt sich in keiner Weise mit der angefochtenen Verfügung auseinander, womit es ihr an einer sachbezogenen Begründung fehlt (Art. 385 Abs. 1 lit. b StPO) ". 
 
Die Beschwerdeführerinnen gelangen an das Bundesgericht und beantragen zusammengefasst, der Entscheid der Vorinstanz sei aufzuheben und die Beschwerdegegnerin anzuweisen, eine Strafuntersuchung durchzuführen. Sie ersuchen um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
Die Vorinstanz verzichtet auf eine Vernehmlassung. Die Beschwerdegegnerin beantragt die kostenfällige Abweisung der Beschwerde. 
 
2.  
 
2.1. Der Privatklägerschaft wird ein rechtlich geschütztes Interesse an der Beschwerde zuerkannt, wenn sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG). Unbekümmert um die fehlende Legitimation in der Sache selbst kann die Privatklägerschaft die Verletzung jener Parteirechte geltend machen, die ihr nach dem Verfahrensrecht, der Bundesverfassung oder der EMRK zustehen und deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung bedeutet. Zulässig sind nur Rügen formeller Natur, die von der Prüfung der Sache getrennt werden können. Nicht zu hören sind Rügen, die im Ergebnis auf eine materielle Überprüfung des angefochtenen Entscheids abzielen (sog. "Star-Praxis"; BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 4 f. mit Hinweisen).  
 
2.2. Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, die Vorinstanz sei zu Unrecht nicht auf ihre Beschwerde eingetreten. Diese Beanstandung ist gemäss "Star-Praxis" einer bundesgerichtlichen Überprüfung zugänglich. Auf die Beschwerde ist einzutreten.  
 
3.  
Gemäss Art. 396 Abs. 1 StPO ist die Beschwerde gegen schriftlich oder mündlich eröffnete Entscheide innert 10 Tagen schriftlich und begründet bei der Beschwerdeinstanz einzureichen. Verlangt das Gesetz, dass das Rechtsmittel begründet wird, so hat die Person oder die Behörde, die das Rechtsmittel ergreift, gemäss Art. 385 Abs. 1 StPO genau anzugeben, welche Punkte des Entscheids sie anficht (lit. a), welche Gründe einen anderen Entscheid nahe legen (lit. b) und welche Beweismittel sie anruft (lit. c). 
 
4.  
 
4.1. Die Beschwerdegegnerin begründet die Nichtanhandnahme damit, aus den Schreiben der Beschwerdeführerinnen, begleitet von einer Dokumentenmappe mit diversen "Beweismitteln" (u.a. Asyl- und Krankenakten), lasse sich kein Anfangsverdacht hinsichtlich eines Tötungsdelikts entnehmen. Die erhobenen, in weiten Teilen nur schwer verständlichen und unbelegten Anschuldigungen gegen eine Vielzahl von Institutionen und Behörden erschöpften sich in diffusen Behauptungen, ohne dabei konkret darzulegen, welche tatsächlichen, konkreten Handlungen oder Unterlassungen der Angezeigten zum Tod von C.________ geführt haben sollen.  
 
4.2. Die Beschwerdeführerinnen rügten vor Vorinstanz, aus der Zusammenfassung des Vorfalls in der Nichtanhandnahmeverfügung gehe hervor, dass die Beschwerdegegnerin "Kenntnis von dem Verbrechen" habe und die in der Strafanzeige geschilderten Ereignisse sehr wohl verstehe. Inwieweit von den Beschwerdeführerinnen angesichts der (kurzen) Begründung der Beschwerdegegnerin eine weitergehende Auseinandersetzung mit der Nichtanhandnahmeverfügung erfolgen sollte und könnte, ist nicht ersichtlich. Sie weisen zudem zutreffend darauf hin, dass die Begründung, mit der die Beschwerdegegnerin den Anfangsverdacht verneint, im Widerspruch zu den übrigen Erwägungen der Nichtanhandnahmeverfügung steht. So führt die Beschwerdegegnerin in ihrer Nichtanhandnahmeverfügung unter der Überschrift "Kurzsachverhalt/Tatvorwurf" u.a. explizit aus, die Beschwerdeführerinnen hätten dargelegt, dass aufgrund einer Massnahme des SEM (gemeint ist die Unterbringung im Kanton Schaffhausen) der Tod von C.________ kausal verursacht worden sei. Dies, da C.________ wegen der angeblich unzureichenden Organisation und der schlechten Unterkunftssituation in Schaffhausen habe Hunger leiden müssen und eine Lungenentzündung erlitten habe. Zudem habe das SEM kein "prioritäres Asyl" gewährt, was zu einer weiteren, gravierenden Gesundheitsschädigung von C.________ geführt habe. Weiter habe das SEM trotz Kenntnis des schlechten Gesundheitszustandes von C.________ diese zusammen mit ihrer Tochter A.________ als abgewiesene Asylsuchende zur Ausreise genötigt. Gleiches gelte für das kantonale Sozialamt, welches sich sämtlichen Anliegen verweigert und die menschenunwürdigen Zustände gebilligt und teilweise angeordnet habe. Das Kantonsspital Schaffhausen und dessen Ärzte seien ebenfalls für den Tod von C.________ verantwortlich, da keine ausreichende medizinische Behandlung erfolgt sei. Anlässlich der am 16. Oktober 2017 erfolgten Einlieferung sei von den Ärzten ein Delir diagnostiziert worden, dennoch habe man die Patientin wenige Tage später entlassen und nicht wieder in Spitalpflege genommen. Dies habe zu einer Hirnschädigung von C.________ geführt. Dass die Beschwerdegegnerin die von ihr in der Nichtanhandnahmeverfügung zuvor zusammengefassten Vorwürfe als "schwer verständlich, diffus und nicht hinreichend konkret" tituliert, ist nicht nachvollziehbar. Ob die Vorwürfe zutreffend sind und einen Anfangsverdacht begründen können, ist nicht Gegenstand des bundesgerichtlichen Verfahrens.  
Nach dem soeben Ausgeführten trifft es nicht zu, dass sich die Beschwerdeführerinnen in ihrer kantonalen Beschwerde an die Vorinstanz nicht hinreichend mit den Erwägungen der Beschwerdegegnerin befasst haben. Die Vorinstanz, die im kantonalen Beschwerdeverfahren - anders als das Bundesgericht bei der Beschwerde in Strafsachen - sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht über eine volle Kognition verfügt (vgl. Art. 393 Abs. 2 StPO; Urteile 1B_606/2019 vom 19. Mai 2020 E. 2; 6B_1038/2019 vom 30. April 2020 E. 3.1 f.), hätte sich mit den Einwänden der Beschwerdeführerinnen inhaltlich befassen müssen (vgl. Urteil 6B_635/2020 vom 20. Oktober 2020 E. 3.3). 
 
5.   
Die Beschwerde ist im Verfahren gemäss Art. 109 BGG gutzuheissen. Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG) und keine Entschädigungen auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Damit wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen, die Verfügung des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 12. Mai 2020 aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien (den Beschwerdeführerinnen per Rechtshilfe) und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 22. März 2021 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Held