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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
5A_977/2018  
 
 
Urteil vom 22. August 2019  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Herrmann, Präsident, 
Bundesrichter Marazzi, von Werdt, Schöbi, Bovey, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Fürsprecherin Anna Hofer, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
B.________, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Abgrenzung der sachlichen Zuständigkeit zwischen KESB und Gericht, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern, Kindes- und Erwachsenenschutzgericht, vom 23. Oktober 2018 (KES 18 510). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die 2013 geborene C.________ ist die Tochter der getrennt lebenden A.________ und B.________, unter deren gemeinsamer Sorge sowie alternierender Obhut sie steht (bis anhin Ausübung der Obhut zu 1/3 und an einem Wochenende durch die Mutter sowie zu 2/3 und an drei Wochenenden durch den Vater). Mit Entscheid der KESB Biel vom 18. November 2015 wurde eine Beistandschaft gemäss Art. 308 Abs. 1 und 2 ZGB errichtet. Auch sonst musste die KESB mehrmals autoritativ Regelungen treffen. 
 
B.   
Am 27. Oktober 2017 beantragte die Mutter die Neubeurteilung der Betreuungssituation. Nach Anhörung der Eltern und Eingang diverser Berichte regelte die KESB Biel mit Entscheid vom 15. Juni 2018 die Betreuungsanteile der Eltern neu und erteilte ihnen Weisungen sowie der Beiständin diverse Aufträge. 
Die hiergegen erhobene Beschwerde des Vaters wies das Obergericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 23. Oktober 2018 ab. 
 
C.   
Gegen diesen Entscheid hat der Vater am 27. November 2018 beim Bundesgericht eine Beschwerde erhoben mit den Begehren um Feststellung der Nichtigkeit der beiden vorinstanzlichen Entscheide mangels sachlicher Zuständigkeit. Es wurden keine Vernehmlassungen, aber die kantonalen Akten eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Beschwerdegegenstand ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend die Regelung von Kinderbelangen; die im Übrigen rechtzeitig eingereichte Beschwerde in Zivilsachen steht offen (Art. 72 Abs. 1, Art. 75 Abs. 1, Art. 90 und Art. 100 Abs. 1 BGG). 
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). In diesem Bereich kann lediglich eine offensichtlich unrichtige - d.h. willkürliche, in Verletzung von Art. 9 BV ergangene (BGE 140 III 115 E. 2 S. 117; 141 IV 249 E. 1.3.1 S. 253; 141 IV 369 E. 6.3 S. 375; 143 I 310 E. 2.2 S. 313) - Sachverhaltsfeststellung gerügt werden, wobei hierfür das strenge Rügeprinzip gilt (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266; 141 IV 369 E. 6.3 S. 375). 
Hingegen sind in rechtlicher Hinsicht alle Rügen gemäss Art. 95 f. BGG zulässig und das Bundesgericht wendet in diesem Bereich das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), was heisst, dasses behauptete Rechtsverletzungen (Art. 42 Abs. 2 BGG) mit freier Kognition prüft. Die Verletzung kantonalen Rechts überprüft das Bundesgericht jedoch nur im Zusammenhang mit einer Verletzung verfassungsmässiger Rechte, wobei die Rüge im Vordergrund steht, dass das kantonale Recht willkürlich angewandt worden sei (BGE 139 III 225 E. 2.3 S. 231; 139 III 252 E. 1.4 S. 254; 142 II 369 E. 2.1 S. 372). 
 
2.   
Der Vater bringt beschwerdeweise vor, bereits am 11. Mai 2017 habe er (recte: das Kind) bei der Schlichtungsbehörde Biel ein Ladungsgesuch im Zusammenhang mit der Verurteilung der Mutter zu Unterhaltsbeiträgen gestellt. Die Schlichtungsverhandlung sei gescheitert und er (recte: das Kind) habe darauf am 30. Januar 2018 beim Regionalgericht Berner Jura-Seeland eine Unterhaltsklage eingereicht. Im Rahmen der Hauptverhandlung vom 29. Oktober 2018 sei, wie das Verhandlungsprotokoll zeige, auch die Frage der Obhut und der Betreuung Verfahrensgegenstand gewesen. Die Verhandlung sei in der Folge sistiert worden bis bekannt sei, ob er den Entscheid des Obergerichts vom 23. Oktober 2018 anfechte. Offensichtlich hätten sämtliche Beteiligten nicht erkannt, dass die KESB seit der Einreichung der Unterhaltsklage aufgrund von Art. 298b Abs. 3 und Art. 298d Abs. 3 ZGB sachlich gar nicht mehr zuständig gewesen sei. Die KESB hätte das Verfahren, sobald sie von der Hängigkeit des Unterhaltsverfahrens Kenntnis gehabt habe, einstellen und die Parteien für die Neuregelung der Betreuungsanteile an das Regionalgericht verweisen müssen. Es liege eine offensichtliche Verletzung von bundesrechtlichen Zuständigkeitsvorschriften und damit ein Beschwerdegrund nach Art. 95 lit. a BGG vor. Gemäss Art. 72 KESG/BE richte sich das Verfahren nach dem VRPG/BE. Das Zuständigkeitsrecht des öffentlichen Rechts sei zwingend und könne auch nicht durch Prorogation oder Einlassung geändert werden. Fälle die unzuständige Behörde einen Entscheid, sei dieser nichtig. Vorliegend hätten offensichtlich unzuständige Instanzen entschieden und deren Entscheide seien folglich für nichtig zu erklären. 
 
3.   
Der Beschwerdeführer stellt ein neues Rechtsbegehren und trägt einen vollständig neuen Sachverhalt vor. Im obergerichtlichen Entscheid wird die während des KESB-Verfahrens vom Kind beim Regionalgericht eingereichte Unterhaltsklage mit keinem Wort erwähnt. Offensichtlich hatten die Parteien weder die KESB noch das Obergericht darauf hingewiesen, sondern wurde ihnen bzw. dem Beschwerdeführer die Zuständigkeitsproblematik erst aufgrund eines entsprechenden vorfrageweisen Hinweises des Regionalgerichtes an der Hauptverhandlung im Unterhaltsverfahren bewusst (vgl. Protokoll der HV vom 29. Oktober 2018). 
Grundsätzlich sind im bundesgerichtlichen Verfahren weder neue Begehren (Art. 99 Abs. 2 BGG) noch neue tatsächliche Vorbringen zulässig (Art. 99 Abs. 1 BGG). Eine Ausnahme gilt jedoch, wenn die Feststellung der Nichtigkeit verlangt wird (Urteil 2C_227/2015 vom 31. Mai 2016 E. 1.3; DORMANN, in: Basler Kommentar, 3. Aufl. 2018, N. 32 und 58a zu Art. 99 BGG); sie kann im Rechtsmittelverfahren geltend gemacht werden (BGE 137 I 273 E. 3.1 S. 275; 137 III 217 E. 2.4.3 S. 225; Urteile 5A_758/2018 vom 18. April 2019 E. 1.3; 4A_415/2018 vom 7. Dezember 2018 E. 3.2; 5A_393/2018 vom 21. August 2018 E. 2.1; 4A_364/2017 vom 28. Februar 2018 E. 7.2.2). Vorliegend ist die Beschwerdeführung rechtzeitig und zulässig erfolgt; ausserhalb einer hängigen und zulässigen Beschwerde könnte die Nichtigkeit allerdings nicht geltend gemacht werden, weil dem Bundesgericht keine Oberaufsichtsfunktion über die KESB zukommt (Urteil 5A_393/2018 vom 21. August 2018 E. 2.1 betreffend Frage der KESB-Zuständigkeit bei hängigem Scheidungsverfahren; für weitere Konstellationen vgl. BGE 135 III 46 E. 4.2 S. 48; Urteile 5D_159/2018 vom 13. November 2018 E. 5.1; 5A_580/2009 vom 2. Dezember 2009 E. 2.2). 
 
4.   
Fehlerhafte Entscheide sind nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung in der Regel nur anfechtbar. Als nichtig erweisen sie sich erst dann, wenn der ihnen anhaftende Mangel besonders schwer ist, wenn er sich als offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar erweist und die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet wird. Inhaltliche Mängel einer Entscheidung führen nur ausnahmsweise zur Nichtigkeit. Als Nichtigkeitsgründe fallen vorab funktionelle und sachliche Unzuständigkeit der entscheidenden Behörde sowie krasse Verfahrensfehler in Betracht (BGE 144 IV 362 E. 1.4.3 S. 368; 139 II 243 E. 11.2 S. 260; 138 II 501 E. 3.1 S. 503; 137 I 273 E. 3.1 S. 275). 
Die KESB ist grundsätzlich und insbesondere bei nicht verheirateten Eltern die zur Regelung von Kinderbelangen bzw. Kindesschutzmassnahmen zuständige Behörde (vgl. Art. 315 ZGB), soweit nicht bereits ein Gericht mit den entsprechenden Fragen befasst ist, namentlich im Rahmen eines Eheschutz- oder Scheidungsverfahrens (vgl. Art. 133, Art. 176 Abs. 3, Art. 298 und Art. 315a f. ZGB; Botschaft des Bundesrates zur Sorgerechtsrevision, BBl 2011 9094; Urteil 5A_393/2018 vom 21. August 2018 E. 2.2.2). Von der generellen aussergerichtlichen Regelungszuständigkeit ausgenommen ist jedoch der Kindesunterhalt: Die KESB kann zwar elterliche Unterhaltsvereinbarungen genehmigen (Art. 134 Abs. 3 und Art. 287 Abs. 1 ZGB), darf aber in diesem Bereich nicht autoritativ entscheiden. 
In der ursprünglichen Fassung von Art. 298b Abs. 3 und Art. 298d Abs. 3 ZGB wurde die Klage auf Leistung des Unterhalts vorbehalten, jedoch keine Koordinationsregel in Bezug auf die weiteren Kinderbelange aufgestellt (vgl. AS 2014 360). In der Folge war unklar, ob das mit dem Unterhalt befasste Gericht über diese, namentlich über die für die Unterhaltsfestsetzung ausschlaggebende Obhuts- und Betreuungsfragen selbst zu urteilen oder ob es das Unterhaltsverfahren zu sistieren und das Ergebnis des KESB-Verfahrens über die Obhutszuteilung abzuwarten habe (zur betreffenden seinerzeitigen Kontroverse in der Lehre vgl. AFFOLTER-FRINGELI/VOGEL, Berner Kommentar, N. 38 zu Art. 298b ZGB). 
Im Rahmen der Revision des Kindesunterhaltes hat der Gesetzgeber durch eine Ergänzung von Art. 298b Abs. 3 und Art. 298d Abs. 3 ZGB sowie durch den neu geschaffenen Art. 304 Abs. 2 ZPO mit einer Koordinationsregel Klarheit geschaffen (AB 2014 N 1219 und AB 2014 S 1126). Die auf den 1. Januar 2017 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen gehen dahin, dass das mit der Unterhaltsfrage befasste Gericht im Sinn einer Kompetenzattraktion auch über die Zuteilungsfragen und die weiteren Kinderbelange entscheidet (vgl. AS 2015 4302 f. und 4307; AFFOLTER-FRINGELI/VOGEL, a.a.O., N. 25 und 38 f. zu Art. 298b ZGB sowie N. 27 zu Art. 298d ZGB; MEIER/STETTLER, Droit de la filiation, 6. Aufl. 2019, Rz. 770). Nur am Rand, weil vorliegend nicht weiter interessierend, sei erwähnt, dass im KESB-Verfahren die Eltern die Verfahrensparteien sind, während die Unterhaltsklage vom Kind gegen den einen Elternteil eingeleitet wird. Demzufolge werden im Kind-Eltern-Verfahren Themen der Elternebene attrahiert, was den förmlichen Einbezug des anderen Elternteils (welcher in vielen Fällen das Kind im Unterhaltsprozess vertreten wird) in das Verfahren verlangt. Dies scheint vom Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen worden zu sein. 
Aus dem Gesagtenerhellt, dass die KESB zwar die Entscheidkompetenz namentlich über die Obhut und die Betreuungsanteile an das Gericht abzugeben hat, sobald dieses mit der Unterhaltsfrage befasst ist. Dennoch lässt sich nicht sagen, dass ein in Verletzung der richterlichen Kompetenzattraktion ergangener KESB-Entscheid über die Obhut und/oder die Betreuungsanteile nichtig wäre, entscheidet doch die KESB hier im Bereich ihrer genuinen Kernzuständigkeit (vgl. zur Rechtsprechung, wonach keine Nichtigkeit vorliegt, wenn eine Behörde auf dem Gebiet ihrer allgemeinen Entscheidungsgewalt tätig wird (BGE 137 III 217 E. 2.4.3 S. 225; 129 V 485 E. 2.3 S. 488; 127 II 32 E. 3g S. 47 f.; Urteile 5A_393/2018 vom 21. August 2018 E. 2.2.1; 1C_447/2016 vom 31. August 2017 E. 3.2; 5A_737/2014 vom 26. Mai 2015 E. 3.1). Zudem wird ihre Entscheidkompetenz in hängigen Verfahren lediglich im Zusammenhang mit Unterhaltsklagen und damit bloss ausnahmsweise derogiert; Grundsatz ist, dass die KESB jene Verfahren, die bei ihr im Zeitpunkt der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens anhängig sind, zu Ende führt (vgl. Art. 315a Abs. 3 Ziff. 1 ZGB). Dass vor diesem Hintergrund der zufolge richterlicher Kompetenzattraktion nachträglich eingetretene Zuständigkeitsverlust jedenfalls nicht "offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar" im Sinn der vorstehend zitierten Rechtsprechung war, zeigt sich gerade im Umstand, dass sie bis über das abgeschlossene kantonale Rechtsmittelverfahren hinaus keiner der anwaltlich vertretenen Parteien auffiel. Auch dieser Umstand, d.h. dass sie sich vorbehaltlos auf das Verfahren eingelassen und dieses auch nach Hängigkeit der Unterhaltsklage vorbehaltlos weitergeführt haben, ist bei der Frage der Nichtigkeit zu berücksichtigen (BGE 136 II 489 E. 3.3 S. 496). 
 
5.   
Zusammenfassend ergibt sich, dass die vorinstanzlichen Entscheide keineswegs nichtig sind. Nach dem eingangs von E. 4 Gesagten sind objektiv rechtsfehlerhafte Entscheidung denn auch nur ausnahmsweise nichtig, indes aber grundsätzlich anfechtbar. Ob im vorliegenden Fall der obergerichtliche Entscheid, gegen den fristgerecht Beschwerde beim Bundesgericht erhoben wurde, angesichts der dargestellten zivilrichterlichen Kompetenzattraktion aufzuheben oder ob er angesichts der vorbehaltlosen Fortführung des KESB-Verfahrens durch die Parteien zu schützen wäre, ist nicht zu beurteilen: Zum einen fehlt es an einem entsprechenden Rechtsbegehren (Art. 42 Abs. 1 BGG), denn verlangt wurde einzig die Feststellung der Nichtigkeit (vgl. BGE 91 I 374 E. 5 S. 381 f.). Zum anderen fehlt es an einer diesbezüglichen Beschwerdebegründung (Art. 42 Abs. 2 BGG), und zwar an Ausführungen in Bezug auf das Bundesrecht und erst recht an Willkürrügen in Bezug auf das kantonale Recht, aus welchem der behauptete Rechtsmangel letztlich abgeleitet wird, wie auch an qualifizierten Sachverhaltsrügen bzw. Anträgen zur ausnahmsweisen Sachverhaltsergänzung von Amtes wegen (Art. 97 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG), wie sie als Grundlage bzw. tatsächliche Ausgangsbasis für entsprechende rechtliche Überlegungen notwendig wären. 
 
6.   
Angesichts des Verfahrensausganges sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Gegenseite ist kein entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, der KESB Biel und dem Obergericht des Kantons Bern, Kindes- und Erwachsenenschutzgericht, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 22. August 2019 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Herrmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Möckli