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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_455/2021  
 
 
Urteil vom 23. Juni 2021  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Denys, 
Bundesrichterin Koch, 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern, 
Beschwerdegegnerin, 
 
Bewährungs- und Vollzugsdienste des Kantons Bern, Postfach, 3001 Bern, vertreten durch Amt für Justizvollzug, Fürsprecher Markus D'Angelo, 
Gerechtigkeitsgasse 36, Postfach, 3001 Bern. 
 
Gegenstand 
Anordnung einer Verwahrung (Art. 62c Abs. 4 i.V.m. Art. 64 Abs. 1 StGB), 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 17. März 2021 (BK 20 202). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Obergericht des Kantons Bern, 2. Strafkammer, sprach den Beschwerdeführer am 20. November 2013 in drei Fällen vom Vorwurf der versuchten vorsätzlichen Tötung frei. Es stellte fest, dass der Beschwerdeführer die Tatbestände der versuchten vorsätzlichen Tötung und der Gefährdung des Lebens zum Nachteil von insgesamt acht Polizeibeamten erfüllt hatte. Es erachtete ihn als zum Tatzeitpunkt schuldunfähig und ordnete eine stationäre therapeutische Massnahme an. 
Eine dagegen gerichtete Beschwerde wies das Bundesgericht am 6. Oktober 2014 ab, soweit es darauf eintrat (Urteil 6B_286/2014). 
Die Bewährungs- und Vollzugsdienste des Kantons Bern (BVD) verfügten am 12. Juli 2018 die Aufhebung der stationären Massnahme wegen Aussichtslosigkeit und beantragten dem Regionalgericht Berner Jura-Seeland am 15. August 2018 die Anordnung der Verwahrung. 
Das Regionalgericht hiess den Antrag der BVD gut und ordnete am 6. März 2020 die Verwahrung an. Eine dagegen gerichtete Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, mit Beschluss vom 11. Februar 2021 ab. 
Der Beschwerdeführer wendet sich an das Bundesgericht. 
 
2.  
Rechtsschriften haben die Begehren sowie deren Begründung mit Angabe der Beweismittel zu enthalten. In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG). Um diesen Erfordernissen zu genügen, muss der Beschwerdeführer sich mit den Erwägungen des angefochtenen Entscheids auseinandersetzen (BGE 140 III 86 E. 2 mit Hinweisen). Strengere Anforderungen gelten, wenn die Verletzung von Grundrechten (einschliesslich Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung) geltend gemacht wird. Dies prüft das Bundesgericht nicht von Amtes wegen, sondern nur insoweit, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Anfechtbar ist nur der letztinstanzliche kantonale Entscheid (Art. 80 Abs. 1 BGG). 
 
3.  
Gegenstand des Verfahrens vor Bundesgericht kann grundsätzlich nur sein, was bereits Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens war (vgl. BGE 142 I 155 E. 4.4.2 mit Hinweisen). Thema des Beschwerdeverfahrens vor der Vorinstanz war ausschliesslich die Anordnung der Verwahrung gemäss Art. 62c Abs. 4 StGB i.V.m. Art. 64 Abs. 1 StGB. Nicht Verfahrensgegenstand bildete hingegen die Frage, ob der Beschwerdeführer die Tatbestände der versuchten vorsätzlichen Tötung und der Gefährdung des Lebens im Zustand der nicht selbst verschuldeten Schuldunfähigkeit erfüllt hat. Diese Frage wurde bereits im Urteil vom 20. November 2013 rechtskräftig entschieden und kann im vorliegenden Verfahren nicht mehr zur Diskussion gestellt werden. Der Beschwerdeführer ist folglich nicht zu hören, wenn er vorbringt, "fälschlich eines Verbrechens angeklagt" worden zu sein, "kein Verbrechen begangen" zu haben und seit 10 Jahren "unschuldig" inhaftiert zu sein. Ebenso wenig zum Verfahrensgegenstand gehört der angebliche, seit 1992 andauernde Justizskandal, als dessen Opfer der Beschwerdeführer sich wähnt und um dessen Aufarbeitung er das Bundesgericht ersucht. Auf seine diesbezüglichen Anträge und Begehren ("Bitten") sowie Rügen und Vorbringen kann nicht eingetreten werden. 
 
4.  
Aus der Beschwerde ergibt sich, dass der Beschwerdeführer den Beschluss vom 11. Februar 2021 und dessen Begründung ablehnt. Er sei weder geisteskrank noch geistesschwach. Die forensische Psychiatrie sei eine Katastrophe. Damit stellt er zumindest sinngemäss die ärztlichen Entscheidgrundlagen sowie die angeordnete Verwahrung in Frage. Er setzt sich mit den vorinstanzlichen Erwägungen im angefochtenen Beschluss jedoch nicht spezifisch auseinander, sondern hält im Gegenteil ausdrücklich fest, darauf nicht eingehen zu wollen. Seine Ausführungen genügen den Begründungsanforderungen nicht (vgl. Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf seine Beschwerde kann auch insoweit nicht eingetreten werden. 
 
5.  
Die Beschwerde des Beschwerdeführers müsste im Übrigen als unbegründet abgewiesen werden, könnte darauf eingetreten werden. 
Ist bei Aufhebung einer Massnahme, die aufgrund einer Straftat nach Art. 64 Abs. 1 StGB angeordnet wurde, ernsthaft zu erwarten, dass der Täter weitere Taten dieser Art begeht, so kann das Gericht auf Antrag der Vollzugsbehörde die Verwahrung anordnen (Art. 62c Abs. 4 StGB). Gemäss Art. 64 Abs. 1 b StGB ordnet das Gericht die Verwahrung an, wenn der Täter eine Katalogtat begangen hat, durch die er die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer anderen Person schwer beeinträchtigt hat oder beeinträchtigen wollte, und wenn auf Grund einer anhaltenden oder langandauernden psychischen Störung von erheblicher Schwere, mit der die Tat in Zusammenhang stand, ernsthaft zu erwarten ist, dass der Täter weitere Taten dieser Art begeht und die Anordnung einer Massnahme nach Art. 59 keinen Erfolg verspricht. Das Gericht hat sich bei seinem Entscheid auf eine sachverständige Begutachtung zu stützen (Art. 62c Abs. 4 i.V.m. Art. 56 Abs. 3 StGB). 
Die Vorinstanz hat die bei den Akten liegenden Gutachten und ärztlichen Stellungnahmen ohne Willkür und ohne Rechtsverletzung umfassend sowohl auf ihr formelles und materielles Zustandekommen als auch auf ihre Schlüssigkeit hin überprüft (Art. 56 Abs. 3 StGB; Art. 184 ff. StPO). Im Rahmen ihrer Entscheidfindung stellt sie vornehmlich auf das Gutachten von Prof. Dr. B.________ vom 15. November 2019 (einschliesslich dessen mündlichen Ausführungen an der erstinstanzlichen Hauptverhandlung) ab. Dabei handelt es sich um ein Aktengutachten, weil der Beschwerdeführer eine persönliche Untersuchung verweigerte. Folglich stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit des Aktengutachtens unter dem Aspekt der Beteiligungsrechte nicht. Zudem erschliesst sich nicht, weshalb und inwiefern das fragliche Aktengutachten aus anderen Gründen unzulässig sein könnte, zumal es sämtliche Vorgaben gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu erfüllen vermag (vgl. BGE 146 IV 1 E. 3). Die Vorinstanz durfte es ohne Rechtsverletzung als massgebliche Beurteilungsgrundlage verwenden. 
Inwiefern die Vorinstanz im Übrigen die Anordnung der Verwahrung nach Art. 62c Abs. 4 StGB i.V.m. Art. 64 Abs. 1 StGB zu Unrecht bejaht haben soll, ist sodann ebenfalls nicht ersichtlich. Sie setzt sich mit der Sache eingehend unter jedem Titel auseinander. Auf ihre Erwägungen kann umfassend verwiesen werden. Katalogtaten (zur "Generalklausel" vgl. BGE 139 IV 57 E. 1.3.3) liegen vor. Zu Recht bejaht sie das Kriterium einer unmittelbar deliktsrelevanten psychischen Störung von erheblicher Schwere im Sinne von Art. 64 Abs. 1 lit. b StGB, an welcher der Beschwerdeführer nach wie vor leidet. Sie betont, dass (sämtliche) Sachverständigen in ihren Gutachten bzw. Stellungnahmen übereinstimmend vom Vorliegen einer psychischen Störung ausgehen; es bestünden (lediglich) Differenzen bei der Diagnose. Nach eingehender Auseinandersetzung mit den fachärztlichen Meinungen erachtet sie die Diagnose einer anhaltend wahnhaften Störung gemäss ICD-10 F22.0 als überzeugend dargelegt und hält fest, dass es dabei um eine chronifizierte, langandauernde und anhaltende Störung schweren Ausmasses geht. Sie bejaht ohne Rechtsverletzung die⁠ ⁠rechtliche Relevanz der medizinischen Diagnose (vgl. Urteile 6B_1067/2021 vom 5. Mai 2021 E. 1.2 und 6B_168/2021 vom 21. April 2021 E. 1.4.4). 
Ebenfalls nicht ersichtlich ist, inwiefern die Vorinstanz nicht von einer im Sinne des Gesetzes relevanten Rückfallgefahr hätte ausgehen dürfen. Sie geht auf die ärztlichen Facheinschätzungen ein, würdigt sie sorgfältig und begründet sachlich und stringent, weshalb kein Anlass besteht, die Rückfallprognose gemäss Gutachten vom 15. November 2019 einschliesslich die mündlichen Ausführungen des Gutachters an der erstinstanzlichen Hauptverhandlung in Frage zu stellen oder gar ein Obergutachten in Auftrag zu geben. In der Folge geht sie ohne Rechtsverletzung von einer hohen Rückfallgefahr für weitere schwere Straftaten gegen Leib und Leben aus. 
Nicht zu beanstanden ist der Schluss der Vorinstanz auf eine Behandlungsunfähigkeit des Beschwerdeführers. Angesichts dessen, dass sämtliche Behandlungsversuche bzw. die Versuche, nur schon eine Therapiebereitschaft zu erreichen, aufgrund einer totalen Verweigerung durch den Beschwerdeführer als gescheitert und die zur Behandlung der psychischen Störung vorhandenen Therapiemöglichkeiten als ausgeschöpft zu gelten haben, durfte sie den Beschwerdeführer auf der Grundlage der Einschätzung der Sachverständigen als einer Behandlung im Rahmen einer Massnahme nach Art. 59 StGB nicht zugänglich erachten. 
Ebenfalls nicht zu bestanden ist schliesslich, wenn die Vorinstanz den Eingriff in die Grundrechte des Beschwerdeführers durch die Anordnung der Verwahrung im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit und Schwere von weiteren Straftaten als nicht unverhältnismässig beurteilt (Art. 56 Abs. 2 StGB; BGE 142 IV 105 E. 5.4 mit Hinweisen; Urteil 6B_109/2013 vom 19. Juli 2013 E. 4.4.1-4.4.4). Die Verhältnismässigkeit i.e.S. ist mit Blick auf die gutachterliche Rückfallprognose angesichts der gefährdeten Rechtsgüter zu bejahen. Das angestrebte Ziel lässt sich derzeit mit einem weniger schweren Grundrechtseingriff nicht erreichen. 
 
6.  
Die Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf überhaupt eingetreten werden kann. Angesichts der konkreten Umstände kann ausnahmsweise auf die Erhebung von Gerichtskosten verzichtet werden. Das sinngemässe Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird damit gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, den Bewährungs- und Vollzugsdienste des Kantons Bern und dem Obergericht des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 23. Juni 2021 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill