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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
2C_240/2021  
 
 
Urteil vom 24. August 2021  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Seiler, Präsident, 
Bundesrichter Donzallaz, 
Bundesrichter Beusch, 
Gerichtsschreiber Seiler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Eidgenössische Steuerverwaltung, Hauptabteilung direkte Bundessteuer, Abteilung Recht, Eigerstrasse 65, 3003 Bern, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
1. A.A.________, 
2. B.A.________, 
Beschwerdegegner, 
beide vertreten durch Advokat Christoph Surber, 
 
Steuerverwaltung des Kantons Basel-Stadt, Fischmarkt 10, Postfach, 4001 Basel. 
 
Gegenstand 
Verrechnungssteuer, Steuerperiode 2015, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid der Steuerrekurskommission des Kantons Basel-Stadt 
vom 27. August 2020 (STRK.2017.111). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
B.A.________ und A.A.________ wohnen in U.________. Im Wertschriftenverzeichnis zur Steuererklärung 2015 deklarierten sie unter anderem 30'000 Namenaktien der B.________ (Firma bis zum 30. Oktober 2015: B.________), einer Kommanditaktiengesellschaft mit Sitz in U.________. Die Beteiligung verzeichneten sie mit dem Steuerwert von Fr. 4'200'000.--, ohne aber die in der Steuerperiode 2015 fällig gewordene Bruttodividende in der Höhe von Fr. 900'000.-- zu vermerken. 
 
B.  
 
B.a. Mit Veranlagungsverfügung vom 4. Mai 2017 rechnete die Steuerverwaltung des Kantons Basel-Stadt die Bruttodividende von Fr. 900'000.-- auf. Zudem gab sie den Ehegatten A.________ bekannt, dass der Anspruch auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer (Fr. 315'000.--) mangels Deklaration entfalle. Die Ehegatten A.________ erhoben Einsprache, welche die Steuerverwaltung mit Einspracheentscheid vom 31. Juli 2017 abwies. Die Beschwerde gegen diesen Einspracheentscheid wies die Steuerrekurskommission des Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom 20. September 2018 (versandt am 4. Dezember 2018) ab. Dagegen gelangten die Ehegatten A.________ mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Dieses hiess die Beschwerde infolge der per 1. Januar 2019 in Kraft getretenen Bestimmungen von Art. 23 Abs. 2 und Art. 70d des Bundesgesetzes vom 13. Oktober 1965 über die Verrechnungssteuer (VStG; SR 642.21) mit Urteil 2C_37/2019 vom 16. August 2019 gut und wies die Sache zur ergänzenden Sachverhaltsfeststellung an die Vorinstanz zurück.  
 
B.b. Mit Entscheid vom 27. August 2020 (Begründung vom 10. Februar 2021) stellte die Steuerrekurskommission fest, dass der Deklarationsfehler auf eine Unachtsamkeit zurückzuführen sei. Es stehe nicht mit hinreichender Sicherheit fest, dass sich die Ehegatten A.________ der Unvollständigkeit der Steuererklärung bewusst gewesen seien. Dementsprechend hiess sie die Beschwerde der Ehegatten A.________ gut.  
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 15. März 2021 beantragt die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV), das Urteil der Steuerrekurskommission des Kantons Basel-Stadt vom 27. August 2020 sei aufzuheben und die Rückerstattung der Verrechnungssteuer sei zu verweigern. 
Die Ehegatten A.________ und die Steuerrekurskommission des Kantons Basel-Stadt beantragen die Abweisung der Beschwerde. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerde richtet sich gegen den Endentscheid einer kantonalen Rekurskommission betreffend die Rückerstattung der Verrechnungssteuer. Dagegen kann Beschwerde beim Bundesgericht erhoben werden (Art. 82 lit. a, Art. 90, Art. 86 Abs. 2 BGG i.V.m. Art. 56 VStG). Die ESTV ist zur Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG i.V.m. Art. 66 Abs. 3 der Verordnung vom 19. Dezember 1966 über die Verrechnungssteuer [VStV; SR 642.211]). Die Beschwerde wurde frist- und formgerecht eingereicht (Art. 100 Abs. 1, Art. 42 BGG). Auf die Beschwerde ist einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 143 IV 241 E. 2.3.1; 140 III 115 E. 2). Die beschwerdeführende Partei kann die Feststellung des Sachverhalts unter den gleichen Voraussetzungen beanstanden, wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Sie hat deshalb substanziiert darzulegen, weswegen diese Voraussetzungen gegeben sein sollen; wird sie dieser Anforderung nicht gerecht, bleibt es beim vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt (BGE 140 III 16 E. 1.3.1).  
 
2.2. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. In Bezug auf die Verletzung der verfassungsmässigen Rechte gilt nach Art. 106 Abs. 2 BGG eine gesteigerte Rüge- und Substanziierungspflicht (BGE 143 II 283 E. 1.2.2; 139 I 229 E. 2.2; 138 I 274 E. 1.6). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist daher weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann die Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (Motivsubstitution; BGE 141 V 234 E. 1; 139 II 404 E. 3).  
 
2.3. Hebt das Bundesgericht einen Entscheid auf und weist es die Sache zu neuer Beurteilung an eine untere Instanz zurück, ist die erneut mit der Sache befasste Behörde - unter Vorbehalt prozessual zulässiger Noven, die eine andere Sichtweise nahelegen - an die rechtliche Begründung des Bundesgerichts gebunden. In Fällen, in welchen das Bundesgericht die Sache mit der Weisung an die Vorinstanz zurückweist, den Sachverhalt zu ergänzen und gestützt darauf einen neuen Entscheid zu erlassen, ist die rechtliche Auffassung des Bundesgerichts dafür massgeblich, welche Tatsachen als rechtserheblich gelten, abzuklären und dem neuen Entscheid zu Grunde zu legen sind (zur Sachverhaltsergänzung auf Rückweisung hin siehe BGE 143 IV 214 E. 5.3.3). Angesichts dessen, dass die Untersuchungsmaxime auch in Rückweisungsverfahren Anwendung findet, ist es dabei der angewiesenen Instanz nicht untersagt, sofern erforderlich Beweise zu erheben, die bereits in einem früheren Verfahrensstadium hätten abgenommen werden können (BGE 143 IV 214 E. 5.4).  
 
3.  
Der Streit dreht sich um die Frage, ob die Beschwerdeführer ihren Anspruch auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer nach Art. 23 Abs. 1 VStG verwirkt haben. 
 
3.1. Im Urteil 2C_37/2019 vom 16. August 2019 erkannte das Bundesgericht, dass auf den vorliegenden Fall aufgrund der Übergangsbestimmung von Art. 70d VStG die am 1. Januar 2019 in Kraft getretene Bestimmung von Art. 23 Abs. 2 VStG Anwendung findet (Urteil 2C_37/2019 vom 16. August 2019 E. 2). Danach verwirkt der Anspruch auf die Rückerstattung der Verrechnungssteuer nicht, wenn die Einkünfte oder Vermögen in der Steuererklärung fahrlässig nicht angegeben wurden und in einem noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Veranlagungs-, Revisions- oder Nachsteuerverfahren nachträglich angegeben werden (lit. a) oder von der Steuerbehörde aus eigener Feststellung zu den Einkünften oder Vermögen hinzugerechnet werden (lit. b). Dasselbe gilt, wenn der betreffenden Person gar kein Verschulden vorgeworfen werden kann (vgl. Urteile 2C_74/2018 vom 16. September 2019 E. 2.2; 2C_224/2017 vom 16. August 2019 E. 2.2). In Bezug auf die Frage des subjektiven Tatbestandsmerkmals kam das Bundesgericht zum Schluss, dass die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz in Bezug auf diese Frage unvollständig waren und gestützt darauf nicht beurteilt werden konnte, ob der Beschwerdegegner Kenntnis der Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit der Steuererklärung hatte und die Nichtdeklaration fahrlässig oder eventualvorsätzlich erfolgte (vgl. Urteil 2C_37/2019 vom 16. August 2019 E. 4.2.2). Es wies die Sache daher an die Vorinstanz zurück, welche die erforderlichen zusätzlichen Feststellungen treffen sollte.  
 
3.2. Die Vorinstanz hat festgestellt, dass der weit über 70-jährige Beschwerdegegner im fraglichen Zeitraum gemäss Arztzeugnis unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen (Schlafapnoe-Syndrom, Lungenfibrose) gelitten hatte. Aus ihrer Sicht stand nicht mit hinreichender Sicherheit fest, dass sich die Beschwerdegegner der Unvollständigkeit der Steuererklärung bewusst gewesen seien. Sie ging davon aus, dass der Beschwerdegegner aufgrund seines nachgewiesenen Gesundheitszustandes die Dividende vergessen habe und sich auch nach Nachfragen des Steuerberaters nicht daran erinnern konnte (vgl. angefochtener Entscheid E. 4e).  
 
3.3. Die ESTV ist der Ansicht, dass nach der allgemeinen Lebenserfahrung aufgrund der Gesamtumstände (Organstellung des Beschwerdegegners als Aufsichtsstelle über die Verwaltung der B.________ AG, der mehrmaligen und ausdrücklichen Konfrontation mit der Frage nach einer Dividende durch seinen Rechtsvertreter sowie der ausserordentlichen Höhe der fraglichen Dividende) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden müsse, dass sich die Beschwerdeführer der unvollständigen Deklaration bewusst gewesen seien und die daraus resultierende Steuerverkürzung zumindest in Kauf genommen haben. Sie stellt der Begründung ihrer Beschwerde eine ausführliche Darstellung des Sachverhalts voran, die sich nur teilweise mit der Darstellung im angefochtenen Entscheid deckt (vgl. Beschwerde Ziff. II). Dennoch geht die ESTV davon aus, dass ihre Darstellung dem Sachverhalt entspreche, wie ihn die Vorinstanz festgestellt habe und er zwischen den Parteien unumstritten sei. Für den Fall, dass das Bundesgericht dies anders sehe, rügt die ESTV die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz als offensichtlich unrichtig und macht sie eine Verletzung der verfassungsrechtlichen Verfahrensgarantien (Art. 29 Abs. 1 und 2 BV) geltend (vgl. Beschwerde Ziff. 3.3).  
 
3.4. Aufgrund der Darstellung des Sachverhalts im angefochtenen Urteil ist nicht davon auszugehen, dass die Vorinstanz der Anweisung des Bundesgerichts im Urteil 2C_37/2019 vom 16. August 2019 Folge geleistet und selbst weitere Untersuchungsmassnahmen ergriffen hätte. Vielmehr scheint sie sich mit einem Arztzeugnis zufrieden gegeben zu haben, das die Beschwerdeführer bei ihr eingereicht hatten. Dieses Schreiben belegt zwar, dass der Beschwerdeführer an einem obstruktiven Schlaf-Apnoesyndrom litt. Selbst wenn Beeinträchtigungen des Erinnerungsvermögens typische Symptome einer solchen Erkrankung sind, kann es aber von Vornherein alleine nicht beweisen, dass der Beschwerdeführer die Dividendenzahlung tatsächlich vergessen hatte. Auf dieser schwachen Basis konnte die Vorinstanz folglich nicht willkürfrei feststellen, dass der Beschwerdegegner keine Kenntnis der Dividendenzahlung (mehr) hatte, als sein Steuerberater ihn danach fragte und die Steuererklärung ausfertigte.  
 
3.5. Die Feststellung des Sachverhalts durch die Vorinstanz erweist sich somit als offensichtlich unrichtig. Auf Basis der Akten lässt sich weiterhin nicht beurteilen, ob der Beschwerdegegner um die Unvollständigkeit der Steuererklärung wusste und die Dividende willentlich nicht deklarierte. Die Angelegenheit ist deshalb erneut an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie - wie bereits im ersten Urteil 2C_37/2019 vom 16. August 2019 angeordnet - die erforderlichen Untersuchungen vornimmt.  
 
4.  
Die Beschwerde ist begründet und gutzuheissen. Die Sache ist an die Vorinstanz zu ergänzender Sachverhaltsfeststellung und Neubeurteilung zurückzuweisen. Üblicherweise trägt die unterliegende Partei die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Unnötige Kosten hat indessen zu bezahlen, wer sie verursacht (Art. 66 Abs. 3 und Art. 68 Abs. 4 BGG). Dies gestattet auch, ausnahmsweise die Gerichts- und Parteikosten der Vorinstanz respektive dem Gemeinwesen, dem diese angehört, aufzuerlegen, namentlich, wenn die Vorinstanz in qualifizierter Weise die Pflicht zur Justizgewährleistung verletzt hat (BGE 142 V 551 E. 9.1; Urteile 8C_503/2019 vom 19. Dezember 2019 E. 4.1 und 4.2; 2C_1093/2012 vom 26. April 2013 E. 3). Dies trifft hier zu, da die Vorinstanz die bundesgerichtliche Anweisung zur Sachverhaltsabklärung missachtet und dadurch das vorliegende Beschwerdeverfahren provoziert hat. Demnach sind die Gerichtskosten dem Kanton Basel-Stadt aufzuerlegen. Die obsiegende ESTV hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid der Steuerrekurskommission des Kantons Basel-Stadt vom 27. August 2020 wird aufgehoben. Die Sache wird zu ergänzender Sachverhaltsfeststellung und Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 6'000.-- werden dem Kanton Basel-Stadt auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und der Steuerrekurskommission des Kantons Basel-Stadt schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 24. August 2021 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Seiler 
 
Der Gerichtsschreiber: Seiler