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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
8C_751/2019  
 
 
Urteil vom 25. Februar 2020  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione, 
Gerichtsschreiberin Kopp Käch. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Kaspar Gehring, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zug, 
Baarerstrasse 11, 6300 Zug, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (vorinstanzliches Verfahren), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 26. September 2019 (S 2016 124; S 2015 85). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Die 1969 geborene A.________ hatte sich 1999 erstmals zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung angemeldet. Die IV-Stelle des Kantons Zug verneinte mit Verfügung vom 31. Mai 2001 einen Leistungsanspruch. Ein mit erneuter Anmeldung vom 11. Februar 2010 geltend gemachtes Leistungsbegehren wies sie mit Verfügung vom 6. September 2010 mangels Veränderung des Gesundheitszustandes ab. Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Zug mit Entscheid vom 26. August 2011 insofern gut, als es die Verfügung aufhob und die Sache an die IV-Stelle zurückwies. Nach weiteren Abklärungen und durchgeführtem Vorbescheidverfahren wies die IV-Stelle das Leistungsbegehren mit Verfügung vom 29. Mai 2015 erneut ab.  
 
A.b. Die hiegegen erhobene Beschwerde, mit welcher A.________ die Zusprechung einer ganzen Rente, eventualiter die Einholung weiterer medizinischer Abklärungen, subeventualiter die Gewährung beruflicher Massnahmen beantragen liess, wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zug mit Entscheid vom 18. Februar 2016 ab, soweit es darauf eintrat. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Bundesgericht mit Urteil 8C_262/2016 vom 22. September 2016 teilweise gut und wies die Sache in Aufhebung des angefochtenen Entscheids zur Einholung eines gerichtlichen Obergutachtens und zu erneutem Entscheid an die Vorinstanz zurück.  
 
B.   
Das Verwaltungsgericht eröffnete ein neues Dossier, räumte den Parteien Gelegenheit ein, sich zur Gutachterstelle zu äussern und holte bei Dr. med. B.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, das psychiatrische Obergutachten vom 11. Februar 2019 ein. In der Stellungnahme vom 26. Juni 2019 liess A.________ geltend machen, das Gutachten des Dr. med. B.________ bilde keine Grundlage für eine abschliessende Beurteilung der Angelegenheit. In verfahrensrechtlicher Hinsicht liess sie die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung, eventualiter die Einholung eines Obergutachtens beantragen. Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Entscheid vom 26. September 2019 ohne Durchführung einer öffentlichen Verhandlung ab. 
 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ sinngemäss beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei die Sache zur Durchführung des rechtskonformen Verfahrens und zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Das kantonale Gericht und die IV-Stelle schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung. A.________ lässt am 13. und 16. Dezember 2019 zusätzliche Stellungnahmen einreichen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. 
 
2.   
Die Beschwerdeführerin rügt vorab in formeller Hinsicht, das kantonale Gericht habe namentlich Art. 6 Ziff. 1 EMRK verletzt, indem es trotz entsprechendem Antrag keine öffentliche Gerichtsverhandlung durchführte. 
 
2.1. Nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht gehört wird, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Die Öffentlichkeit des Verfahrens soll dazu beitragen, dass die Garantie auf ein "faires Verfahren" tatsächlich umgesetzt wird (BGE 142 I 188). Vorliegend sind zivilrechtliche Ansprüche im Sinne dieser Norm streitig (BGE 122 V 47 E. 2a S. 50). Das kantonale Gericht, welchem es primär obliegt, die Öffentlichkeit der Verhandlung zu gewährleisten (BGE 136 I 279 E. 1 S. 281; 122 V 47 E. 3 S. 54), hat bei Vorliegen eines klaren und unmissverständlichen Parteiantrages grundsätzlich eine öffentliche Verhandlung durchzuführen (BGE 136 I 279 E. 1 S. 281; SVR 2014 UV Nr. 11 S. 37, 8C_273/2013 E. 1.2 mit Hinweisen). Ein während des ordentlichen Schriftenwechsels gestellter Antrag gilt dabei als rechtzeitig (BGE 134 I 331; vgl. zum Ganzen: SVR 2017 UV Nr. 30 S. 99, 8C_723/2016 E. 2.1 und 2.2 mit Hinweisen).  
 
2.2. Von einer ausdrücklich beantragten öffentlichen Verhandlung kann abgesehen werden, wenn der Antrag der Partei als schikanös erscheint oder auf eine Verzögerungstaktik schliessen lässt und damit dem Grundsatz der Einfachheit und Raschheit des Verfahrens zuwiderläuft oder sogar rechtsmissbräuchlich ist. Gleiches gilt, wenn sich ohne öffentliche Verhandlung mit hinreichender Zuverlässigkeit erkennen lässt, dass eine Beschwerde offensichtlich unbegründet oder unzulässig ist. Als weiteres Motiv für die Verweigerung einer beantragten öffentlichen Verhandlung fällt die hohe Technizität der zur Diskussion stehenden Materie in Betracht, was etwa auf rein rechnerische, versicherungsmathematische oder buchhalterische Probleme zutrifft, wogegen andere dem Sozialversicherungsrecht inhärente Fragestellungen materiell- oder verfahrensrechtlicher Natur wie die Würdigung medizinischer Gutachten in der Regel nicht darunterfallen. Schliesslich kann das kantonale Gericht von einer öffentlichen Verhandlung absehen, wenn es auch ohne eine solche aufgrund der Akten zum Schluss gelangt, dass dem materiellen Rechtsbegehren der bezüglich der Verhandlung Antrag stellenden Partei zu entsprechen ist (BGE 136 I 279 E. 1 S. 281 mit Hinweis auf BGE 122 V 47 E. 3b/ee und 3b/ff. S. 57 f.; vgl. zum Ganzen: SVR 2017 UV Nr. 30 S. 99, 8C_723/2016 E. 2.3 mit Hinweisen).  
 
3.  
 
3.1. Die Beschwerdeführerin liess in der Stellungnahme vom 26. Juni 2019 zum eingeholten Gerichtsgutachten die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung beantragen. Unter Berufung auf Art. 6 Ziff. 1 EMRK führte sie aus, anlässlich der öffentlichen Verhandlung sei zur Klärung der offenen Fragen der Gutachter zu befragen. Zudem sei eine solche Verhandlung auch zur Garantie der Öffentlichkeit des Verfahrens anzuordnen. Die Versicherte wolle, dass die Öffentlichkeit davon erfahre, wie die Beschwerdegegnerin sie überwacht habe und seit Jahren immer noch überwachen lasse. Daher bestehe sie auf der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung. Das kantonale Gericht entsprach diesem Begehren nicht mit der Begründung, die Beschwerdeführerin bezwecke mit ihrem Ersuchen in erster Linie eine Beweisabnahme. Wohl weise sie in einem Nebensatz darauf hin, es gehe ihr auch darum, dass die Öffentlichkeit von der jahrelangen Überwachung durch die IV-Stelle erfahre, was aber nicht über den primären Zweck hinwegzutäuschen vermöge. Es würde sodann dem generellen öffentlichen Interesse an einer speditiven Verfahrenserledigung widersprechen, wenn das Gericht in jedem Fall eine öffentliche Verhandlung durchführen müsste, dies auch wenn die Beschwerdeführerin selber die Verzögerung in Kauf nähme. Schliesslich sei der Antrag auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung infolge Verwirkung abzuweisen und verstosse die Berufung auf das Öffentlichkeitsprinzip nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK in diesem Verfahrensstadium gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.  
 
3.2. Von der beantragten öffentlichen Verhandlung hätte das kantonale Gericht nur bei Vorliegen von in Erwägung 2.2 hiervor genannten Gründen absehen dürfen. Soweit es die Durchführung einer Verhandlung mit der Begründung verweigerte, die Beschwerdeführerin habe damit in erster Linie eine Beweisabnahme bezweckt, kann ihm nicht gefolgt werden. Die Versicherte ersuchte in ihren Anträgen im Rahmen der Stellungnahme vom 26. Juni 2019 zuhanden der Vorinstanz ausdrücklich um Durchführung einer öffentlichen Verhandlung. Damit liegt ein klarer und unmissverständlicher Parteiantrag vor, wie ihn die Rechtsprechung im gegebenen Zusammenhang verlangt (vgl. E. 2.1). Wohl machte die Beschwerdeführerin geltend, zur Klärung der offenen Fragen sei eine öffentliche Verhandlung durchzuführen, anlässlich welcher der Gutachter zu befragen sei. Darin liegt ein auf eine Beweisabnahme gerichtetes Begehren, worauf der Öffentlichkeitsgrundsatz tatsächlich keinen Anspruch einräumt (vgl. Urteil 8C_64/2017 vom   27. April 2017 E. 4.2 mit Hinweisen). Mit ihren weiteren Ausführungen machte die Beschwerdeführerin jedoch klar, dass sie auch zur Wahrung der Garantie der Öffentlichkeit des Verfahrens auf der Durchführung einer Verhandlung bestehe, dies damit die Öffentlichkeit von den Überwachungsmassnahmen erfahre. Lag mithin kein ausschliesslich auf eine Beweisabnahme gerichtetes Begehren vor, hätte die Vorinstanz dem Antrag stattgeben müssen, auch wenn zusätzlich um eine Beweisabnahme ersucht wurde (vgl. Urteil 8C_722/2019 vom 20. Februar 2020 E. 3.2). Im Übrigen wäre die Vorinstanz zur Rückfrage bei der Beschwerdeführerin gehalten gewesen, wenn sie Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Antrages auf eine öffentliche Verhandlung gehabt hätte (BGE 127 I 44 E. 2e/bb S. 48 und 8C_64/2017 vom 27. April 2017 E. 4.2 mit Hinweisen).  
 
3.3. Soweit das kantonale Gericht den Antrag auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung infolge Verwirkung abwies, kann ihm ebenfalls nicht gefolgt werden. Rechtsprechungsgemäss muss ein solcher Antrag dann als rechtzeitig gelten, wenn er während des ordentlichen Schriftenwechsels gestellt wird (BGE 134 I 331 E. 2.3 S. 333 f.). Vorliegend eröffnete die Vorinstanz nach der bundesgerichtlichen Rückweisung zur Einholung eines Gerichtsgutachtens ein neues Dossier, holte das Gutachten vom 11. Februar 2019 ein und räumte den Parteien mit Schreiben vom 14. Februar 2019 Gelegenheit ein, sich dazu zu äussern. Wenn die Beschwerdeführerin in der daraufhin eingereichten Stellungnahme vom 26. Juni 2019 den Antrag auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung stellte, erfolgte dieser während des ordentlichen Schriftenwechsels und damit rechtzeitig. Zudem gibt es keine Hinweise auf ein schikanöses, auf blosse Verzögerung ausgerichtetes oder sonstwie missbräuchliches prozessuales Verhalten der Beschwerdeführerin.  
 
3.4. Nicht verweigert werden kann eine öffentliche Verhandlung schliesslich mit der Argumentation, die Durchführung einer solchen in jedem Verfahren würde dem generellen öffentlichen Interesse an einer speditiven Verfahrenserledigung widersprechen. Liegt ein klarer und unmissverständlicher Antrag vor, kann die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung - wie dargelegt - rechtsprechungsgemäss nur aus den in E. 2.2 hiervor genannten Gründen verweigert werden; Verfahrensbeschleunigung allein rechtfertigt dies nicht.  
 
3.5. Zusammenfassend bestand für das kantonale Gericht keine Veranlassung und keine Rechtfertigung, von der grundsätzlichen Verpflichtung zur Durchführung einer öffentlichen Verhandlung ausnahmsweise abzuweichen. Indem die Vorinstanz dennoch auf eine solche verzichtete, wurde der in Art. 6 Ziff. 1 EMRK gewährleisteten Verfahrensgarantie (vgl. auch Art. 30 Abs. 3 BV und Art. 61 lit. a ATSG) nicht Rechnung getragen. Es ist daher unumgänglich, die Sache an das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit es diesen Verfahrensmangel behebt und die von der Beschwerdeführerin verlangte öffentliche Verhandlung durchführt. Danach wird es über die Beschwerde materiell neu befinden (vgl. BGE 136 I 279 E. 4 S. 284; SVR 2017 UV Nr. 30    S. 99, 8C_723/2016 E. 4.3 mit Hinweisen).  
 
4.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Als unterliegende Partei hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese hat der Beschwerdeführerin überdies eine Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 26. September 2019 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 25. Februar 2020 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Kopp Käch