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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
4A_551/2020  
 
 
Urteil vom 26. Februar 2021  
 
I. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin, 
Bundesrichterin Kiss, Bundesrichter Rüedi, 
Gerichtsschreiber Stähle. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ Limited, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dominique Müller und Rechtsanwältin Anja Affolter Marino, Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
B.________ AG, 
vertreten durch Rechtsanwalt Urs Boller und Rechtsanwältin Sandra Blumer, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Vollstreckbarerklärung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 15. September 2020 (RV200011-O/U). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Urteil vom 6. September 2018 verpflichtete der High Court of Justice, Chancery Division, die B.________ AG (Gesuchsgegnerin, Beschwerdegegnerin), der A.________ Limited (Gesuchstellerin, Beschwerdeführerin) GBP 4'306'605.33 zu bezahlen. 
 
B.  
 
B.a. Am 13. Februar 2020 ersuchte die A.________ Limited gestützt auf Art. 38 ff. LugÜ beim Bezirksgericht Hinwil um Vollstreckbarerklärung dieses Urteils. Am 24. Februar 2020 kam das Bezirksgericht dem Gesuch nach und erklärte das Urteil des High Court of Justice für vollstreckbar.  
Gleichzeitig mit dem Gesuch um Vollstreckbarerklärung beantragte die Gesuchstellerin gestützt auf Art. 271 Abs. 1 Ziff. 6 SchKG einen Arrest. Das Bezirksgericht Hinwil eröffnete für den Arrest ein getrenntes Verfahren und stellte am 24. Februar 2020 den beantragten Arrestbefehl aus. 
 
B.b. Die Gesuchsgegnerin erhob gegen die Vollstreckbarerklärung Beschwerde an das Obergericht des Kantons Zürich. Dieses hiess am 15. September 2020 die Beschwerde gut, hob das Urteil des Bezirksgerichts Hinwil auf und wies das Gesuch um Vollstreckbarerklärung des Urteils des High Court of Justice, Chancery Division, vom 6. September 2018 ab.  
Es verwarf zunächst den Einwand der Gesuchsgegnerin, vorliegend sei das LugÜ nicht anwendbar, nachdem das Vereinigte Königreich Grossbritannien per 31. Januar 2020 aus der Europäischen Union ausgetreten sei. Das Obergericht verwies auf das Austrittsabkommen vom 24. Januar 2020 (Amtsblatt der Europäischen Union, 2019/C 384 I/01). Daraus gehe hervor, dass das Vereinigte Königreich während der Übergangszeit bis zum 31. Dezember 2020 weiterhin wie ein durch das LugÜ gebundener Staat zu behandeln sei. Vor Bundesgericht wird die Anwendbarkeit des LugÜ nicht mehr in Frage gestellt. 
Das Obergericht befasste sich sodann mit dem weiteren Einwand der Gesuchsgegnerin, die Förmlichkeiten gemäss Art. 53 LugÜ seien nicht erfüllt. Diese hatte geltend gemacht, die Gesuchstellerin habe das für vollstreckbar zu erklärende Urteil nicht im Original, sondern bloss in Form einer angeblich beglaubigten Kopie vorgelegt. Aus den Akten ergebe sich nicht, dass es sich tatsächlich um eine beglaubigte Kopie handle und durch wen die Beglaubigung ausgestellt worden sei. Das vorgelegte Dokument erfülle daher die Anforderungen nach Art. 53 LugÜ nicht. Das Obergericht erkannte, dass nicht allein das Original, sondern auch eine beglaubigte Kopie - nicht jedoch eine unbeglaubigte Kopie - den Echtheitsnachweis zu erbringen vermöge. In casu erblickte das Obergericht aber entgegen der Darstellung der Gesuchstellerin im eingereichten Exemplar des Urteils des High Courts bloss eine offensichtlich gewöhnliche Kopie und nicht eine beglaubigte Kopie. Das eingereichte Exemplar stelle daher keine hinlängliche Ausfertigung im Sinne von Art. 53 Ziff. 1 LugÜ dar. Deshalb wies das Obergericht das Gesuch um Vollstreckbarerklärung ab. 
 
C.  
Die Beschwerdeführerin beantragt mit Beschwerde in Zivilsachen, das Urteil des Obergerichts vom 15. September 2020 sei aufzuheben und das Urteil des High Court of Justice, Chancery Division, vom 6. September 2018 in der Sache A.________ Limited gegen B.________ AG sei für vollstreckbar zu erklären. Eventualiter sei die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Die Beschwerdegegnerin reichte eine "Vernehmlassung zu den Kosten- und Entschädigungsfolgen" ein mit dem Antrag, die Kosten für das Beschwerdeverfahren der Beschwerdeführerin aufzuerlegen, eventualiter auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten. Ferner beantragt sie eine angemessene Parteientschädigung zulasten der Beschwerdeführerin, eventualiter seien keine Parteientschädigungen zuzusprechen. Zur Sache stellt sie keinen Antrag. 
Die Vorinstanz liess sich nicht vernehmen. 
Die Beschwerdeführerin replizierte. 
Mit Präsidialverfügung vom 23. November 2020 wurde der Beschwerde mangels Opposition die aufschiebende Wirkung erteilt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Der angefochtene Entscheid erging in einem Verfahren zur Vollstreckung eines Urteils in Zivilsachen. Solche Entscheide unterliegen gemäss ausdrücklicher Gesetzesvorschrift der Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 1 BGG). Es gilt demnach auch für sie das Streitwerterfordernis nach Art. 74 Abs. 1 BGG. Vorliegend ist der erforderliche Streitwert von Fr. 30'000.-- weit überschritten. Das angefochtene Urteil geht zudem von der letzten kantonalen Instanz (Art. 75 BGG) aus und schliesst das kantonale Verfahren ab. Es stellt einen anfechtbaren Endentscheid dar (Art. 90 BGG). Die Beschwerdeführerin ist mit ihren Anträgen vor der Vorinstanz unterlegen und somit zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 76 Abs. 1 BGG). Die Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) ist eingehalten. Auf die Beschwerde ist demnach einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Nach Art. 53 Ziff. 1 LugÜ ist dem Antrag auf Anerkennung oder Vollstreckbarerklärung eine Ausfertigung der Entscheidung beizulegen, die die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt. Das nationale Recht des Ursprungsstaates bestimmt, wie die "Ausfertigung" des ausländischen Urteils aussehen muss, damit sie diesem Anspruch gerecht wird (Urteil 5A_934/2016 vom 23. August 2017 E. 6.2). Die französische und die englische Fassung sprechen statt von Beweiskraft von Authentizität ("authenticité" beziehungsweise "authenticity"). Daraus erhellt, dass Echtheit der Ausfertigung gemeint ist (Thomas Gelzer, in: Basler Kommentar, Lugano-Übereinkommen, 2. Aufl. 2016, N. 3 zu Art. 53 LugÜ).  
Den Echtheitsnachweis erbringt sicher das Original der für vollstreckbar zu erklärenden Entscheidung, ferner eine amtliche Abschrift, die vom Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, erstellt wird. Mit guten Gründen wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass auch eine beglaubigte Kopie der Entscheidung den Echtheitsnachweis zu erbringen vermag, zumindest solange das Vollstreckungsgericht keine Zweifel an der Aussagekraft der ihm vorgelegten Dokumente hat. Dafür spricht die Zielsetzung des (revidierten) LugÜ, das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren zu vereinfachen (Thomas Gelzer, a.a.O., N. 4a zu Art. 53 LugÜ mit Hinweisen). 
 
2.2. Vorliegend geht auch die Vorinstanz davon aus, dass die Einreichung einer beglaubigten Kopie des Urteils des High Court of Justice, Chancery Division, vom 6. September 2018 den formellen Anforderungen von Art. 53 Ziff. 1 LugÜ genügen würde. Die Beschwerde betrifft einzig das Tatsächliche, konkret die Frage, gestützt auf welches Dokument die Vorinstanz verneinte, dass die Beschwerdeführerin eine beglaubigte Kopie ins Recht gelegt hat.  
Die Beschwerdeführerin weist in ihrer Beschwerde zweifelsfrei nach, dass die Vorinstanz ihrer Würdigung dasjenige Exemplar zugrunde legte, das sich in den Akten des Bezirksgerichts betreffend Vollstreckbarerklärung (EZ200002) befindet. Dabei handelt es sich um eine Kopie der (behauptetermassen) beglaubigten Kopie des Urteils des High Court, welche die Beschwerdeführerin mit ihrem Gesuch um Vollstreckbarerklärung und Arrestnahme dem Bezirksgericht eingereicht hatte (als Beilage 7; act. 3/7). Dieses mit dem Gesuch eingereichte Exemplar befindet sich in den Akten des Bezirksgerichts betreffend Arrest (EQ200001). 
Wie das Bezirksgericht mit Schreiben vom 13. Oktober 2020 bestätigt, legte es für das Gesuch betreffend Vollstreckbarerklärung und Arrest zwei separate Verfahren an, wobei es die Originalbeilagen zum Gesuch im Arrestverfahren einakturierte, während es im Verfahren betreffend Vollstreckbarerklärung lediglich Kopien der Gesuchsbeilagen einakturierte. 
Das Obergericht erhielt in der Folge die Akten des Bezirksgerichts betreffend Vollstreckbarerklärung und damit die einakturierten  Kopien der Gesuchsbeilagen. Es prüfte den Echtheitsnachweis mithin anhand einer blossen Kopie des mit dem Gesuch eingereichten Dokumentes. Dieser Umstand wird weder von der Beschwerdegegnerin noch der Vorinstanz in Abrede gestellt. Die Feststellung der Vorinstanz, es handle sich "beim eingereichten Exemplar des Urteils des High Court of Justice, Chancery Division, vom 6. September 2018 offensichtlich um eine gewöhnliche Kopie", visiert demnach ein nicht massgebendes Dokument anstelle der mit dem Gesuch eingereichten Originalbeilage 3/7. Die erhobene Sachverhaltsrüge der Beschwerdeführerin ist begründet.  
 
2.3. Der Sachverhaltsmangel ist zudem entscheiderheblich. Die Vorinstanz ging davon aus, dass eine beglaubigte Kopie des Urteils des High Court den Echtheitsnachweis zu erbringen vermöchte. Sie betrachtete den auf dem Urteil auf der erste Seite angebrachten Stempel aber von vornherein nicht als Beglaubigung, weil es sich auch beim Stempel aufgrund des erkennbaren Pixelmusters offensichtlich bloss um eine Fotokopie eines physischen Stempelabdrucks handle. Dass die Vorinstanz zur gegenteiligen Erkenntnis gelangt wäre, wenn ihr anstatt der blossen Kopie der Gesuchsbeilage 3/7 dessen Original vorgelegen hätte, und sie darin (wie zuvor das Bezirksgericht) eine den formellen Anforderungen von Art. 53 Ziff. 1 LugÜ genügendes Exemplar erblickt hätte, ist möglich. Die Behebung des Mangels kann mithin für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG).  
 
2.4. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie die Beurteilung des Echtheitsnachweises aufgrund des richtigen Dokuments (Originalgesuchsbeilage 3/7) vornimmt.  
Bei Bejahung desselben wird sie den weiteren Einwand der Verletzung des schweizerischen Ordre public zu prüfen haben, den die Beschwerdegegnerin in der kantonalen Beschwerde erhoben hatte, die Vorinstanz aber mit Blick auf die Verneinung der formellen Anforderungen nicht zu beurteilen brauchte. 
 
3.  
Die Beschwerde ist im Eventualantrag (Rückweisung an die Vorinstanz zu neuer Beurteilung) gutzuheissen. 
Der Mangel (Abstellen auf die bloss kopierte Gesuchsbeilage 3/7), der das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren nötig machte, entzog sich dem Einflussbereich der Parteien, und die Beschwerdegegnerin hat sich der Korrektur in ihrer Antwort nicht widersetzt. Andererseits konnte auch die Vorinstanz nicht ohne weiteres merken, dass in den ihr vorliegenden Akten des Bezirksgerichts bloss Kopien der Gesuchsbeilagen einakturiert waren. In dieser besonderen Situation rechtfertigt es sich, auf Kosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
Da die Beschwerdeführerin lediglich mit ihrem Eventualantrag auf Rückweisung durchdringt, und der Verfahrensausgang nach wie vor offen ist, sind keine Parteientschädigungen zu sprechen. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 15. September 2020 wird aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Kosten erhoben und keine Parteientschädigungen zugesprochen. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 26. Februar 2021 
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Hohl 
 
Der Gerichtsschreiber: Stähle