Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_212/2022  
 
 
Urteil vom 27. Juli 2022  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiber Traub. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Luzerner Pensionskasse, 
Zentralstrasse 7, 6002 Luzern, 
vertreten durch Rechtsanwältin Tania Teixeira, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Marco Unternährer, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Berufliche Vorsorge, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 18. März 2022 (5Q 21 4). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ (geb. 1956) arbeitete von August 1989 bis Juli 2000 als Fachlehrerin B.________ und später als Hauptlehrerin im Teilamt und Konrektorin an der Schule C.________. Sie war bei der Aargauischen Pensionskasse (APK) berufsvorsorgeversichert. Ab August 2000 bis zur Pensionierung auf Ende Juli 2020 war sie als Fachlehrperson an einer Schule im Kanton Luzern angestellt und dadurch bei der Luzerner Pensionskasse (LUPK) versichert. 
A.________ leidet an Multipler Sklerose mit einer Fatigue-Symptomatik. Sie bezog seit November 1998 eine Rente der Invalidenversicherung in unterschiedlicher Höhe, zuletzt von November 2016 bis Dezember 2018 eine Dreiviertelsrente und ab Januar 2019 eine ganze Rente. Die APK und die LUPK verneinten jeweils ihre eigene Zuständigkeit für Invalidenleistungen aus beruflicher Vorsorge. 
 
B.  
Mit Klage vom 17. Mai 2021 gegen beide Vorsorgeeinrichtungen beantragte A.________ u.a. die Zusprechung von Invalidenleistungen ab November 1998. 
Das Kantonsgericht Luzern wies die Klage gegen die APK ab. Die Klage gegen die LUPK hiess es teilweise gut: Die Klägerin habe mit Wirkung ab Januar 2019 Anspruch auf eine halbe Rente gemäss Vorsorgereglement (berufsvorsorgerechtlicher Invaliditätsgrad: 50 Prozent); die Rentenleistungen seien ab dem 17. Mai 2021 mit 2 Prozent zu verzinsen. Im Übrigen wies das Kantonsgericht die Klage ab (Urteil vom 18. März 2022). 
 
C.  
Die Luzerner Pensionskasse führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie stellt den Antrag, in teilweiser Aufhebung des angefochtenen Urteils höchstens dazu verpflichtet zu werden, der Beschwerdegegnerin ab dem 1. Januar 2019 eine Viertelsrente gemäss dem Vorsorgereglement auszurichten. 
Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung auf entsprechende Rüge hin oder von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig (d.h. willkürlich) ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG beruht (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 145 V 57 E. 4). 
 
2.  
Strittig ist die Berechnung des berufsvorsorgerechtlichen Invaliditätsgrades, dies unter dem Gesichtspunkt der Festsetzung des Valideneinkommens nach dem ausgeübten Teilzeitpensum. 
 
2.1.  
 
2.1.1. Die Vorinstanz erkennt, die LUPK sei für ab August 2016 und Oktober 2018 einsetzende gesundheitliche Verschlechterungen leistungszuständig (vgl. Art. 23 lit. a BVG; BGE 134 V 20; 123 V 262). Die von der IV-Stelle festgestellten Parameter für die Invaliditätsbemessung (Verfügung vom 2. Juni 2020) seien grundsätzlich verbindlich (vgl. Art. 38.2 des Reglements der LUPK vom 12. Dezember 2013 [Stand Januar 2021]; zur Verbindlichkeit der Feststellungen der Invalidenversicherung im Bereich der gesetzlichen Mindestvorsorge: BGE 132 V 1 E. 3.2; 130 V 270 E. 3.1).  
 
2.1.2. Gemäss Rechtsprechung ist das Risiko Invalidität in der beruflichen Vorsorge im Umfang des Beschäftigungsgrades bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat, versichert, dies unter Berücksichtigung einer allfällig vorbestandenen gesundheitlich bedingten Arbeitsunfähigkeit. Die Höhe der konkreten Salarierung spielt diesbezüglich keine Rolle. Versah die versicherte Person ein Teilzeitpensum, besteht solange kein Anspruch auf Leistungen, wie sie trotz gesundheitlicher Beeinträchtigung im bisherigen Umfang weiterarbeiten kann oder könnte; das Risiko Invalidität hat sich lediglich im berufsvorsorgerechtlich nicht versicherten Anteil einer Vollzeitbeschäftigung verwirklicht. Somit bemisst sich der vorsorgerechtlich relevante Invaliditätsgrad aufgrund eines Valideneinkommens, das dem Grad der Teilerwerbstätigkeit entsprechend - also nicht im Verhältnis zu einer (hypothetischen) Vollzeiterwerbstätigkeit - festzulegen ist. Hat die Invalidenversicherung den Invaliditätsgrad bezogen auf ein Vollzeitpensum ermittelt, wird das Valideneinkommen auf das ausgeübte Teilzeitpensum umgerechnet und gestützt darauf (sowie auf die übrigen Parameter) ein neuer Einkommensvergleich durchgeführt (BGE 144 V 63 E. 5.1, 6.2 und 6.3.2).  
 
2.2. Die Vorinstanz stellt fest, die Beschwerdegegnerin sei ab dem Schuljahr 2007/2008 zu rund 60 Prozent angestellt gewesen. Die Teilzeitbeschäftigung sei ursprünglich zwar auf gesundheitliche Umstände zurückzuführen gewesen; jene Einschränkungen fielen indessen nicht in die Zuständigkeit der LUPK. Die Invaliditätsgrade, die die IV-Stelle - ausgehend von einem Pensum von 100 Prozent - ermittelte (60 Prozent mit Wirkung ab November 2016 und 70 Prozent ab Januar 2019), seien deshalb der Teilerwerbstätigkeit entsprechend anzupassen. Auf der Basis eines Teilzeitpensums von 60 Prozent ergäben sich vorsorgerechtliche Invaliditätsgrade von zuerst 33 Prozent und, ab Oktober 2018, von 50 Prozent. Mit Wirkung ab Januar 2019 habe die Beschwerdegegnerin daher Anspruch auf eine halbe Invalidenrente aus beruflicher Vorsorge (Art. 38.1 und 38.2 des Reglements der LUPK; vgl. Art. 88a Abs. 2 IVV).  
 
2.3. Die beschwerdeführende Vorsorgeeinrichtung macht geltend, das angefochtene Urteil beruhe auf einer offensichtlich unrichtigen Feststellung des Sachverhalts. Die Vorinstanz gehe von einer erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustands ab August 2016 aus. Damit sei das im Schuljahr 2015/2016 versehene Pensum massgebend. Die Vorinstanz nehme aktenwidrig an, die Beschwerdegegnerin habe ihr Pensum ab dem Schuljahr 2007/2008 auf "rund 60 Prozent" erhöht und bis Ende des Schuljahres 2015/2016 in diesem Umfang beibehalten. Die Beschwerdegegnerin habe in ihrer Klageschrift vom 17. Mai 2021 selbst dargelegt, dass sie lediglich im Schuljahr 2007/2008 ein Pensum von 60,34 Prozent erfüllte. Ab August 2013 sei sie Lehrperson mit 14 bis 17 Wochenlektionen gewesen. Dies entspreche einem Pensum zwischen 48,28 und 58,62 Prozent. Im massgebenden Schuljahr 2015/2016 - d.h. vor der gesundheitlichen Verschlechterung ab August 2016 - sei sie gemäss eigenen Angaben zu 57,83 Prozent (16,77 Wochenlektionen) angestellt und höchstens in diesem Umfang berufsvorsorgeversichert gewesen. Zu Unrecht erkenne die Vorinstanz - ausgehend von einem versicherten Pensum von "rund 60 Prozent" - auf einen vorsorgerechtlichen Invaliditätsgrad von 50 Prozent ab Januar 2019. Tatsächlich betrage dieser gerundete 48 Prozent (Einschränkung von 30 Prozent bezogen auf das versicherte Pensum von 57,83 Prozent). Den in BGE 144 V 63 formulierten Grundsätzen folgend ergebe sich dies auch aus der Vergleichsrechnung gemäss Verfügung der IV-Stelle Luzern vom 2. Juni 2020 (Valideneinkommen: Fr. 122'062.- bei 100 Prozent resp. Fr. 70'588.45 bei 57,83 Prozent; Invalideneinkommen: Fr. 36'618.-; Invaliditätsgrad: 48 Prozent).  
 
2.4. Eine Sachverhaltsfestellung ist u.a. dann im Sinn von Art. 105 Abs. 2 BGG willkürlich (vgl. BGE 147 I 73 E. 2.2), wenn sie sich als aktenwidrig erweist.  
Im Dossier findet sich eine Wahlurkunde des Bildungs- und Kulturdepartements des Kantons Luzern, mit welcher die Beschwerdegegnerin ab August 2013 als "Fachlehrperson D.________" an der Schule E.________ eingesetzt wird. Das Pensum wird mit "14.00-17.00 Lektionen pro Woche" definiert; ein volles Pensum umfasst 29 Wochenlektionen. Weiter wird vermerkt: "Das genaue Pensum und die Besoldung werden jeweils mit Schreiben der Dienststelle Personal mitgeteilt (sog. Bestätigung über das besoldete Pensum) ". 
Allein unter dem Gesichtspunkt der Wochenlektionen setzt die Wahlurkunde von 2013 einen Rahmen, der von 48,3 Prozent (14 Lektionen [bei einem Vollpensum von 29 Lektionen]) bis 58,6 Prozent (17 Lektionen) reicht. Die Beschwerdeführerin wiederum stützt sich auf Angaben in der Klageschrift, wonach die Beschwerdegegnerin im Schuljahr 2015/2016 zu 57,83 Prozent angestellt gewesen sei. Das effektive Pensum im massgebenden Zeitraum 2015/2016 lässt sich anhand der Verfahrensakten jedoch nicht abschliessend feststellen, zumal die vorbehaltene "Bestätigung über das besoldete Pensum" fehlt. 
Insoweit ist die beanstandete vorinstanzliche Feststellung nicht aktenwidrig. 
 
2.5. Sofern die Vorinstanz bei ihrer Einschätzung, die Beschwerdegegnerin sei "zu rund 60 % angestellt" gewesen, über ein entsprechend weites Tatbestandsermessen verfügt, wäre das Bundesgericht an diese Festlegung gebunden (Art. 105 Abs. 1 BGG; vgl. BGE 122 III 219 E. 3b). Dagegen spricht indessen die Möglichkeit, den fraglichen Sachverhalt genauer zu bestimmen, namentlich durch einen Beizug der in der Wahlurkunde vorbehaltenen "Bestätigungen über das besoldete Pensum".  
Die Beschwerdegegnerin betont, die vorinstanzliche Schätzung berücksichtige zu Recht, dass sich das besoldete Pensum einer Lehrperson aus einem Kernauftrag und variablen "zusätzlichen Teilbereichen" zusammensetze. Die neben dem Kernauftrag übertragenen Aufgaben, deren Inhalte und die zu leistende Arbeitszeit seien Gegenstand spezieller Vereinbarungen. So erhalte eine Klassenlehrperson zusätzlich zum Kernauftrag zeitliche Ressourcen für die Klassenführung und für koordinierende Aufgaben und gegebenenfalls für die Betreuung eines Kindes im Rahmen der Integrativen Sonderschulung im Klassenverband. Einer Lehrperson könnten ferner je nachdem besondere Aufgaben in gesamtschulischen Belangen oder im Zusammenhang mit den Tagesstrukturen (Hausaufgabenhilfe, Lernbegleitung) übertragen werden. 
 
2.6. Mit diesen Vorbringen substantiiert die Beschwerdegegnerin die Variabilität des Pensums und erschliesst den Sinn des Vorbehalts eines "genauen Pensums" durch eine gesonderte "Bestätigung über das besoldete Pensum". Sie zeigt auf, dass das Verhältnis der individuell bezeichneten Wochenlektionen zur 100-Prozentbasis von 29 Wochenstunden nicht ohne Weiteres mit dem effektiven Umfang der Arbeitszeit gleichzusetzen ist. Die effektive Anzahl an Wochenlektionen sowie der Umfang von allfälligen Zusatzaufgaben im Schuljahr 2015/2016 sind offen. Es besteht ein nicht ausgeschöpfter Spielraum zur Beweiserhebung. Die vorinstanzliche Schätzung ist daher nicht mit dem Untersuchungsgrundsatz (Art. 73 Abs. 2 BVG) vereinbar.  
 
2.7. Die Sache ist an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie soweit möglich in Erfahrung bringe, in welchem Umfang die Beschwerdegegnerin im Schuljahr 2015/2016 tatsächlich beschäftigt war, d.h., wie viele Wochenlektionen vereinbart waren, welche Aufgaben die Versicherte darüber hinaus allenfalls wahrgenommen hat und wie sich diese im Arbeitspensum niedergeschlagen haben. Sofern sich nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, ob 60 Prozent erreicht wurden oder nicht, verfügt die Vorinstanz bei der Einschätzung des massgeblichen Beschäftigungsgrades über Tatbestandsermessen, dessen pflichtgemässe Ausübung nachvollziehbar begründet werden soll.  
 
3.  
Auf die Erhebung von Gerichtskosten wird umständehalber verzichtet (Art. 66 Abs. 1 zweiter Satz BGG). Die Beschwerdeführerin hat keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG; Urteil 9C_518/2021 vom 4. Februar 2022 E. 6.1). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 18. März 2022 wird aufgehoben und die Sache zu weiterer Abklärung und neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben und keine Parteientschädigungen zugesprochen. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 27. Juli 2022 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Der Gerichtsschreiber: Traub