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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_470/2021  
 
 
Urteil vom 27. September 2021  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Rüedi, 
Bundesrichterin Koch, 
Gerichtsschreiber Matt. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Lukas Graf, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Postfach 3439, 6002 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Pflichtwidriges Verhalten bei Unfall, Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit; Willkür, rechtliches Gehör, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 1. Abteilung, vom 2. Februar 2021 (2M 20 11). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Strafbefehl vom 8. November 2019 verurteilte die Staatsanwaltschaft Sursee A.________ wegen Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit und pflichtwidrigen Verhaltens nach Unfall mit Fremdschaden zu einer bedingten Geldstrafe von 80 Tagessätzen und Fr. 2'500.-- Busse. Auf seine Einsprache hin reduzierte das Bezirksgericht Willisau die bedingte Geldstrafe am 25. Juni 2020 auf 65 Tagessätze und die Verbindungsbusse auf Fr. 1'650.--. Ausserdem sprach es eine Übertretungsbusse von Fr. 650.-- aus. Das Kantonsgericht Luzern wies die Berufung von A.________ am 2. Februar 2021 ab. 
 
B.  
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, er sei freizusprechen, eventualiter sei die Sache an das Kantonsgericht zurückzuweisen. 
 
C.  
Das Kantonsgericht Luzern und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern beantragen die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Dem Beschwerdeführer wurde das Replikrecht gewährt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Der Beschwerdeführer macht geltend, der Tatbestand des pflichtwidrigen Verhaltens nach Unfall sei nicht erfüllt, da gemäss Feststellung der Vorinstanz kein Sachschaden erstellt sei. Ausserdem sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör resp. auf Beweisergänzung verletzt. Ebenso wenig sei erstellt, dass sich der Beschwerdeführer einer Atemalkoholprobe widersetzt oder entzogen habe. 
 
1.1.  
 
1.1.1. Ereignet sich ein Unfall, an dem ein Motorfahrzeug oder Fahrrad beteiligt ist, so müssen alle Beteiligten sofort anhalten (Art. 51 Abs. 1 erster Satz SVG). Ist nur Sachschaden entstanden, so hat der Schädiger sofort den Geschädigten zu benachrichtigen und Namen und Adresse anzugeben. Wenn dies nicht möglich ist, hat er unverzüglich die Polizei zu verständigen (Art. 51 Abs. 3 SVG). Dies gilt auch, wenn der Schaden nur ein verhältnismässig geringes Ausmass erreicht (Urteil 6B_461/2017 vom 26. Januar 2018 E. 1.3 mit Hinweis).  
Die in Art. 51 Abs. 3 SVG genannten Pflichten schliessen an die Verhaltenspflichten gemäss Abs. 1 derselben Bestimmung an. Nur wenn der beteiligte Motorfahrzeug- oder Fahrradlenker unverzüglich anh ä lt, kann geklärt werden, ob ein Schaden entstanden ist. Das Anhalten ist mithin die Voraussetzung für die Erfüllung der weiteren Pflichten auf der Unfallstelle (LEA UNSELD, in: Basler Kommentar, Strassenverkehrsgesetz, 2014, N 42 zu Art. 51 SVG; PHILIPPE WEISSENBERGER, Kommentar SVG und OBG, 2. Aufl. 2015, N 12 zu Art. 92 SVG). Dementsprechend macht sich der Unfallbeteiligte, der weiterfährt, ohne sich zu vergewissern, ob ein Sach- oder Personenschaden eingetreten ist, unabhängig davon strafbar, ob sich nachträglich ein Schaden herausstellt (LEA UNSELD, a.a.O., N 66 zu Art. 92 SVG, vgl. auch N 43 zu Art. 51 SVG). Die Pflicht entfällt nur, wenn von vornherein zweifelsfrei feststeht, dass kein Fremdschaden eingetreten ist (PHILIPPE WEISSENBERGER, a.a.O., N 12 zu Art. 92 SVG). Hält der Fahrzeuglenker an und unterlässt er die Benachrichtigung des Geschädigten oder der Polizei, verletzt er nach dem Wortlaut des Gesetzes seine Pflichten gemäss Art. 51 Abs. 3 SVG nur, wenn tatsächlich ein Sachschaden entstanden ist (vgl. Urteil 6B_322/2015 vom 26. November 2015 E. 3 mit Hinweisen). 
 
1.1.2. Der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit gemäss Art. 91a Abs. 1 SVG macht sich schuldig, wer sich als Motorfahrzeugführer vorsätzlich einer Blutprobe, einer Atemalkoholprobe oder einer anderen vom Bundesrat geregelten Voruntersuchung, die angeordnet wurde oder mit deren Anordnung gerechnet werden musste, oder einer zusätzlichen ärztlichen Untersuchung widersetzt oder entzogen hat oder den Zweck dieser Massnahmen vereitelt hat.  
Die Unterlassung der sofortigen Meldung eines Unfalls an die Polizei erfüllt den objektiven Tatbestand der Vereitelung einer Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit, wenn (1) der Fahrzeuglenker gemäss Art. 51 SVG zur sofortigen Meldung verpflichtet ist, (2) die Meldepflicht der Abklärung des Unfalls und damit allenfalls auch der Ermittlung des Zustands des Fahrzeuglenkers dient (Zweckzusammenhang), (3) die Benachrichtigung der Polizei möglich war und (4) bei objektiver Betrachtung aller Umstände die Polizei bei Meldung des Unfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Atemalkoholkontrolle angeordnet hätte (BGE 142 IV 324 E. 1.1.1). Während die Wahrscheinlichkeit der Anordnung einer solchen Untersuchungsmassnahme nach der bisherigen Rechtsprechung von den konkreten Umständen des Falles (Art, Schwere und Hergang des Unfalls, Zustand sowie Verhalten des Fahrzeuglenkers vor und nach dem Unfall) abhängig gemacht wurde (vgl. BGE 131 IV 36 E. 2.2.1; 126 IV 53 E. 2a), muss nach der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich bereits mit der Anordnung einer Atemalkoholkontrolle gerechnet werden, wenn ein Fahrzeugführer in einen Unfall verwickelt ist (BGE 142 IV 324 E. 1.1.2 f.; vgl. Art. 55 Abs. 1 SVG). Anders verhält es sich (nur), wenn die Kollision zweifelsfrei auf einen vom Fahrzeuglenker unabhängigen Umstand zurückzuführen ist (Urteil 6B_531/2020 vom 7. Juli 2020 E. 1.3 mit Hinweisen). Ob eine Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit sehr wahrscheinlich ist, ist eine Rechtsfrage, die das Bundesgericht frei überprüft (BGE 142 IV 324 E. 1.1.1). 
Subjektiv ist Vorsatz erforderlich, wobei Eventualvorsatz genügt (BGE 131 IV 36 E. 2.2.1 mit Hinweisen). Dieser ist gegeben, wenn der Fahrzeuglenker die die Meldepflicht sowie die hohe Wahrscheinlichkeit der Anordnung einer Blutprobe begründenden Tatsachen kannte und daher die Unterlassung der gemäss Art. 51 SVG vorgeschriebenen und ohne Weiteres möglichen Meldung an die Polizei vernünftigerweise nur als Inkaufnahme der Vereitelung einer Blutprobe gewertet werden kann (BGE 142 IV 324 E. 1.1.1; 131 IV 36 E. 2.2.1; Urteil 6B_441/2019 vom 12. September 2019 E. 2.1.1; je mit Hinweisen). 
 
1.2.  
 
1.2.1. Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer habe nicht bestritten, am Ereignistag zwischen 18.30 Uhr und 21.45 Uhr zwei Panaché getrunken zu haben und gegen 22.30 Uhr nach Hause gefahren zu sein, wo sich der inkriminierte Parkunfall ereignet haben soll. Er sei somit zweifellos alkoholisiert gewesen, als er sein Auto auf dem U.________platz in V.________ geparkt und dabei das vor ihm stehende Fahrzeug von B.________ touchiert habe. Wenngleich die Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich der konsumierten Alkoholmenge aufgrund der Beobachtungen der Auskunftspersonen sowie der Polizei fraglich erschienen, könne der genaue Alkoholisierungsgrad offen bleiben, da er keine massgebende Rolle spiele. Vor diesem Hintergrund sei auch die vom Beschwerdeführer beantragte Zeugenbefragung entbehrlich.  
Gemäss dem Polizeibericht vom 4. Juli 2019 seien am Fahrzeug von B.________ leichte und kleine Dellen und ein leichter, kleiner Lackschaden am Heck festgestellt worden. Bei Eintreffen der Polizei hätten sich die beiden Fahrzeuge noch in den Endpositionen befunden. Das Fahrzeug des Beschwerdeführers habe mit seiner Front das Heck des anderen Personenwagens touchiert. Da der Sachschaden kaum erkennbar gewesen sei, könne, gemäss Polizei, nicht genau ermittelt werden, welcher Schaden neu durch das Touchieren entstanden sei. Auf der Fotodokumentation seien, wenn überhaupt, nur kleine Kratzer am Lack erkennbar. Ob diese tatsächlich von der Kollision vom 28. Juni 2019 stammten, sei fraglich. Basierend auf dem Polizeirapport und der Fotodokumentation könne somit ein Sachschaden aufgrund der Kollision nicht nachgewiesen werden, so die Vorinstanz. Es sei daher nicht erstellt, dass es aufgrund der Kollision zu einem leichten Sachschaden gekommen sei. 
 
1.2.2. Nach dem zum Sachverhalt Gesagten rügt der Beschwerdeführer zu Recht, dass er - mangels eines erwiesenen und durch ihn verursachten Sachschadens am Fahrzeug von B.________ aufgrund des Touchierens - weder zu einer Meldung an die Polizei noch an die vermeintliche Geschädigte verpflichtet war (vgl. oben E. 1.1.1 in fine). Demgegenüber ist erstellt, dass der Beschwerdeführer nach dem Unfallereignis angehalten und sich, wenn auch nur kurz, vergewissert hat, ob ein Sach- oder Personenschaden eingetreten war. Gemäss Feststellungen der Vorinstanz ging er um sein Auto herum und schaute, nachdem er von der mutmasslichen Geschädigten, die den Vorgang beobachtet hatte, darauf angesprochen worden war, nach, ob es zu einem Schaden gekommen war. Der Beschwerdeführer ist damit, entgegen der Auffassung der Vorinstanz, seiner Pflicht gemäss Art. 51 SVG hinreichend nachgekommen. Dies gilt umso mehr, als er gegenüber der mutmasslichen Geschädigten Angaben zu seinem Namen, Vornamen und Versicherung machte und ihr anbot, für einen allfälligen Schaden aufzukommen. Die Vorinstanz unterstellt ihm denn auch gar nicht, dass er sich habe vom Unfallort entfernen wollen. Der Tatbestand des pflichtwidrigen Verhaltens nach Unfall ist objektiv nicht erfüllt.  
Da der Beschwerdeführer, mangels eines Sach- oder Personenschadens, somit nicht zu einer Meldung an die Polizei oder die vermeintliche Geschädigte verpflichtet war, ist auch der objektive Tatbestand der Vereitelung einer Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit nicht erfüllt (vgl. oben E. 1.1.2). 
 
2.  
Der angefochtene Entscheid verletzt Bundesrecht. Er ist aufzuheben und der Beschwerdeführer ist von Schuld und Strafe freizusprechen. Ausgangsgemäss sind keine Kosten zu erheben und hat der Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren Anspruch auf eine angemessene Parteientschädigung gemäss Kostennote seines Rechtsvertreters vom 3. Mai 2021 (Art. 66 Abs. 1 und 4, Art. 68 BGG). Die Sache ist zur Neuregelung der kantonalen Kosten an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 2. Februar 2021 wird aufgehoben. Der Beschwerdeführer wird von den Vorwürfen des pflichtwidrigen Verhaltens nach Unfall mit Fremdschaden und der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit freigesprochen. Die Sache wird zur Neuregelung der kantonalen Kosten an das Kantonsgericht zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Luzern bezahlt dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren Fr. 2'595.55 Parteientschädigung. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Luzern, 1. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 27. September 2021 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Der Gerichtsschreiber: Matt