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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_380/2022  
 
 
Urteil vom 28. Juli 2022  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Müller, Merz 
Gerichtsschreiberin Sauthier. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Marc Schmid, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland, Zweigstelle Flughafen, Prime Center 1, 7. Stock, Postfach, 8058 Zürich. 
 
Gegenstand 
Haftentlassung, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, 
 
III. Strafkammer, vom 11. Juli 2022 (UB220110).  
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland führt eine Strafuntersuchung gegen A.________ wegen Betrugs, Urkundenfälschung sowie weiterer Delikte. Das Zwangsmassnahmengericht des Bezirks Dielsdorf setzte A.________ mit Verfügung vom 13. Oktober 2021 in Untersuchungshaft. Diese wurde mehrfach verlängert. 
Am 10. Juni 2022 ersuchte A.________ um Entlassung aus der Untersuchungshaft. Dieses Gesuch wies das Zwangsmassnahmengericht mit Verfügung vom 17. Juni 2022 ab. Dagegen reichte A.________ am 27. Juni 2022 eine Beschwerde beim Obergericht des Kantons Zürich ein. 
Die Staatsanwaltschaft erhob am 24. Juni 2022 Anklage beim Bezirksgericht Dielsdorf. In der Folge eröffnete dieses am 30. Juni 2022 ein Verfahren betreffend die Strafsache sowie ein Verfahren betreffend Anordnung von Sicherheitshaft. Letztere wurde am 8. Juli 2022 durch das Zwangsmassnahmengericht angeordnet. Mit Beschluss vom 11. Juli 2022 schrieb das Obergericht das Beschwerdeverfahren betreffend Haftentlassung zufolge Gegenstandslosigkeit als erledigt ab (Dispositiv-Ziffer 1). Zur Begründung führte es aus, die Inhaftierung von A.________ basiere nunmehr auf der Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 8. Juli 2022, mit welcher Sicherheitshaft angeordnet worden sei, mithin auf einer neuen rechtlichen Grundlage. A.________ befinde sich folglich nicht mehr in Untersuchungshaft und somit sei das Anfechtungsobjekt des Beschwerdeverfahrens weggefallen. 
 
B.  
Mit Eingabe vom 15. Juli 2022 führt A.________ Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt, Dispositiv-Ziffer 1 des Beschlusses vom 11. Juli 2022 sei aufzuheben und er sei aus der Haft zu entlassen. Eventualiter sei das Verfahren an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Die Staatsanwaltschaft sowie das Obergericht verzichten auf eine Stellungnahme. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Beschwerde richtet sich vorliegend gegen den kantonal letztinstanzlichen Beschluss des Obergerichts, mit welchem dieses das Verfahren betreffend die vom Beschwerdeführer beantragte Haftentlassung abgeschrieben hat. Der Abschreibungsbeschluss bringt das kantonale Verfahren prozessual zum Abschluss und ist als Endentscheid i.S.v. Art. 90 BGG zu qualifizieren. Dagegen steht grundsätzlich die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht offen (Art. 78 ff. BGG). Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und befindet sich nach wie vor in strafprozessualer Haft. Dass in der Zwischenzeit die Untersuchungshaft gegen ihn in Sicherheitshaft umgewandelt wurde, ändert nichts daran, dass er ein aktuelles Rechtsschutzinteresse an der Überprüfung der Haftvoraussetzungen hat (vgl. Urteil 1B_126/2014 vom 11. April 2014 E. 1; noch unter früherem kantonalen Prozessrecht: Urteile 1B_305/2008 vom 16. Dezember 2008 E. 1, 1B_262/2008 vom 28. Oktober 2008 E. 1). Er ist deshalb grundsätzlich zur Beschwerde berechtigt (Art. 81 BGG). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten. 
 
2.  
Wie von der Vorinstanz erwogen, wurde als Folge der gegen den Beschwerdeführer beim zuständigen Sachgericht erhobenen Anklage die Untersuchungshaft während dem hängigen Verfahren betreffend Haftentlassung gemäss Art. 220 Abs. 2 StPO in Sicherheitshaft umgewandelt. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist dadurch das obergerichtliche Beschwerdeverfahren gegen den negativen Haftentlassungsentscheid des Zwangsmassnahmengerichts vom 17. Juni 2022 jedoch nicht gegenstandslos geworden. Der vorinstanzlichen Schlussfolgerung, wonach das Beschwerdeverfahren als erledigt abzuschreiben sei, da sich die Anordnung der Sicherheitshaft nunmehr auf eine andere rechtliche Grundlage stütze, kann nicht gefolgt werden. Entscheidend ist, dass sich der Beschwerdeführer nach wie vor in strafprozessualer Haft befindet und folglich ein Rechtsschutzinteresse an der Überprüfung der Haftvoraussetzungen hat (vgl. E. 1 hiervor). Ob es sich dabei um Untersuchungs- oder um Sicherheitshaft handelt, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Denn es handelt sich sowohl bei der Untersuchungs- als auch bei der Sicherheitshaft um strafprozessuale Haft, wobei die Voraussetzungen für deren Anordnung bzw. Verlängerung identisch sind. Sie darf nur angeordnet oder verlängert werden, sofern ein dringender Tatverdacht sowie ein besonderer Haftgrund vorliegt (vgl. Art. 221 Abs. 1 StPO, der ausdrücklich von Untersuchungs- und Sicherheitshaft spricht). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hätte die Vorinstanz aufgrund des vom Beschwerdeführer gestellten Haftentlassungsgesuchs überprüfen müssen, denn dessen Gesuch bzw. Beschwerde richtet sich gegen die strafprozessuale Haft als solche. Indem die Vorinstanz einen Abschreibungsbeschluss erlassen hat, ohne das Haftentlassungsgesuch bzw. die Beschwerde einer materiellen Beurteilung zu unterziehen, hat sie Bundesrecht verletzt. Die Sache ist daher an die Vorinstanz zur unverzüglichen Durchführung des Beschwerdeverfahrens und Prüfung des Haftentlassungsgesuchs zurückzuweisen.  
Im Übrigen hatte der Beschwerdeführer gemäss seinen unbestritten gebliebenen Ausführung offenbar keine Gelegenheit, sich zur Anordnung der Sicherheitshaft vernehmen zu lassen. Selbst wenn er sich hätte äussern können, wäre es dem Beschwerdeführer jedoch - insbesondere auch mit Blick auf das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen (Art. 5 Abs. 2 StPO) - nicht zuzumuten, das Verfahren auf Haftentlassung bzw. Haftprüfungerneut von vorne in Gang zu setzen, indem er die Anordnung der Sicherheitshaft anfechten müsste. 
 
3.  
Die Beschwerde erweist sich damit als begründet. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben und die Sache zur unverzüglichen Prüfung des Haftentlassungsgesuchs an die Vorinstanz zurückzuweisen; insoweit ist die Beschwerde gutzuheissen. Dem Antrag des Beschwerdeführers auf sofortige Haftentlassung ist indes zum jetzigen Zeitpunkt keine Folge zu leisten; insofern ist die Beschwerde abzuweisen. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und Abs. 4 BGG). Der Kanton hat dem Vertreter des Beschwerdeführers eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist damit hinfällig. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, der angefochtene Beschluss vom 11. Juli 2022 aufgehoben und die Sache zur unverzüglichen Prüfung des Haftentlassungsgesuchs an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Zürich hat dem Vertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Marc Schmid, eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- zu bezahlen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 28. Juli 2022 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Chaix 
 
Die Gerichtsschreiberin: Sauthier