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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_420/2022  
 
 
Urteil vom 29. Juli 2022  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Haag, Müller, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Valentin Landmann, 
 
gegen  
 
Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung, Bundesrain 20, 3003 Bern. 
 
Gegenstand 
Auslieferung an die Republik Kosovo, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Bundesstrafgerichts, Beschwerdekammer, 
vom 12. Juli 2022 (RR.2022.23). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Interpol-Ausschreibung vom 29. Juni 2021 ersuchten die Behörden der Republik Kosovo um Fahndung und Festnahme des in der Schweiz wohnhaften kosovarischen Staatsangehörigen A.________ zwecks Auslieferung zur Vollstreckung einer (Rest-) Freiheitsstrafe. A.________ war im Kosovo aufgrund eines Autounfalls am 22. Juni 2018, der zum Tod eines 12-jährigen Mädchens geführt hatte, in zweiter Instanz zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden. Davon hat er neun Monate und 21 Tage noch nicht verbüsst. 
 
Mit Auslieferungsersuchen vom 7. Juli 2021 ersuchte die Republik Kosovo die Schweiz um Auslieferung von A.________ und reichte dazu die gegen ihn ergangenen Gerichtsentscheide ein, darunter das Urteil des Amtsgerichts in Gjakove vom 31. August 2018 (Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, unter Anrechnung des Hausarrests vom 22. Juni 2018 bis zum 31. August 2018) und das Urteil des Berufungsgerichts Kosovo vom 15. Januar 2019 (Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr). 
 
A.________ wurde in der Schweiz am 26. August 2021 in provisorische Auslieferungshaft versetzt und am 30. August 2021 zum Auslieferungsersuchen einvernommen. Im Anschluss daran wurde er unter Anordnung von Ersatzmassnahmen aus der Haft entlassen. Mit der Auslieferung erklärte er sich nicht einverstanden. 
 
Mit Auslieferungsentscheid vom 5. Januar 2022 bewilligte das Bundesamt für Justiz (BJ) die Auslieferung für die dem Auslieferungsersuchen zu Grunde liegenden Straftaten. 
 
Dagegen erhob A.________ Beschwerde ans Bundesstrafgericht. Er beantragte in erster Linie, den Entscheid des BJ aufzuheben und die Auslieferung zu verweigern. Eventualiter verlangte er den Aufschub der Auslieferung, bis das Kantonsgericht Luzern in einem gegen ihn hängigen Strafverfahren ein rechtskräftiges Urteil gefällt habe. Zudem ersuchte er um unentgeltliche Rechtspflege. 
 
Das Bundesstrafgericht wies die Beschwerde mit Entscheid vom 12. Juli 2022 ab (Dispositiv-Ziffer 1). Gleichzeitig machte es die Auslieferung von der Bedingung abhängig, dass die Republik Kosovo eine Reihe von Garantieerklärungen zu den Haftbedingungen abgibt (Dispositiv-Ziffer 2). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wies es ab (Dispositiv-Ziffer 3) und auferlegte A.________ eine reduzierte Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- (Dispositiv-Ziffer 4). 
 
B.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht vom 25. Juli 2022 beantragt A.________, das Urteil des Bundesstrafgerichts sowie der Auslieferungsentscheid des BJ seien aufzuheben und dem Auslieferungsersuchen sei nicht stattzugeben. 
 
Es wurde kein Schriftenwechsel durchgeführt.  
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Gegen einen Entscheid auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unter den in Art. 84 BGG genannten Voraussetzungen zulässig. Im vorliegenden Fall geht es um eine Auslieferung und damit um ein Sachgebiet, bei dem die Beschwerde nach Art. 84 Abs. 1 BGG insoweit möglich ist. Weiter ist erforderlich, dass es sich um einen besonders bedeutenden Fall handelt. Ein besonders bedeutender Fall liegt insbesondere vor, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden sind oder das Verfahren im Ausland schwere Mängel aufweist (Art. 84 Abs. 2 BGG; BGE 145 IV 99 E. 1 mit Hinweisen). 
 
Art. 84 BGG bezweckt die wirksame Begrenzung des Zugangs zum Bundesgericht im Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen. Ein besonders bedeutender Fall ist deshalb mit Zurückhaltung anzunehmen. Dem Bundesgericht steht insofern ein weiter Ermessensspielraum zu (BGE 145 IV 99 E. 1.2 mit Hinweisen). Ein besonders bedeutender Fall kann auch bei einer Auslieferung nur ausnahmsweise angenommen werden. In der Regel stellen sich insoweit keine Rechtsfragen, die der Klärung durch das Bundesgericht bedürfen, und kommt den Fällen auch sonst wie keine besondere Tragweite zu (BGE 134 IV 156 E. 1.3.4). 
 
Gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung der Rechtsschrift in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Ist eine Beschwerde nur unter der Voraussetzung zulässig, dass ein besonders bedeutender Fall nach Art. 84 BGG vorliegt, so ist auch auszuführen, warum diese Voraussetzung erfüllt ist (BGE 145 IV 99 E. 1.5 mit Hinweisen). 
 
Nach Art. 109 BGG entscheidet die Abteilung in Dreierbesetzung über Nichteintreten auf Beschwerden, bei denen kein besonders bedeutender Fall vorliegt (Abs. 1). Der Entscheid wird summarisch begründet und es kann ganz oder teilweise auf den angefochtenen Entscheid verwiesen werden (Abs. 3). 
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, dass eine Auslieferung mit dem in Art. 13 BV und Art. 8 EMRK verankerten Grundrecht auf Familienleben unvereinbar wäre. Wie aus den nachfolgenden Erwägungen hervorgeht, bestehen für eine Verletzung dieser Bestimmung indessen keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte.  
 
2.2. Der Beschwerdeführer brachte im vorinstanzlichen Verfahren vor, er habe in der Schweiz zwei Kinder aus erster Ehe, die in den Jahren 2017 und 2018 geboren seien. Er zahle Alimente und übe sein Besuchs- und Ferienrecht stets aus. Mit seiner neuen Lebenspartnerin und dem gemeinsamen Kind, das im Jahr 2021 zur Welt gekommen sei, lebe er in U.________. Die Lebenspartnerin sei zwar derzeit noch im Kanton Basel-Landschaft "gemeldet", die kleine Familie lebe jedoch meistens an seinem Wohnort.  
 
Das Bundesstrafgericht hielt im angefochtenen Entscheid fest, was die vom Beschwerdeführer als Lebenspartnerin bezeichnete Mutter seines dritten Kinds anbelange, sei keiner der von ihm eingereichten Unterlagen zu entnehmen, dass er an seinem Wohnort in U.________ mit ihr zusammenlebe. Es verwies dazu unter anderem auf einen Auszug aus dem Geburtsregister der am xxx 2021 geborenen Tochter, ein Schreiben für einen Arzttermin vom 12. Januar 2022 und die Angaben, die der Beschwerdeführer selbst beim Ausfüllen des Formulars betreffend unentgeltliche Rechtspflege gemacht habe. Seine Behauptung eines intakten Familienlebens mit der Kindsmutter und der Tochter belege er nicht. Allein der Umstand, dass die Kindsmutter im Zeitpunkt seiner Verhaftung an seinem Wohnort anwesend gewesen sei, reiche nicht. 
 
Der Beschwerdeführer ist zwar der Auffassung, es bestehe eine intakte familiäre Beziehung. Er setzt sich jedoch mit den erwähnten Belegen, die alle darauf hindeuten, dass die von ihm als Lebenspartnerin bezeichnete Frau nicht an seinem Wohnort lebt, nicht auseinander. Dass die vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts willkürlich wäre oder in anderer Weise gegen Bundesrecht verstossen würde, macht er nicht geltend (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG). Die Beschwerde genügt in dieser Hinsicht den Begründungsanforderungen nicht (Art. 42 Abs. 2 BGG). 
 
2.3. Hinzu kommt Folgendes: Zwar kann der Strafvollzug im ersuchenden Staat Gefängnisbesuche durch Familienangehörige erschweren und den Schutzbereich von Art. 13 Abs. 1 BV und Art. 8 EMRK tangieren. Diese Beeinträchtigung ist jedoch gesetzlich vorgesehen. Nach der Praxis des Bundesgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind Eingriffe in das Familienleben, die auf rechtmässige Strafverfolgungsmassnahmen zurückzuführen sind, grundsätzlich zulässig. Dies gilt namentlich für den Strafvollzug, soweit Gefangenenbesuche durch Angehörige gewährleistet sind. Der blosse Umstand, dass der Gefangene weit von seinen nächsten Angehörigen entfernt in Haft gehalten wird, sodass Besuche erschwert werden, bedeutet noch keinen unzulässigen Eingriff in das Privat- und Familienleben (zum Ganzen: Urteil 1A.199/2006 vom 2. November 2006 E. 3.1 mit Hinweisen, in: Pra 2007 Nr. 37 S. 227; Entscheid des EGMR Palfreeman gegen Bulgarien vom 16. Mai 2017, Beschwerde-Nr. 59779/14, § 36; Urteil des EGMR Serce gegen Rumänien vom 30. Juni 2015, Beschwerde-Nr. 35049/08, § 55). Die Vollstreckung eines ausländischen Strafentscheids in der Schweiz bedarf zudem grundsätzlich eines Ersuchens durch den betreffenden Staat (BGE 129 II 100 E. 3.1; 120 Ib 120 E. 3c; je mit Hinweisen). Ein solches liegt hier nicht vor.  
Nur ganz ausnahmsweise kann trotz Fehlen eines Ersuchens um Übernahme des Strafvollzugs der grundrechtliche Schutz des Familienlebens die Abweisung des Auslieferungsersuchens und die stellvertretende Strafvollstreckung in der Schweiz gebieten (vgl. BGE 129 II 100 E. 3.5; 123 II 279 E. 2d S. 284; 117 Ib 210 E. 3b/cc; Urteil 1C_173/2015 vom 27. April 2015 E. 1.3; je mit Hinweisen). Das Bundesgericht nahm dies im Fall eines in der Schweiz lebenden Vaters zweier minderjähriger Kinder an, dessen Lebensgefährtin erneut schwanger, darüber hinaus zu 100 % invalid und nachweislich psychisch stark angeschlagen war. Die Inhaftierung ihres Partners vor dem Auslieferungsentscheid hatte sie in einen von Suizidgedanken begleiteten Zustand der Angst und Depression versetzt. Hinzu kam, dass sich der vom Auslieferungsersuchen Betroffene seit seiner Ankunft in der Schweiz tadellos verhalten hatte (Urteil 1A.263/1996 vom 1. November 1996 E. 3e, nicht publ. in BGE 122 II 485; s. auch TPF 2020 81 E. 2.4-2.7; je mit Hinweisen). 
Hier liegt kein derartiger Ausnahmefall vor. Zwar macht der Beschwerdeführer geltend, seine Lebenspartnerin leide am Nussknackersyndrom und müsse im Notfall sofort operiert werden können, weshalb eine Reise in den Kosovo für sie nicht in Betracht falle. Er räumt jedoch selber ein, dass aufgrund der bereits im Hausarrest verbüssten Strafe von gut drei Monaten davon auszugehen sei, dass er nach rund 6 Monaten aus der Haft entlassen würde, spätestens jedoch nach 9 Monaten und 21 Tagen. Für eine derart kurze Zeit erscheint es zumutbar, die Beziehung über briefliche und telefonische Kontakte zu pflegen (vgl. BGE 117 Ib 210 E. 3b/cc S. 216). Dasselbe gilt für die Kinder aus erster Ehe, für die im Übrigen auch eine Reise in den Kosovo nicht ausgeschlossen ist. Das Bundesstrafgericht weist weiter in überzeugender Weise darauf hin, dass der Beschwerdeführer nicht geltend gemacht habe, seine Lebenspartnerin sei auf konkrete Unterstützung angewiesen oder ihr Gesundheitszustand könnte sich bei seiner Auslieferung verschlechtern. Nicht zu überzeugen vermag schliesslich sein Argument, die beiden Mütter seien auf seine Alimentenzahlungen dringend angewiesen. Zum einen hielt die Vorinstanz diesbezüglich fest, die Behauptungen betreffend jene Zahlungen seien zum Teil nicht belegt, was der Beschwerdeführer nicht substanziiert bestreitet (Art. 42 Abs. 2 BGG). Zum andern fällt ins Gewicht, dass die Möglichkeiten des Beschwerdeführers, die beiden Mütter und die Kinder finanziell zu unterstützen, auch bei einem Strafvollzug in der Schweiz beeinträchtigt würden. Ob es überhaupt Umstände gibt, unter denen die finanzielle Abhängigkeit in der Schweiz lebender Familienangehöriger einer Auslieferung entgegensteht, ist zudem fraglich, braucht aber hier nicht weiter erörtert zu werden. 
 
3.  
Ein besonders bedeutender Fall liegt somit nicht vor, weshalb auf die Beschwerde nicht einzutreten ist. 
 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1-3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bundesamt für Justiz, Fachbereich Auslieferung, und dem Bundesstrafgericht, Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 29. Juli 2022 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Chaix 
 
Der Gerichtsschreiber: Dold