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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5A_413/2024  
 
 
Urteil vom 2. Oktober 2024  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Herrmann, Präsident, 
Bundesrichter von Werdt, Bundesrichterin De Rossa, 
Gerichtsschreiberin Lang. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Anton Hidber, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
B.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Katharina Ernst, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Beweisbeschluss (Vaterschaft), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, II. Zivilkammer, verfahrensleitender Richter, vom 27. Mai 2024 (FO.2022.26-K2). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
B.________ erhob am 24. Januar 2022 gegen A.________ eine Vaterschaftsklage (Art. 261 ff. ZGB) am Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland. Mit Entscheid vom 6. Mai 2022 wies dieses die Klage - ohne ein DNA-Gutachten eingeholt zu haben - mit der Begründung ab, der Anspruch sei verwirkt.  
 
B.  
Hiergegen gelangte B.________ mit Berufung an das Kantonsgericht St. Gallen. Dieses erliess am 27. Mai 2024 einen Beweisbeschluss, in welchem bestimmt wurde, dass B.________ zu beweisen hat, dass A.________ sein Vater ist (Dispositiv-Ziff. 1). Weiter wurde zum Beweis der eventuellen Vaterschaft beim Institut für Rechtsmedizin des Kantonsspitals St. Gallen ein Abstammungsgutachten in Auftrag gegeben (Dispositiv-Ziff. 2). 
 
C.  
Mit Beschwerde vom 26. Juni 2024 beantragt A.________ (Beschwerdeführer) dem Bundesgericht, den Beweisbeschluss vom 27. Mai 2024 vollumfänglich aufzuheben. Ausserdem stellte der Beschwerdeführer ein Gesuch um aufschiebende Wirkung. 
Die Vorinstanz liess sich mit Eingabe vom 10. Juli 2024 vernehmen, ohne einen Antrag zu stellen. Der Beschwerdegegner reichte seine Beschwerdeantwort am 15. Juli 2024 ein und beantragte die Abweisung der Beschwerde und des Gesuchs um aufschiebende Wirkung. Der Beschwerdeführer replizierte am 7. August 2024. Weitere Eingaben erfolgten nicht. 
Mit Verfügung vom 23. Juli 2024 erteilte der Präsident der urteilenden Abteilung der Beschwerde die aufschiebende Wirkung. 
Das Bundesgericht hat zudem die kantonalen Akten eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der angefochtene Entscheid betrifft die Anordnung eines Abstammungsgutachtens im Rahmen des vor der Vorinstanz hängigen Berufungsverfahrens betreffend eine Vaterschaftsklage, also eine nicht vermögensrechtliche Zivilsache (Art. 72 Abs. 1 BGG). Es handelt sich um einen selbständig eröffneten Zwischenentscheid (BGE 99 Ia 437 E. 1; Urteil 5A_745/2014 vom 16. März 2015 E. 1), der mit Beschwerde in Zivilsachen angefochten werden kann, wenn gemäss Art. 93 Abs. 1 BGG ein nicht wieder gutzumachender Nachteil droht (lit. a) oder die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b).  
 
1.2. Sollte das Bundesgericht die Beschwerde gutheissen, führte dies noch nicht zu einem Endentscheid. Zu prüfen ist daher einzig das Vorliegen eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils im Sinn von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG. Der Beschwerdeführer macht einen solchen geltend, da Geheimhaltungsinteressen auf dem Spiel stünden. Der Beschwerdegegner sieht darin rein tatsächliche Nachteile.  
 
1.3. Ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinn von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG muss nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung rechtlicher Natur sein, was voraussetzt, dass er durch einen späteren günstigen Entscheid nicht oder nicht mehr vollständig behoben werden kann (BGE 148 IV 155 E. 1.1 mit Hinweisen).  
 
1.3.1. Nach der bundesgerichtlichen Praxis bewirken Anordnungen betreffend die Beweisführung in aller Regel keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil, da mit der Anfechtung des Endentscheids für gewöhnlich erreicht werden kann, dass ein zu Unrecht verweigerter Beweis abgenommen oder ein zu Unrecht erhobener Beweis aus den Akten gewiesen wird (BGE 141 III 80 E. 1.2). Ausnahmen können bestehen, z.B. wenn ein Beweismittel, dessen Existenz gefährdet ist, verweigert wird, oder wenn bei Abnahme eines Beweismittels Geheimhaltungsinteressen auf dem Spiel stehen (Urteile 4A_58/2021 vom 8. Dezember 2021 E. 1.2; 4A_416/2017 vom 6. Oktober 2017 E. 4.1; 5A_745/2014 vom 16. März 2015 E. 1.2.2).  
 
1.3.2. Die Anordnung eines Abstammungsgutachtens bzw. die zu dessen Durchführung mindestens notwendige Entnahme eines Wangenschleimhautabstrichs ist ein (leichter) Eingriff in das Recht auf körperliche Integrität (BGE 134 III 241 E. 5.4.3 mit Hinweisen), der real nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinn von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG liegt daher vor (Urteile 5A_384/2015 vom 16. November 2015 E. 1.2; 5A_745/2014 vom 16. März 2015 E. 1.2.3).  
 
1.4. Die restlichen Eintretensvoraussetzungen sind erfüllt. Insbesondere schadet es nicht, dass der angefochtene Entscheid nicht auf Rechtsmittel hin (Art. 75 Abs. 2 BGG) ergangen ist (vgl. BGE 143 III 140 E. 1.2 mit Hinweisen; Art. 316 Abs. 3 ZPO). Darüber hinaus ist der Beschwerdeführer zur Beschwerde in Zivilsachen grundsätzlich berechtigt (Art. 76 Abs. 1 BGG) und hat diese rechtzeitig (Art. 100 Abs. 1 BGG) eingereicht. Allerdings hat er kein Interesse an der Aufhebung von Dispositiv-Ziff. 1 des angefochtenen Entscheids. Auf die Beschwerde ist daher nur insofern einzutreten, als sie die Aufhebung von Dispositiv-Ziff. 2 (Anordnung eines Abstammungsgutachtens) betrifft.  
 
2.  
Mit der Beschwerde in Zivilsachen können Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG geltend gemacht werden. Das Bundesgericht wendet das Recht in diesem Bereich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG) und prüft mit freier Kognition, ob der angefochtene Entscheid Recht verletzt. Es befasst sich aber grundsätzlich nur mit formell ausreichend begründeten Einwänden. In der Beschwerde ist deshalb in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG), was eine Auseinandersetzung mit dessen Begründung erfordert (BGE 143 II 283 E. 1.2.2; 140 III 86 E. 2). Erhöhte Anforderungen gelten, wenn verfassungsmässige Rechte als verletzt gerügt werden. Das Bundesgericht prüft deren Verletzung nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; Rügeprinzip). Es prüft nur klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen (BGE 142 III 364 E. 2.4). Was den Sachverhalt angeht, legt das Bundesgericht seinem Urteil die vorinstanzlichen Feststellungen zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). 
 
3.  
 
3.1. Entscheide, die der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen, sind den Parteien schriftlich zu eröffnen und müssen u.a. die massgebenden Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art, insbesondere die Angabe der angewendeten Gesetzesbestimmungen enthalten (Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG). Diese Begründungspflicht gilt für alle beim Bundesgericht anfechtbaren Entscheide, also auch Zwischenentscheide wie den vorliegenden (vgl. Urteil 2C_354/2023 vom 14. Februar 2024 E. 5.1). Aus dem Entscheid muss klar hervorgehen, von welchem festgestellten Sachverhalt die Vorinstanz ausgegangen ist und welche rechtlichen Überlegungen sie angestellt hat (BGE 141 IV 244 E. 1.2.1). Genügt ein Entscheid diesen Anforderungen nicht, so kann das Bundesgericht ihn in Anwendung von Art. 112 Abs. 3 BGG an die kantonale Behörde zur Verbesserung zurückweisen oder aufheben.  
 
3.2. Der angefochtene Entscheid enthält keine Begründung, sondern nur das Dispositiv, wonach der Beschwerdegegner zu beweisen hat, dass der Beschwerdeführer sein Vater ist (Dispositiv-Ziff. 1), und zum Beweis der eventuellen Vaterschaft ein Abstammungsgutachten in Auftrag gegeben wird (Dispositiv-Ziff. 2). Die Voraussetzungen von Art. 112 BGG erfüllt der angefochtene Entscheid somit grundsätzlich nicht.  
 
3.3. Eine Zurückweisung an die Vorinstanz zur Verbesserung ist vorliegend dennoch nicht gerechtfertigt. Zum einen sind Beweisverfügungen im Grundsatz nicht begründungspflichtig (LEU, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Kommentar, Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], 2. Aufl. 2016, N. 173 ff. zu Art. 154 ZPO). Zum anderen ergibt sich bereits aus den Umständen des vorliegenden Verfahrens (Vaterschaftsklage gegen den Beschwerdeführer, wobei dieser seine Vaterschaft bestreitet), weshalb die Vorinstanz ein Abstammungsgutachten angeordnet hat. Der relevante Sachverhalt ergibt sich zudem aus den kantonalen Akten und wurde vom Bundesgericht ergänzt (siehe Sachverhalt oben, Art. 105 Abs. 2 BGG). Ausserdem kann die aufgrund der fehlenden Begründung eingetretene Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 53 ZPO) des Beschwerdeführers vor Bundesgericht geheilt werden. Denn es sind ausschliesslich Rechtsfragen streitig, die das Bundesgericht mit freier Kognition beurteilen kann, und dem Beschwerdeführer erwächst hierdurch auch kein Nachteil (BGE 147 IV 340 E. 4.11.3 mit zahlreichen Hinweisen). Insbesondere war er, wie seine Beschwerdeschrift zeigt, in der Lage, den Entscheid beim Bundesgericht sachgerecht anzufechten. Eine Rückweisung an die Vorinstanz hätte einen formalistischen Leerlauf und damit unnötige Verzögerungen zur Folge, die mit dem Interesse der Parteien an einer beförderlichen Beurteilung der Sache nicht zu vereinbaren wären (BGE 142 II 218 E. 2.8.1).  
 
4.  
 
4.1. Der Beschwerdeführer macht zusammengefasst geltend, bevor über die biologischen Verhältnisse Klarheit hergestellt werde, müsse entschieden werden, ob der Beschwerdegegner überhaupt noch einen Anspruch auf Feststellung der Vaterschaft habe oder dieser Anspruch (wegen Rechtsmissbrauchs) verwirkt sei, wie das die Erstinstanz erkannt hatte. Habe der Beschwerdegegner seinen Anspruch auf ein Gestaltungsurteil verwirkt, sei es rechtswidrig, unsinnig und rechtsmissbräuchlich, trotzdem die biologische Vaterschaft zu ermitteln. Die Auswirkungen eines solchen Vorgehens seien für die Verfahrensbeteiligten und ihre Angehörigen nur schwer zu verkraften. Das materielle Recht gehe dem Prozessrecht vor. Das von der Vorinstanz gewählte Vorgehen verletze daher Art. 2 Abs. 2 und Art. 263 ZGB.  
 
4.2. Der Beschwerdeführer verkennt mit seiner Argumentation die Rechtslage:  
 
4.2.1. Die Vorinstanz ist als Berufungsinstanz im Rahmen einer Vaterschaftsklage angerufen worden. Einen Anspruch, dass über die Frage der Fristwahrung der Vaterschaftsklage zunächst (mittels eines Zwischenentscheids) entschieden würde, hat der Beschwerdeführer - wie der Beschwerdegegner ausführt - nicht. Die Berufungsinstanz entscheidet nämlich nach ihrem Ermessen, ob sie einen reformatorischen oder einen kassatorischen Entscheid fällt (Art. 318 Abs. 1 ZPO). In Sachverhaltsfragen verfügt sie ausserdem über uneingeschränkte Kognition, wobei sie insbesondere den erstinstanzlich festgestellten Sachverhalt ergänzen und selber Beweise abnehmen (Art. 316 Abs. 3 ZPO) kann. Bereits vor diesem Hintergrund geht die Argumentation des Beschwerdeführers fehl.  
 
4.2.2. Darüber hinaus hat der Beschwerdegegner ein Recht auf Kenntnis seiner Abstammung, und das unabhängig davon, ob die Voraussetzungen der Statusklage gegeben sind. Der Beschwerdeführer ist (auch) in einem solchen Verfahren grundsätzlich mitwirkungspflichtig (BGE 134 III 241 E. 5.3.2). Überwiegende, seiner Mitwirkungspflicht entgegenstehende Interessen macht er nicht geltend. Insbesondere stellt seine Befürchtung, die biologische und die rechtliche Realität könnten auseinanderfallen, kein dem Anspruch des Beschwerdegegners auf Kenntnis seiner Abstammung entgegenstehendes überwiegendes Interesse dar. Einem solchen Resultat könnte der Beschwerdeführer selbst im Übrigen jederzeit Abhilfe verschaffen (siehe Art. 260 Abs. 1 ZGB).  
 
5.  
Wie aus dem Ausgeführten folgt, ist die Beschwerde abzuweisen, soweit auf sie eingetreten werden kann. Das Institut für Rechtsmedizin des Kantonsspitals St. Gallen hat folglich das Abstammungsgutachten zu erstellen. Die Kosten des Verfahrens sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG), der den Beschwerdegegner für seinen entstandenen Aufwand zu entschädigen hat (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Angesichts des geringen Umfangs der Beschwerdeantwort rechtfertigt sich die Zusprechung einer reduzierten Parteientschädigung von Fr. 3'000.--. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Der Beschwerdeführer hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht St. Gallen, II. Zivilkammer, und dem Institut für Rechtsmedizin des Kantonsspitals St. Gallen, mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 2. Oktober 2024 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Herrmann 
 
Die Gerichtsschreiberin: Lang