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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_335/2022  
 
 
Urteil vom 3. April 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Müller, Kölz, 
Gerichtsschreiberin Kern. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwältin Tanja Knodel, 
 
gegen  
 
B.________, 
Beschwerdegegner, 
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Karin Bürgi Locatelli, 
 
Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl, 
Büro F-3, Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8036 Zürich, 
 
Bezirksgericht Zürich, 9. Abteilung, Badenerstrasse 90, Postfach, 8004 Zürich. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Aussonderung, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 17. Mai 2022 (UH210448-O/U/GRO). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl führt ein Strafverfahren gegen Rechtsanwalt B.________ wegen Betrugs und weiteren Delikten zum Nachteil von Rechtsanwalt A.________ bzw. der Kanzlei A.________Rechtsanwälte. Am 29. September 2016 stellte die Staatsanwaltschaft bei einer Hausdurchsuchung insbesondere einen USB-Stick sicher, der E-Mail-Korrespondenz zwischen Rechtsanwalt B.________ und dessen Mandanten enthalten soll. In der Folge stellte Rechtsanwalt B.________ ein Aussonderungsgesuch. Das Bezirksgericht Zürich hiess dieses mit Beschluss vom 6. Dezember 2021 teilweise gut und beschloss die Entfernung des USB-Sticks aus den Akten und dessen separate Aufbewahrung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens. Im Übrigen wies es das Aussonderungsgesuch ab. 
 
B.  
Dagegen erhob Rechtsanwalt A.________, der sich als Privatkläger konstituiert hatte, Beschwerde bei der III. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich, worauf diese mit Beschluss vom 17. Mai 2022 nicht eintrat. 
 
C.  
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 20. Juni 2022 beantragt A.________ vor Bundesgericht, den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 17. Mai 2022 aufzuheben und den aus den Akten ausgesonderten USB-Stick zu den Akten zu nehmen. Eventualiter sei die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Die Vorinstanz hat auf Vernehmlassung verzichtet. Der Beschwerdegegner beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten. Der Beschwerdeführer hat mit Eingabe vom 2. September 2022 repliziert. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Das Bundesgericht beurteilt die Frage, ob und inwieweit die gesetzlichen Sachurteilsvoraussetzungen nach Art. 78 ff. BGG erfüllt sind, vom Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 1 i.V.m. Art. 42 Abs. 1 bis 2 BGG; BGE 145 I 239 E. 2; 143 IV 357 E. 1; je mit Hinweisen). Die Sachurteilsvoraussetzungen sind in der Beschwerdeschrift ausreichend zu substanziieren, soweit sie nicht offensichtlich erfüllt erscheinen (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; vgl. BGE 148 IV 155 E. 1.1; 141 IV 289 E. 1.3; je mit Hinweisen).  
 
1.2. Die Beschwerde richtet sich gegen einen Nichteintretensentscheid einer letzten kantonalen Instanz (vgl. Art. 80 BGG), der im Rahmen eines Strafverfahrens ergangen ist. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen grundsätzlich offen (vgl. Art. 78 Abs. 1 BGG).  
 
1.3. Der Beschwerdeführer macht geltend, im kantonalen Verfahren durch den angefochtenen Nichteintretensentscheid in seinen Parteirechten verletzt worden zu sein. Der Beschwerdeführer ist somit prinzipiell zur Beschwerde berechtigt (sog. "Star-Praxis"; vgl. BGE 146 IV 76 E. 2; 141 IV 1 E. 1.1 mit Hinweisen).  
 
1.4. Der angefochtene Entscheid schliesst das Strafverfahren nicht ab. Es handelt sich um einen Zwischenentscheid, der weder die Zuständigkeit noch den Ausstand betrifft. Gemäss Art. 93 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde dagegen prinzipiell nur zulässig, wenn der Zwischenentscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (lit. a), oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b), wobei die zweite Variante vorliegend nicht in Betracht fällt (vgl. BGE 144 IV 127 E. 1.3; 141 IV 284 E. 2).  
Offenbleiben kann, ob sich auch die Voraussetzung des drohenden nicht wieder gutzumachenden Nachteils gestützt auf die "Star-Praxis" begründen lässt, die sich nach der Rechtsprechung einzig auf die Frage der Beschwerdelegitimation bezieht (vgl. Urteil 1B_527/2021 vom 16. Dezember 2021 E. 2.2 mit Hinweisen). Denn im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass die Vorinstanz den angefochtenen Nichteintretensentscheid gerade damit begründet, dem Beschwerdeführer drohe durch die Aussonderung und separate Aufbewahrung des USB-Sticks kein nicht wieder gutzumachender Rechtsnachteil. Die Frage, ob ihm nun ein solcher droht, ist damit sowohl für die Zulässigkeit der Beschwerde als auch für deren Begründetheit von Bedeutung. Derartige sogenannt "doppelrelevante Tatsachen" werden grundsätzlich im Rahmen der Begründetheit geprüft (vgl. BGE 147 IV 188 E. 1.4; 147 III 159 E. 2.1.2; je mit Hinweisen). Für die Zulässigkeit reicht aus, wenn die doppelrelevanten Tatsachen schlüssig behauptet werden bzw. mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorliegen (vgl. BGE 147 IV 188 E. 1.4; 145 II 153 E. 1.4; je mit Hinweisen), was vorliegend zutrifft. Die Beschwerde ist damit auch im Hinblick auf Art. 93 Abs. 1 BGG zulässig. 
 
1.5. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist grundsätzlich auf die Beschwerde einzutreten. Der Streitgegenstand beschränkt sich jedoch auf die Eintretensfrage. Soweit der Beschwerdeführer Sachanträge stellt, die über eine reine Rückweisung hinausgehen, ist darauf nicht einzutreten (vgl. BGE 144 II 184 E. 1.1 mit Hinweisen).  
 
2.  
 
2.1. Nach der Vorinstanz handelt es sich beim Entscheid des Bezirksgerichts, den USB-Stick aus den Akten auszusondern, um einen vor der Hauptverhandlung ergangenen verfahrensleitenden Entscheid. Die Vorinstanz hat erwogen, ein solcher sei nur selbstständig anfechtbar, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur für den Beschwerdeführer als Privatkläger bewirken könne. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall, da das Berufungsgericht das erstinstanzliche Strafurteil umfassend - und damit auch die Aussonderung des USB-Sticks - überprüfen könne. Der USB-Stick werde im Übrigen nicht etwa vernichtet, sondern bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens separat aufbewahrt; dem Beschwerdeführer drohe daher auch kein Beweisverlust.  
 
2.2. Der Beschwerdeführer macht dagegen geltend, durch die Aussonderung des USB-Sticks aus den Akten werde seine Möglichkeit vereitelt, dessen Inhalt zu sichten. Falls sich beweisrelevante Daten darauf befänden, werde durch die Aussonderung auch sein Recht beschnitten, an der Beweiserhebung mitzuwirken und entsprechende Anträge zu stellen. So könne er etwa ohne Einsichtnahme die Identität von möglichen Zeugen nicht erurieren und deren Befragung nicht beantragen. Auch dürften sich darauf nach Ansicht des Beschwerdeführers Hinweise auf die Intentionen des Beschwerdegegners finden, die für die Beurteilung des subjektiven Tatbestands wesentlich sein könnten. Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, selbst wenn der USB-Stick später wieder zu den Akten genommen würde und er dann Einsicht erhalte, würde dadurch das Verfahren - das bereits seit sechs Jahren andauere - erheblich verzögert. Ihm drohe überdies ein Beweisverlust, da ein Antrag, den USB-Stick wieder zu den Akten zu nehmen, womöglich mit der Begründung abgewiesen werden könnte, dass über Beweismittel, die nicht mehr Bestandteil der Akten seien, nicht entschieden werden könne.  
 
2.3. Gemäss Art. 393 Abs. 1 lit. b StPO ist die Beschwerde zulässig gegen die Verfügungen und Beschlüsse sowie die Verfahrenshandlungen der erstinstanzlichen Gerichte; ausgenommen sind verfahrensleitende Entscheide. Diese Bestimmung steht in Zusammenhang mit Art. 65 Abs. 1 StPO. Danach können verfahrensleitende Anordnungen der Gerichte nur mit dem Endentscheid angefochten werden. Die Rechtsprechung lässt die Beschwerde jedoch zu, wenn der verfahrensleitende Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG für die betroffene Person verursachen kann. In diesem Fall ist die Beschwerde nach Art. 393 Abs. 1 lit. b StPO an die kantonale Beschwerdeinstanz und danach die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht zulässig (BGE 143 IV 175 E. 2.2 f.; Urteil 1B_363/2021 vom 5. April 2022 E. 2.2; je mit Hinweis).  
Beim drohenden nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG muss es sich im Bereich der Beschwerde in Strafsachen um einen solchen rechtlicher Natur handeln. Nicht wieder gutzumachend bedeutet, dass er auch mit einem für die beschwerdeführende Person günstigen Endentscheid nicht oder nicht vollständig behoben werden kann (BGE 147 IV 188 E. 1.3.2; 141 IV 289 E. 1.2 mit Hinweis). Ein lediglich tatsächlicher Nachteil wie die Verteuerung oder Verlängerung des Verfahrens genügt nicht (BGE 147 III 159 E. 4.1; 144 IV 321 E. 2.3; 142 III 798 E. 2.2; je mit Hinweisen). Diese Regelung stützt sich auf die Verfahrensökonomie. In seiner Funktion als oberstes Gericht soll sich das Bundesgericht grundsätzlich nur ein Mal mit einem Verfahren beschäftigen müssen, und dies nur dann, wenn sicher ist, dass die beschwerdeführende Person tatsächlich einen endgültigen Nachteil erleidet (BGE 148 IV 155 E. 1.1 mit Hinweisen). 
Nach der Rechtsprechung kann einer rechtsuchenden Partei das Erfordernis des nicht wieder gutzumachenden Nachteils nicht entgegengehalten werden, wenn sie der Auffassung ist, ihre Sache werde durch einen Sistierungs- bzw. Rückweisungsentscheid nicht innert angemessener Frist behandelt, und sie deshalb eine formelle Rechtsverweigerung rügt (BGE 143 IV 175 E. 2.3; 134 IV 43 E. 2.2 f.; je mit Hinweisen). Dies könnte beispielsweise bei einer beschuldigten Person der Fall sein, wenn das Strafverfahren zur Beweisergänzung an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen wird, obschon das erstinstanzliche Gericht diese selbst vornehmen könnte (BGE 143 IV 175 E. 2.3; 141 IV 39 E. 1.6.2). Die drohende Verletzung des Beschleunigungsgebots ist von der rechtsuchenden Partei in einer den Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG genügenden Weise darzulegen (vgl. BGE 143 IV 175 E. 2.3; 138 III 190 E. 6; Urteil 1B_552/2021 vom 29. August 2022 E. 1.4 mit Hinweisen). 
 
2.4. Wie die Vorinstanz im angefochtenen Beschluss festgehalten hat, handelt es sich beim Beschluss des Bezirksgerichts vom 6. Dezember 2021 um einen verfahrensleitenden Entscheid im Sinne von Art. 393 Abs. 1 lit. b StPO. Die Vorinstanz hat demnach zu Recht geprüft, ob dem Beschwerdeführer als Privatkläger durch die Aussonderung des USB-Sticks aus den Akten ein nicht wiedergutzumachender Nachteil droht.  
Sodann durfte die Vorinstanz diesen im vorliegenden Fall verneinen. Die Argumentation des Beschwerdeführers läuft hauptsächlich darauf hinaus, dass ein nachträglicher Entscheid zu seinen Gunsten eine Verfahrensverzögerung nach sich ziehen könnte, was jedoch keinen Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG begründet. Dass durch eine allfällige Verfahrensverzögerung eine Verletzung des Beschleunigungsgebots droht, wird vom Beschwerdeführer nicht hinreichend substanziiert dargelegt und ist auch sonst nicht ersichtlich. 
Auch dessen Ausführungen zur Gefahr eines Beweisverlusts kann nicht gefolgt werden. Nach den Vorakten entfernte das Bezirksgericht den USB-Stick aus Gründen der Verhältnismässigkeit aus den Akten. Es hat diesbezüglich erwogen, die darauf gespeicherten, unbestrittenermassen "sensible[n] Daten" würden zur Beweisführung (scheinbar) nicht benötigt. Das Bezirksgericht hat damit keinen abschliessenden Entscheid über die Zulässigkeit der Erhebung und Verwertung des USB-Sticks als Beweismittel getroffen. Dem Beschwerdeführer steht es somit grundsätzlich offen, die Erhebung des USB-Sticks und der darauf befindlichen Daten als Beweismittel zu beantragen (vgl. Art. 331 Abs. 2 und 3 und Art. 345 StPO). Mithin droht dem Beschwerdeführer auch in dieser Hinsicht kein nicht wieder gutzumachender Nachteil.  
Im Übrigen gilt es darauf hinzuweisen, dass es grundsätzlich Sache der Strafbehörden ist, Beweismittel auf allfällige Beschlagnahmehindernisse hin zu prüfen. Die Privatklägerschaft ist dagegen im Beschlagnahmeverfahren nicht zwangsläufig als Partei zu behandeln bzw. von Amtes wegen miteinzubeziehen (vgl. Urteil 1B_116/2018 vom 6. September 2018 E. 1.6 mit Hinweisen). Aufgrund des Vorangegangenen kann jedoch dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer im vorliegenden Beschlagnahmeverfahren überhaupt beschwerdeberechtigt gewesen wäre. 
 
3.  
Nach diesen Erwägungen ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der unterliegende Beschwerdeführer kostenpflichtig (vgl. Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat dem obsiegenden, anwaltlich vertretenen Beschwerdegegner eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Der Beschwerdeführer hat dem Beschwerdegegner eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- (pauschal, inkl. MWST) zu entrichten. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl, dem Bezirksgericht Zürich, 9. Abteilung, und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 3. April 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Kern