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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_255/2022  
 
 
Urteil vom 3. Mai 2023  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiberin Stanger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Claude Wyssmann, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 25. März 2022 (VSBES.2021.155). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der 1957 geborene A.________ bezog seit 1. August 2000 eine ganze Rente der Invalidenversicherung. Im Rahmen eines im August 2011 eingeleiteten Revisionsverfahrens veranlasste die IV-Stelle Solothurn bei der Ärztlichen Begutachtungsinstitut GmbH (ABI) eine polydisziplinäre Begutachtung (Expertise vom 18. Mai 2012). Der Versicherte reichte daraufhin ein von ihm in Auftrag gegebenes psychiatrisches Gutachten des Dr. med. B.________, Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 23. Oktober 2012 zu den Akten. Auf Aufforderung der IV-Stelle hin nahm das ABI hierzu am 29. Januar 2013 Stellung. Nachdem der Versicherte zudem einen Bericht des Neurologen Dr. med. C.________, Facharzt FMH für Neurologie, vom 28. August 2013, eingereicht hatte, empfahl der Regionale Ärztliche Dienst (RAD) am 31. Januar 2014 eine polydisziplinäre Verlaufsbegutachtung. Da der Versicherte die Notwendigkeit einer weiteren Begutachtung in Frage stellte, erliess die IV-Stelle am 28. Mai 2015 eine entsprechende Verfügung und beauftragte das ABI mit der Ausarbeitung eines polydisziplinären Gutachtens. Die vom Versicherten hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Urteil vom 23. März 2016 ab; auf das dagegen erhobene Rechtsmittel trat das Bundesgericht mit Urteil 9C_294/2016 vom 27. Mai 2016 wegen rechtsmissbräuchlicher Beschwerdeführung nicht ein.  
 
A.b. Gestützt auf das vom ABI am 14. Februar 2017 erstattete Gutachten setzte die IV-Stelle mit Verfügung vom 26. Januar 2018 die laufende ganze Rente auf eine Viertelsrente herab. Eine dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Urteil vom 21. Dezember 2020 gut, da die Rentenherabsetzung nicht ohne vorgängige Prüfung von Eingliederungsmassnahmen hätte erfolgen dürfen; dieses Urteil bestätigte das Bundesgericht mit Urteil 9C_84/2021 vom 2. August 2021.  
 
A.c. Mit Verfügung vom 16. August 2021 lehnte die IV-Stelle sodann ein Gesuch des Versicherten um Übernahme der Kosten des Privatgutachtens des Dr. med. B.________ vom 23. Oktober 2012 in der Höhe von Fr. 6'400.- ab.  
 
B.  
Die gegen die Verfügung vom 16. August 2021 erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn mit Urteil vom 25. März 2022 ab. 
 
C.  
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, das Urteil vom 25. März 2022 sei aufzuheben und die IV-Stelle sei zu verpflichten, ihm die Kosten für das Privatgutachten des Dr. med. B.________ vom 23. Oktober 2012 in der Höhe von Fr. 6'400.- zu erstatten. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, als sie eine Übernahme der Kosten für das Privatgutachten des Dr. med. B.________ vom 23. Oktober 2012 in der Höhe von Fr. 6'400.- abgelehnt hat. 
 
3.  
Nach aArt. 78 Abs. 3 IVV (in der hier anwendbaren, bis 31. Dezember 2021 in Kraft gewesenen Fassung) werden die Kosten von Abklärungsmassnahmen von der Versicherung getragen, wenn die Massnahmen durch die IV-Stelle angeordnet wurden oder, falls es an einer solchen Anordnung fehlt, soweit sie für die Zusprechung von Leistungen unerlässlich waren oder Bestandteil nachträglich zugesprochener Eingliederungsmassnahmen bilden. Im Wesentlichen gleich lautet Art. 45 Abs. 1 ATSG. Unerlässlich sind Abklärungen, wenn die entsprechende Massnahme im Rahmen der Untersuchungspflicht ebenfalls anzuordnen gewesen wäre, was jedoch nicht erfolgt ist (Urteil 9C_858/2014 vom 3. September 2015 E. 6 mit Hinweis auf Urteil 9C_921/2013 vom 24. Februar 2014 E. 5.1, in: SVR 2014 IV Nr. 11 S. 44). Bei einem Privatgutachten ist für eine Kostenübernahme nicht zwingend erforderlich, dass abschliessend darauf abgestellt wird. Vielmehr kann es auch genügen, dass dieses Anlass zu weiteren Abklärungen gibt, welche in Unkenntnis des Gutachtens nicht angeordnet worden wären. Einem Privatgutachten muss somit entscheidende Bedeutung dafür zukommen, dass zusätzliche Abklärungen für nötig erachtet werden (vgl. Urteil I 1008/06 vom 24. April 2007 E. 3.3). 
 
4.  
 
4.1. Zunächst macht der Beschwerdeführer geltend, Anfang 2013 habe die IV-Stelle dem ABI das Privatgutachten zur Stellungnahme unterbreitet; bereits das Einholen einer Stellungnahme sei als Anordnung weiterer Abklärungen zu werten, weshalb schon aus diesem Grund eine Pflicht der Beschwerdegegnerin zur Kostenübernahme bestehe. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden: Gemäss Art. 43 Abs. 1 ATSG hat der Versicherungsträger die Begehren der versicherten Person zu prüfen. Daraus folgt auch, dass der Versicherungsträger die von der versicherten Person eingereichten medizinischen Unterlagen auf deren Gehalt hin zu prüfen hat. Ist - wie vorliegend - bereits eine Begutachtung im Sinne von Art. 44 ATSG erfolgt, so mag es in manchen Fällen angezeigt sein, die neu eingereichten Dokumente der Begutachtungsstelle zur Stellungnahme zu unterbreiten. Aus einer entsprechenden Vorgehensweise des Versicherungsträgers kann indes nicht abgeleitet werden, die neuen Unterlagen seien für die Entscheidfindung unerlässlich gewesen; dies gilt jedenfalls solange, als nicht aufgrund der eingereichten Dokumente eine neue Exploration der versicherten Person durch die Gutachter erfolgt (vgl. dazu nachfolgend E. 4.2).  
 
4.2.  
 
4.2.1. Mit Verfügung vom 28. Mai 2015 ordnete die IV-Stelle eine erneute polydisziplinäre Begutachtung durch das ABI an; dieses Vorgehen wurde vom kantonalen Gericht mit Urteil vom 23. März 2016 geschützt. Der Versicherte, welcher sich damals noch - und zwar bis vor Bundesgericht - gegen eine weitere Begutachtung gewehrt hatte, macht nun geltend, dem Privatgutachten sei hinsichtlich der Frage der Notwendigkeit einer erneuten Begutachtung entscheidende Bedeutung zugekommen.  
 
4.2.2. Die Vorinstanz stellte für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich fest, dass die erneute Begutachtung nicht wegen des (psychiatrischen) Privatgutachtens, sondern primär aufgrund des vom Versicherten eingereichten Berichts des Neurologen Dr. med. C.________ vom 28. August 2013 angeordnet wurde. Daran vermöge auch der Umstand nichts zu ändern, dass im Urteil vom 23. März 2016 erwogen worden sei, durch das psychiatrische Privatgutachten würden geringe Zweifel an den Ergebnissen des Administrativgutachtens geweckt. Denn rechtsprechungsgemäss (vgl. BGE 135 V 465 E. 4) würden geringe Zweifel nicht ausreichen, um sich über ein im Verfahren nach Art. 44 ATSG eingeholtes Gutachten hinwegzusetzen.  
 
4.2.3. Was der Beschwerdeführer gegen diese vorinstanzlichen Erwägungen vorbringt, vermag die darin enthaltenen Sachverhaltsfeststellungen nicht als offensichtlich unrichtig oder sonstwie bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen.  
Dass die Verlaufsbegutachtung primär aufgrund des Berichts des behandelnden Neurologen und nicht aufgrund des psychiatrischen Privatgutachtens angeordnet wurde, ergibt sich aus den Akten wie auch aus dem Verfahrensverlauf. So führte die RAD-Ärztin im Bericht vom 31. Januar 2014 aus, der behandelnde Neurologe habe in seiner Beurteilung vom 24. August 2013 eine mässige Progredienz der bein- und distalbetonten axonalen und demyelinisierenden Polyneuropathie nachweisen können. Inwiefern dieses Stadium der diabetesassoziierten Polyneuropathie überhaupt Auswirkungen auf eine Arbeitsfähigkeit habe, sollte im Rahmen eines polydisziplinären Verlaufsgutachtens (Fachrichtungen: Psychiatrie, HNO, Kardiologie, Neurologie) festgestellt werden. Im Weiteren hielt auch das Bundesgericht im Urteil 9C_294/2016 vom 27. Mai 2016 E. 2 - mit welchem es wegen rechtsmissbräuchlicher Beschwerdeführung nicht auf ein gegen das Urteil vom 23. März 2016 erhobenes Rechtsmittel eintrat - fest, die Durchführung der Verlaufsbegutachtung sei durch die vom Versicherten eingereichten Berichte des Neurologen Dr. med. C.________ notwendig geworden. Damit steht fest, dass die Verlaufsbegutachtung auch ohne das streitbetroffene Privatgutachten hätte durchgeführt werden müssen; dieses erweist sich somit nicht als unerlässlich im Sinne von aArt. 78 Abs. 3 IVV und Art. 45 Abs. 1 ATSG sowie der hierzu ergangenen Rechtsprechung (vgl. E. 3). An diesem Ergebnis ändert auch der Umstand nichts, dass - wie der Beschwerdeführer geltend macht - offenbar erstmals im Privatgutachten eine Panikstörung diagnostiziert wurde, zumal nicht davon auszugehen ist, dass diese Störung von den Experten des ABI ohne das Privatgutachten unerkannt geblieben wäre. 
 
5.  
 
5.1. Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, als sie das Privatgutachten des Dr. med. B.________ vom 23. Oktober 2012 nicht als unerlässlich qualifizierte und demzufolge eine Kostenübernahme durch die Beschwerdegegnerin ablehnte. Die Beschwerde ist somit abzuweisen.  
 
5.2. Nicht näher geprüft zu werden braucht unter diesen Umständen die Frage, ob die Berufung des Beschwerdeführers darauf, die Verlaufsbegutachtung sei durch das Privatgutachten notwendig geworden, mit Blick auf sein Verhalten - er hatte sich gegen die erneute Begutachtung bis vor Bundesgericht gewehrt - nicht als neuerliches (rechtsmissbräuchliches) venire contra factum proprium zu werten ist (vgl. Urteil 9C_294/2016 vom 27. Mai 2016 E. 2).  
 
6.  
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 3. Mai 2023 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Die Gerichtsschreiberin: Stanger