Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_975/2024  
 
 
Urteil vom 3. Oktober 2024  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Kölz, Hofmann, 
Gerichtsschreiber Stadler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Philipp Langlotz, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staats- und Jugendanwaltschaft des Kantons Glarus, Postgasse 29, 8750 Glarus. 
 
Gegenstand 
Haftentlassung Sicherheitshaft, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts des Kantons Glarus, Präsidentin, vom 8. August 2024 (OG.2024.00039). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Glarus wirft A.________ vor, am 12. Oktober 2018 und (zusammen mit weiteren Personen) am 7. Mai 2022 je einen Einbruchdiebstahl begangen zu haben. Nach dem Einbruchdiebstahl vom 7. Mai 2022 soll er eine polizeiliche Strassensperre unter Gefährdung des Lebens von zwei Polizisten durchbrochen haben. Dabei sei es zu einem polizeilichen Schusswaffeneinsatz gekommen, wobei die anschliessende Flucht von A.________ mit dem Auto in einem Unfall geendet habe. Danach sei er zu Fuss weiter geflüchtet. Schliesslich habe er sich heftig gegen die Festnahme gewehrt, einen Polizisten zu Boden gedrückt und in Richtung dessen Waffengurts gegriffen.  
 
A.b. Das Kantonsgericht Glarus sprach A.________ mit Urteil vom 29. März 2023 unter anderem des mehrfachen Diebstahls, der mehrfachen Sachbeschädigung, des mehrfachen Hausfriedensbruchs, der Hinderung einer Amtshandlung, der Verletzung der Verkehrsregeln durch Nichtbeherrschen des Fahrzeugs sowie der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte schuldig. Im Zusammenhang mit den Geschehnissen um die Strassensperre sprach es ihn von den Vorwürfen der Gefährdung des Lebens sowie der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte frei. Es verurteilte A.________ unter anderem zu einer Freiheitsstrafe von 40 Monaten. Zudem ordnete es eine Landesverweisung von 12 Jahren an.  
 
A.c. A.________ erhob Berufung, beschränkt auf den Sanktionspunkt; er verlangt insbesondere, dass die Freiheitsstrafe auf 14 Monate und die Landesverweisung auf 7 Jahre zu reduzieren sei. Die Staatsanwaltschaft und die zwei betroffenen Polizisten als Privatkläger erhoben ebenfalls Berufung; sie beantragen jeweils im Zusammenhang mit den Geschehnissen um die Strassensperre die Verurteilung von A.________ wegen Gefährdung des Lebens sowie Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte. Zudem ficht die Staatsanwaltschaft die erstinstanzliche Strafzumessung an, wobei sie eine Erhöhung der Freiheitsstrafe auf 46 Monate beantragt.  
 
B.  
A.________ befindet sich seit dem 7. Mai 2022 ununterbrochen in Haft respektive seit dem 1. September 2022 im vorzeitigen Strafvollzug. Zuletzt stellte er mit Eingabe vom 6. August 2024 ein Haftentlassungsgesuch, welches die Präsidentin des Obergerichts des Kantons Glarus mit Verfügung vom 8. August 2024 abwies. 
 
C.  
A.________ gelangt mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht und beantragt, die Verfügung der Obergerichtspräsidentin vom 8. August 2024 sei aufzuheben und er sei unverzüglich aus der Sicherheitshaft zu entlassen. Ausserdem ersucht er für das bundesgerichtliche Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
Die Staatsanwaltschaft hat auf Vernehmlassung verzichtet. Das Obergericht hat eine Stellungnahme eingereicht. A.________ hat darauf repliziert. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid, mit dem ein Gesuch um Entlassung aus der Sicherheitshaft abgewiesen wurde. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 78 ff. BGG offen. Der Beschwerdeführer hat vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen und befindet sich, soweit aus den Akten ersichtlich, nach wie vor in Haft. Er ist deshalb nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Zwangsmassnahmen können im Strafverfahren ergriffen werden, wenn sie gesetzlich vorgesehen sind, ein hinreichender Tatverdacht vorliegt und sie verhältnismässig sind (Art. 197 Abs. 1 StPO). Sicherheitshaft ist mit Blick auf Art. 10 und Art. 31 BV sowie Art. 5 EMRK nur zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ausserdem ein besonderer Haftgrund im Sinne von Art. 221 Abs. 1 StPO vorliegt. Als besondere Haftgründe nennt Art. 221 Abs. 1 StPO Fluchtgefahr (lit. a), Kollusionsgefahr (lit. b) oder Wiederholungsgefahr (lit. c). Das zuständige Gericht ordnet an Stelle der Sicherheitshaft eine oder mehrere mildere Massnahmen an, wenn sie den gleichen Zweck wie die Haft erfüllen (Art. 237 Abs. 1 StPO). Als freiheitsentziehende Zwangsmassnahme ist die Sicherheitshaft aufzuheben, sobald ihre Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind, die vom Gesetz vorgesehene oder von einem Gericht bewilligte Dauer abgelaufen ist oder Ersatzmassnahmen zum gleichen Ziel führen (Art. 212 Abs. 2 StPO). Untersuchungs- und Sicherheitshaft dürfen nicht länger dauern als die zu erwartende Freiheitsstrafe (Art. 212 Abs. 3 StPO).  
 
2.2. Es ist unbestritten, dass im Hinblick auf die rechtskräftigen Schuldsprüche die Voraussetzung des dringenden Tatverdachts vorliegt und Fluchtgefahr im Sinne von Art. 221 Abs. 1 lit. a StPO besteht. Der Beschwerdeführer kritisiert jedoch, dass die Sicherheitshaft nicht mehr verhältnismässig sei. Er begründet dies damit, dass im Berufungsverfahren aufgrund der rechtskräftigen Verurteilungen durch die Erstinstanz eine Freiheitsstrafe auszufällen sei, die viel kürzer als die bisher erstandene Haft sei.  
 
2.3. Für die Beurteilung der Verhältnismässigkeit der Haftdauer sind die konkreten Umstände des Falls ausschlaggebend (BGE 145 IV 179 E. 3.5). Bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit der Haftdauer ist namentlich der Schwere der untersuchten Straftaten Rechnung zu tragen. Das Gericht darf die Haft nur so lange erstrecken, als sie nicht in grosse zeitliche Nähe der (im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung) konkret zu erwartenden Dauer der freiheitsentziehenden Sanktion rückt (BGE 145 IV 179 E. 3.1; 143 IV 168 E. 5.1; 139 IV 270 E. 3.1; 133 I 270 E. 3.4.2, 168 E. 4.1). Liegt bereits ein richterlicher Entscheid über das Strafmass vor, stellt dieser ein wichtiges Indiz für die mutmassliche Dauer der tatsächlich zu verbüssenden Strafe dar (BGE 145 IV 179 E. 3.4; 143 IV 160 E. 4.1).  
Nach der Rechtsprechung ist bei der Prüfung der zulässigen Haftdauer im Grundsatz nicht zu berücksichtigen, dass die in Aussicht stehende Freiheitsstrafe bedingt oder teilbedingt ausgesprochen werden kann; entsprechendes gilt auch für die Möglichkeit einer bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug (BGE 145 IV 179 E. 3.4; 143 IV 168 E. 5.1; je mit Hinweis[en]). 
 
2.4.  
 
2.4.1. Der Beschwerdeführer wurde von der Erstinstanz rechtskräftig unter anderem wegen mehrfachen Diebstahls (abstrakte Strafdrohung gemäss Art. 139 Ziff. 1 StGB: Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe), mehrfacher Sachbeschädigung (Art. 144 Abs. 1 StGB: Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe), mehrfachen Haus-friedensbruchs (Art. 186 StGB: Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe), Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 Ziff. 1 StGB: Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren; in leichten Fällen auch Geldstrafe) sowie rechtswidriger Einreise und rechtswidrigen Aufenthalts (Art. 115 Abs. 1 lit. a bzw. lit. b AIG [SR 142.20]: je Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe) verurteilt.  
 
2.4.2. Nach dem für das Bundesgericht verbindlich festgestellten Sachverhalt (siehe Art. 105 Abs. 1 BGG) entwendete der Beschwerdeführer beim Einbruchdiebstahl vom 12. Oktober 2018 ein Deliktsgut von Fr. 27'940.--. Die Einschätzung der Vorinstanz, bei einem derart grossen Vermögenswert liege eine entsprechend schwerwiegende "Tat" vor, ist nicht zu beanstanden. Hinzu kommen namentlich ein rund dreieinhalb Jahre später begangener (Einbruch-) Diebstahl mit einem Deliktsgut von Fr. 1'202.--, Sachschäden in der Höhe von ca. Fr. 3'000.-- und Fr. 1'500.-- sowie im Fall der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte der Umstand, dass der Beschwerdeführer, der sich der Festnahme durch einen Polizisten widersetzte, diesen zu Boden drückte und in Richtung dessen Waffengurts griff. Im Weiteren berücksichtigt die Vorinstanz zu Recht als straferhöhend, dass der Beschwerdeführer schon mehrmals wegen Vermögensdelikten (Veruntreuung; Raub; zahlreiche Diebstähle) und Widerstand gegen Beamte ("Rébellion" in Frankreich; Widerstand gegen Beamte der Schutzpolizei in Albanien) zu Freiheitsstrafen verurteilt worden sei. Wenn die Vorinstanz erwägt, vor diesem Hintergrund erscheine die von der Erstinstanz ausgesprochene Freiheitsstrafe von insgesamt 40 Monaten "keineswegs als zu hoch", erscheint dies - für das Haftprüfungsverfahren - zumindest im Ergebnis als vertretbar. Daran ändert auch der Hinweis des Beschwerdeführers nichts, wonach die Staatsanwaltschaft unter Berücksichtigung des von ihr zusätzlich geforderten Schuldspruchs wegen Gefährdung des Lebens sowie Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte eine Gesamtstrafe von "bloss" 46 Monaten fordere.  
Die konkrete Bemessung der Strafe und damit auch die eingehende Überprüfung der im erstinstanzlichen Urteil vorgenommenen Strafzumessung bleibt dem Berufungsgericht vorbehalten. Im Übrigen ficht die Staatsanwaltschaft ihrerseits sowohl die Teilfreisprüche als auch die Höhe der ausgesprochenen Strafe an. Insofern weist die Vorinstanz treffend daraufhin, dass das Berufungsgericht im Vergleich zur Erstinstanz die Strafe auch noch zum Nachteil des Beschwerdeführers erhöhen könnte, und zwar unabhängig davon, ob es weitere Schuldsprüche ausfällen wird oder nicht (vgl. Art. 391 Abs. 2 Satz 1 StPO e contratio).  
Nach Abzug der seit dem 7. Mai 2022 erstandenen Haft von der erstinstanzlich ausgesprochenen Freiheitsstrafe von 40 Monaten verblieb im Zeitpunkt des vorinstanzlichen Entscheids ein Strafrest von 13 Monaten. Damit erweist sich die Rüge der fehlenden Verhältnismässigkeit als unbegründet. 
 
2.5. Soweit der Beschwerdeführer überdies eine Verletzung des Beschleunigungsgebots geltend macht, ist darauf nicht näher einzugehen. Er kommt seiner Rüge- und Begründungspflicht in diesem Punkt nicht nach (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG; Art. 106 Abs. 2 BGG), wenn er ohne nähere Erläuterung behauptet, seit der Berufungsverhandlung vom 29. September 2023 sei das Beschleunigungsgebot verletzt worden.  
 
3.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist dagegen gutzuheissen, weil die Voraussetzungen nach Art. 64 Abs. 1 BGG erfüllt sind. Entsprechend sind für das bundesgerichtliche Verfahren keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 64 Abs. 1 BGG). Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers ist aus der Bundesgerichtskasse eine angemessene Entschädigung auszurichten (Art. 64 Abs. 2 BGG). Der Beschwerdeführer wird allerdings darauf hingewiesen, dass er der Gerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn er aufgrund einer Verbesserung seiner finanziellen Situation dazu in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. 
 
2.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.  
 
2.2. Rechtsanwalt Philipp Langlotz wird als unentgeltlicher Rechtsvertreter ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt.  
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staats- und Jugendanwaltschaft des Kantons Glarus und dem Obergericht des Kantons Glarus, Präsidentin, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 3. Oktober 2024 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Stadler