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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_4/2023  
 
 
Urteil vom 5. April 2023  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Muschietti, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Gerichtsschreiberin Unseld. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Verspätete Einsprache gegen Strafbefehl (grobe Verletzung der Verkehrsregeln durch ungenügenden Abstand beim Hintereinanderfahren), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 24. November 2022 (SBK.2022.306). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bezirksgericht Rheinfelden trat mit Verfügung vom 15. August 2022 auf die Einsprache des Beschwerdeführers gegen den Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Rheinfelden-Laufenburg vom 23. Februar 2022 infolge Verspätung nicht ein. 
Das Obergericht des Kantons Aargau wies die vom Beschwerdeführer dagegen erhobene Beschwerde am 24. November 2022 ab. Dessen Gesuch um Anordnung einer amtlichen Verteidigung wies es ebenfalls ab. 
Der Beschwerdeführer gelangt dagegen mit Beschwerde an das Bundesgericht. 
 
2.  
Gegenstand des angefochtenen Entscheids bildet die Frage der Rechtzeitigkeit der Einsprache gegen den Strafbefehl vom 23. Februar 2022. Von vornherein nicht zu hören ist der Beschwerdeführer daher, soweit er sich in seiner Beschwerde zu anderen Fragen äussert und beispielsweise vorträgt, er habe sich nicht strafbar gemacht und sich nicht verteidigen können. 
 
3.  
Der Strafbefehl wird den zur Einsprache befugten Personen unverzüglich schriftlich eröffnet (Art. 353 Abs. 3 StPO). Für die Zustellung von Strafbefehlen gelten die allgemeinen Regeln (Art. 84 ff. StPO). Sie erfolgt gemäss Art. 85 Abs. 2 StPO durch eingeschriebene Postsendung oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung. Die Zustellung einer eingeschriebenen Postsendung, die nicht abgeholt worden ist, gilt nach Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als erfolgt, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste. Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO verankert eine gesetzliche Zustellungsfiktion (BGE 140 IV 82 E. 2.4). Die Begründung eines Prozessrechtsverhältnisses verpflichtet die Parteien, sich nach Treu und Glauben zu verhalten und unter anderem dafür zu sorgen, dass ihnen behördliche Akten zugestellt werden können, welche das Verfahren betreffen (BGE 146 IV 30 E. 1.1.2; 141 II 429 E. 3.1; 138 III 225 E. 3.1; Urteil 6B_110/2016 vom 27. Juli 2016 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 142 IV 286; je mit Hinweisen). Diese Obliegenheit beurteilt sich nach den konkreten Verhältnissen und dauert nicht unbeschränkt an (Urteil 6B_324/2020 vom 7. September 2020 E. 1.2 mit Hinweisen). Die Zustellfiktion von Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO kann bei der Mitteilung eines Strafbefehls insbesondere zum Tragen kommen, wenn der betroffenen Person von der Polizei anlässlich einer Verkehrskontrolle die Eröffnung eines Strafverfahrens in Aussicht gestellt wurde und der Strafbefehl relativ zeitnah dazu erging (vgl. BGE 146 IV 30 E. 1.1.2; Urteil 6B_324/2020 vom 7. September 2020 E. 1.5.3). 
Die Einsprache gegen einen Strafbefehl ist innert 10 Tagen bei der Staatsanwaltschaft einzureichen (Art. 354 Abs. 1 StPO). Ohne gültige Einsprache wird der Strafbefehl zum rechtskräftigen Urteil (Art. 354 Abs. 3 StPO). 
 
4.  
Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie willkürlich ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 148 IV 356 E. 2.1, 39 E. 2.3.5; 147 IV 73 E. 4.1.2). Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn die vorinstanzliche Beweiswürdigung schlechterdings unhaltbar ist, d.h. wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen. Dass eine andere Lösung ebenfalls möglich erscheint, genügt nicht (BGE 148 IV 356 E. 2.1, 39 E. 2.3.5; 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 88 E. 1.3.1; je mit Hinweisen). Die Willkürrüge muss in der Beschwerde anhand des angefochtenen Entscheids explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 148 IV 356 E. 2.1, 39 E. 2.6; 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 114 E. 2.1, 88 E. 1.3.1). 
 
5.  
Die Vorinstanz geht zusammengefasst davon aus, der Beschwerdeführer sei anlässlich der polizeilichen Anhaltung vom 27. Januar 2022 im Anschluss an die Kurzbefragung mündlich darauf hingewiesen worden, dass er bei der Staatsanwaltschaft Rheinfelden-Laufenburg verzeigt werde und er von dieser Amtsstelle eingeschriebene Briefpost erhalten werde. Ausserdem sei er aufgefordert worden, während des laufenden Strafverfahrens Adressänderungen den Strafbehörden mitzuteilen. Der entsprechende Hinweis befinde sich auf dem Protokoll unmittelbar über der Stelle, an der er seine Unterschrift angebracht habe. Dem Beschwerdeführer sei das Protokoll der Kurzbefragung auf einem Tablet zum Lesen und Unterzeichnen vorgelegt worden. Mit seiner Unterschrift habe er die Richtigkeit des Protokolls anerkannt (angefochtener Entscheid S. 6 f.). 
Die eingeschriebene Postsendung mit dem Strafbefehl vom 23. Februar 2022 sei gemäss Sendungsverfolgung am 24. Februar 2022 der Schweizerischen Post übergeben und am 25. Februar 2022 - nachdem sie weder vom Beschwerdeführer noch von einer anderen nach Art. 85 Abs. 2 StPO berechtigten Person entgegengenommen worden sei - dem Beschwerdeführer zur Abholung bis am 4. März 2022 gemeldet worden. Am 5. März 2022 sei sie mit dem Vermerk "nicht abgeholt" an die Staatsanwaltschaft Rheinfelden-Laufenburg zurückgesandt worden (angefochtener Entscheid S. 7 f.). 
 
6.  
Der Beschwerdeführer rügt, es habe keine Belehrung stattgefunden. Wenn man online auf einem kleinen Tablet etwas "wie ein kleingedrucktes Feld" lesen müsse, sei es unrealistisch, dass man sich alles merken könne. Zudem könne er nicht reagieren, wenn er keine Abholeinladung habe. 
Damit zeigt der Beschwerdeführer nicht auf, weshalb die vorinstanzlichen Feststellungen, er sei anlässlich der polizeilichen Befragung vom 27. Januar 2022 mündlich auf die Möglichkeit von eingeschriebenen Postsendungen seitens der Strafverfolgungsbehörden hingewiesen worden und er habe am 25. Februar 2022 nach dem erfolglosen Zustellversuch eine Abholeinladung erhalten, geradezu willkürlich sein könnten. Auf seine Kritik an der vorinstanzlichen Beweiswürdigung ist daher nicht einzutreten. Im Übrigen anerkennt der Beschwerdeführer, dass ihm das Protokoll der Kurzbefragung, in welchem die Belehrung vermerkt ist, vor der Unterschrift auf dem Tablet zum Lesen vorgelegt wurde. Dass die auch schriftlich (in elektronischer Form) erfolgte Belehrung für ihn nicht lesbar gewesen sein soll, behauptet er nicht substanziiert. Vielmehr macht er insoweit lediglich geltend, er habe sich das Protokollierte nicht merken können. Damit übergeht er, dass die Belehrung gemäss den willkürfreien Erwägungen der Vorinstanz auch mündlich stattfand. 
Offenbleiben kann damit, ob es mit Art. 78 Abs. 5 StPO in anderen Konstellationen vereinbar ist, der einvernommenen Person das Protokoll lediglich auf einem Tablet zum Lesen vorzulegen. 
 
7.  
Der Beschwerdeführer argumentiert zudem, die Polizei habe ihm keine Kopie des Protokolls vom 27. Januar 2022 übergeben, wozu sie jedoch verpflichtet gewesen wäre. 
Entgegen der Kritik des Beschwerdeführers lässt sich aus der StPO keine Pflicht der Polizei ableiten, der einvernommenen Person spontan eine Kopie des Einvernahmeprotokolls auszuhändigen. Die Parteien haben gemäss Art. 102 Abs. 3 StPO Anspruch auf Akteneinsicht, wobei sie gegen Entrichtung einer Gebühr auch die Anfertigung von Kopien verlangen können. Der Beschwerdeführer hätte gestützt auf Art. 102 Abs. 3 StPO daher die Aushändigung einer Kopie des Einvernahmeprotokolls verlangen können. Dass er dies tat und sein Gesuch zu Unrecht abgelehnt wurde, behauptet er nicht. 
Nichts zur Sache tut schliesslich der Hinweis des Beschwerdeführers, die Polizei habe ihm zu Unrecht keine Kontaktdaten übergeben, nachdem der Beschwerdeführer nicht darlegt, er habe erfolglos versucht, mit den Strafverfolgungsbehörden bspw. zwecks Mitteilung einer Adressänderung oder einer Ferienabwesenheit in Kontakt zu treten. 
Der Beschwerdeführer musste nach dem Gesagten im Sinne von Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO mit Zustellungen rechnen, da er anlässlich der polizeilichen Anhaltung vom 27. Januar 2022 ausdrücklich darauf hingewiesen wurde. 
 
8.  
Ebenfalls nicht zu hören ist der Beschwerdeführer, soweit er sich zumindest sinngemäss gegen die Abweisung seines Gesuchs um Anordnung einer amtlichen Verteidigung wendet, da er sich mit den diesbezüglichen Erwägungen der Vorinstanz nicht ansatzweise auseinandersetzt. Diese legt dar, der Beschwerdeführer habe seine Beschwerde selbst verfasst und eingereicht. Er sei in der Lage gewesen, den Entscheid des Bezirksgerichts sachgerecht anzufechten. Der Beschwerdeführer selbst, der im Verfahren vor dem Bezirksgericht noch anwaltlich vertreten war, verzichtete demnach für seine Beschwerde an die Vorinstanz auf den Beizug eines Anwalts. Ein Fall einer notwendigen Verteidigung (vgl. Art. 132 Abs. 1 lit. a StPO) lag klarerweise nicht vor. 
 
9.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dessen Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist zufolge Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist bei der Bemessung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 5. April 2023 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Die Gerichtsschreiberin: Unseld