Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
6B_724/2023
Urteil vom 5. Mai 2025
I. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
Bundesrichter Muschietti,
Bundesrichter von Felten,
Gerichtsschreiberin Erb.
Verfahrensbeteiligte
Staats- und Jugendanwaltschaft des Kantons Glarus, Postgasse 29, 8750 Glarus,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Kim Mauerhofer,
Beschwerdegegnerin,
1. B.B.________,
2. C.B.________,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Roger Müller.
Gegenstand
Fahrlässige Tötung; grobe Verletzung der Verkehrsregeln; willkürliche Beweiswürdigung
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Glarus vom 28. April 2023 (OG.2022.00072).
Sachverhalt:
A.
Am 9. August 2019 um ca. 19.55 Uhr wollte A.________ mit ihrem Personenwagen in Mollis von der vortrittbelasteten U.________strasse (Nebenstrasse) her die V.________strasse (Hauptstrasse) überqueren hin zur gegenüberliegenden W.________strasse. Gleichzeitig näherte sich auf der vortrittsberechtigten V.________strasse von links D.B.________ auf seinem Motorrad mit übersetzter Geschwindigkeit und kollidierte trotz einer Vollbremsung mit dem hinteren Teil des querenden Personenwagens von A.________. Durch den Sturz während der Vollbremsung und die darauffolgende Kollision zog sich D.B.________ schwerste Verletzungen zu, an deren Folgen er wenige Stunden später im Spital verstarb.
Die Staats- und Jugendanwaltschaft des Kantons Glarus wirft A.________ vor, sie sei beim Stop-Signal an der Einmündung der U.________strasse in die V.________strasse nicht bis ganz zur Haltelinie gefahren, sondern habe bereits rund eine Fahrzeuglänge, ca. 4.3 m, vor der Haltelinie angehalten. Von dort aus aber habe sie eine ungenügende Sicht auf die V.________strasse gehabt und das sich auf der V.________strasse in Richtung Näfels nähernde, vortrittsberechtigte Motorrad nicht sehen können. A.________ habe sodann - in der Absicht, die Kreuzung zu überqueren - die Fahrt fortgesetzt und sei beschleunigend und ohne erneuten Halt und ohne sich nochmals zu vergewissern, ob auf der V.________strasse Verkehr herannahe, über die Haltelinie gefahren. So habe sie das vortrittsberechtigte Motorrad nicht gesehen, das in der Folge trotz Vollbremsung mit der Rückseite des Personenwagens von A.________ kollidierte.
B.
Mit Urteil vom 15. September 2022 sprach das Kantonsgericht des Kantons Glarus A.________ der fahrlässigen Tötung sowie der groben Verletzung der Verkehrsregeln schuldig und verurteilte sie zu einer bedingten Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu Fr. 30.--. Es verpflichtete A.________ zur Zahlung von Schadenersatz- und Genugtuung an die beiden Privatkläger, die Eltern des Verstorbenen.
Gegen dieses Urteil erhob A.________ Berufung, woraufhin das Obergericht des Kantons Glarus sie am 28. April 2023 von den Vorwürfen der fahrlässigen Tötung und der groben Verletzung der Verkehrsregeln freisprach. Die Schadenersatz- und Genugtuungsforderungen der Privatkläger wies es ab.
C.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt die Staats- und Jugendanwaltschaft des Kantons Glarus, das Urteil des Obergerichts des Kantons Glarus vom 28. April 2023 sei aufzuheben und die Sache an das Obergericht des Kantons Glarus zurückzuweisen zur Neubeurteilung. Eventualiter sei A.________ im Sinne der Anklage schuldig zu sprechen.
D.
Das Obergericht des Kantons Glarus beantragt die Abweisung der Beschwerde und verweist grösstenteils auf die Erwägungen im angefochtenen Urteil.
B.B.________ und C.B.________ beantragen die Gutheissung der Beschwerde, die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils und die vollumfängliche Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils vom 15. September 2022 in allen Punkten. In materieller Hinsicht verweisen sie vollumfänglich auf die Ausführungen in der Beschwerdeschrift der Staatsanwaltschaft.
A.________ beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen:
1.
1.1. Die Beschwerdeführerin rügt eine unrichtige Feststellung des Sachverhalts sowie eine Verletzung von Art. 189 StPO.
Sie macht geltend, die Vorinstanz weiche zu Unrecht vom spurenkundlichen und unfallanalytischen Gutachten des Forensischen Instituts Zürich (FOR) vom 6. August 2020 (nachfolgend Gutachten) ab. Entgegen der Regelung in Art. 189 lit. c StPO habe sie das Gutachten trotz der Zweifel an dessen Richtigkeit nicht durch den Sachverständigen ergänzen lassen und habe, ohne selbst über die dafür erforderlichen besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten zu verfügen, den Sachverhalt festgestellt. Dabei lege die Vorinstanz nicht offen, weshalb sie es als notorisch erachte, dass die derzeit bekannten Methoden zur Bestimmung der Energy Equivalent Speed (EES) -Werte zu ungenauen Ergebnissen führen würden. Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz hätte zur korrekten Sachverhaltsfeststellung eine sachverständige Person beiziehen müssen, um eine genauere Eingrenzung der angeblichen Ungenauigkeiten sachverständig abschätzen zu lassen. Zudem hätte die Vorinstanz der sachverständigen Person die Frage unterbreiten müssen, inwiefern sich der festgestellte Sachverhalt mit einem Halt der Beschwerdegegnerin (unmittelbar) an der Stop-Markierung überhaupt mit den festgestellten Spuren und unfallanalytischen Erkenntnissen vereinbaren lasse und welche Folgen dies auf die anderen vom Sachverständigen festgestellten Parameter hätte, insbesondere auch zur Geschwindigkeit des Motorrads vor der Kollision und zu den Sichtverhältnissen der Beschwerdegegnerin an der Stop-Markierung. Die Vorinstanz bemesse die für die Beschwerdegegnerin einsehbare Distanz auf die Fahrbahn des Motorradfahrers frei anhand "geometrischer Annäherungen" auf 50-60 m und verfalle diesbezüglich in Willkür.
Schliesslich beanstandet die Beschwerdeführerin, das Vorgehen der Vorinstanz erweise sich als widersprüchlich und willkürlich, wenn sie gleichzeitig das Gutachten betreffend die Herleitung der Geschwindigkeit des Motorrads als nachvollziehbar und nicht zu beanstanden bezeichne. Es sei nicht auszumachen, weshalb das Gutachten trotz Anwendung derselben unfallanalytischen Methode betreffend die Geschwindigkeit des Motorrads nachvollziehbar sein soll, betreffend den Haltepunkt und wohl auch betreffend die Geschwindigkeit des Personenwagens der Beschwerdegegnerin hingegen nicht.
1.2.
1.2.1. Zur Frage von Kollisionsart und -ort, zu den Kollisionsgeschwindigkeiten, zum vorkollisionären Fahrverhalten der beiden Fahrzeuge, zum Reaktionspunkt und zum Bremsbeginn, zur Vermeidbarkeit und zu weiteren Aspekten des Unfalls erstattete das FOR am 6. August 2020 im Auftrag der Beschwerdeführerin ein spurenkundliches und unfallanalytisches Gutachten. Dieses macht einleitend unter anderem Ausführungen zu den Fahrzeugen und zur Unfallsituation, bevor es zu den spurenkundlichen und den unfallanalytischen Untersuchungen schreitet (Gutachten S. 5 ff.).
Es wird ausgeführt, sämtliche Berechnungen und Visualisierungen seien in der Simulationssoftware PC-Crash erfolgt. Dabei seien der Kollisionspunkt - als der einzige Punkt, an dem der Personenwagen der Beschwerdegegnerin sowie das Motorrad zeitlich synchronisiert werden könnten - sowie die Kollisionsanalyse die Basis sämtlicher weiterer Weg-Zeit-Berechnungen. Ausschlaggebend für die Kollisionsanalyse seien die Beschädigungen am Motorrad, aus denen sich die Kollisionsenergie abschätzen lasse. Letztere werde nach dem EES-Verfahren berechnet. Mit Verweis auf Vergleichswerte in der Literatur sei für die vorliegend zu beurteilende Kollision "in einer ersten Abschätzung" die EES auf einen Bereich von 35-45 km/h zu beziffern. Daraus resultiere für das Motorrad eine Kollisionsgeschwindigkeit von 60-70 km/h, für den Personenwagen der Beschwerdegegnerin eine von 25-30 km/h.
Zum Anfahrmanöver der Beschwerdegegnerin führt der Sachverständige aus, aufgrund der späteren Kollisionsgeschwindigkeit und der ihm bekannten Literatur zum geradeaus Anfahren sei für das Anfahrmanöver bis zum Kollisionspunkt eine Strecke von 9.9 m bis 10.5 m berechnet worden. Folglich müsse davon ausgegangen werden, dass sich der Personenwagen vor dem Anfahrmanöver rund eine Fahrzeuglänge hinter der Stop-Markierung befunden habe. Die Beschwerdegegnerin habe das Motorrad das erste Mal 0.9 s (Variante maximale Kollisionsgeschwindigkeit) bis 1.1 s (Variante minimale Kollisionsgeschwindigkeit) bzw. rund 7.3 m vor dem Kollisionspunkt sehen können. Unter den vorab aufgeführten Parametern sei die Kollision durch die Beschwerdegegnerin weder nach der Variante der minimalen Kollisionsgeschwindigkeit noch nach der maximalen Kollisionsgeschwindigkeit vermeidbar gewesen; der Personenwagen komme nach beiden Varianten im Kollisionsbereich zum Stillstand. Es sei grundsätzlich zudem davon auszugehen, dass die Beschwerdegegnerin das Motorrad hätte sehen können, wenn sie den Personenwagen vor dem Haltebalken der Stop-Markierung zum Stillstand gebracht hätte. Die Geschwindigkeit des Motorrads habe vor dem Einleiten des Bremsmanövers 73-84 km/h betragen.
1.2.2. Die Vorinstanz setzt sich sowohl mit dem durch die Beschwerdeführerin angeklagten Sachverhalt als auch mit der erstinstanzlichen Würdigung des Gutachtens sowie der daraus resultierenden Abänderung des vorgeworfenen Sachverhalts auseinander. Sie hält fest, die erste Instanz habe verschiedene Zweifel an den gutachterlichen Feststellungen geäussert; insbesondere daran, dass der Personenwagen der Beschwerdegegnerin eine Fahrzeuglänge hinter der Stop-Markierung gehalten haben soll. Die erste Instanz habe mit Blick auf die mehrstufige Herleitung darauf hingewiesen, dass sich schon die anfänglichen EES-Werte in einem relativ grossen Rahmen bewegen würden, was zu ungenauen Ergebnissen führen könne. Zudem seien aber noch mehrere Rechnungsschritte mitsamt Schätzungen erforderlich gewesen, um zur Feststellung des Haltepunkts zu gelangen, und darüber hinaus würden weder die einzelnen Berechnungen offengelegt noch aufgezeigt, wie bzw. mit welcher Methode von den physischen Deformationen des Motorrads auf die angegebenen EES-Werte geschlossen worden sei. Es werde lediglich auf Vergleichswerte hingewiesen, weshalb die erste Instanz diesbezüglich nicht auf das Gutachten abstelle. Die erste Instanz sei in Abweichung des in der Anklageschrift umschriebenen Sachverhalts davon ausgegangen, die Beschwerdegegnerin habe durchaus an der Haltelinie der Stop-Markierung mit ihrem Personenwagen angehalten und sei dort auch einige Sekunden lang still gestanden.
1.2.3. Mit Bezug auf die Erwägungen der ersten Instanz führt die Vorinstanz weiter aus, die Beschwerdegegnerin habe unmittelbar nach dem Unfall gegenüber der Polizei ausgesagt, sie habe an der Stop-Markierung vollständig angehalten und in einer polizeilichen Einvernahme angegeben, sie sei im vierten Gang bis ganz vorne an die Markierung gefahren, habe vollständig angehalten und den ersten Gang eingelegt. Auch der auf der gegenüberliegenden Strasse beim Stop-Balken wartende Zeuge E.________ habe unmittelbar nach dem Unfall erwähnt, der Personenwagen der Beschwerdegegnerin habe "am Stop sicherlich kurz angehalten". Später habe er angegeben, die Beschwerdegegnerin sei bis an die Stop-Markierung gefahren und habe dort angehalten. Der Zeuge F.________, der in seinem Personenwagen unmittelbar hinter der Beschwerdegegnerin hergefahren sei, habe in seiner ersten Befragung ebenso bestätigt, die Beschwerdegegnerin habe effektiv bei der Kreuzung angehalten. In der polizeilichen Einvernahme habe er spezifiziert, die Beschwerdegegnerin sei an die Stop-Markierung herangefahren.
Die Vorinstanz stimmt den erstinstanzlichen Erwägungen mit Bezug auf das Anhalten an der Stop-Markierung zu und führt aus, die von der Beschwerdeführerin in der Anklageschrift vorgebrachte Sachverhaltsdarstellung, wonach die Beschwerdegegnerin eine Fahrzeuglänge hinter der Stop-Markierung angehalten haben soll, erscheine derart lebensfremd, dass sie den Zeugen als höchst ungewöhnliches Verhalten und offensichtliche Fahrlässigkeit hätte auffallen müssen. Jedoch würden die Aussagen der beiden Zeugen dieser Sachverhaltsdarstellung widersprechen. Die Sachverhaltsthese der Beschwerdeführerin fusse denn auch einzig und allein auf den gutachterlichen Berechnungen. Diese seien aber in diesem Punkt intransparent, da die Modellannahmen und die darauf gestützten Berechnungen nicht offen gelegt würden. Es müsse im Gegenteil als erstellt gelten, dass die Beschwerdegegnerin mit ihrem Personenwagen bis an die Stop-Markierung gefahren sei und dort angehalten habe, ehe sie auf die V.________strasse hinausgefahren sei.
1.2.4. Weiter erwägt die Vorinstanz, im Anschluss an das Anhalten an der Stop-Markierung habe die Beschwerdegegnerin einen Seitenblick vorgenommen. Aufgrund ihrer im Personenwagen rückversetzten Lage und der Höhe der sichtbehindernden Hecke sei es ihr nicht möglich gewesen, das sich im verdeckten, sichttoten Bereich der V.________strasse mit übersetzter Geschwindigkeit herannahende Motorrad zu sehen. Zügig aber den Umständen angepasst, habe sie die Kreuzung befahren. In diesem Augenblick habe sie die Beschleunigung des Motorrads gehört und das in den sichtbaren Bereich eintretende Motorrad in etwa 30 m Entfernung erblickt. Obwohl das Motorrad eine Vollbremsung initiiert habe und auch die Beschwerdegegnerin beschleunigend zu reagieren versucht habe, sei die Kollision 1.9-2.3 s später erfolgt.
Gestützt auf diesen Sachverhalt nimmt die Vorinstanz ihre rechtliche Würdigung vor. Dabei führt sie aus, die Beschwerdegegnerin habe nicht mit den aussergewöhnlichen Umständen des vorliegenden Unfalls rechnen müssen. Weder damit, dass das Motorrad innerorts mit einer stark übersetzten Geschwindigkeit von 73-84 km/h herangefahren komme und noch weniger damit, dass das Motorrad kurz vor der Kreuzung noch einmal beschleunige. Die Beschwerdegegnerin habe sich mit dem an der Stop-Haltelinie für sie sichtbaren Bereich begnügen müssen und darauf vertrauen dürfen, dass sie die Kreuzung befahren könne, ohne einen von links mit angemessener Geschwindigkeit oder mit einer leicht übersetzten Geschwindigkeit herannahenden Fahrzeuglenker zu behindern, und ohne damit dessen Vortrittsrecht zu verletzen. In diesem Vertrauen bestätige sie rückblickend auch das Gutachten, das ergebe, bei einer Geschwindigkeit des Motorrads von 50 km/h wäre der Unfall in der Variante minimale Kollisionsgeschwindigkeit in zeitlicher und in der Variante maximale Kollisionsgeschwindigkeit in räumlicher Hinsicht vermeidbar gewesen. Die Vorinstanz verneint eine Sorgfaltspflichtverletzung und spricht die Beschwerdegegnerin vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung i.S.v. Art. 117 StGB frei.
1.3.
1.3.1. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig bzw. willkürlich ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG ; vgl. BGE 148 IV 409 E. 2.2, 356 E. 2.1, 39 E. 2.3.5; 147 IV 73 E. 4.1.2). Die Willkürrüge muss in der Beschwerde anhand des angefochtenen Entscheids explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (vgl. BGE 148 IV 356 E. 2.1; 147 IV 73 E. 4.1.2; je mit Hinweisen).
1.3.2. Zieht das Gericht mangels eigener Fachkenntnis eine sachverständige Person bei, ist es bei der Würdigung des Gutachtens grundsätzlich frei. Ob das Gericht die in einem Gutachten enthaltenen Erörterungen für überzeugend hält oder nicht und ob es dementsprechend den Schlussfolgerungen der Experten folgen will, ist mithin eine Frage der Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung und die Beantwortung der sich stellenden Rechtsfragen sind Aufgabe des Gerichts. Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung entscheiden die Organe der Strafrechtspflege frei von Beweisregeln und nur nach ihrer persönlichen Ansicht aufgrund gewissenhafter Prüfung darüber, ob sie eine Tatsache für erwiesen halten (vgl. Art. 10 Abs. 2 StPO). Das Gericht ist somit nicht an den Befund oder die Stellungnahme des Sachverständigen gebunden. Es hat vielmehr zu prüfen, ob sich aufgrund der übrigen Beweismittel und der Vorbringen der Parteien ernsthafte Einwände gegen die Schlüssigkeit der gutachterlichen Darlegungen aufdrängen. Auch wenn das gerichtlich eingeholte Gutachten grundsätzlich der freien Beweiswürdigung unterliegt, darf das Gericht in Fachfragen nicht ohne triftige Gründe von ihm abrücken und muss Abweichungen begründen. Auf der anderen Seite kann das Abstellen auf eine nicht schlüssige Expertise bzw. der Verzicht auf die gebotenen zusätzlichen Beweiserhebungen gegen das Verbot der willkürlichen Beweiswürdigung (Art. 9 BV) verstossen (BGE 150 IV 1 E. 2.3.3; 142 IV 49 E. 2.1.3; 141 IV 369 E. 6.1; 136 II 539 E. 3.2; Urteile 6B_388/2023 vom 4. Dezember 2023 E. 1.5.1; 6B_1087/2021 vom 22. Mai 2023 E. 3.3.2; je mit Hinweisen).
Erscheint dem Gericht die Schlüssigkeit eines Gutachtens in wesentlichen Punkten zweifelhaft, hat es nötigenfalls ergänzende Beweise zur Klärung dieser Zweifel zu erheben (BGE 150 IV 1 E. 2.3.3; 142 IV 49 E. 2.1.3; 141 IV 369 E. 6.1). Gemäss Art. 189 StPO lässt die Verfahrensleitung das Gutachten von Amtes wegen oder auf Antrag einer Partei durch die gleiche sachverständige Person ergänzen oder verbessern oder bestimmt weitere Sachverständige, wenn (lit. a) das Gutachten unvollständig oder unklar ist, (lit. b) mehrere Sachverständige in ihren Ergebnissen erheblich voneinander abweichen oder (lit. c) Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens bestehen (vgl. BGE 142 IV 49 E. 2.1.3; 141 IV 369 E. 6.1; je mit Hinweisen). Ein Gutachten stellt namentlich dann keine rechtsgenügliche Grundlage dar, wenn gewichtige, zuverlässig begründete Tatsachen oder Indizien die Überzeugungskraft des Gutachtens ernstlich erschüttern. Das trifft etwa zu, wenn der Sachverständige die an ihn gestellten Fragen nicht beantwortet, seine Erkenntnisse und Schlussfolgerungen nicht begründet oder diese in sich widersprüchlich sind oder die Expertise sonstwie an Mängeln krankt, die derart offensichtlich sind, dass sie auch ohne spezielles Fachwissen erkennbar sind (BGE 141 IV 369 E. 6.1 mit Hinweis; Urteile 6B_919/2023 vom 10. Juli 2024 E. 3.3.3; 6B_1329/2023 vom 19. Februar 2024 E. 2.1; 6B_933/2023 vom 15. Februar 2024 E. 12.2.6; je mit Hinweisen).
1.4. Die Rügen der Verletzung von Art. 189 StPO und des Willkürverbots (Art. 9 BV) erweisen sich als begründet.
1.4.1. Das Gutachten wurde unter anderem zur Beurteilung des Kollisionsortes, der Kollisionsgeschwindigkeiten, des vorkollisionären Fahrverhaltens, der Vermeidbarkeit der Kollision und zu weiteren Erkenntnissen mit Bezug auf den Unfall in Auftrag gegeben. Damit erschien der Staatsanwaltschaft der Beizug einer sachverständigen Person als sachlich geboten. Zweifelsohne handelt es sich um Fragen, die den Beizug einer sachverständigen Person zur Feststellung des Sachverhalts i.S.v. Art. 182 StPO erfordern. Das Gericht darf in Fachfragen nicht ohne triftige Gründe vom Gutachten abrücken und muss Abweichungen begründen (vgl. soeben E. 1.3.2).
1.4.2. Der Sachverständige führt im Gutachten vom 6. August 2020 zur Position der Beschwerdegegnerin vor dem Anfahren aus, diese habe eine Fahrzeuglänge hinter der Stop-Markierung angehalten. Die Vorinstanz weicht - wie bereits die erste Instanz - davon ab und stellt fest, die Beschwerdegegnerin habe mit ihrem Personenwagen an der Stop-Markierung angehalten, ehe sie auf die V.________strasse hinausgefahren sei (Urteil S. 15). Damit bringt die Vorinstanz - wie die Beschwerdeführerin zutreffend argumentiert - klar zum Ausdruck, dass sie Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens hegt bzw. dieses als mangelhaft erachtet. Auch in ihrer Stellungnahme erwägt die Vorinstanz, das Gutachten bestimme die Startposition des Fahrzeugs der Beschwerdegegnerin nach drei Punkten (Abschätzung der EES-Werte; daraus Bestimmung der Kollisionsgeschwindigkeiten; daraus Berechnung der Startposition), mache indes zu all diesen Punkten keine detaillierten Angaben, obgleich jeder Punkt über einen beträchtlichen Spielraum verfüge.
An sich nicht zu beanstanden ist, wenn die Vorinstanz die Zeugenaussagen als subjektive Beweismittel in ihre freie Würdigung miteinbezieht und diesbezüglich erwägt, sowohl E.________ als auch F.________ hätten glaubhaft ausgesagt, die Beschwerdegegnerin sei bis zur Stop-Markierung herangefahren und habe dort angehalten. Ebenso darf die Vorinstanz - ohne dabei in Willkür zu verfallen - ausführen, ein Anhalten eine Fahrzeuglänge hinter der Stop-Markierung hätte den Zeugen "als höchst ungewöhnliches Verhalten und offensichtliche Fahrlässigkeit" auffallen müssen. Die Sachverhaltserstellung ist Aufgabe der Vorinstanz; dazu gehört auch die verbindliche Feststellung der Position der Beschwerdegegnerin vor dem Anfahren. Jedoch ist es angesichts der Diskrepanzen zwischen den Zeugenaussagen und den Angaben im eingeholten Gutachten nicht nachvollziehbar, weshalb die Vorinstanz nicht i.S.v. Art. 189 lit. c StPO vorgegangen ist und das Gutachten hat ergänzen lassen. Die Beschwerdeführerin bringt es diesbezüglich auf den Punkt, wenn sie rügt, die Vorinstanz hätte der sachverständigen Person die Frage unterbreiten müssen, inwiefern sich der von der Vorinstanz festgestellte Sachverhalt - das Anhalten der Beschwerdegegnerin an der Stop-Markierung statt eine Fahrzeuglänge weiter hinten - mit den festgestellten Spuren und übrigen unfallanalytischen Erkenntnissen vereinbaren liesse und welche Folgen dies auf die anderen vom Sachverständigen festgestellten Parameter hätte. Es bleibt unbeantwortet, ob das von der Vorinstanz gezeichnete Szenario - sowie die sich daraus ergebenden Schlüsse für die weitere Feststellung des Sachverhalts - aus gutachterlicher Sicht überhaupt vertretbar erscheint. Bereits damit verletzt die Vorinstanz Bundesrecht (vgl. oben E. 1.3.2; vgl. Urteil 6B_305/2020 vom 1. Oktober 2020 E. 3.5).
Die vorinstanzliche Begründung gibt überdies zu weiterer Kritik Anlass.
1.4.3. Zur Feststellung der Position des Personenwagens der Beschwerdegegnerin vor dem Anfahren bedient sich das Gutachten mitunter an der Kollisionsgeschwindigkeit, die es auf mindestens 25 km/h bis höchstens 30 km/h festlegt. Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, sind diese minimalen und maximalen Kollisionsgeschwindigkeiten Grundlage für die rückwärts erfolgende Analyse der Abläufe unmittelbar vor der Kollision. Sie werden gestützt auf die Kollisionsenergie berechnet, die wiederum nach dem EES-Verfahren bestimmt wird. Zu diesem Verfahren führt die Vorinstanz - wenn auch in Bestätigung der erstinstanzlichen Erwägungen - aus: "Notorisch ist, dass die derzeit bekannten Methoden zur Bestimmung der EES-Werte zu ungenauen Ergebnissen führen können. Bereits das Zurückgreifen auf Vergleichswerte kann verzerrend wirken. Zudem variieren die EES-Werte je nach dem Modell, das zur Berechnung derselben herangezogen werde". Wie die Beschwerdeführerin zutreffend rügt, legt die Vorinstanz nicht offen, wie sie zu dieser Erkenntnis kommt. Was indes aus ihren Erwägungen klar hervorgeht, sind ihre offensichtlichen Zweifel an der Richtigkeit des Inhalts des Gutachtens bzw. am methodischen Vorgehen der sachverständigen Person durch das Abstützen auf das EES-Verfahren.
Bei dieser Ausgangslage überzeugen die vorinstanzlichen Erwägungen nicht. Die Vorinstanz erachtet das Gutachten bei Anwendung derselben unfallanalytischen Methode betreffend die Geschwindigkeit des Motorrades als nachvollziehbar. Sie führt aus, das Gutachten gehe von einer Geschwindigkeit vor dem Einleiten des Bremsmanövers von 73-84 km/h aus. Die Herleitung der Geschwindigkeit aus den Beschädigungen am Motorrad und der daraus resultierenden Kollisionsenergie bzw. -geschwindigkeit sei nachvollziehbar, womit das Gutachten in diesem Punkt nicht zu beanstanden sei (Urteil S. 24). An anderer Stelle führt die Vorinstanz aus, der Kollisionspunkt sowie die Kollisionsanalyse seien die Basis sämtlicher weiterer Weg-Zeit-Berechnungen. Ausschlaggebend für die Kollisionsanalyse seien die Beschädigungen am Motorrad, aus denen sich die Kollisionsenergie abschätzen lasse. Letztere werde nach dem EES-Verfahren berechnet (Urteil S. 11; Gutachten S. 16).
Es ist indes nicht nachvollziehbar, weshalb die Vorinstanz für gewisse Feststellungen auf die Berechnungen im Gutachten - auf Grundlage der Kollisionsgeschwindigkeit (die von der Beschwerdeführerin zutreffend als von hoher Bedeutung für die rechtliche Beurteilung der Strafbarkeit der Beschwerdegegnerin eingestuft wird) und der Kollisionsenergie (die wiederum nach dem EES-Verfahren berechnet wird; vgl. Gutachten S. 17) - abstellt, die daraus resultierende Position der Beschwerdegegnerin eine Fahrzeuglänge hinter der Stop-Markierung im Gegenzug jedoch als lebensfremd bezeichnet und diesbezüglich ohne ergänzende Abklärungen betreffend die Konsequenzen für die übrigen Parameter vom Gutachten abweicht. Wie die Beschwerdeführerin zutreffend rügt, erweist sich dieses Vorgehen der Vorinstanz als widersprüchlich und damit als willkürlich.
Um nicht in eine willkürliche Beweiswürdigung zu verfallen, hätte die Vorinstanz nach der eigenen Feststellung des Haltepunkts gestützt auf die Zeugenaussagen und der damit verbundenen Abweichung der gutachterlichen Darstellung insbesondere auch zur Geschwindigkeit des Motorrads vor der Kollision und den Sichtverhältnissen bzw. -weiten der Beschwerdegegnerin an der Stop-Markierung ergänzende Abklärungen durch die sachverständige Person vornehmen lassen müssen.
1.4.4. Zusammenfassend ist die Rüge der Beschwerdeführerin begründet. Die Vorinstanz verletzt Art. 189 StPO und verfällt in ihrer Beweiswürdigung in Willkür. Diese wird sie neu vornehmen müssen, weshalb es sich erübrigt, die weiteren Rügen der Beschwerdeführerin näher zu prüfen.
2.
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Das vorinstanzliche Urteil ist aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Beschwerdegegnerin unterliegt mit ihrem Antrag, weshalb sie die Gerichtskosten zu tragen hat (Art. 66 Abs. 1). Die Beschwerdeführerin handelt in ihrem amtlichen Wirkungskreis und hat demzufolge keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG). Die Beschwerdegegnerin hat B.B.________ und C.B.________ für das bundesgerichtliche Verfahren mit zusammen Fr. 500.-- zu entschädigen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Glarus vom 28. April 2023 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdegegnerin hat B.B.________ und C.B.________ mit zusammen Fr. 500.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, B.B.________, C.B.________ und dem Obergericht des Kantons Glarus schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 5. Mai 2025
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
Die Gerichtsschreiberin: Erb