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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
4A_205/2024  
 
 
Urteil vom 5. September 2024  
 
I. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jametti, Präsidentin, 
Bundesrichterinnen Hohl, Kiss, 
Gerichtsschreiber Brugger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Kurt Gemperli, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
B.________ AG, 
vertreten durch Rechtsanwalt Oskar Müller, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Forderung aus Krankentaggeldversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen, Abteilung I, vom 15. Februar 2024 (KV-Z 2022/11). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der als Bauisolierer und Dachdecker tätig gewesene A.________ (Versicherter, Kläger, Beschwerdeführer) war über seine Arbeitgeberin bei der B.________ AG (Versicherung, Beklagte, Beschwerdegegnerin) krankentaggeldversichert. Vom 26. Februar 2020 bis zum 30. Juni 2020 (mit Unterbrüchen infolge zweier Arbeitsversuche) und vom 5. Oktober 2020 bis zum 31. Juli 2021 bezog er auf Grund von Kniebeschwerden Taggelder in Höhe von je Fr. 196.60, basierend auf einem versicherten Verdienst von Fr. 89'700.--. Ein Jahr nach Eintritt der ersten Arbeitsunfähigkeit teilte die Versicherung dem Versicherten am 27. Januar 2021 mit, dass er sich einer funktionsorientierten medizinischen Abklärung bei der C.________ AG zu unterziehen habe. Deren Experten erachteten für den Versicherten für die angestammte Tätigkeit eine 50%ige Arbeitsfähigkeit bei 75%iger Präsenz mit 2 Stunden vermehrter Pause, um Gelenk- und Rückenschmerzen vorzubeugen, als zumutbar. In einer adaptierten Tätigkeit erachteten sie den Versicherten zu 100 % arbeitsfähig.  
 
A.b. Mit Schreiben vom 30. März 2021 teilte die Versicherung dem Versicherten mit, dass er bei der bisherigen Tätigkeit als Bauspengler bei einem Pensum von 75 % maximal zu 50 % arbeitsfähig sei. Hingegen könne er eine angepasste Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausführen. Wie mit der Arbeitgeberin besprochen, könne diese ihm keine geeignete Arbeit anbieten, weshalb die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll sei. Unter Berücksichtigung einer Übergangsfrist werde das Taggeld - sofern entsprechende Arztzeugnisse beigebracht würden - noch maximal bis zum 31. Juli 2021 ausgerichtet. Auf Intervention des Rechtsvertreters des Versicherten vom 14. Juli 2021 hin stellte die Versicherung mit Schlussabrechnungen vom 31. August 2021 und vom 10. September 2021 auf einen versicherten Verdienst von nunmehr Fr. 100'662.50 ab, berechnete das Taggeld neu - wie vom Rechtsvertreter verlangt - auf Fr. 220.65 und richtete die entsprechenden Nachzahlungen aus. Auf die übrigen Einwände - namentlich, dass der Taggeldversicherer die Leistungen nicht ohne Weiteres einstellen könne, sondern anhand der konkreten Verhältnisse auf dem realen, der versicherten Person zur Verfügung stehenden Arbeitsmarkt die Erwerbseinbusse festzustellen sei - führte sie mit Schreiben vom 19. Juli 2021 aus, dass vorliegend die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit versichert sei und dem Versicherten die vorgeschriebene Übergangsfrist gemäss den anwendbaren Versicherungsbedingungen (AVB), Ausgabe 2015, (Art. D4 Abs. 1 und Abs. 2 AVB) im praxisgemäss vorgesehenen Umfang von drei bis fünf Monaten gewährt worden sei.  
 
B.  
Nach weiteren Korrespondenzen erhob der Kläger am 12. August 2022 Klage am Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen. Er beantragte, die Beklagte sei zu verpflichten, ihm 257 Taggelder à Fr. 220.65, total Fr. 56'707.05 zuzüglich Zins zu bezahlen. 
Mit Urteil vom 15. Februar 2024 wies das Versicherungsgericht die Klage ab. 
 
C.  
Dagegen erhebt der Beschwerdeführer Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht. Er beantragt, der Entscheid des Versicherungsgerichts sei aufzuheben und die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, ihm 257 Taggelder à Fr. 220.65, total Fr. 56'707.05, zuzüglich Zins zu bezahlen. 
Die Beschwerdegegnerin begehrt, die Beschwerde sei abzuweisen. Die Vorinstanz verzichtete auf Vernehmlassung. Die Parteien replizierten und duplizierten. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Unter Vorbehalt einer rechtsgenüglichen Begründung (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. Erwägung 2) ist daher auf die Beschwerde einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Mit Beschwerde in Zivilsachen können Rechtsverletzungen nach Art. 95 und 96 BGG gerügt werden. Die Beschwerde ist hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht eingetreten (BGE 134 II 244 E. 2.1). In der Beschwerdeschrift ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG). Unerlässlich ist, dass die Beschwerde auf die Begründung des angefochtenen Entscheids eingeht und im Einzelnen aufzeigt, worin eine Verletzung von Bundesrecht liegt. Die beschwerdeführende Partei soll in der Beschwerdeschrift nicht bloss die Rechtsstandpunkte, die sie im kantonalen Verfahren eingenommen hat, erneut bekräftigen, sondern mit ihrer Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz ansetzen (BGE 140 III 86 E. 2, 115 E. 2).  
 
2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Dazu gehören sowohl die Feststellungen über den streitgegenständlichen Lebenssachverhalt als auch jene über den Ablauf des vor- und erstinstanzlichen Verfahrens, also die Feststellungen über den Prozesssachverhalt (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 mit Hinweisen). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 140 III 115 E. 2; 135 III 397 E. 1.5). Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein können (Art. 97 Abs. 1 BGG).  
Für eine Kritik am festgestellten Sachverhalt gilt das strenge Rügeprinzip von Art. 106 Abs. 2 BGG (BGE 140 III 264 E. 2.3 mit Hinweisen). Die Partei, welche die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz anfechten will, muss klar und substanziiert aufzeigen, inwiefern diese Voraussetzungen erfüllt sein sollen (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 mit Hinweisen). Wenn sie den Sachverhalt ergänzen will, hat sie zudem mit präzisen Aktenhinweisen darzulegen, dass sie entsprechende rechtsrelevante Tatsachen und taugliche Beweismittel bereits bei den Vorinstanzen prozesskonform eingebracht hat (BGE 140 III 86 E. 2). Genügt die Kritik diesen Anforderungen nicht, können Vorbringen mit Bezug auf einen Sachverhalt, der vom angefochtenen Entscheid abweicht, nicht berücksichtigt werden (BGE 140 III 16 E. 1.3.1). 
 
3.  
 
3.1. Vor der Vorinstanz war umstritten, ob der Beschwerdeführer über die bis zum 31. Juli 2021 entrichteten Leistungen hinaus Anspruch auf weitere Taggelder habe. Die Beschwerdegegnerin bestritt dies, da unter anderem gestützt auf das Gutachten des C.________-Zentrums von einer vollen Arbeitsfähigkeit in einer leidensadapierten Tätigkeit auszugehen sei. Die Vorinstanz ging im angefochtenen Entscheid auf die verschiedenen von den Parteien vorgebrachten medizinischen Unterlagen ein und kam in einer Beweiswürdigung zum Schluss, dass auf das Ergebnis des Gutachtens des C.________-Zentrums abzustellen sei. Damit erweise sich der umstrittene Sachverhalt betreffend die behauptete, nach dem 31. Juli 2021 weiterhin bestehende (vollständige) Arbeitsunfähigkeit in sämtlichen Tätigkeiten als rechtsgenüglich abgeklärt. Diese Beweiswürdigung bezüglich der vollen Arbeitsfähigkeit stellt der Beschwerdeführer vor Bundesgericht nicht in Frage.  
Er beruft sich vielmehr darauf, dass die Beschwerdegegnerin gleichwohl die Taggeldleistungen nicht ohne Weiteres hätte einstellen dürfen. Er habe bereits vorprozessual geltend gemacht, dass die Erwerbseinbusse anhand der konkreten Verhältnisse festzustellen sei. Er habe vor der Vorinstanz darauf hingewiesen, dass er angesichts seiner Ausbildung, seiner unzureichenden Deutschkenntnisse sowie seines Alters keine reellen Chancen habe, die ihm verbleibende Arbeitsfähigkeit in einen Erwerb umzusetzen. All dies habe die Vorinstanz ausser Acht gelassen. Das Gericht habe die konkrete Ausgangslage zu würdigen, und die anwendbaren AVB (Art. A2 Abs. 3 AVB) gingen von demjenigen Arbeitsmarkt aus, welcher ihm tatsächlich zugänglich sei. Es sei ausgeschlossen, dass er ein taggeldauschliessendes Einkommen erzielen könne. Indem die Vorinstanz ein solches unterstelle, lege sie die AVB der Beschwerdegegnerin unzutreffend aus und verletze den hier anwendbaren Art. 61 aVVG zur Schadensminderungspflicht. Es sei auch an der Beschwerdegegnerin gelegen, Angaben zu dem vom Beschwerdeführer konkret erzielbaren Lohn zu machen, da dies eine leistungsaufhebende Tatsache darstelle (Art. 8 ZGB). 
 
3.2. Die Beschwerdegegnerin stützt sich für ihre Leistungseinstellung auf die vertragliche Bestimmung von Art. D4 AVB. Danach kann sie als Versicherung bei langer Dauer der Arbeitsunfähigkeit verlangen, dass die versicherte Person ihre bisherige Tätigkeit anpasst oder eine andere Tätigkeit annimmt, wenn die versicherte Person imstande ist, eine zumutbare Tätigkeit in einem anderen Beruf oder Aufgabenbereich auszuüben. Die Versicherung muss die versicherte Person dazu schriftlich auffordern und ihr eine angemessene Frist zur beruflichen Umorientierung ansetzen. Lässt die versicherte Person diese Frist schuldhaft verstreichen, so kann die Versicherung ihre Leistungen einstellen.  
Die Vorinstanz prüfte, ob die darin statuierten Voraussetzungen erfüllt seien. Dabei stellte sie auf den im C.________-Gutachten ermittelten Befund ab, dass der Beschwerdeführer in einer leidensadapierten Tätigkeit voll arbeitsfähig ist (oben Erwägung 3.1). Entsprechend ging sie davon aus, dass der Beschwerdeführer unter den gegebenen Umständen eine zumutbare Tätigkeit in einem anderen Beruf oder Aufgabenbereich gemäss Art. D4 AVB ausüben kann. Weiter prüfte sie, ob die bisherige Tätigkeit des Beschwerdeführers bei seiner damaligen Arbeitgeberin angepasst werden könne. Sie verneinte dies, weil der Beschwerdeführer nach dem damaligen Wissensstand der Beschwerdegegnerin bereits in gekündigter Stellung gestanden habe und ihm seitens seiner damaligen Arbeitgeberin keine angepasste Tätigkeit angeboten werden könne. In der Folge untersuchte sie, ob dem Beschwerdeführer eine angemessene Frist im Sinne von Art. D4 AVB gesetzt wurde, um eine angepasste Tätigkeit in einem anderen Aufgabenbereich zu suchen. Auch das bejahte sie. 
Inwiefern die Vorinstanz damit unter den gegebenen Umständen die anwendbaren AVB bundesrechtwidrig angewandt hätte, legt der Beschwerdeführer nicht hinreichend dar (Erwägung 2.1). Namentlich macht er zu Recht nicht geltend, dass die Frist zur beruflichen Umorientierung unangemessen gewesen wäre. Entgegen dem Beschwerdeführer hat die Vorinstanz auch seine Vorbringen bezüglich der konkreten Verhältnisse im Sinne der Zumutbarkeit des Berufswechsels im Entscheid ausdrücklich wiedergegeben (angefochtener Entscheid, Erwägungen A.d und B.c) und damit seine reellen Erwerbschancen im Entscheid berücksichtigt. 
 
3.3. Auch die Rüge des fehlenden Einkommensvergleichs verfängt nicht: Die Vorinstanz folgte dem Standpunkt der Beschwerdegegnerin und stützte sich auf die Erkenntnisse des Gutachtens des C.________-Zentrums ab. Sie erklärte ausdrücklich, dass die Frage der " (vollständigen) Arbeitsunfähigkeit in sämtlichen Tätigkeiten" rechtsgenügend geklärt sei. Sie ging dabei mit dem C.________-Gutachten von einer vollständigen Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers in einer adapierten Tätigkeit aus und wies den Anspruch auf weitere Taggelder ab. Die Vorinstanz kam mithin zum Beweisergebnis, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner konkreten Situation in der Lage sei, einer das Taggeld ausschliessenden Tätigkeit nachzugehen. Inwiefern dieser Schluss der Vorinstanz geradezu offensichtlich unrichtig wäre, sodass das Bundesgericht in die Würdigung der Vorinstanz eingreifen müsste, legt der Beschwerdeführer nicht hinreichend dar (Erwägung 2.1). Da die Vorinstanz zu einem Beweisergebnis kam, ist die Beweislastverteilung - welche die Folgen der Beweislosigkeit regelt - gegenstandslos. Die Rüge einer Verletzung von Art. 8 ZGB geht entsprechend ins Leere. Ebensowenig vermag der Beschwerdeführer aufzuzeigen, inwiefern der Vorinstanz eine Verletzung von Art. 61 aVVG vorzuwerfen wäre, wenn sie keinen ausdrücklichen Einkommensvergleich vornahm, sondern aufgrund der gegebenen Umstände dem Beschwerdeführer ein taggeldausschliessendes Einkommen unterstellte, zumal er - wie die Beschwerdegegnerin unwiderlegt vorbringt - den Einkommensvergleich im vorinstanzlichen Verfahren nicht angerufen hat.  
 
4.  
Die Beschwerde ist nach dem Gesagten abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird der Beschwerdeführer kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, Abteilung I, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 5. September 2024 
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jametti 
 
Der Gerichtsschreiber: Brugger