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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_313/2024  
 
 
Urteil vom 7. Mai 2025  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Haag, Präsident, 
Bundesrichter Müller, 
nebenamtlicher Bundesrichter Mecca, 
Gerichtsschreiberin Gerber. 
 
Verfahrensbeteiligte 
1. A.A.________ und B.A.________, 
2. C.________, 
alle drei vertreten durch Rechtsanwältin Michelle Mehli, 
Beschwerdeführende, 
 
gegen  
 
Gemeinde Pontresina, 
Via Maistra 133, 7504 Pontresina, 
vertreten durch Rechtsanwältin Martina Bänziger, 
 
Gegenstand 
Erstwohnungspflicht, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden, 5. Kammer, vom 16. April 2024 (R 24 4). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die in U.________ (Kanton Zürich) wohnhaften A.A.________ und B.A.________ sind Stockwerkeigentümer bzw. -eigentümerin einer Wohnung an der Via Maistra xxx in Pontresina. Diese ist mit einer kommunalen Erstwohnungspflicht belegt. Mit Verfügung vom 13. Dezember 2022 wies die Gemeinde Pontresina das Gesuch um vorzeitige Entlassung der Wohnung aus der Erstwohnungspflicht ab. A.A.________ und B.A.________ wurden dazu verpflichtet, die Wohnung bis spätestens Ende April 2023 einer Erstwohnungsnutzung i.S.v. Art. 2 Abs. 2 und 3 des Bundesgesetzes vom 20. März 2015 über Zweitwohnungen (Zweitwohnungsgesetz, ZWG; SR 702) zuzuführen, unter Androhung der Ersatzvornahme und der Strafe. 
 
B.  
Die Eheleute A.________ teilten der Gemeinde am 21. Juni 2023 mit, sie seien ihrer Pflicht nachgekommen und hätten ihre Wohnung dem in Pontresina wohnhaften C.________ überlassen. Auf Anfrage der Gemeinde wurde ihr der (rückwirkend aufgesetzte) schriftliche Gebrauchsüberlassungsvertrag am 30. Juni 2023 zugestellt. Die Gemeinde vermutete, die Wohnung werde weiterhin als Zweitwohnung genutzt, und gab den Betroffenen Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen. Am 21. November 2023 verfügte sie, die Gebrauchsüberlassung an C.________ werde nicht als Erstwohnungsnutzung i.S.v. Art. 2 Abs. 2 und 3 ZWG anerkannt. Sie wies A.A.________ und B.A.________ an, die Wohnung bis zum 29. Februar 2024 einer Erstwohnnutzung zuzuführen, unter Androhung der Versiegelung im Unterlassungsfall. 
 
C.  
Dagegen gelangten A.A.________ und B.A.________ sowie C.________ am 8. Januar 2024 mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Dieses setzte die Frist zur Zuführung der Wohnung zur Erstwohnnutzung bis zum Vorliegen des Hauptsacheentscheids aus. Am 16. April 2024 wies es die Beschwerde ab. 
 
D.  
Dagegen haben A.A.________ und B.A.________ (Beschwerdeführende 1 und 2) sowie C.________ (Beschwerdeführender 3) am 21. Mai 2024 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht erhoben. Sie beantragen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben, ihre Beschwerdeanträge vor Verwaltungsgericht seien gutzuheissen und die Verfügung der Gemeinde Pontresina vom 21. November 2023 sei aufzuheben. 
 
E.  
Die Gemeinde Pontresina und das Verwaltungsgericht beantragen die Abweisung der Beschwerde (soweit darauf eingetreten werden könne). 
Das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) verweist auf die überzeugenden Ausführungen des angefochtenen Entscheids. 
 
F.  
Mit Verfügung vom 11. Juni 2024 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung erteilt. 
 
 
Erwägungen:  
 
 
1.  
Gegen den kantonal letztinstanzlichen Endentscheid des Verwaltungsgerichts steht grundsätzlich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht offen (Art. 82 lit. a, 86 Abs. 1 lit. d und 90 BGG). Die übrigen Eintretensvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist daher grundsätzlich (vorbehältlich genügend begründeter Rügen) einzutreten. 
 
2.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht - einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens - gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht wendet das Bundesrecht grundsätzlich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Die Verletzung von Grundrechten (einschliesslich die willkürliche Anwendung von kantonalem Recht) prüft es dagegen nur insoweit, als eine solche Rüge in der Beschwerde klar vorgebracht worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG); hierfür gelten qualifizierte Begründungsanforderungen (BGE 139 I 229 E. 2.2 mit Hinweisen). 
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat, sofern dieser nicht offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 und Art. 97 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel können nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG). 
 
3.  
Art. 2 Abs. 2 ZWG definiert eine Erstwohnung im Sinne dieses Gesetzes als eine Wohnung, die von mindestens einer Person genutzt wird, die gemäss Art. 3 lit. b des Registerharmonisierungsgesetzes vom 23. Juni 2006 (RHG; SR 431.02) in der Gemeinde, in der die Wohnung liegt, niedergelassen ist. Erstwohnungen gleichgestellt werden die in Abs. 3 lit. a-h ZWG genannten Wohnungen. Eine Zweitwohnung im Sinne des ZWG ist eine Wohnung, die weder eine Erstwohnung noch einer solchen gleichgestellt ist (Art. 2 Abs. 4 ZWG). Art. 3 lit. b RHG definiert die Niederlassungsgemeinde als Gemeinde, in der sich eine Person in der Absicht dauernden Verbleibens aufhält, um dort den Mittelpunkt ihres Lebens zu begründen, welcher für Dritte erkennbar sein muss; eine Person wird in derjenigen Gemeinde als niedergelassen betrachtet, in der sie das erforderliche Dokument hinterlegt hat, und kann nur eine Niederlassungsgemeinde haben. 
 
3.1. Das Verwaltungsgericht ging davon aus, der Begriff der Niederlassung berücksichtige ausdrücklich die Rechtspraxis zum zivilrechtlichen Wohnsitz nach Art. 23 ZGB. Entscheidend sei demnach, wo der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen liege. Dieser bestimme sich nach den gesamten objektiven, äusseren Umständen. Der Wohnsitz könne sich nur an einem einzigen Ort befinden, weshalb eine Person in ihrer Wohngemeinde nicht mehrere Wohnungen als Erstwohnung nutzen könne. Es prüfte daher, ob der Beschwerdeführende 3 seinen Lebensmittelpunkt in der Wohnung an der Via Maistra xxx habe.  
 
3.2. Die Beschwerdeführenden machen dagegen geltend, die Niederlassung beziehe sich auf eine Gemeinde (Art. 3 lit. b RHG) und der zivilrechtliche Wohnsitzbegriff auf einen "Ort" (Art. 23 Abs. 2 ZGB), den eine Person zum Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen gemacht habe, d.h. ihre intensivsten familiären, gesellschaftlichen und beruflichen Beziehungen unterhalte. Dieser Begriff könne nicht auf eine bestimmte Wohnung innerhalb der Wohnsitzgemeinde angewendet werden. Zwar bestreiten die Beschwerdeführenden vor Bundesgericht nicht mehr, dass eine Person, die in ihrer Niederlassungsgemeinde mehrere Wohnungen habe, nur eine als Erstwohnung nutzen könne (so ausdrücklich die Botschaft des Bundesrates zum ZWG vom 19. Februar 2014, BBl 2014 2287 ff., insb. S. 2298; vgl. auch FABIAN MÖSCHING, in: Wolf/Pfammatter [Hrsg.], Zweitwohnungsgesetz - unter Einbezug der Zweitwohnungsverordnung, 2. Aufl. 2021, N. 10 ff. zu Art. 2). Sie machen jedoch geltend, zur Bestimmung der "Hauptwohnung" müsse auf die Hauptnutzung abgestellt werden; nicht massgeblich seien die Kriterien zur Wohnsitzbestimmung. Nicht anwendbar sei insbesondere die Vermutung nach Art. 24 Abs. 1 ZGB, wonach ein einmal begründeter Wohnsitz bestehen bleibe bis zum Erwerb eines neuen Wohnsitzes, weil ein Umzug innerhalb der Wohnsitzgemeinde den Wohnsitz nicht ändere.  
 
3.3. Dem ist entgegenzuhalten, dass eine Wohnung ebenfalls einen "Ort" darstellt und es auch für die Frage, welche von mehreren Wohnungen die Erst- oder Hauptwohnung darstellt, auf den Mittelpunkt der Lebensbeziehungen einer Person ankommt, wobei für die Stärke der Beziehung zu einer Wohnung nicht nur die Dauer der Nutzung, sondern auch deren Intensität und Qualität eine Rolle spielen kann. Es ist daher nicht einzusehen, weshalb die für die Bestimmung des Wohnsitzes bzw. der Niederlassungsgemeinde massgeblichen tatsächlichen Kriterien nicht auch für die Bestimmung der Hauptwohnung innerhalb einer Gemeinde herangezogen werden dürften. Die Wohnsitzfiktion gemäss Art. 24 Abs. 1 ZGB spielt vorliegend keine Rolle, gingen doch die Vorinstanzen davon aus, der Beschwerdeführende 3 habe seinen Wohnsitz bzw. seine Hauptwohnung in der Via Cruscheda yyy nicht aufgegeben, sondern beibehalten.  
 
4.  
Streitig ist, ob die Wohnung an der Via Maistra xxx durch die Gebrauchsüberlassung an den Beschwerdeführenden 3 einer Erstwohnungsnutzung zugeführt worden ist. 
 
4.1. Das Verwaltungsgericht verneinte dies. Es ging aufgrund der aktenkundigen Tatsachen, dass der Beschwerdeführende 3 nach wie vor in einer ungetrennten Ehe lebe, seine Ehefrau weiterhin in der ehelichen Wohnung an der Via Cruscheda yyy wohne, die Wohnung an der Via Maistra xxx (nach den unbestritten gebliebenen Ausführungen der Beschwerdegegnerin) nach den Bedürfnissen der Beschwerdeführenden 1 und 2 eingerichtet sei und der Beschwerdeführende 3 sie lediglich in dem Ausmass nutze, als er gelegentlich das Dampfbad oder den Hometrainer benutze und zeitweise dort übernachte, jedoch soweit ersichtlich keinerlei persönliche Effekte in dieser Wohnung aufbewahre, zum Ergebnis, dass dessen Lebensmittelpunkt weiterhin in der ehelichen Wohnung an der Via Cruscheda yyy zu verorten sei. Es berücksichtigte ferner, dass bei der Polizeikontrolle vom 11. August 2023 der Beschwerdeführende 1 die Tür an der Via Maistra xxx geöffnet habe, was für die weitere Zweitwohnungsnutzung der Wohnung spreche. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführende 3 einen an die Via Maistra xxx adressierten, eingeschriebenen Brief nicht abgeholt habe, sei zwar für sich allein nicht ausschlaggebend, bestätige aber den Gesamteindruck, wonach sich dessen Lebensmittelpunkt nicht in der Via Maistra xxx befinde. Schliesslich mute es seltsam an, wenn die Beschwerdeführenden 1 und 2 ursprünglich eine Entlassung aus der Erstwohnungspflicht beantragt hatten, weil sich die Wohnung (mit einem Wert von Fr. 4 Mio. und Unterhaltskosten von Fr. 25'000 jährlich) nicht kostendeckend vermieten lasse, sich dann aber dafür entschieden hätten, diese unentgeltlich dem Beschwerdeführenden 3 zur Verfügung zu stellen. Dass sich die Beschwerdeführenden 1 und 2 mit der Gebrauchsüberlassung dem mietrechtlichen Kündigungsschutz entziehen wollten, spreche ebenfalls gegen die Ernsthaftigkeit dieser Absicht. Die (unbestrittene) Covid-Erkrankung des Beschwerdeführenden 3 sei kein Beweis für die Erstwohnungsnutzung an der Via Maistra xxx. Sofern er nachts noch auf eine Atemhilfe angewiesen und deshalb in einem von seiner Frau getrennten Zimmer schlafen wolle, könnte dies auch in der ehelichen 4-Zimmerwohnung eingerichtet werden. Aus den erst im Beschwerdeverfahren eingereichten Strom- und Wasserrechnungen ergebe sich nichts Gegenteiliges, insbesondere könne die Erhöhung des Strom- und des (im übrigen weiterhin niedrigen) Wasserverbrauchs auch mit einer erhöhten Zweitwohnungsnutzung erklärt werden.  
Das Verwaltungsgericht gelangte daher zum Ergebnis, die Gebrauchsüberlassung an den Beschwerdeführenden 3 sei ein Konstrukt zur Umgehung der Erstwohnungspflicht, damit die Wohnung an der Via Maistra xxx faktisch weiterhin als Zweitwohnung verwendet werden könne. 
 
4.2. Diese Beweiswürdigung lässt - entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführenden - weder Willkür erkennen, noch beruht sie auf einer offensichtlichen Verletzung der Untersuchungspflicht der Gemeinde oder einer unhaltbaren Überspannung der Anforderungen an die Mitwirkungspflicht der Beschwerdeführenden. Die Beschwerdeführenden 1 und 2 bemühten sich bereits 2004 und erneut 2021 vergeblich um eine Entlassung ihrer Wohnung aus der Erstwohnungspflicht, wobei sie eine Vermietung an Einheimische, trotz des ausgewiesenen Wohnraummangels in der Gemeinde, als nicht kostendeckend ablehnten. Dennoch stimmten sie in der Folge einer unentgeltlichen Gebrauchsüberlassung zu, noch dazu an eine Person, die bereits über eine eheliche Wohnung in Pontresina verfügt. Unter diesen aussergewöhnlichen Umständen lag die Vermutung nahe, es könne sich um ein Konstrukt zur Umgehung der Erstwohnungspflicht handeln. In dieser Situation ist es nicht zu beanstanden, wenn sich die Gemeinde mit Abklärungen zur ungetrennten Ehe des Beschwerdeführenden 3 und einer einmaligen Polizeikontrolle begnügte, und im Übrigen den Beschwerdeführenden Gelegenheit zur Mitwirkung an der Sachverhaltsabklärung einräumte.  
Die Beschwerdeführenden 1 und 2 bestreiten nicht substanziiert, dass die (möbliert überlassene) Wohnung weiterhin nach ihren Bedürfnissen eingerichtet ist und sie über ein jederzeitiges Zugangsrecht verfügen. Unter diesen Umständen hat die Wohnung ihren Zweitwohnungscharakter nicht verloren. Daran würde sich auch dann nichts ändern, wenn sich ergeben sollte, dass der Beschwerdeführende 3 häufiger als vom Verwaltungsgericht angenommen in der Wohnung übernachtet und dort auch gewisse persönliche Effekte aufbewahrt. Das Verwaltungsgericht durfte daher in antizipierter Beweiswürdigung auf die Abnahme der von den Beschwerdeführenden beantragten Beweise (Partei- und Zeugenbefragungen, Augenschein) verzichten. 
 
5.  
Nach den Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens werden die Beschwerdeführenden kostenpflichtig (Art. 66 BGG) und es sind keine Parteientschädigungen zuzusprechen (Art. 68 Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von insgesamt Fr. 4'000.-- werden den Beschwerdeführenden auferlegt. 
 
3.  
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführenden, der Gemeinde Pontresina, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, 5. Kammer, und dem Bundesamt für Raumentwicklung schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 7. Mai 2025 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Haag 
 
Die Gerichtsschreiberin: Gerber