Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_830/2024  
 
 
Urteil vom 8. Januar 2025  
 
I. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Muschietti, als präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Rüedi, Bundesrichterin van de Graaf, 
Gerichtsschreiber Brugger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Entschädigung der amtlichen Verteidigung, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern, 2. Strafkammer, vom 9. September 2024 (SK 24 375). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Beschluss vom 9. September 2024 schrieb das Obergericht des Kantons Bern das Berufungsverfahren SK 24 375 als durch Rückzug der Berufung erledigt ab und stellte fest, das Urteil des Regionalgerichts Bern-Mittelland vom 13. Juni 2024 sei rechtskräftig (Dispositiv-Ziffer 1). Es bestimmte für das Berufungsverfahren eine Pauschalgebühr von Fr. 300.-- und auferlegte sie dem Beschuldigten B.________ (Dispositiv-Ziffer 2). Eine Entschädigung sprach es nicht zu (Dispositiv-Ziffer 3). 
 
B.  
Rechtsanwalt A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, Dispositiv-Ziffer 3 des obergerichtlichen Beschlusses sei aufzuheben. Ihm sei für die amtliche Verteidigung des Beschuldigten im Berufungsverfahren gestützt auf die Honorarnote vom 14. Oktober 2024 eine Entschädigung von Fr. 1'135.70 inklusive Auslagen und MWST zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. 
Das Obergericht trägt auf Abweisung der Beschwerde an, während die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern sich nicht vernehmen liess. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer begründet seine Legitimation mit Art. 135 Abs. 3 StPO, wie er am 1. Januar 2024 in Kraft trat (AS 2023 468). Nach dieser revidierten Bestimmung kann die amtliche Verteidigung gegen den Entschädigungsentscheid das Rechtsmittel ergreifen, das gegen den Endentscheid zulässig ist. Früher konnte gegen Entscheide der Berufungsgerichte über die Entschädigung der amtlichen Verteidigung beim Bundesstrafgericht Beschwerde geführt werden. Diese Regelung war in verschiedener Hinsicht unbefriedigend. Neu gilt für die Anfechtung solcher Entscheide das BGG (Urteil 6B_433/2024 vom 4. September 2024 E. 1.1). Die Beschwerde in Strafsachen steht offen.  
 
 
1.2. Die Beschwerde ist zu begründen, wobei anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids in gedrängter Form darzulegen ist, inwiefern dieser Recht verletzt (Art. 42 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BGG). Hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten einschliesslich Willkür in der Sachverhaltsfeststellung bestehen qualifizierte Rügeanforderungen (Art. 106 Abs. 2 BGG).  
 
1.3. Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht, und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 147 IV 73 E. 4.1.2). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1). Dies ist der Fall, wenn der angefochtene Entscheid geradezu unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht. Dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht. Erforderlich ist, dass der Entscheid nicht nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis willkürlich ist (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 88 E. 1.3.1). Für die Willkürrüge gelten erhöhte Begründungsanforderungen (Art. 97 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 2 BGG). Es genügt nicht, einen von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten oder die eigene Beweiswürdigung zu erläutern (BGE 148 V 366 E. 3.3; 137 II 353 E. 5.1 mit Hinweisen). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 148 IV 356 E. 2.1, 205 E. 2.6; 146 IV 88 E. 1.3.1).  
 
2.  
Der Beschwerdeführer verlangt für das als durch Rückzug der Berufung erledigte Berufungsverfahren eine Entschädigung. 
 
2.1.  
 
2.1.1. Gemäss Art. 135 Abs. 1 StPO wird die amtliche Verteidigung nach dem Anwaltstarif des Bundes oder desjenigen Kantons entschädigt, in dem das Strafverfahren geführt wurde. Die Anwendung kantonaler Anwaltstarife überprüft das Bundesgericht nur auf Willkür und Vereinbarkeit mit anderen verfassungsmässigen Rechten (vgl. Art. 95 BGG; BGE 145 I 121 E. 2.1; 142 V 513 E. 4.2; 142 IV 70 E. 3.3.1).  
 
 
2.1.2. Es ist Sache der kantonalen Behörde, die Angemessenheit anwaltlicher Bemühungen zu beurteilen. Den Kantonen kommt bei der Bemessung des Honorars der amtlichen Verteidigung ein weiter Ermessensspielraum zu. Das Bundesgericht schreitet nur ein, wenn der Ermessensspielraum klarerweise überschritten wurde und Bemühungen nicht honoriert wurden, die zweifelsfrei zu den Obliegenheiten einer amtlichen Verteidigung gehören. Die Festsetzung des Honorars muss ausserhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zu den geleisteten Diensten stehen und in krasser Weise gegen das Gerechtigkeitsgefühl verstossen (BGE 141 I 124 E. 3.2; Urteile 6B_433/2024 vom 4. September 2024 E. 2.1.3; 6B_707/2022 vom 20. Dezember 2022 E. 2.1; 6B_1115/2019 vom 3. Dezember 2019 E. 4.3 mit Hinweisen).  
 
2.2. Einleitend verweist die Vorinstanz auf Art. 386 StPO. Wer ein Rechtsmittel ergriffen hat, kann dieses gemäss Abs. 2 dieser Bestimmung bei mündlichen Verfahren bis zum Abschluss der Parteiverhandlungen zurückziehen (lit. a) und bei schriftlichen Verfahren bis zum Abschluss des Schriftenwechsels und allfälliger Beweis- oder Aktenergänzungen (lit. b). Der Rückzug ist endgültig, es sei denn, die Partei sei durch Täuschung, eine Straftat oder eine unrichtige behördliche Auskunft zu ihrer Erklärung veranlasst worden (Art. 386 Abs. 2 StPO).  
 
2.3. Die Vorinstanz stellt fest, der Beschuldigte habe am 18. Juni 2024 Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil vom 13. Juni 2024 angemeldet. Mit Eingabe vom 5. September 2024 habe der Beschwerdeführer der Vorinstanz im Namen und Auftrag des Beschuldigten mitgeteilt, dass keine Berufungserklärung folgen werde und dass die Berufung als zurückgezogen gelte. Die Vorinstanz verweist auf Art. 437 Abs. 1 lit. b StPO und erklärt, damit sei das erstinstanzliche Urteil in Rechtskraft erwachsen. Das Verfahren werde als durch Rückzug der Berufung erledigt abgeschrieben.  
 
2.4.  
 
2.4.1. Was die Kostentragung im Berufungsverfahren betrifft, verweist die Vorinstanz zutreffend auf Art. 428 Abs. 1 StPO. Demnach tragen die Parteien die Kosten nach Massgabe ihres Obsiegens oder Unterliegens, wobei auch die Partei als unterliegend gilt, auf deren Rechtsmittel nicht eingetreten wird oder die das Rechtsmittel zurückzieht. Entsprechend auferlegt die Vorinstanz die Kosten des Berufungsverfahrens von Fr. 300.-- dem Beschuldigten.  
 
2.4.2. Weiter erwägt die Vorinstanz, den Parteien seien im Berufungsverfahren "keine entschädigungswürdigen Nachteile" entstanden, weshalb keine Entschädigung ausgerichtet und auf die Einholung einer Honorarnote beim Beschwerdeführer verzichtet werde. Ergänzend hält die Vorinstanz fest, dass der Beschwerdeführer in seiner Honorarnote vom 12. Juni 2024 eine "Verbeiständung Urteilseröffnung" von 1 ½ Stunden geltend mache. Zudem verrechne er unter dem Titel Abschlussarbeiten "abschl. Korrespondenz Klient; E-Mail ans Gericht" eine halbe Stunde. Dass die Erstinstanz das amtliche Honorar gekürzt habe, ändere nichts daran, zumal die Urteilseröffnung am 13. Juni 2024 nicht 1 ½ Stunden, sondern 50 Minuten gedauert habe.  
 
2.5. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, dringt durch.  
 
2.5.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe am 18. Juni 2024 Berufung angemeldet. Nach Erhalt der erstinstanzlichen Urteilsbegründung vom 14. August 2024 sei "unter eingehender Beratung des Beschuldigten" entschieden worden, die Berufung zurückzuziehen, was am 5. September 2024 geschehen sei. Er habe der Vorinstanz mit dem Rückzug der Berufung mitgeteilt, er werde ihr die Honorarnote für seine Bemühungen als amtlicher Verteidiger seit Erhalt des erstinstanzlichen Urteils vom 13. Juni 2024 auf erste Aufforderung zusenden. Schliesslich habe die Vorinstanz ohne Einholung der Honorarnote den angefochtenen Beschluss gefasst und keine Entschädigung für die amtliche Verteidigung zugesprochen.  
Der Beschwerdeführer merkt an, der Beschuldigte habe die Berufung nur dank seiner eingehenden Beratung zurückgezogen, womit es zu keinem weiteren Aufwand im Berufungsverfahren gekommen sei. Dass die Vorinstanz diese Bemühungen nun pauschal als unangebracht taxiere, sei nicht richtig. 
 
2.5.2. Der Anspruch auf Entschädigung der amtlichen Verteidigung umfasst nicht alles, was für die Wahrnehmung der Interessen des Mandanten von Bedeutung ist. Ein Anspruch besteht nur, "soweit es zur Wahrung der Rechte notwendig ist". Nach diesem Massstab bestimmt sich der Anspruch sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht, das heisst in Bezug auf den Umfang der Aufwendungen. Entschädigungspflichtig sind nur jene Bemühungen, die in einem kausalen Zusammenhang mit der Wahrung der Rechte im Strafverfahren stehen, und die notwendig und verhältnismässig sind. Das Honorar muss allerdings so festgesetzt werden, dass der amtlichen Verteidigung ein Handlungsspielraum verbleibt und sie das Mandat wirksam ausüben kann (BGE 141 I 124 E. 3.1; Urteile 1B_385/2021 vom 25. Oktober 2021 E. 4.2; 6B_730/2014 vom 2. März 2015 E. 3.1; 1B_96/2011 vom 6. Juni 2011 E. 2.2; 6B_856/2009 vom 9. November 2009 E. 4.2).  
 
2.5.3. Wie erwähnt, kommt den Kantonen bei der Bemessung des Honorars der amtlichen Verteidigung ein weiter Ermessensspielraum zu. Das Bundesgericht schreitet nur ein, wenn der Ermessensspielraum klarerweise überschritten wurde und Bemühungen nicht honoriert wurden, die zweifelsfrei zu den Obliegenheiten einer amtlichen Verteidigung gehören. Die Vorinstanz spricht dem Beschwerdeführer keine Entschädigung zu mit der Begründung, es seien "keine entschädigungswürdigen Nachteile entstanden".  
Dies trifft offensichtlich nicht zu. Der Beschwerdeführer legt zutreffend dar, dass nach der Eröffnung des erstinstanzlichen Urteils vom 13. Juni 2024 diverse Bemühungen notwendig waren. Am 13. Juni 2024 habe die Erstinstanz das Urteil nur mündlich begründet. Am 16. August 2024 habe der Beschwerdeführer die 53-seitige erstinstanzliche Urteilsbegründung vom 14. August 2024 auf ihre Richtigkeit überprüft und mit dem Beschwerdeführer besprochen, worauf der Rückzug der Berufung entschieden worden sei. Schliesslich habe der Beschwerdeführer auch den angefochtenen Beschluss vom 9. September 2024 prüfen müssen. 
 
2.6. Nach dem Gesagten steht fest, dass die Vorinstanz Bemühungen nicht honorierte, die zweifelsfrei zu den Obliegenheiten des Beschwerdeführers gehörten. Es kann nicht gesagt werden, diese Bemühungen seien bereits mit der Honorarnote vom 12. Juni 2024 abgegolten worden.  
 
3.  
Die Beschwerde ist gutzuheissen, Dispositiv-Ziffer 3 des angefochtenen Beschlusses aufzuheben und die Sache im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen zur Bestimmung der angemessenen Entschädigung des Beschwerdeführers als amtlicher Verteidiger im Berufungsverfahren. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine praxisgemässe Entschädigung für das bundesgerichtliche Verfahren (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen, Dispositiv-Ziffer 3 des Beschlusses vom 9. September 2024 aufgehoben und die Sache an das Obergericht des Kantons Bern zurückgewiesen zur Bestimmung der angemessenen Entschädigung von Rechtsanwalt A.________ als amtlicher Verteidiger im Berufungsverfahren. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Bern hat Rechtsanwalt A.________ für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 8. Januar 2025 
 
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Muschietti 
 
Der Gerichtsschreiber: Brugger