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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_684/2023  
 
 
Urteil vom 8. Oktober 2024  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichterin Koch, 
Bundesrichter Hurni, Kölz, Hofmann, 
Gerichtsschreiberin Mango-Meier. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
A.________ sel., 
vertreten durch Rechtsanwältin Caroline Engel und Rechtsanwalt Rolf Besser, 
Beschwerdegegner, 
 
1. B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Jürgen Imkamp, 
2. C.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Jürgen Imkamp, 
3. Erben der D.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Jürgen Imkamp, 
4. E.________ AG, 
vertreten durch Rechtsanwalt Jürgen Imkamp, 
5. F.________, 
vertreten durch Vormundin Stefanie Weber. 
 
Gegenstand 
Einstellung; Verfahrenskosten und Prozessentschädigungen, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 28. November 2022 (SB210619-O/U/cwo). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Nach mehrjähriger Untersuchung erhob die Staatsanwaltschaft | des Kantons Zürich am 22. November 2019 Anklage gegen A.________. Das Bezirksgericht Meilen sprach ihn mit Urteil vom 27. April 2021 des Mordes im Sinne von Art. 112 StGB, des versuchten Mordes im Sinne von Art. 112 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB sowie des versuchten Betrugs im Sinne von Art. 146 Abs. 1 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB schuldig und bestrafte ihn mit einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe. Sodann regelte es die weiteren Folgen der Verurteilung. Unter anderem wurde über Beschlagnahmungen und über Zivilansprüche der Privatkläger entschieden. Des Weiteren wurden A.________ 49/50 der Kosten und Auslagen der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens - ausgenommen die Kosten der amtlichen Verteidigung und der unentgeltlichen Rechtsvertreterin des Privatklägers F.________ - auferlegt. Die Kosten der amtlichen Verteidigung und der unentgeltlichen Rechtsvertreterin wurden zu 49/50 einstweilen auf die Gerichtskasse genommen, wobei die Rückzahlungspflicht von A.________ in diesem Umfang im Sinne von Art. 135 Abs. 4 StPO vorbehalten wurde. Ausserdem wurde A.________ verpflichtet, drei Privatklägern jeweils eine Prozessentschädigung von Fr. 24'300.-- und einer Privatklägerin eine Prozessentschädigung von Fr. 8'500.- auszurichten. 
 
B.  
Am 4. Mai 2021 liess A.________ gegen dieses Urteil fristgerecht Berufung anmelden. 
Die amtliche Verteidigerin nahm das begründete Urteil am 9. Dezember 2021 in Empfang. 
Mit Schreiben der Untersuchungsgefängnisse Zürich vom 28. Dezember 2021 wurde mitgeteilt, dass A.________ am 27. Dezember 2021 verstorben sei. 
Mit Eingabe vom 29. Dezember 2021 reichte die amtliche Verteidigerin beim Obergericht des Kantons Zürich die Berufungserklärung mit weitergehenden Bemerkungen ein. 
Mit Beschluss vom 28. November 2022 stellte das Obergericht des Kantons Zürich das Strafverfahren gegen A.________ sel. gestützt auf Art. 329 Abs. 4 StPO ein und hielt fest, dass das Urteil des Bezirksgerichts Meilen vom 27. April 2021 demgemäss gegenstandslos geworden sei. Die Privatkläger wurden mit ihren Schadenersatz- und Genugtuungsforderungen auf den Zivilweg verwiesen. Des Weiteren entschied das Obergericht, dass die erstinstanzliche Gerichtsgebühr ausser Ansatz falle und die weiteren Kosten für das Vorverfahren und das erstinstanzliche Gerichtsverfahren auf die Gerichtskasse genommen würden. Ferner wurde entschieden, die Prozessentschädigungen an die vier Privatkläger, zu deren Bezahlung A.________ im erstinstanzlichen Urteil verpflichtet worden war, seien aus der Gerichtskasse auszurichten. 
 
C.  
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich dem Bundesgericht, es sei der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 28. November 2022 aufzuheben und auf die Berufung von A.________ sel. sei nicht einzutreten. Weiter sei festzustellen, dass das Urteil des Bezirksgerichts Meilen vom 27. Juni 2021 vollständig in Rechtskraft erwachsen sei. 
Es wurden die kantonalen Akten, nicht aber Vernehmlassungen eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein Endentscheid (Art. 90 BGG) in Strafsachen einer letzten kantonalen Instanz, die als oberes Gericht auf Berufung hin (Art. 80 BGG) geurteilt hat. Die Beschwerdeführerin ist zur Beschwerde legitimiert (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 3 BGG) und hat die Beschwerdefrist eingehalten (Art. 100 Abs. 1 BGG). Unter Vorbehalt rechtsgenüglicher Begründung (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG) ist die Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 78 ff. BGG grundsätzlich zulässig. 
 
2.  
 
2.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz hätte in Anwendung von Art. 403 StPO zum Schluss kommen müssen, dass auf die Berufung wegen Unzulässigkeit der Berufungserklärung der amtlichen Verteidigung vom 29. Dezember 2021 (Abs. 1 lit. a StPO) sowie wegen Todes des Berufungsführers und damit wegen Eintritts eines Prozesshindernisses am 27. Dezember 2021 (Abs. 1 lit. c StPO) nicht eingetreten werden könne. Dies habe zur Folge, dass das Urteil des Bezirksgerichts Meilen vom 27. April 2021 vollumfänglich in Rechtskraft erwachsen sei.  
 
2.2. Gemäss Art. 399 Abs. 2 StPO übermittelt das erstinstanzliche Gericht die Berufungsanmeldung nach Ausfertigung des begründeten Urteils zusammen mit den Akten dem Berufungsgericht. In diesem Moment wird die Sache bei diesem rechtshängig und die Verfahrensleitung geht vom erstinstanzlich urteilenden Gericht an das Berufungsgericht über (vgl. BGE 139 IV 277 E. 2.2; Jürg Bähler, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Jugendstrafprozessordnung, 3. Aufl., 2023, N. 5 zu Art. 399 StPO; Jositsch/Schmid, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], Praxiskommentar, 4. Aufl., 2023, N. 6 zu Art. 399 StPO; Marlène Kistler Vianin, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2. Aufl., 2019, N. 9 zu Art. 399 StPO).  
Der Tod der beschuldigten Person während des kantonalen Verfahrens führt zur Verfahrenseinstellung (Urteil 6B_975/2021 vom 7. September 2022 E. 1.1 mit Verweis auf Art. 319 Abs. 1 lit. d StPO und Art. 403 Abs. 1 lit. c StPO). Kann ein Urteil definitiv nicht ergehen, stellt das Gericht das Verfahren gemäss Art. 329 Abs. 4 StPO ein, nachdem es den Parteien und weiteren durch die Einstellung beschwerten Dritten das rechtliche Gehör gewährt hat. Diese Norm findet auch im Berufungsverfahren Anwendung (vgl. Jositsch/Schmid, a.a.O., N. 15a zu Art. 329 StPO). Ist die Sache - wie hier - im Moment des Todes des Berufungsführers bereits beim Berufungsgericht hängig, stellt mithin dieses das Verfahren ein. 
 
2.3. Auf das Vorliegen einer gehörigen Berufungserklärung, deren Gültigkeit von der Beschwerdeführerin aufgrund des Todes des Berufungsführers bestritten wird, kommt es nach dem Gesagten nicht an.  
Entscheidend für die Rechtsfolge der Einstellung ist einzig, ob das erstinstanzliche Urteil bereits in Rechtskraft erwachsen konnte. Stirbt die beschuldigte Person vor Ablauf der Rechtsmittelfrist oder nachdem sie die Berufung angemeldet hat, ist das erstinstanzliche Urteil im Zeitpunkt ihres Todes noch nicht in Rechtskraft erwachsen (VIKTOR LIEBER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Donatsch/Lieber/Summers/Wohlers [Hrsg.], 3. Aufl. 2020, N. 21 zu Art. 382 StPO mit Hinweisen). Der Tod der beschuldigten Person kann nicht wie ein Verzicht auf das Rechtsmittel oder ein Rückzug desselben gewertet werden. Der beschuldigten Person kann auch nicht vorgeworfen werden, sie habe die Rechtsmittelfrist unbenutzt ablaufen lassen oder sie habe die Berufungserklärung nicht (mehr gehörig) eingereicht. Ihr Tod während dieser Phase des Strafverfahrens verhindert vielmehr dauerhaft den Eintritt der Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils. Da der Tod die Fortführung des Strafverfahrens bzw. des allfälligen Rechtsmittelverfahrens verhindert, muss die Rechtsfolge die Einstellung des Verfahrens gemäss Art. 329 Abs. 4 StPO sein. Auch wenn die Berufungsinstanz aufgrund des Vorliegens eines Verfahrenshindernisses nicht auf die Berufung eintreten kann (Art. 403 Abs. 1 lit. c StPO), hat dies im Falle des Todes der beschuldigten Person nicht die Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils gemäss Art. 437 Abs. 1 lit. c StPO zur Folge, sondern einzig die Einstellung nach Art. 329 Abs. 4 StPO (so zutreffend Jürg Bähler, a.a.O., N. 13 zu Art. 382 StPO mit Verweis auf den Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern BK 2020 444 vom 11. Januar 2021 E. 6.1; vgl. weiter auch Viktor Lieber, a.a.O., N. 20 f. zu Art. 382 StPO mit Hinweisen; Jositsch/Schmid, a.a.O., N. 15 f. zu Art. 329 StPO, N. 8 zu Art. 382 StPO, N. 2 und N. 5a zu Art. 399 SPO, N. 9 zu Art. 403 StPO; Marlène Kistler Vianin, a.a.O., N. 11 zu Art. 403 StPO mit Hinweisen). 
 
2.4. Damit hat die Vorinstanz das bei ihr nach Art. 399 Abs. 2 StPO anhängig gewordene Strafverfahren zu Recht gestützt auf Art. 329 Abs. 4 StPO eingestellt. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet. Auch der Umstand, dass die Vorinstanz in ihrem Entscheid nicht auf die Argumentation der Beschwerdeführerin eingeht, dass die Vertretungsbefugnis der amtlichen Verteidigung über den Tod der beschuldigten Person hinaus im Strafprozessrecht keine Grundlage habe, und die Folge davon, dass eine postmortale Einreichung der Berufungserklärung unzulässig sei, stellt keine Gehörsverletzung dar: Wie sich aus dem oben in E. 2.3 Ausgeführten ergibt, kam es für die vorinstanzliche Einstellung auf das Vorliegen einer gehörigen Berufungserklärung gar nicht an.  
 
3.  
Die Beschwerde ist abzuweisen. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und Abs. 4 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, B.________, C.________, den Erben der D.________, der E.________ AG, F.________ und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 8. Oktober 2024 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Die Gerichtsschreiberin: Mango-Meier